Transkript
KONGRESSBERICHT
Protektive Kostformen
Von mediterran zu Planetary Health
Die mediterrane Kost gilt als Inbegriff der gesunden Ernährung. Tatsächlich konnte für diese Ernährungsform, als Ganzes wie auch für einzelne Faktoren, eine gesundheitsfördernde Wirkung bewiesen werden. Inzwischen wurden in verschiedenen Regionen der Welt auch andere gesunde Ernährungsformen gefunden, die teilweise ganz anders zusammengesetzt sind. Die heutige Entwicklung geht hin zu einer gesunden Ernährung, die auch umweltverträglich ist. Dr. med. Matthias Riedl, medicum Hamburg, gab einen Überblick über die Gemein samkeiten und Unterschiede verschiedener Ernährungsformen.
Die mediterrane Ernährung entspricht der üblichen Ernährung der 50er- und 60er-Jahre im Mittelmeerraum. Studien zeigten einen positiven Einfluss auf die Prävention von Herz-Kreislauf-Krankheiten. Zudem ist diese Ernährungsform meist auch langfristig umsetzbar. Doch für Laien muss man manchmal klarstellen, dass das Essen im griechischen Restaurant mit einem grossen Souvlaki-Spiess oder ein Tsatsiki-Fertigprodukt eben nicht der mediterranen Ernährung entsprechen. Die mediterrane Ernährung ist gekennzeichnet durch: • täglichen Verzehr von saisonalem und regionalem
Gemüse sowie Früchten, nicht raffiniertem Getreide, sowie fermentierten Milchprodukten • Olivenöl als wichtigstes Koch- und Speisefett, Nüsse und Samen • häufiger Verzehr von frischem Fisch und Meeresfrüchten • moderater Verzehr von Geflügelfleisch und Eiern und seltener Verzehr von rotem Fleisch • frische Zubereitung der Lebensmittel. Etwa 40–45 % der Energiemenge stammt von Kohlenhydraten, vor allem Gemüse, Kartoffeln, Pilze, Obst und Vollkornprodukte. Proteine machen etwa 20– 25% aus, Hauptquellen sind pflanzliche Proteine wie Erbsen, Linsen, Nüssen, Samen, bei den tierischen Proteinquellen sind es vor allem Milcherzeugnisse, Eier, Fisch und Geflügelfleisch. Fette betragen 35–40% der täglichen Energiezufuhr und bestehen aus Olivenöl und Nüssen. Typisch ist auch ein hoher Ballaststoffgehalt sowie ein hoher Gehalt an Vitaminen, Mikronährstoffen und sekundären Pflanzenstoffen. Die mediterrane Ernährungsform wirkt aufgrund vieler Faktoren (Tabelle 1) protektiv und therapeutisch bei Patienten, die vorher eine westliche Ernährungsform hatten. Sie beeinflusst sogar die Psyche positiv. In der Diät sind auch einige spezifische Nahrungsmittel enthalten, die pleiotrope Effekte auf Blutdruck, Gerinnung und Cholesterin aufweisen, wie beispielsweise Knoblauch. In den letzten Jahren hat man auch neue Erkenntnisse gewonnen, wie die Ernährung die positiven Wirkungen entfaltet. Die überwiegende oder rein pflanzliche Ernährung mit einem hohen Ballaststoffanteil verbes-
sert die Darmflora und wirkt so protektiv gegen Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes (3). Die Ballaststoffe haben eine Reihe weiterer positiver Eigenschaften, sie senken den Cholesterinspiegel, haben einen protektiven Einfluss auf die Entstehung von Darmkrebs, eine antientzündliche Wirkung und sogar einen positiven Effekt auf die Zähne und das Zahnfleisch. Weitere positive Faktoren für die Verminderung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind der hohe Anteil von ungesättigten Fettsäuren, die Propionsäure aus den Ballaststoffen, sowie hohe Kaliumgehalt von Gemüse. Die CARDIOPREV-Studie hat denn auch bestätigt, dass die mediterrane Kostform ideal für Prävention von kardiovaskulären Ereignissen in der Sekundärprävention und der Low-Fat-Diät überlegen ist (3).
Grün ist gesund!
Eine Studie untersuchte bei verschiedenen Gemüse arten den Gehalt an Mikronährstoffen und Vitaminen. Die Spitzenreiter waren grünes Gemüse wie Brunnenkresse, Petersilie, Grünkohl und Blattsalate (4). Inzwischen gibt es auch gute Daten, dass die Psyche von einer richtigen Ernährung profitiert. Eine andere kanadische Studie glaubt, dass eine ausgewogene Ernährung sich auf die Leistungsfähigkeit in der Schule auswirkt, was am Prüfungserfolg abgelesen werden kann (5).
