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Eisenmangelanämie in der Geburtshilfe
Bedeutung, Differenzialdiagnostik und Therapiemöglichkeiten
Eisenmangel in Schwangerschaft und Wochenbett ist ein wichtiger Risikofaktor für die mütterliche und fetale Morbidität und Mortalität. Die bisherige Strategie mit Messung des mütterlichen Hämoglobinwerts und nachfolgender peroraler Eisengabe bei Unterschreitung eines Schwellenwerts sollte aufgrund neuer Erkenntnisse differenzierter beurteilt werden. Bei ausgeprägter Anämie wird heute immer häufiger parenteral Eisen verabreicht.
DIRK KERSTEN, DANIEL SURBEK
Während in der Diagnostik das Serumferritin als gut korrelierender Marker der Eisenspeicher zunehmend an Bedeutung gewinnt, wird in der Therapie insbesondere bei ausgeprägter Anämie immer häufiger auf die parenterale Eisengabe zurückgegriffen, da die perorale Therapie nicht immer zum gewünschten Ziel führt und zuweilen mit beträchtlichen Nebenwirkungen behaftet ist. Durch neuere Entwicklungen ist die intravenöse Eisentherapie effizienter, sicherer und einfacher geworden.
Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft
Diagnostik Im Lauf der physiologischen Schwangerschaft verändern sich die Hämoglobinwerte und die Indizes des roten Blutbilds, bedingt durch die Volumenexpansion und die Hämodilution. Die Normwerte der Hämoglobinkonzentration (Hb) im Blut sind demnach bei schwangeren Frauen den physiologischen Veränderungen angepasst. Im ersten und dritten Trimenon liegt der untere Grenzwert bei 110 g/l, im zweiten Trimenon bei 105 g/l. Pragmatisch gesehen ist ein Hb-Wert < 110 g/l zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft richtungsweisend für eine abklärungsbedürftige Anämie, welche spezifische therapeutische Konsequenzen erfordert (1). Die im Blutbild nachweisbare hypochrome Mikrozytose (MCV und MCH erniedrigt) spricht in den meisten Fällen für eine Eisenmangelanämie und wird mit einer Spezifität von 99% durch einen tiefen Ferritinspiegel unter 15 µg/l bewiesen. Eine Studie zeigte bei 470 Einlingsschwangerschaften (16.–20. SSW) eine Prävalenz von 32% der Patientinnen mit Eisenmangel (Ferritin < 15 ng/l) und 17% mit Eisenmangelanämie (Ferritin < 15 ng/l und Hb < 110 g/l) (2). Ferritin alleine hat jedoch eine beschränkte Sensitivität, das heisst es kann «falsch-normal» oder sogar
erhöht sein. Ferritin ist ein Akutphasenprotein, welches im Rahmen einer Entzündung respektive Infektion ansteigt. Die gleichzeitige CRP-Bestimmung hat sich in diesen Fällen als hilfreich erwiesen (3). Ferritin alleine ist demnach hinsichtlich Eisenmangel aussagekräftig wenn es tief ist, nicht jedoch bei normalen oder erhöhten Spiegeln.
Differenzialdiagnosen Hämoglobinopathien wie beispielsweise die -Thalassämie gehören zu den Differenzialdiagnosen der Eisenmangelanämie. Typischerweise finden sich bei dieser Anämie ■ eine besondere Ethnizität (Herkunft aus Mittel-
meerländern) ■ eine positive Familienanamnese ■ extrem kleine MCV-Werte (mittleres korpuskuläres
Erythrozytenvolumen < 70 fl) und ■ teilweise typische «target cells» im roten Blutbild. Das Ferritin ist hier normal oder sogar erhöht. In diesen Fällen ist die Durchführung einer Hämoglobinelektrophorese zur differenzierteren Diagnostik indiziert. Beim Nachweis einer – meistens heterozygoten – Hämoglobinopathie in der Schwangerschaft muss eine Partnerabklärung erfolgen. Eine invasive Pränataldiagnostik sollte angeboten werden, wenn ein relevantes Risiko für den Fetus vorliegt, das heisst wenn eine homozygote oder compound-heterozygote Hämoglobinopathie beim Fetus möglich ist. Dies sollte auch bei den seltenen Fällen von Schwangerschaften bei Patientinnen mit homozygoter Thalassämie diskutiert werden (4). Eine weitere wichtige Differenzialdiagnose der Anämie ist der Vitamin-B12-Mangel und/oder der Folsäuremangel. Dies kann sich beispielsweise während der Schwangerschaft bei extremen Vegetarierinnen ergeben. Aber auch die perniziöse Anämie, induziert
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durch eine Resorptionsstörung des Vitamin B12, kann vorkommen. Typischerweise zeigen die Erythrozytenindizes eine Makrozytose. Die Blutspiegelbestimmung von Vitamin B12 führt zur Diagnose.
