Transkript
TAGUNGSBERICHT
Eine neue Lebensmittelpyramide für die Schweiz
Wissenschaftliche Grundlagen zum Umweltaspekt
Stefanie Maeder
Die neuen Schweizer Ernährungsempfehlungen schliessen neu auch Umweltaspekte ein, wie dies schon in anderen Ländern gemacht wurde. Frau Stefanie Maeder, Consultant Umweltund Ressourcenmanagement der Firma intep erläuterte die wissenschaftlichen Grundlagen, die zur Bewertung der Umweltbelastung einzelner Nahrungsmittel beruht, eine Arbeit, die sie mit Martina Alig gemeinsam erstellte (1). Sie zeigte auf, wo zum gesundheitlichen Nutzen eine Synergie besteht, aber auch wo bezüglich Gesundheit und Umweltschutz Zielkonflikte existieren.
Pro Stufe der Lebensmittelpyramide wurden 3–9 Lebensmittel bestimmt, insgesamt 44. Von diesen Lebensmitteln wurden 1–9 Produkte definiert und deren Umweltauswirkungen berechnet. Dies wurde insgesamt für 115 Produkte durchgeführt (siehe Beispiel). Beispiel Auswahl der Lebensmittel für die Bewertung der Umweltbelastung Stufe 5: Fette, Öle, Nüsse Auswahl von 9 Lebensmitteln: • Vier verschiedene pflanzliche Fette mit unter-
schiedlichem Omega-3-Gehalt • tierische Fette (Butter) • Oliven • Avocado • Rahm • Nüsse und Samen Aus dieser Gruppe 4 Produkte ausgewählt: – Haselnüsse in Schale – Cashew-Kerne in Schale – Walnüsse, getrocknet – Mandelkerne.
Am Schluss wurden die Auswirkungen auf die Umwelt der verschiedenen Produkte wieder pro Lebensmittel zusammengefasst. Die Schwierigkeit war, dass aus einigen Lebensmitteln sehr heterogene Produkte hervorgehen. Zur Quantifizierung der Umweltauswirkungen wird eine wissenschaftliche Methode herangezogen, die ISO-normiert ist (2). Bewertet wird der ganze Lebenszyklus «von der Wiege bis zur Bahre», also die landwirtschaftliche Produktion, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Auswirkungen im Supermarkt. Faktoren wie Energiebedarf, CO2-Bilanz, Wasser verbrauch, Ökotoxizität (Dünger, Pestizide, krebserzeugendes Potenzial, Erschöpfung der Ressourcen) werden berücksichtigt. Grundsätzlich wurde eine konventionelle Produktion als Standard angenommen. Es wurde primär die Produktion in der Schweiz abgebildet, die Importe wurden entweder in einem Ländermix oder in einem typischen Land berücksichtigt. In der Berechnung nicht enthalten werden Faktoren wie Tierwohl oder Foodwaste beim Konsumenten.
Bestehende Ökobilanz-Datenbanken
Abbildung: Umweltbelastung der verschiedenen Nahrungsmittel pro kcal © Martina Alig, intep (1) Balken = Höhe der Umweltbelastung. Blau: Landwirtschaftliche Produktion, orange: Verarbeitung, grau: Verpackung, gelb: Transport, hellblau: Supermarkt.
Zur Berechnung der Umweltbelastung wurden bestehende Ökobilanz-Datenbanken verwendet und keine Primärdaten neu erhoben. Die Auswirkungen auf Luft, Wasser, Boden und Ressourcen wurden charakterisiert und gewissen Umweltwirkungen zugeordnet wie Treibhauspotenzial, Ozonabbaupotenzial, Biodiversitätspotenzial, um nur einige zu nennen. Diese Wirkungen wurden dann mit den Schweizer Umweltzielen in Bezug gesetzt und gewichtet. Je weiter die Umweltbelastung von den Schweizer Umweltzielen entfernt war, desto höhere Umweltbelastungspunkte (UBP) werden erreicht. Diese Berechnungen wurden pro 100 g und pro kcal gemacht (siehe Abbildung) (3). Die Umweltbelastung wird unterteilt in landwirtschaftliche Produktion, Verarbeitung, Verpackung, Transport und Supermarkt.
6 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2024
TAGUNGSBERICHT
Fleisch und Fisch
Fleisch und Fisch haben eine hohe Umweltbelastung, dabei weist rotes Fleisch (v. a. Rind) eine höhere Belastung auf als weisses Fleisch (Poulet). Verarbeitetes Fleisch weist eine geringere Umweltbelastung auf, da mehr Schwein eingesetzt wird, dessen Produktion mit weniger Umweltbelastung verbunden ist. Fisch weist eine hohe Umweltbelastung auf, bei Zuchtfisch aufgrund der Futtermittelherstellung, beim Wildfang wegen der Überfischung.
