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SCHWERPUNKT
Kongenitale Herzfehler und Schwangerschaft?
Abzuschätzende Risiken und medizinische Betreuung
Dr. med. Richard Eyermann
Frauen mit angeborenem Herzgefässfehler möchten oft eigene Kinder haben, zumal viele mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten ein weit gehend normales Leben führen können. In wel-
chen Fällen ist aber von einer Schwangerschaft bei vorgeschädigtem Herzen abzuraten? Wann ist eine Gravidität unkritisch? Welche Massnahmen in Therapie und Betreuung sind anzuraten?
Konstant werden 0,7 bis 0,8 Prozent aller lebend entbundenden Kinder mit einem angeborenen Herzfehler geboren. Davon überleben heute 90 Prozent und erreichen das Erwachsenenalter. Viele dieser Menschen können ein weit gehend normales Leben führen; so verwundert es nicht, dass immer häufiger Frauen mit kongenitalen Herzfehlern auch selbst Kinder haben möchten. Jedoch kann eine Schwangerschaft für herzkranke Frauen und ihre ungeborenen Kinder schwer wiegende Konsequenzen mit sich bringen. Wann eine Schwangerschaft zu grosse Risiken in sich birgt und welche medizinische Hilfe herzkranke Patientinnen benötigen, hat ein Expertengremium der European Society of Cardiology (ESC; The Task Force on the Management of Cardiovascular Diseases During Pregnancy of the ESC) auf dem letzten ESC-Kongress 2003 in Wien diskutiert und in einem Konsensuspapier zusammengefasst. Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte besprochen.
Erhebliche Zusatzbelastung für das Herz
Bei einer Schwangerschaft kommt es zu physiologischen Anpassungsprozessen, die den gesunden Organismus «fordern», für das vorgeschädigte kranke Herz aber eine erhebliche Belastung darstellen können: Bekanntlich nehmen sowohl das Blutvolumen als auch die Herzfrequenz der Schwangeren zu, und der periphere Gefässwiderstand nimmt ab. Das Herzminutenvolumen des mütterlichen Herzens vergrössert sich dadurch um zirka 50 Prozent.
Eine ausreichende Blutversorgung von Mutter und Kind soll gesichert werden. Mit dem Einsetzen der Wehentätigkeit kommt es zu teilweise sehr ausgeprägten Blutdruckanstiegen. Die Herz-KreislaufBelastung wird noch verstärkt durch die Freisetzung von Blut in die Gefässperipherie mit konsekutiver weiterer Zunahme des Herzzeitvolumens. Auch die nach der Geburt einsetzenden Prozesse der Wiederherstellung der ursprünglichen Herz-Kreislauf-Verhältnisse belasten vor allem das kranke Herz.
Unterschiedliche Risikokollektive
Zweifellos können die meisten herzkranken Frauen heute ohne grössere Komplikationen Kinder gebären. Dagegen birgt für Hochrisikopatientinn die Gravidität aber immer noch extrem hohe gesundheitliche Risiken, wie in den Tabellen 1 und 2 im Detail dargestellt ist. Hierzu gehören vor allem Frauen mit pulmonaler Hypertonie, aber auch mit zyanotischen Herzfehlern und solche mit schwerer linksventrikulärer Ausflusstraktobstruktion (LVOT). Dabei weisen die schwangeren herzkranken Patientinnen mit schwerem Lungenhochdruck die mit Abstand höchste Komplikationsrate auf. Ihre Mortalitätsrate liegt bei 50 Prozent im Verlauf von Schwangerschaft und Geburt. Darüber hinaus besteht bei den überlebenden Schwangeren mit schwerer pulmonaler Hypertonie die Gefahr signifikanter Verschlechterung ihres Krankheitsverlaufes nach der Geburt des Kindes. Zum Hochrisikokollektiv müssen zudem alle Schwangeren gerechnet werden – und dies unabhängig von ihrer kardialen Grunderkrankung –, welche an einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz in den NYHA-Sta-
