Transkript
TAGUNGSBERICHT
Was ist gesichert, was bleibt umstritten?
Wissenschaftliche Basis für die neue Lebensmittelpyramide
Für die Überarbeitung der Ernährungspyramide mussten die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre erfasst und ausgewertet werden. Eine grosse Arbeitsgruppe mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachrichtungen sichteten die wissenschaftlichen Publikationen, begleitet von einem intensiven gegenseitigen Austausch. Prof. Pedro Marques-Vidal, CHUV, Universität Lausanne, leitete dieses Projekt und erläuterte den Prozess.
Die nicht übertragbaren Krankheiten (NCD) wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und Adipositas sind in der Schweiz für 80% der gesamten Gesundheitskosten verantwortlich. Der Trend dürfte aufgrund der älter werdenden Bevölkerung zunehmen. Dabei hat die Ernährung einen grossen Einfluss auf die Entstehung vieler chronischer Krankheiten. In der Schweiz wurde nun die Überarbeitung der Lebensmittelpyramide von 2011 in Angriff genommen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sollten einfliessen und erstmals auch Umweltfaktoren berücksichtigt werden. Diese Empfehlungen wurden für gesunde Erwachsene von 18–65 Jahren formuliert. Für jüngere oder ältere Altersgruppen, schwangere und stillende Frauen und Kranke müssen die Empfehlungen ergänzt werden.
Schlussfolgerung Gemüse Der Konsum reduziert das Risiko von kardiovaskulären Krankheiten Der Konsum reduziert das Risiko von Krebs Der Konsum reduziert das Risiko von Typ-2-Diabetes Der Konsum reduziert das Risiko von Übergewicht/Adipositas *Abhängig von der Krankheit
Klasse I/II* I/II I/II I/II
Niveau A A A A
Komplizierter zu bewerten sind die Resultate der Hülsenfrüchte Schlussfolgerung Hülsenfrüchte Der Konsum reduziert das Risiko von kardiovaskulären Krankheiten Der Konsum reduziert das Risiko von Krebs Der Konsum reduziert das Risiko von Typ-2-Diabetes Der Konsum reduziert das Risiko von Übergewicht / Adipositas *Abhängig von der Krankheit, **nur eine Studie
Klasse I/II* I/II II/III I**
Niveau B B B B
Lebensmitteln wurde unter den verschiedenen Mitgliedern aufgeteilt, das Ergebnis wurde aber jeweils von einer Gruppe einer anderen Institution validiert. Es konnten Publikationen bis zum Stichtag anfangs 2022 berücksichtigt werden. Diese Arbeit lieferte die wissenschaftliche Grundlage für die Erarbeitung der Empfehlungen. Die Arbeiten wurden jeweils bezüglich Aussage (class) und Methode (niveau) in folgende Gruppen eingeteilt:: Klasse I Nachweis und/oder allgemeine Übereinstimmung
über die Vorteile eines bestimmten Lebensmittels II Widersprüchliche Ergebnisse und/oder Meinungs-
verschiedenheiten über die Vorteile des Lebensmittels III Nachweis, dass das Lebensmittel bei übermässigem Verzehr schädlich ist. Niveau A Daten aus mehreren randomisierten kontrollierten Studien oder Metaanalysen B Daten aus einer einzelnen randomisierten kontrollierten Studie oder mehreren prospektiven Studien C Einigung unter Experten und/oder retrospektive Studien oder Fallkontrollstudien. Der Schlussbericht fasst die Ergebnisse des Einflusses von Nahrungsmitteln auf die chronischen Krankheiten zusammen (1). Die detaillierte wissenschaftliche Beurteilung der einzelnen Nahrungsmittel ist auf der Seite des BLV zu finden, inklusive der Referenzen. In diesem Artikel wird nur exemplarisch eine Auswahl vorgestellt.
Gesund – fraglich – ungesund
Es wurde eine Liste der wichtigsten Lebensmittel und Lebensmittelgruppen der Schweizer Bevölkerung erstellt. In einem ersten Schritt wurden Studien gesucht, die den Zusammenhang zwischen diesen Lebensmitteln und vier chronischen Krankheiten untersuchten: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Typ-2-Diabetes und Adipositas. Daran beteiligt waren Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Fachgebieten wie Ernährungswissenschaft, Ernährungsberatung und Umweltwissenschaft, aus verschiedenen staatlichen und privaten Institutionen. Die Arbeit zu einzelnen
Eindeutig ist das Resultat für Gemüse. Studien mit guter Evidenz zeigen einen positiven Einfluss auf alle vier chronischen Krankheiten, die untersucht wurden. Hülsenfrüchte zeigen in Studien einen Benefit bei der Reduktion von kardiovaskulären Krankheiten und Adipositas. Sie sind auch aus Umweltsicht positiv. Dass ein Studienresultat manchmal auch von der untersuchten Population beeinflusst wird, zeigt exemplarisch eine Studie, die nach dem Abschluss der Literatursammlung erschienen ist. In Bezug auf Diabetes wurde in einer grossen internationalen Studie ein erhöhtes Risiko bei Einnahme von Hülsenfrüch-
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TAGUNGSBERICHT
Die neuen Ernährungsempfehlungen auf einen Blick (3)
• Getränke: Regelmässig trinken. Am besten Wasser. *1–2 Liter am Tag.
• Früchte und Gemüse: Bunt und saisonal. *5 Portionen am Tag.