Gute Fette besser als low-fat
Eine grosse randomisierte Studie zur mediterranen Kost wurde in Spanien durchgeführt. Knapp 7500 Personen zwischen 55 und 80 Jahren, mit einem Typ-2-Diabetes oder anderen kardiovaskuläre Risikofaktoren, wurden während 7 Jahren beobachtet (PREDIMED-Studie). Alle Probanden sollten sich mediterran ohne Einschränkung der Kalorien ernähren. Je eine Gruppe sollte wöchentlich 1 l Olivenöl in die Ernährung einbauen, 30 g Nüsse pro Tag oder eine fettarme Kost. Der Fettanteil der Kostformen betrug circa 42% in den ersten beiden Gruppen und 37% in der
Tabelle 1:
Wieso ist die mediterrane Kostform gesund?
• Gesunde Fette • Vitamine, Mineralien • Ballaststoffe • Hoher Pflanzenanteil • Geringer Verarbeitungsgrad • Wenig rotes Fleisch • Omega-3-Versorgung
Somit ist sie entzündungshemmend, antioxidativ, krebshemmend, blutdruck- und lipidsenkend.
(Quelle: Lyon Heart Study [2])
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2024 11
KONGRESSBERICHT
Tabelle 2:
Nicht essen! Produkte der UPF (NOVA-Klasse 4)
• Wenig Eiweiss • Wenig/kein Gemüse • Viel Salz • Viele Zuckerarten/Fruktose, zu
süss • Mangel an Jod, Magnesium,
Ballaststoffen, Omega-3 • Viele ungesunde Fette (Palm-
fett, Sonnenblumenöl) • Viele raffinierte Kohlenhydrate/
Energie • Viel Chemie (über 3000 Zusatz-
stoffe)
letzten Gruppe. Die Gruppen mit reichlich Olivenöl oder Nüssen hatten das Körpergewicht stärker gesenkt als eine fettarme Diät. Zudem wurde das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs signifikant reduziert (6). Doch nicht alle pflanzlichen Fette sind gesund, gerade frittierte Fette können das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse und verschiedene weitere Krankheiten ansteigen lassen.
Viele unwirksame Diäten
Für die mediterrane Ernährung ist der Nachweis der positiven Wirkung auf den Körper gezeigt worden, im Gegensatz zu den vielen propagierten Diätformen, deren Wirkung nicht bewiesen ist, wie ketogene Ernährung, low carb, Veganismus, Trennkost, Paleo um nur einige zu nennen. Eine der letzten grossen Studie, die eine low carb (KH 30%, Fett 45%)- und low fat (KH 48%, Fett 29%)-Diät verglich, bei etwa gleichem Proteingehalt, zeigte bezüglich Gewichtsverlust wenig Differenz zwischen den Gruppen. Für die Gewichtsabnahme war es nicht entscheidend, nur mengenmässig Kohlenhydrat oder Fett einzuschränken. Laut den Studienautoren hatten diejenigen Patienten in beiden Gruppen die beste Performance gezeigt, die sich mit ihrer Ernährung auseinandergesetzt hatten und zu einer Ernährung übergegangen sind, die weniger Zucker und Weissmehl, aber mehr Gemüse enthielt (7).
Mediterran – aus europäischer Sicht
Die Fokussierung auf die mediterrane Ernährung ist eine europäische Sichtweise. Auch in anderen Regionen der Welt lassen sich Ernährungsformen finden, die eine ähnlich positive Auswirkung haben, obwohl sich die stark von der mediterranen unterscheiden, z. B. in Okinawa, Japan oder beim Volksstamm der Tsimané in Bolivien.
Evolution des Menschen und seiner Ernährung
Die Vorfahren des Menschen waren Vegetarier, später kamen beim Homo errectus kleinere Fleischmengen dazu. Das verbesserte Angebot förderte auch die zerebrale Entwicklung. Erst viel später konnte der Mensch grössere Tiere jagen und damit gelangte auch mehr Fleisch auf den Speiseplan. Würde man eine «artgerechte» Ernährung für den Menschen definieren, wäre dies eine vorwiegend pflanzliche Nahrung mit ausreichend Ballaststoffen, sekundären Pflanzenstoffen und vielen komplexen Kohlenhydraten, erklärte der Referent. Die wichtigsten Komponenten sind (8): • ideal sind täglich 1,2 g Eiweiss/kg Körpergewicht • ausreichend trinken • Magenfüllung mit viel Gemüse • Kohlenhydrate je nach körperlicher Aktivität • gesunde Öle
• Pausen zwischen den Mahlzeiten • Zeit, Musse und gutes Kauen (8).
Wieso gelingt der Verzicht schlecht?
Essen macht Spass. Auch versucht unser Stoffwechsel immer uns zu motivieren, ausreichend zu essen. Ist eine Gewichtszunahme eingetreten, verstellt sich der Sollwert, sodass es schwieriger wird, wieder auf ein tieferes Niveau zurückzukehren.
