Transkript
KURZ VORGESTELLT
Allianz Ernährung und Gesundheit
Fakten sammeln und politisch aktiv werden
Die Allianz Ernährung und Gesundheit wurde 2020 gegründet. 22 Organisationen haben sich zusammengeschlossen und setzen sich für optimale Rahmenbedingungen für eine gesunde und nachhaltige Ernährung ein. Gemeinsam wollen sie evidenzbasiert die Anliegen einer gesundheitsfördernden und nachhaltigen Ernährung auf politischer Ebene unterstützen und nach aussen vertreten. Frau Manuela Weichelt, Präsidentin der Allianz und Nationalrätin, sowie Stefanie Zehnder, Leiterin des Sekretariats der Allianz waren zum Interview bereit.
SZE: Was ist die wichtigste Aufgabe der Allianz? Manuela Weichelt: Alle klagen über die laufend steigenden Krankenkassenprämien. 2,2 Mio. Menschen in der Schweiz leiden an chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes, Adipositas und Krebs. Schon jedes sechste Kind ist übergewichtig. Eine ausgewogene Ernährung kann einen wichtigen Beitrag zur Prävention leisten. Die Allianz setzt sich auf verschiedenen Ebenen dafür ein. Unsere 22 Mitglieder haben einen ganz unterschiedlichen Fokus, zusam-
Die Allianz Ernährung und Gesundheit hat sich fünf thematische Schwerpunkte gesetzt (1): • Zucker • Food Labelling • Nachhaltige Ernährung • Kindermarketing • Coronapandemie
Auswahl Mitglieder der Allianz für Ernährung und Gesundheit • Krebsliga Schweiz • Schweizerische Herzstiftung • Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE • Pädiatrie Schweiz • Schweizerische Zahnärzte Gesellschaft • Public Health Schweiz • Fernfachhochschule FFHS • Fourchette verte Suisse • Stiftung für Konsumentenschutz • Verschiedene landwirtschaftliche Zentren • Unisanté, Lausanne
Gesamte Liste unter (2)
men sind wir eine starke Stimme auf dem politischen Parkett.
Sie setzen sich für eine gesundheitsfördernde und nachhaltige Ernährung ein, auch für allgemeine gesunde Rahmenbedingungen. Welches sind dabei Ihre konkreten Ziele? Stefanie Zehnder: Die Konsumentinnen und Konsumenten sollen eine ausreichende Gesundheitskompetenz haben, um gute Kaufentscheidungen treffen zu können. Wichtig ist, dass die Informationen zu den Produkten auf der Verpackung gut sichtbar und verständlich sind. Die Förderung der Gesundheitskompetenz sollte früh beginnen. Ein Problem ist, dass das Schulwesen kantonal geregelt ist. Idealerweise leben die Eltern die Ernährungskompetenz vor. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, diese darin zu unterstützen.
Wie würden Sie Ihre Arbeitsweise beschreiben? Zehnder: Wir arbeiten evidenzbasiert und tauschen uns mit Fachexperten und -expertinnen aus. Beim Zuckermanifest bestand eine intensive Zusammenarbeit mit PD Dr. Bettina Wörnerhanssen und PD Dr. Christine Meyer-Gerspach. Aus diesen wissenschaftlichen Fakten erarbeiten wir die politischen Forderungen. Die Allianz wendet sich an Entscheidungsträger, an Bundesbehörden und Fachpersonen. Wir führen keine Kampagnen durch, in denen wir uns direkt an die Bevölkerung wenden. Weichelt: Es besteht die Möglichkeit, politische Vorstösse zu formulieren. Aber wir versuchen auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier direkt zu überzeugen. So haben wir ein Frühstück für sie organisiert, um Know-
Manuela Weichelt, Präsidentin Allianz für Ernährung und Gesundheit, Nationalrätin Kanton Zug, Grüne.
Stefanie Zehnder, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sekretariat Allianz für Ernährung und Gesundheit
how direkt zu vermitteln. Sie mussten etwa raten, wie viele Zuckerwürfel in dem bei Kindern beliebten Capri-Sun-Drink enthalten sind. In der letzten Zeit haben wir einige politische Vorstösse begleitet: • Ein Vorstoss war die Förderung des Stillens
am Arbeitsplatz. Das Departement von Guy Parmelin hat sich denn auch bemüht, um Kantone und Arbeitgeber zu sensibilisieren, das Recht der Frauen zu respektieren.
Neue Serie: Institutionen und Verbände im Bereich Ernährung
21 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2024
KURZ VORGESTELLT
• Leider gibt es in der Schweiz keine zuckerfreie Säuglingsnahrung, hier ist es uns nicht gelungen, eine Änderung zu bewirken.
• Ein weiterer Vorstoss betrifft die fehlende Kohärenz in der Bundespolitik, denn die Departemente verfolgen divergente Ziele. So wird einerseits der Zucker massiv subventioniert, obwohl die Reduktion des Zuckerkonsums eine wichtige Präventionsmassnahme ist.
• Ein aktueller Vorstoss betrifft die Fortsetzung der Erklärung von Mailand, die Ende Jahr ausläuft. Die Antwort sollte in Kürze schriftlich erfolgen. In der Fragestunde der Herbstsession 2024 konnten wir vom Bundesrat in Erfahrung bringen, dass der Bundesrat bestrebt ist, die Erklärung von Mailand bis Mitte 2025 zu erneuern (3).
Gelingt es Ihnen, Ihr Anliegen über Partei grenzen darzulegen? Weichelt: Bei Postulaten oder Motionen suche ich Mitunterzeichnende, hier bekomme ich oft Unterstützung. Doch eine Mehrheit zu erreichen, bleibt schwierig.