Die Therapie in der Schwangerschaft Die Behandlung des Eisenmangels richtet sich nach dem Schweregrad der festgestellten Anämie. Entsprechend den Empfehlungen der Kommission Qualitätssicherung der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist bei leichteren Eisenmangelanämien von 90 bis 105 g/l eine perorale Therapie ausreichend (5). Es steht hier sowohl zweiwertiges als auch dreiwertiges Eisen zur Auswahl. Die Maxime «viel hilft viel» ist bei der oralen Eisengabe leider nicht zutreffend. Im Gegenteil: Der prozentuale Anteil des resorbierten Eisens verhält sich umgekehrt proportional zur verabreichten Gesamtmenge, sodass mit niedrigen Dosierungen von 80 bis 200 mg/Tag der gleiche Effekt erreicht wird wie mit einer hohen Dosis. Wichtig ist in der Regel, dass die Tagesdosis auf zwei Teildosen aufgeteilt wird. Die beste Resorption wird ein bis zwei Stunden vor den Mahlzeiten erreicht (6). Manche Autoren empfehlen die gleichzeitige Einnahme von Ascorbinsäure oder etwas Orangensaft zur Erzeugung eines sauren Milieus, wodurch die Aufnahme begünstigt wird. Wenn innerhalb von zwei Wochen kein nennenswerter Erfolg (Hb-Anstieg um 8–10 g/l) eingetreten ist, kann das verschiedene Gründe haben: In den meisten Fällen handelt es sich um eine Unverträglichkeit des Präparats oder um eine Malcompliance. Als weitere Ursache kann eine schwere Eisenmangelanämie (< 90 g/l) in Betracht gezogen werden, bei der die perorale Medikation die entleerten Eisenspeicher oft nicht aufzufüllen vermag (6).
Intravenöse Eisengabe in der Schwangerschaft Zu den Indikationen der parenteralen Eisentherapie in der Schwangerschaft gehören ■ die schwere Anämie mit Hb < 90 g/l ■ die erfolglose perorale Eisengabe
oder
■ die nicht selten zu beobachtenden ausgeprägten Nebenwirkungen der peroralen Therapie (= Obstipation), welche zu Malcompliance führen können.
Zudem können auch prospektive Überlegungen zur Indikationsstellung einer parenteralen Verabreichung führen. So kann auch die schnelle Anämiebehandlung im Vordergrund stehen, wie es beispielsweise in Terminnähe zur Vorbereitung auf die Geburt oder Sectio der Fall ist. Der Vorteil der intravenösen Eisentherapie liegt dabei nicht nur in der schnellen Anhebung des Hb-Werts, sondern auch in der Abwesenheit gastrointestinaler Nebenwirkungen (5). Im Gegensatz zu den früher eingesetzten Eisen-Dextran-Präparaten kommen anaphylaktische Reaktionen sehr selten vor. Als sicherstes und am besten verträglichstes parenterales Eisenpräparat hat sich der Eisen-III-Saccharat-Komplex (Venofer®) erwiesen. Die Anwendung in der Schwangerschaft (ab dem 2. Trimenon) gilt als sicher; die allgemeine Nebenwirkungsrate liegt unter 0,5%. Die Anwendung erfolgt als Kurzinfusion. Die Dosierung von parenteralem Eisen-IIISaccharat liegt bei maximal 200 mg pro Applikation, vorzugsweise gelöst in 100 mL 0,9%-iger NaCl-Lösung als Kurzinfusion. Die Applikation erfolgt während zirka 30 Minuten über einen i.v.-Zugang (cave! zu schnelle Infusion: Gefahr der hypotensiven Reaktion). Die i.v.-Gaben sollen, abhängig vom Hb-Ausgangswert, ein- bis dreimal wöchentlich wiederholt werden, bis ein Ziel-Hb-Wert von > 105 g/l erreicht ist. Anschliessend kann auf orale Eisensubstitution zur Erhaltung gewechselt werden. Eine Eisenüberladung ist dabei nicht zu befürchten. Aufgrund der geringen Nebenwirkungsrate (0,5%) kann die Therapie problemlos ambulant in der Praxis durchgeführt werden. Allerdings sollte sicherheitshalber die Möglichkeit einer kardiopulmonalen Reanimation vorhanden sein.