Tabelle 1: Allgemeine Risikostratifizierung bei operierten kongenitalen Vitien schwangerer Frauen
Kein Risiko
Geringes Risiko
Deutliches Risiko
Maximales Risiko
Ductus arteriosus persistens Pulmonalstenose VSD ohne pulmonale Hypertonie ASD Aortenisthmusstenose Aortenstenose Fallot’sche Tetralogie TGA nach Switch TGA nach Vorhofumkehr (Mustard oder Senning) Conduit-Operationen Klappenprothesen Eisenmenger-Reaktion
Tabelle 2: Maternale und fetale Mortalität bei kardialer Leistungseinschränkung nach NYHAFunktionsklassen
Mütterliche Sterblichkeit NYHA-Klassen I und II NYHA-Klassen III und IV Kindliche Sterblichkeit NYHA-Klasse I NYHA-Klasse IV
0,4% 6,8%
keine 30%
dien III und IV leiden. Bei diesem Klientel ist ebenfalls zu erwarten, dass das schwer kranke Herz den hohen hämodynamischen Anforderungen im Rahmen der physiologischen Anpassungsprozesse an die Schwangerschaft nicht gewachsen ist. Diesen Hochrisikopatientinnen sollte von einer Schwangerschaft abgeraten und bei bereits bestehender Gravidität ein Schwangerschaftsabbruch empfohlen werden. Jedoch tendieren gerade Frauen aus dem
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Tabelle 3: Empfohlenes Untersuchungsprogramm bei Frauen mit angeborenem Herzgefässfehler in der Schwangerschaft
(modifiziert nach Kaemmerer et al., 1999)
Obligate Untersuchungen
Obligate technische Untersuchungen
Fakultative technische Untersuchungen
(unter Beachtung spezieller Kontraindikationen)
Gynäkologisch-geburtshilfliche Beurteilung
(engmaschige Vorsorgeuntersuchungen)
q Gynäkologisch-geburtshilfliche Anamnese: Echodoppler- und CTG-Kontrollen ab 24. SSW Eventuell Chromosomenanalyse
Ultraschall, speziell im Hinblick auf das fetale
q Klinische Untersuchung:
Herz-Kreislauf-System in der 20.–22. SSW
q Blutdruckkontrollen:
10.–12., 16., 22.–24. SSW (pränatale Diagnostik)
Kardiologische Beurteilung
q Kardiologische Anamnese
EKG
Blutgasanalyse, Ergometrie, Langzeit-EKG,
q Klinische Untersuchung
Echokardiografie
Langzeit(24-h)-blutdruckmessung, Röntgen-Thorax,
Blutbild
CT, MRT, Herzkatheter
vor Schsc8w.haaSnftgSerW 22. SSW 27. SSW 30. SSW 35. SSW 39. SSW 9. SSW 13. SSW 16. SSW
Hochrisikokollektiv dazu, den fachkompetenten ärztlichen Rat nicht zu befolgen. Oft werden sie erst in fortgeschrittenen Stadien der Gravidität bei Spezialisten vorstellig und wollen ungeachtet höchster Risiken das Kind behalten. In solchen Fällen wird die Entbindung in einem Herzzentrum empfohlen, was besonders ratsam ist, da das Risiko letaler Zwischenfälle unmittelbar nach der Geburt am höchsten ist. Menschlich verständlich ist der unbedingte Kinderwunsch, der oft explizit von Frauen aus dem Hochrisikokollektiv stammt, in dem Bedürfnis, sich als «ganze Frau» fühlen zu wollen.
