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KONGRESSBERICHT SGAIM
Neu: ESPEN practical short micronutrient guideline
Mikronährstoffmangel – daran denken!
Eine ungenügende Versorgung oder auch ein eigentlicher Mangel an Mikronährstoffen sind in der Schweiz häufig. Eine Malnutrition ist fast immer von einem Mikronährs toffmangel begleitet, dieser kann aber auch isoliert auftreten. Frau Prof. Mette Berger, Universität Lausanne, stellte kurz ein paar prägnante klinische Situationen vor, in denen man besonders an einen Nährstoffmangel denken muss und präsentierte die neuen «ESPEN practical short Guidelines».
2022 sind die ESPEN Guidelines zu den Mikronährstoffen (MN) erschienen (1, 2). In diesem Jahr wurden nun die «practical short»-Guidelines publiziert. Im Zentrum stehen praktische Empfehlungen für die Beurteilung des MN-Status bei Erwachsenen (1). Zu den MN gehören 11 Spurenelemente und 13 Vitamine (siehe Tablle 1). Wichtig es, noch einmal einige Begriffe zu erwähnen, die in den ESPEN Guidelines geklärt und definiert wurden, in früheren Studien aber oft unterschiedlich verwendet wurden (siehe Tabelle 2). Thiamin Das Thiamin hat eine wichtige Funktion bei der Energiegewinnung der Zelle. Ein Mangel kommt vor allem im Zusammenhang mit Kardiomyopathien und unter langer Diuretikatherapie vor. Durch den Mangel kann das Auftreten von kardialen Komplikationen begünstigt werden. Daran denken sollte man auch bei Patienten nach bariatrischer Chirurgie und beim Refeeding-Syndrom. Da der Mangel häufig vorkommt,
Tabelle 1:
Definition
Essenzielle Mikronährstoffe Müssen mit der Nahrung zugeführt werden.
11 Spurenelemente Cu Kupfer Se Selen Zn Zinc Fe Eisen Mn Mangan Mo Molybdän Cr Chrom F Fluor J Jod Co Cobalt V Vanadium Plus NI (Nickel), SI (Silizium), SN (Zinn)
13 Vitamine A Retinol D Cholecalciferol* E Alpha-Tocoferol K Phyllochinon B1 Thiamin B2 Riboflavin B3 Niacin (PP)* B5 Pantothensäure B6 Pyridoxin B7 Biotin B9 Folsäure B12 Cobalamin C Ascorbinsäure Q10 Coenzyme
*Wird auch im Körper gebildet Tabelle 1: zu den Mikronährstoffen gehören 11 Spurenelemente und 13 Vitamine
sollte bei Patienten auf Notfall- oder Intensivstationen Thiamin für ein paar Tage verordnet werden. Kupfer Ein Kupfermangel ist häufiger als angenommen und wird oft übersehen. Dabei kann ein Mangel zu neurologischen Schäden führen (4). Besonders daran denken sollte man bei Patienten nach bariatrischer Chirurgie, schweren Verbrennungen, Neuropathien unklarer Ätiologie oder bei Dialyse. Mit dem Kupferspiegel sollte gleichzeitig das CRP bestimmt werden, da bei einem erhöhten CRP der Grenzwert für einen Kupfermangel tiefer liegt. In chronischen Situationen kann die Kupfergabe per os erfolgen, bei einem schweren Mangel auch i.v. Eisen Eisenmangel ist ein weltweites Problem. In der Schweiz betrifft es 10–20% der Frauen mit Menstruation. Von 1000 Patientinnen, bei denen ein Eisenmangel nachgewiesen wurde, berichteten fast alle über Symptome, 96% über Müdigkeit und Erschöpfung und 41% über Energiemangel. Nicht selten wird aber die Ursache dieser Symptome verkannt. Ein Drittel der Frauen erhielt vor der Diagnose des Eisenmangels eine andere medizinische Therapie oder Psychotherapie. Der Eisenmangel führte auch zu einem höheren Arbeitsausfall (5,2 Tage, statt 2,6) Aufgrund dieser Daten berechneten die Studienautoren, dass die Kosten für den Eisenmangel in der Schweiz 67 Mio. CHF betragen (5). Die ESPEN Guidelines empfehlen bei einem Eisenmangel auch die i.v.-Gabe von 1 g Eisen als Infusion über 15 Minuten. In ärmeren Ländern, z. B. in Südamerika greift man auf einfache, kostengünstige Lösungen zurück, dort wird eine Hühnersuppe mit ausgekochten Knochen mit Gemüse gegen den Eisenmangel empfohlen. Auch Patientinnen und Patienten mit einer Herzinsuffizienz weisen häufig einen Eisenmangel auf. In der CARENFER-Study an 1500 Patienten konnte gezeigt werden, dass sich bei rund der Hälfte aller Patienten ein Eisenmangel findet, die Häufigkeit war bei Patienten mit dekompensierter Herzinsuffizienz höher. Eine systematische Beurteilung des Status und eine Eisensupplementation ist zu empfehlen, da die Therapie die Symptomatik verbessern kann (6).