Nicht essen: Ultrahoch prozessierte Nahrungsmittel
Wichtig ist die ausreichende Eiweisszufuhr bei jeder Mahlzeit. Bei Konsum von ultraprozessierten Fertigprodukten (UPF) nimmt man zu wenig Eiweiss auf. So sagt eine Theorie, dass man so lange isst, bis man genügend Eiweiss aufgenommen hat. Dies erklärt, dass man beim Essen von UPF grössere Mengen braucht, bis der Eiweissbedarf gedeckt ist und man so zu viele Kalorien in Form von Zucker und Fett zu sich nimmt (8). Es konnte ein klarer Zusammenhang zwischen Konsum von UPF und dem Risiko an Fettleibigkeit, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Depression zu erkranken, gezeigt werden (9). Die UPF sind in vieler Hinsicht das pure Gegenteil der mediterranen Ernährung. Der Konsum von UPF (NOVA-Klasse 4) ist aber weiterhin auf dem Vormarsch und stellt eine immer grössere Bedrohung der Gesundheit der Bevölkerung dar. UPF führt zu einer höhere Sterblichkeit, mehr Infarkten, Krebs, Depression, Übergewicht und Darmkrankheiten. Deshalb sollte man darauf verzichten (Tabelle 2).
Planetary Health
Die Planetary-Health-Diät hat nun die ideale tägliche Ernährung qualitativ und quantitativ definiert. Auffallend ist die grosse Menge an Gemüse (500 g), eine grosse Menge an Nüssen und Hülsenfrüchten (125 g). Ein grosser Teil der Eiweisse wird mit pflanzlichen Nahrungsmitteln gedeckt, bei den tierischen Produkten (84 g) besteht die Wahl zwischen Fleisch, Fisch und Eiern (9). Die Planetary Diet und die neue DGE-Leitlinien sei ein wichtiger Schritt in der Ernährungskommunikation, ist Dr. Riedl überzeugt, auch wenn er nicht mit allen Einzelheiten einverstanden ist. Gerade die viel diskutierte Beschränkung auf 1 Ei pro Woche sei willkürlich, denn ein Ersatz beispielsweise mit roten Fleisch wäre nicht besser.
Barbara Elke
Quelle: Kongress Eernährung 2024, 22. 6.2024, online. Dr. med. Matthias Riedl, medicum Hamburg. Protektive Kostformen – alles mediterran, oder was? https://doi.org/10.1073/pnas.22169321.
12 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2024
Referenzen: 1. Hauner H et al.: Leitfaden Ernährungstherapie in Klinik und Praxis
(LEKuP); Aktuelle Ernahrungsmed 2019;44:384-419. 2. Kris-Etherton P et al.: Lyon Diet Heart Study. Benefits of a Mediterra-
nean-style, National Cholesterol Education Program/American Heart Association Step I Dietary Pattern on Cardiovascular Disease. Circulation. 2001 Apr 3;103(13):1823-5. doi: 10.1161/01.cir.103.13.1823. 3. Wang Z et al.: Impact of chronic dietary red meat, white meat, or non-meat protein on trimethylamine N-oxide metabolism and renal excretion in healthy men and women. Eur Heart J. 2019 Feb 14;40(7):583-594. doi: 10.1093/eurheartj/ehy799. PMID: 30535398; PMCID: PMC63746883. 4. Di Noia J: Defining powerhouse fruits and vegetables: a nutrient density approach. Prev Chronic Dis. 2014 Jun 5;11:E95. doi: 10.5888/pcd11.130390. PMID: 24901795; PMCID: PMC4049200. 5. Florence MD et al.: Diet Quality and Academic Performance. Journal of School Health. https://doi.org/10.1111/j.1746-1561.2008.00288.x 6. Guasch-Ferré M et al.: The PREDIMED trial, Mediterranean diet and health outcomes: How strong is the evidence? Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2017 Jul;27(7):624-632. doi: 10.1016/j.numecd.2017.05.004. 7. Gardner CD et al.: Effect of Low-Fat vs Low-Carbohydrate Diet on 12-Month Weight Loss in Overweight Adults and the Association With Genotype Pattern or Insulin Secretion: The DIETFITS Rando mized Clinical Trial. JAMA. 2018 Feb 20;319(7):667-679. doi: 10.1001/jama.2018.0245. Erratum in: JAMA. 2018 Apr 3;319(13):1386. doi: 10.1001/jama.2018.2977. Erratum in: JAMA. 2018 Apr 24;319(16):1728. doi: 10.1001/jama.2018.4854. PMID: 29466592; PMCID: PMC5839290. 8. Simpson SJ et al.: Geometric analysis of macronutrient intake in humans: the power of protein? Appetite. 2003 Oct;41(2):123-40. doi: 10.1016/s0195-6663(03)00049-7. 9 Monteiro CA et al.: Ultra-processed foods: what they are and how to identify them. Public Health Nutr. 2019 Apr;22(5):936-941. doi: 10.1017/S1368980018003762. 10. https://www.thelancet.com/commissions/planetary-health.
KONGRESSBERICHT
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2024 13