Management von Herzfehlern
Herzkranke Frauen differenter Risikokollektive müssen während einer Schwangerschaft sachkundig medizinisch versorgt werden nach einem Versorgungsprogramm, das in Tabelle 4 aufgeführt ist. Grösstenteils ist dies gewährleistet, indem die Betroffenen selbst ein spezialisiertes Zentrum aufsuchen oder vom Grundversorger überwiesen werden. Doch noch immer gibt es Lücken: nicht alle werdenden Mütter mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen bekommen die erforderliche medizinische Aufmerk-
Fallbeispiel
Abbildung: Druckgradient bei Aortenklappenstenose
erneute Schwangerschaft
Abort AKE
80
70
60
50
40
30
20
10
0
P (mmHg)
samkeit, das heisst, die Notwendigkeit
einer intensiven medizinischen Betreu-
ung wird verkannt. Vor allem in höheren
Risikokollektiven herzkranker Schwange-
rer, wie beispielsweise mit Obstruktionen
des LVOT, resultieren daraus schwer wie-
gende gesundheitliche Folgen. Noch zu
oft gehen viele Ärzte davon aus, dass
eine Herzoperation alle Probleme besei-
tigt und die betroffenen Frauen geheilt
sind. Dies trifft nicht zu.
Obstruktionen des LVOT
Eine besonders engmaschige Kontrolle
benötigen Patientinnen mit erhöhtem
und hohen Risiko, darunter vor allem bei
Aortenklappenstenose und Aorten-
isthmusstenose. Bei einer valvulären Aor-
tenstenose kann im Schwangerschafts-
verlauf selbst ein anfangs noch
geringfügiger Druckgradient so sehr zu-
nehmen, dass ein Aortenklappenersatz
erforderlich wird (siehe Abbildung). Bei
operierter Aortenisthmusstenose kön-
Abbildung/Fallbeispiel: Besonderes Versorgungsproblem Aortenstenose: Druckgradient und Verlauf bei einer Patientin mit angeborener valvulärer Aortenstenose: Kommisurotomie 1982, Aortenklappenersatz Hancock-Conduit 8. 1994, Aortenklappenersatz St. Jude Med. 6. 1999: Zu Beginn Druckgradient noch nicht in dem Bereich, in dem ein erneuter Klappenersatz indiziert gewesen wäre; Anstieg wie erwartet in der Schwangerschaft. Abraten einer erneuten Schwangerschaft mit Ignoranz durch die Patientin; Folge dramatischer Anstieg mit massiver Verschlechterung der hämodynamischen Verhältnisse, Spontanabort des Kindes und beinahe auch Tod der Mutter; Notwendigkeit erneuten Aortenklappenersatzes.
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Tabelle 4: Riskante und unbedenkliche Herz-Kreislauf-Medikamente bei Schwangeren
Medikament Antiarrhythmika q Digoxin q Adenosin q Procainamid q Amiodaron
Antihypertensiva q Methyldopa
q Betablocker q Kalziumantagonisten q Diuretika
Vasodilatatoren q ACE-Hemmer
q Hydralazin q Nitrate
Fötale Risiken
Keine schweren Nebenwirkungen bekannt Keine schweren Nebenwirkungen bekannt Keine schweren Nebenwirkungen bekannt Schädlich für Kind: Risiko von Wachstumsverzögerung, Hypothyreoidismus, Frühgeburt
Keine schweren Nebenwirkungen bekannt, Mittel der ersten Wahl bei Hypertonie Verminderte Herzfrequenz? Vermindertes Geburtsgewicht? Nebenwirkungen extrem selten Verminderter Blutfluss in der Plazenta, Hyponatriämie Erhöhtes Präeklampsierisiko bei Schwangeren?
Nicht indiziert in der Schwangerschaft: Risiko von Urogenitaldefekten, Tod, Wachstumsverzögerung Keine schweren Nebenwirkungen bekannt Bradykardie?
Antikoagulanzien q Phenprocoumon,
Warfarin q Unfraktioniertes Heparin
q LMW-Heparin
q Aspirin
Risiko von Entwicklungsstörungen bei Einsatz vor 12. SSW Keine schweren Nebenwirkungen bekannt; Schwangere sind weniger vor Thromboembolien geschützt als durch Cumarin-Derivate Keine schweren Nebenwirkungen bekannt; aufgrund unzureichender Erfahrungen bislang noch zurückhaltende Indikation während der Schwangerschaft Bei Anwendung höherer Dosen niedriges Geburtsgewicht
nen die erhöhten Anforderungen an das Kreislaufsystem der Schwangeren erhebliche Komplikationen herbeiführen, wie zum Beispiel ein Aneurysma im operierten Gefässbereich.