• Getreideprodukte und Kartoffeln: Vollkornprodukte bevorzugen. *3 Portionen am Tag.
• Milchprodukte: Am besten ungezuckert. *2–3 Portionen am Tag. • Hülsenfrüchte, Eier, Fleisch und Weitere: Abwechslung
geniessen. Regelmässig Hülsenfrüchte. *1 Portion am Tag. • Nüsse und Samen: Täglich in kleinen Mengen geniessen. *1 kleine Handvoll am Tag. • Öle und Fette: Pflanzliche Öle bevorzugen. *2 Esslöffel am Tag. • Süssgetränke, Süsses und salzige Snacks (optional): In kleinen Mengen. *0–1 Portion am Tag.
*Tägliche Verzehrsempfehlung pro Lebensmittelgruppe (Stufe) in der Lebensmittelpyramide.
https://www.rosenfluh.ch/qr/blv-ern-empfehl-kurz
Abbildung: die neue Ernährungspyramide
Schlussfolgerung Kaffee Kaffee hat allgemein einen schützenden Effekt auf das Risiko von kardiovaskulären Krankheiten Kaffee kann ein Schutzfaktor für mehrere Krebsarten darstellen, beispielsweise Krebs von Leber, Brust (nach Menopause), Endometrium Haut, Prostata, Gehirn, Mund, Schilddrüse. Kaffee zeigte widersprüchliche Effekt auf Kolon- und Ovarialkrebs. Kaffe zeigte einen schädlichen Einfluss auf die Entstehung von Pankreas und Blase Kaffee kann einen moderaten Effekt auf das Körpergewicht haben
Klasse Niveau
I B
I A II A
III A II A
ten in Europa festgestellt, insbesondere in Deutschland, Grossbritannien und Schweden, während für den Rest der Welt kein Zusammenhang bestand. Die Zubereitung der Hülsenfrüchte kann unterschiedlich sein, oder sie können mit unterschiedlichen Lebensmitteln kombiniert werden (2). Ebenfalls differenzierter müssen die Ergebnisse der Studien zur gesundheitlichen Auswirkung von Kaffee beurteilt werden. Verschiedene Studien zeigten für einzelne Krebsarten einen positiven Einfluss von Kaffee, für andere Krebsarten ergaben sich widersprüchliche Resultate, für Pankreas- und Blasenkrebs konnte eine ungünstige Wirkung festgestellt werden. Ungesund ist der Konsum von ultraprozessierten Nahrungsmitteln (UPF), was in verschiedenen Studien bestätigt werden konnte.
Schlussfolgerung UPF UPF erhöht das Risiko von kardiovaskulären Krankheiten UPF erhöht das Risiko von bestimmten Krebsarten UPF erhöht das Risiko von Typ-2-Diabetes UPF erhöht das Risiko von Übergewicht / Adipositas
die Ernährungspyramide zwischen 5 (Italien, Niederlande) und 8 (Frankreich) Ebenen, die Schweiz besitzt deren 6. Auch die Tellermodelle unterschieden sich. Während in der Schweiz das Tellermodell 3 Anteile aufweist: Proteinkomponente (Fleisch, Fisch, Ei, Käse) Gemüsekomponente und Kohlenhydratkomponente (Reis, Brot, Kartoffeln, Pasta), unterteilt Deutschland unterteilt den Teller in 8 Komponenten.
Barbara Elke
Klasse III III III III
Niveau B B B A
Bewertung der Studien
Die vielen ausgewerteten Studien waren sehr heterogen aufgebaut, was einen Vergleich oft erschwert. Auch gab es zu vielen Lebensmitteln widersprüchliche Bewertungen. Zudem ist das untersuchte Lebensmittel immer auch Teil der gesamten Ernährung. Es finden sich wenig prospektive Studien. Diese sind schwierig zu realisieren, mehrere Tausend Personen müssten einwilligen, jahrelang nach expliziten Vorgaben zu essen. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass sich in den Studien oft nur ungenaue quantitative Angaben finden, es wird weder eine minimale, eine optimale noch eine maximale Menge eines Lebensmittels definiert.
Andere Länder – andere Sitten
Die Ernährungsempfehlungen verschiedener Länder unterscheiden sich in mehreren Punkten. So haben
https://www.rosenfluh.ch/qr/blv-ern-final-report
Quelle: Bern, SGE-Fachtagung 13.9.2024: Eine neue Lebensmittelpyramide für die Schweiz:Wissenschaftliche Grundlagen zum Ernährungs aspekt. Prof. Pedro Marques-Vidal, Department für Medizin, Innere Medizin, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) und Universität Lausanne.
Referenzen 1. https://www.blv.admin.ch/dam/blv/de/dokumente/lebensmit-
tel-und-ernaehrung/ernaehrung/ernaehrungsempfehlungen-wissenschaftliche-grundlagen.pdf.download.pdf/BLV_Main%20report_ Swiss%20dietary%20recommendations.pdf 2. Pearce M et al.: Associations of Total Legume, Pulse, and Soy Consumption with Incident Type 2 Diabetes: Federated Meta-Analysis of 27 Studies from Diverse World Regions. J Nutr. 2021 May 11;151(5):1231-1240. doi: 10.1093/jn/nxaa447. 3. https://www.blv.admin.ch/blv/de/home/dokumentation/nsb-newslist.msg-id-102396.html
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