12 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 4|2024
KONGRESSBERICHT SGAIM
Patienten mit erhöhten MN-Bedarf In gewissen Situationen, bei einem Flüssigkeitsverlust oder während eines Hypermetabolismus haben Patienten einen höheren Bedarf an Mikronährstoffen. Konkret tritt dies in folgenden Situationen besonders häufig auf. • Längerdauernder Verlust gastrointestinal • Dialyse • Hypermetabolismus bei Wundheilung • Vorbestehender Mangel bei enteraler oder parente-
raler Ernährung • Schwangerschaft • Ausgedehnte Verbrennungen. Ein Mangel an Mikronährstoffen führt zu einer Blockierung verschiedener endokriner oder immunologischer Prozesse. Wird der MN-Mangel schliesslich ausgeglichen, braucht es einige Tage, bis diese Prozesse wieder funktionieren, da die MN in ein kom plexes Netzwerk eingebunden sind. In verschiedenen Studien wurde immer wieder die Gabe von MN untersucht. Oft wurde kein Effekt gefunden. Laut Prof. Berger ist dies oft auch auf das Studiendesign zurückzuführen. Oft werden einzelne MN bei einem normalen Status hochdosiert gegeben. Hier ist kein Effekt zu erwarten. Zink Zink spielt eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr, insbesondere auch bei der Barrierefunktion der Schleimhaut und der Immunglobulinproduktion. Ein Zinkmangel kann mit einer höheren Infektionsrate und Schwere der Erkrankung assoziiert sein. In einer Fall-Kontroll-Studie zu Beginn der COVID-19-Epidemie konnte gezeigt werden, dass bei niedrigen Plasma-Zinkspiegel eine höhere Rate an Seropositivität gegen Covid gefunden wurde. Dies lässt vermuten, dass Zink einen gewissen Schutz vor Ansteckung bietet (7). Rolle der Entzündung Bei der Bestimmung der MN sollte immer auch das CRP bestimmt werden. Denn die klinische Interpretation der Plasmaspiegel der meisten MN kann nur erfolgen, wenn man den Grad der Entzündung miteinbezieht (8). Einzelheiten zur Messung der einzelnen MN finden sich in den ESPEN Guidelines (1, 3). Da die Bestimmung der MN oft aufwendig ist und eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, sollte man schon zu Beginn einer Behandlung dafür sorgen, dass der Bedarf gedeckt ist. Beim Start einer Ernährungs-
Tabelle 2:
ESPEN: Vereinheitlichte Definitionen beim Management der Mikronährstoffe
• Complement (Komplementierung): Gabe der MN um den Bedarf zu decken, respektive von einem subnormalen Bereich einen normalen MN-Status zu erreichen.
• Repletion (Wiederauffüllung): Korrigieren eines festgestellten Verlusts, um einen normalen MN-Status zu erreichen.
• Supplement (Supplementierung): erhöhte Gabe bis zur 5-fache Tagesempfehlung, um die Konzentration des MN über die Norm zu heben.
• Pharmakologische Dosis: Behandlung mit einem spezifischen MN um die Immunabwehr zu stärken oder eine andere klinische Wirkung zu erzielen und um den Outcome bei kritisch kranken Patienten zu verbessern.
• Depletion: Verminderung: nachgewiesener Verlust eines MN in Körperflüssigkeiten oder zu geringe Einnahme mit einer Blut-/Plasmakonzentration unterhalb des Referenzbereichs.
• Deficiency: Mangel: nachgewiesener Verlust oder zu geringe Einnahme plus klinische Symptome oder Zeichen des entsprechenden Mangels ODER plus Konzentration unterhalb des Referenzbereichs mit metabolischen Folgen (1–3).
therapie, sei es oral, enteral oder parenteral sollte immer auch auf eine adäquate Zufuhr aller MN geachtet werden, besonders in Situationen mit einem fortdauernden MN-Verlust oder einem Hypermetabolismus.
Barbara Elke
Quelle: Basel, SGAIM Frühlingskongress 29.-31.Mai 2024. Micronutrients in clinical practice. Prof. Mette Berger, Intensivmedizin und klinische Ernährung, Fakultät für Biologie und Medizin, Universität Lausanne..
ESPEN micronutrient guideline 2022 www.rosenfluh.ch/qr/espen-mn-gl-full
Referenzen: 1. Berger MM et al.: ESPEN micronutrient guideline. Clin Nutr. 2022
Jun;41(6):1357-1424. doi: 10.1016/j.clnu.2022.02.015. Epub 2022 Feb 26. Erratum in: Clin Nutr. 2024 Apr;43(4):1024. doi: 10.1016/j.clnu.2024.03.004. 2. Neue ESPEN-Guidelines für Mikronährstoffe, Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin. 2022;5:21-24. 3. Berger MM et al.: ESPEN practical short micronutrient guideline. Clin Nutr. 2024 Mar;43(3):825-857. doi: 10.1016/j.clnu.2024.01.030. 4. Kumar N et al.: Copper deficiency myelopathy. Arch Neurol. 2004 May;61(5):762-6. doi: 10.1001/archneur.61.5.762. PMID: 15148156. 5. Blank PR et al.: Economic burden of symptomatic iron deficiency – a survey among Swiss women. BMC Womens Health. 2019 Feb 26;19(1):39. doi: 10.1186/s12905-019-0733-2. 6. Cohen-Solal A et al.: CARENFER Study Group. Iron deficiency in heart failure patients: the French CARENFER prospective study. ESC Heart Fail. 2022 Apr;9(2):874-884. doi: 10.1002/ehf2.13850. 7. Equey A et al.: Association of plasma zinc levels with anti-SARSCoV-2 IgG and IgA seropositivity in the general population: A case-control study. Clin Nutr. 2023 Jun;42(6):972-986. doi: 10.1016/j.clnu.2023.04.007. 8. Duncan A et al.: Quantitative data on the magnitude of the systemic inflammatory response and its effect on micronutrient status based on plasma measurements. The American journal of clinical nutrition, 2012;95(1), 64-71.
ESPEN practical short micronutrient guideline 2024 www.rosenfluh.ch/qr/espen-mn-practical-gl
Für besonders Interessierte gibt es auch eine Weiterbildung https://lllnutrition.com/
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