Hülsenfrüchte
Betrachtet man die Hülsenfrüchte als Eiweissquelle und vergleicht sie mit Fleisch, haben sie eine tiefere Umweltbelastung, als Lieferant von Kohlenhydraten im Vergleich zum Getreide einen etwas höheren, dies aufgrund des stärkeren Einsatzes von Pestiziden und Dünger. Getreide und Getreideprodukte und auch Kartoffeln haben eine tiefe Umweltbelastung.
Fette, Öle, Nüsse
Fette, Öle und Nüsse haben eine hohe Umweltbelastung pro Gewicht, aber nicht pro Kcal. Bei Samen und Nüssen kommt relativ viel Pestizid und Dünger zum Einsatz, was die Umweltbilanz trübt. Avocados haben trotz oft geäusserten Befürchtungen eine relativ tiefe Umweltbelastung.
Tee und Kaffee
Tee und Kaffee haben eine hohe Belastung pro 100 g wegen des nötigen Pestizideinsatzes, zudem führt der Kaffeeanbau zu einer Landnutzungsänderung.
Grösste Belastung: landwirtschaftliche Produktion
Bei den meisten Lebensmitteln dominiert die Agrarproduktion bei der Umweltbelastung. Bei wenigen Produkten steht die Verarbeitung im Vordergrund, z. B. Wildfang vom Fisch, hier gibt es keine eigentliche landwirtschaftliche Produktion, die gesamte Herstellung des Fisches wird der Verarbeitung zugeordnet. Verpackung, Transport, Verkauf im Supermarkt verursachen oft nur einen vergleichsweise geringen Anteil an der Belastung. Beim Transport wurde für die Berechnung nicht von einem Flugtransport ausgegangen, sonst wäre die Belastung grösser.
Synergien und Zielkonflikte
Gleichermassen gut für die Gesundheit und die Umwelt sind die folgenden Massnahmen. Reduziert werden sollten: • Zuckerhaltige Getränke • Fleisch, v. a. verarbeitetes Fleisch • Fette • Schokolade
Erhöht werden sollten: • Früchte und Gemüse • alternative Proteinquellen wie Tofu, Seitan und
Quorn.
Zielkonflikte
Es gibt jedoch auch Lebensmittel, die nicht aus gesundheitlichen Gründen, sondern aus Sorge zu den Umweltbelastungen reduziert werden sollten. Zum Kaffee gibt es unterschiedliche Empfehlungen, wie viel der Gesundheit zuträglich ist, zwischen 1–6 Tassen pro Tag. Der Kaffeeanbau ist jedoch mit Umweltbelastungen verbunden und sollte aus diesen Gründen minimiert werden. Beim Fisch besteht ein noch deutlicher Zielkonflikt. Aus gesundheitlichen Gründen wären 50 g Fisch pro Tag wünschenswert, aus Umweltgründen hingegen ist ein Verzicht sinnvoll. Auch Nüsse, Samen und Oliven tragen zur Umweltbelastung bei, für die Gesundheit wird jedoch eine Portion von mindestens 10 g/Tag empfohlen.
Einschränkung der Aussagekraft
Eine Schwierigkeit dieser Untersuchung war, dass die Gruppierung von Nahrungsmitteln auf der Grundlagen von Ernährungseigenschaften erfolgt ist und nicht auf Grundlage von Umwelteigenschaften. So wurde zwischen Omega-3-armen und Omega-3-reichen Fischen unterschieden, aus Umweltsicht sinnvoller wäre eine Differenzierung zwischen Wildfang und Zuchtfisch, betonte Frau Maeder. Dies führt dazu, dass der Umwelteinfluss innerhalb eines Lebensmittels sehr stark variieren kann. Grosse Unterschiede bestehen auch innerhalb der Produktionssysteme, was eine Vereinfachung notwendig machte. Auch müssen die verwendeten Ökodaten erweitert und differenziert werden. Die Ernährung hat viele Facetten. Keine Nahrungsmittelgruppe kann allein für eine ausgewogene Ernährung sorgen, keine kann vollständig weggelassen werden. Werden in der Ernährung verschiedene Funktionen der Lebensmittel, wie Protein- oder Mikronährstoffgehalt ebenfalls berücksichtigt, könnte dies zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dennoch sind Trends sichtbar, die dann auch in die Beurteilung herangezogen wurden.
Korrespondenzadresse: Stefanie Maeder Consultant Umwelt- und Ressourcenmanagement intep – Integrale Planung GmbH Pfingstweidstrasse 16 8005 Zürich
Referenzen: 1. Link between foods and environmental impacts, Swiss dietary recom-
mendations: scientific background Final report, 26 October 2022; rev. 28.04.2023. 2. ISO-Norm 14040/44) 3. Frischknecht et al. Ökofaktoren Schweiz 2013 gemäss der Methode der ökologischen Knappheit. Methodische Grundlagen und Anwendung auf die Schweiz, Bundesamt für Umwelt, Bafu.
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