Herzoperation vor Schwangerschaft? Die eingehende kardiologische Untersuchung herzkranker Frauen vor einer gewünschten Schwangerschaft ist unbedingt anzuraten. Diese Vorsorge soll sichern, dass eventuell notwendige Eingriffe noch vor einer Schwangerschaft vorgenommen werden können. Leider ist jedoch die Realität noch immer so, dass sich die meisten herzkranken Frauen erst an einen Arzt wenden, wenn sie bereits schwanger sind. Mitunter verschlechtert sich der Zustand so sehr, dass noch während der Schwangerschaft ein Eingriff notwendig wird. In der Schwangerschaft gehen Eingriffe
am Herz-Kreislauf-System mit einem nicht geringen Risiko einher. Bei Einsatz der Herz-Lungen-Maschine beträgt die Sterblichkeit des Föten etwa 20 Prozent. Katheterinterventionelle Eingriffe haben ein geringeres Risiko (dieses ist vor allem durch Strahlenschäden bedingt). Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, mit einem Eingriff bis nach der Entbindung zu warten. Der Grundsatz «Vorsorge ist besser als Nachsorge» sollte oberste Priorität haben.
Kardiovaskuläre Pharmakotherapie
Die Empfehlungen zu einer kardiovaskulären Pharmakotherapie stützen sich auf Erfahrungswerte, da pharmakologische Untersuchungen bei Schwangeren aus ethischen Gründen nicht vertretbar sind. Die Tabelle 4 listet eine Auswahl kardiovaskulärer Präparate auf und weist
auf mögliche Auswirkungen auf das ungeborene Kind hin. Besonders betont werden muss die Vorsicht bei der Anwendung von ACE-Hemmern, da sie den Fötus nachhaltig schädigen können.
Antikoagulation
Zweifellos können Schwangere mit einem
erhöhten Thromboembolierisiko, vor al-
lem jene herzkranke Patientinnen nach
künstlichem Herzklappenersatz, in der
Gravidität nicht auf eine Therapie mit
Antikoagulanzien verzichten. Dabei wird
seit langem diskutiert, von welcher Be-
handlung die Patientinnen am meisten
profitieren. Die mütterlichen Risiken müs-
sen jeweils gegen jene des ungeborenen
Kindes abgewogen werden. Das übliche,
häufig eingesetzte Cumarin-Derivat Phen-
procoumon schützt beispielsweise wir-
kungsvoll die Mutter vor thrombemboli-
schen Komplikationen, birgt jedoch
gleichzeitig das Risiko einer Embryopathie
in sich. Empfohlen wird der Einsatz von
Phenprocoumon daher erst nach der
zwölften Schwangerschaftswoche. Da
aber viele herzkranke Schwangere in praxi
erst im dritten Schwangerschaftsmonat
oder später einen spezialisierten Arzt auf-
suchen, ist diese Umsetzung nicht mehr
möglich und darüber hinaus eine Umstel-
lung auf das nicht plazentagängige Hepa-
rin nicht mehr notwendig. Erfreulicher-
weise haben sich die Auswirkungen von
Phenprocoumon auf den Embryo als weni-
ger dramatisch als vielfach angenommen
erwiesen.
◗
Dr. med. Richard Eyermann Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Kardiologie, Angiologie, Kinderkardiologie,
Sportmedizin und Allgemeinarzt D-81739 München
Empfohlene Literatur: The Task Force on the Management of Cardiovascular Diseases During Pregnancy of the European Society of Cardiology: Expert consensus document on management of cardiovascular diseases during pregnancy. Eur. Heart J. 2003; 24,: 761–781.
Weitere Literatur beim Verfasser
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