Postpartale Anämie
Diagnostik Die postpartale Anämie wird generell durch einen Hb-Wert < 100 g/l definiert. Dabei handelt es sich in der Regel um eine Blutungsanämie, teilweise kombiniert mit einer präpartal bestehenden
Eisenmangelanämie. Die Hämoglobinbestimmung führt zur Diagnose. Der Nadir des Hb-Werts ist 48 Stunden postpartal zu erwarten, weshalb die Bestimmung idealerweise am zweiten postpartalen Tag stattfinden soll, ausser wenn vorher eine Indikation zur Hb-Bestimmung besteht (grosser peripartaler Blutverlust, klinische Symptomatik). Das Ferritin hilft in der postpartalen Situation nicht weiter, da die verschiedenen physiologischen Entzündungsvorgänge zu einer Erhöhung des Ferritins führen. Von einer Ferritinbestimmung im Wochenbett wird aufgrund der oben genannten falschpositiv zu erwartenden Resultate in den ersten sechs Wochen nach der Geburt abgeraten (6).
Therapie der Eisenmangelanämie postpartal Da bei der postpartalen Anämie sehr tiefe Hb-Werte auftreten können, gilt hier um so mehr der Grundsatz einer Therapie, die dem entsprechenden Schweregrad angepasst werden sollte. Dabei kann je nach Hb-Spiegel perorales oder intravenöses Eisen verwendet werden. Bei sehr tiefen Hb-Werten ist eine Kombination von parenteralem Eisen mit rekombinanten Erythropoetin (off-label use!) eine Option. Offen ist die Frage, unter welchem Hb-Spiegel eine Bluttransfusion erfolgen soll. Generell werden Hb-Werte unter 60 g/l empfohlen, dies allerdings abhängig vom klinischen Zustand der Patientin. Bei aktuen postpartalen Blutungen (z.B. Atonie) mit Kreislaufinstabilität kommt man oft nicht um eine Fremdblutgabe umhin. Bei Hämoglobinwerten über 95 g/l wird orales Eisen mit einer Tagesdosis von 80 bis 200 mg empfohlen. Krafft et al. konnten zeigen, dass selbst Wöchnerinnen mit isoliertem Eisenmangel ohne Anämie nur mit einer oralen Substitution ihre Eisenspeicher auffüllen können. Die Arbeitsgruppe empfiehlt daher die Eisensubstitution über sechs Monate (7). Bei schwerer Anämie, vor allem nach starkem Blutverlust, sind die endogenen Eisenspeicher meist so sehr erschöpft, dass auf eine intravenöse Gabe nicht verzichtet werden sollte. Als Grenze wird in den genannten Empfehlungen ein Hb-Wert unter 95 g/l angegeben; andere Empfehlungen setzen die Grenze
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bei 90 g/l. Die intravenöse Eisentherapie wird ähnlich durchgeführt wie die, die während der Schwangerschaft erfolgt. Das parenterale Eisen-III-Saccharat (Venofer®) wird intravenös in einer Einzeldosis von 200 mg pro Applikation verabreicht, vorzugsweise gelöst in 100 mL 0,9%-iger NaCl-Lösung als Kurzinfusion über 30 Minuten. Diese Dosierung kann ein- bis dreimal wöchentlich gegeben werden. Nach fünf Tagen kann dann eine zusätzliche orale Eisensubstitution begonnen werden. Wenn der Hb-Wert unter 80 g/l liegt, kann zusätzlich zur intravenösen Eisen-IIISaccharatgabe rekombinantes Erythropoetin (z.B. Eprex®) mit 150 IE/kg KG/ Tag eingesetzt werden. Wie auch in anderen Zentren wird ein Hb-Wert von 60 g/l als Grenzwert für die zusätzliche Gabe von Fremdblut gesehen. Neben dem Wunsch der Patientin sollte jedoch auch die individuelle Situation berücksichtigt werden. Seit Februar 2008 steht in der Schweiz, wie auch in vielen anderen europäischen Ländern, ein neues Eisenpräparat zur intravenösen Applikation zur Verfügung. Es handelt sich dabei um Eisencarboxymaltose (Ferinject®) und ist aufgrund der physiologischen Osmolarität in der lokalen Verträglichkeit verbessert. Damit kann den Patientinnen Eisen in höheren Dosen in kürzerer Zeit zugeführt werden. Mit einer Einmalgabe kann maximal 1000 mg in 15 Minuten verabreicht werden (6). Dieses neue Präparat wird es in Zukunft erlauben, die i.v-Eisentherapie zu vereinfachen, da die Fraktionierung der Verabreichung minimiert werden kann. Zurzeit ist das Präparat für die postpartale Verabreichung zugelassen, jedoch nicht für die Gabe in der Schwangerschaft, wo nach wie vor das Eisen-III-