In dieser Ausgabe der SZE thematisieren wir die neuen Ernährungsempfehlungen. Waren Sie auch daran beteiligt? Zehnder: die SGE ist Mitglied bei der Allianz. Wir sind gespannt, wie der Aspekt der Nachhaltigkeit aufgenommen wird und wie die Empfehlungen vom BLV umsetzt werden. Gerade hat der Bundesrat die NCD (nichtübertragbare Krankheiten)-Massnahme verlängert und enschieden, dass eine Nachfolgestrategie erarbeitet wird (4). In den neuen Massnahmenplan müssten die neuen Empfehlungen einfliessen.
Welches sind ihre wichtigsten Partner? Zehnder: Die Allianz hat einen nationalen Fokus. Natürlich beobachten wir die Entwicklungen in unseren Nachbarländern, wie der Erfolg bestimmter Massnahmen ist, auch wenn man nicht alles direkt auf die Schweiz übertragen kann.
Welches war bisher der grösste Erfolg? Zehnder: Es war schon ein wichtiger Erfolg, dass wir diese Allianz gründen und so viele Mitglieder gewinnen konnten, um eine wichtige Stimme bilden zu können. Inzwischen werden wir als wichtiger Ansprechpartner sowohl von parlamentarischen Kommissionen als von den Medien angesehen.
Unser bisher erfolgreichstes Projekt ist das Zuckermanifest, das mit grossem Engagement entstanden ist. Auf Basis der wissenschaftlichen Grundlagen von PD Dr. Bettina Wörnerhanssen und PD Dr. Christine Meyer-Gerspach konnten wir politische Forderungen formulieren. Wir konnten 48 Organisationen in der Schweiz zusammenführen, die das Manifest lanciert haben. Die Aktion hat ein grosses Medienecho ausgelöst und das Bewusstsein, auch das politische,für das Problem geschärft.
Welches sind die grössten Hindernisse bei Ihrer Arbeit? Weichelt: Ein Teil der Landwirtschaftslobby, nicht die ganze Landwirtschaft kämpft weiterhin für die Beibehaltung von Subventionen auch von ungesunden Nahrungsmitteln. Dabei würde bei der aktuellen Finanzknappheit des Bundes die Reduktion des subventionierten Zuckeranbaus Sinn machen. Auch haben wir eine starke Zuckerlobby in der Schweiz. Über die Einladung von Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu Fleisch, Wein und Coca-Cola wurde auch in der Presse berichtet (5). Auch ist der Zuckergehalt bei gewissen Süssgetränken in unseren Nachbarländern tiefer, z. B. bei Sinalco Cola und Cola Fanta. Gewisse Hersteller verweisen auf neue zuckerfreie Getränke, bieten aber die überzuckerten weiterhin erfolgreich an. Auch wird von Herstellern von Frühstücksflocken oft die Selbstverantwortung betont. Dabei wäre es sinnvoller, die Produkte ohne Zucker anzubieten und gegebenenfalls den Zucker selbst zuzufügen. Ein besonderes stossendes Problem ist, dass es keine zuckerfreie Säuglingsnahrung gibt; hier ist Eigenverantwortung gar nicht möglich.
Welche Strategie befürworten Sie: zur Mit arbeit motivieren, besteuern, verbieten? Weichelt: Die Freiwilligkeit mit der Erklärung von Mailand ist weitgehend gescheitert, da die bisher erzielten Ergebnisse die Gesundheitsförderung kaum voranbringen und bei weitem nicht ausreichen. Von der Besteuerung der Produkte bin ich persönlich nicht ganz überzeugt. Vielmehr bin ich der Meinung, dass ein festgelegter Grenzwert für Zucker bei gewissen Produkten zielführender ist.»
Das Interview führte Barbara Elke.
Aktuelle Themen
Verschiedene Arbeitsgruppen bearbeiten folgende Bereiche. Evidenzbasiert werden Faktenblätter erstellt und wenn möglich, politische Vorstösse eingereicht.
Zucker Der Pro-Kopf-Konsum in der Schweiz liegt derzeit bei mehr als 100 Gramm täglich! Die Allianz setzt sich für eine Reduktion ein, um damit einen Beitrag für die Prävention chronischer Krankheiten zu leisten.
Food Labeling Einführung des Nutri-Scores um den Nährwert eines verarbeiteten Lebensmittels aufzuzeigen.
Nachhaltige Ernährung Förderung einer Ernährungsweise, die gesundheitsfördernd als auch umweltschonend ist, diese sollte zugänglich und attraktiv sein.
Kindermarketing An Kinder- und Jugendliche gerichtetes Marketing für Lebens- und Genussmittel mit einem hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalt sollte reguliert werden.
Corona Die Coronapandemie zeigte, dass chronische Krankheiten einen Risikofaktor für den Schweregrad und den Hospitalisationsbedarf bei der Infektion darstellen. Eine Gelegenheit, auf die Wichtigkeit einer ausgewogenen Ernährung hinzuweisen.
Referenzen: 1. https://allianzernaehrung.ch/de/arbeitsgruppen 2. https://allianzernaehrung.ch/de/%C3%BCber-uns/mem-
bres/ 3. https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-cu-
ria-vista/geschaeft?AffairId=20247633 4. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-po-
litik/nationale-gesundheitsstrategien/strategie-nicht-uebertragbare-krankheiten/auftrag-schwerpunkte-ziele.html 5. https://www.beobachter.ch/politik/zuckerlobby-coca-cola-ladt-das-schweizer-parlament-zum-lobbyanlass-darunter-auch-nationalratsprasident-martin-candinas-582915?srsltid=AfmBOoowKbGUOqjsj5yVrTWVSpF9GbHQXbx5SrHsymBB3ke44daMP7YW
22 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2024