Saccharat (Venofer®) vorgezogen werden sollte. Der Ergänzung halber soll erwähnt werden, dass naturheilkundliche Verfahren einen bisher wenig beachteten Stellenwert haben. Es sollte nicht vergessen werden, dass bei leichtem Eisenmangel die gezielte Einnahme von eisenhaltigen Nahrungsmitteln (Nüsse, dunkle Beeren und deren Säfte, rote Beete etc.) zur Behebung des Eisenmangels beitragen kann.
Ausblick
Die oben erwähnte Neuerung in der in-
travenösen Eisentherapie wird einen Bei-
trag zur effizienten Behandlung des
Eisenmangels und der Eisenmangelan-
ämie in der Geburtshilfe leisten. Die Rolle
der Ferritinbestimmung zu Beginn der
Schwangerschaft hat ebenfalls ein gewis-
ses zukünftiges Potenzial. Idealerweise
könnten damit die vorhandenen Körper-
eisenspeicher im ersten Trimenon abge-
schätzt werden und damit aufgrund des
bekannten Eisenbedarfs in der Schwan-
gerschaft eine eventuell nötige orale
(oder intravenöse) Eisentherapie voraus-
berechnet werden. Hierzu ist es jedoch
wesentlich, weitere Studien zur Klärung
der Bedeutung des isolierten Eisen-
mangels in der Schwangerschaft (ohne
Anämie), und Studien zur Festlegung
des als Normgrenze geltenden Ferritin-
spiegels (15 oder 30 ng/l?) durchzu-
führen.
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Prof. Dr. med. Daniel Surbek (Korrespondenzadresse) Geschäftsführender Co-Klinikdirektor Chefarzt Geburtshilfe Universitäts-Frauenklinik Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern E-Mail: daniel.surbek@insel.ch
und
Dr. med. Dirk Kersten Oberarzt Universitäts-Frauenklinik Inselspital Bern Effingerstrasse 102 3010 Bern
Quellen
1. Bridges K: Iron imbalance during pregnancy. In: Bern M, Frigoletto F, (eds) Hematologic disorders in maternal-fetal medicine. Wiley & Liss 1990, New York: 113–128.
2. Breymann C, Visca E, Huch R, Huch A: Efficacy and safety of intravenously administered iron sucrose with and without adjuvant recombinant human erythropoietin for the treatment of resistant iron-deficiency anemia during pregnancy. Am J Obstet Gynecol. 2001; 184(4): 662–7.
3. Gibson R: Assessment of iron status. In: Gibson R (ed) Principles of nutritional assessment. Oxford University Press 1990: 349–376.
4. Breymann C, Honegger C, Holzgreve W, Surbek D: Diagnostik und Therapie der Eisenmangelanämie in Schwangerschaft und postpartal. Gynäkol Geburtshilfliche Rundschau 2008; 244.
5. Surbek D, Koller A, Pavic N: Successful twin pregnancy in homozygous (-thalassemia after ovulation induction with growth hormone and gonadotropins. Fertil Steril 1996; 65: 670–2.
6. Breymann C: Anämie. In: Schneider H, Husslein P, Schneider KTM (eds) Die Geburtshilfe, 3. Auflage, Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006: 319–333.
7. Krafft A, Perewusnyk G, Hänseler E, Quack K, Huch R, Breymann C: Effect of postpartum iron supplementation on red cell and iron parameters in non-anaemic iron-deficient women: a randomised placebo-controlled study. BJOG; 2005, 112(4): 445–50.
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