Transkript
KONGRESSBERICHT
Neue Evidenz zur Behandlung der Mangelernährung
Hin zu einer personalisierten und kosteneffizienten Therapie
Die EFFORT-Studie hatte deutlich gezeigt, dass bei Patienten im Spital ein Screening auf Malnutrition und einer Ernährungstherapie Mortalität und Morbidität senken kann. Eine Reevaluation der Daten hat untersucht, welche Patienten davon profitieren und welche nicht. Zur Unterstützung der Therapie des individuellen Patienten wurde eine neue Webseite vorgestellt, die das Wissen rund um die Malnutrition für die unmittelbare Umsetzung in der Praxis aufbereitet hat. Prof. Philipp Schütz und Pascal Tribolet MSc, Kantonsspital Aarau, präsentierten die neuen Erkenntnisse und die Webseite.
2023 gab es ein Update für die Ernährungstherapie der multimorbiden Patienten (3). In fast allen Subgruppen von Patienten konnte dank neuer und grösserer Studien ein höherer Grad an Evidenz gezeigt werden. Die Mortalität konnte um rund 25% gesenkt werden (4).
Lange Studiendauer und Hocheiweiss-Strategie
Die Malnutrition ist ein Syndrom, das aber in sehr vielfältiger Form auftreten kann. Die Pathophysiologie der Malnutrition wurde in den letzten Jahren besser erforscht. Sie ist stark assoziiert vor allem mit chronischen Krankheiten und allgemein mit Krankheiten, die mit Entzündungsreaktionen einhergehen. Allgemein bei Krankheit ist der Appetit verringert, da im Gehirn das Appetitzentrum gehemmt wird, der Magendarmfakt funktioniert nicht, die Insulinresistenz beeinträchtigt die Nährstoffaufnahme in die Zelle. Aber auch andere Faktoren wie tiefere Sexualhormonwerte und erhöhte Cortisolwerte haben einen Einfluss auf die Muskelgesundheit. So kommt es über verschiedene Stoffwechselwege zu einem katabolen Zustand mit Gewichtsverlust, wobei besonders die Muskulatur betroffen ist. In Zukunft lassen sich wohl verschiedene Phänotypen der Malnutrition unterscheiden, die dann gezielter mit einer individualisierten Therapie angegangen werden können (1).
Das Ziel ist also eine evidenzbasierte Ernährungstherapie. Diese hat drei Säulen (2): • gute klinische Beurteilung • Verständnis der Pathophysiologie • Überprüfung der Daten zur Ernährungsthe-
rapie in einer bestimmten klinischen Situation. Bei einem Risiko für Mangelernährung sollten man nicht gleich mit der Therapie beginnen, sondern zuerst die Ursachen abklären und mögliche direkt behandelbare Ursachen ausschliessen, zum Beispiel eine Nebenwirkung von Medikamenten. Die Therapie der Mangelernährung benötigt eine langfristige Adherence der Patienten, deshalb müssen auch die Angehörigen miteinbezogen werden.
Mehr Evidenz für Ernährungstherapie – neue Guidelines
Grundsätzlich konnte die EFFORT-Studie eine sehr positive Wirkung auf die Mortalität und Vermeidung von schweren Komplikationen zeigen.
In einer Metaanalyse wurde untersucht, bei welchen Studien sich eher positive Effekte nachweisen lassen. Eine wichtige Erkenntnis war, dass die Ernährungstherapie umso wirksamer ist, je länger sie dauert. Bei Studien über 60 Tage, zeigt eher ein stärkerer Effekt. Ein zweiter wichtiger Faktor war auch die Art der Ernährungstherapie. Studie mit einer HocheiweissStrategie erzielten bessere Ergebnisse (5).
Evidenz beim stationären Patienten
Die EFFORT-Studie (6) hat ja bei Patienten mit einem Risiko für Malnutrition, mit einer individualisierten Ernährungstherapie im Vergleich zur normalen Spitalkost signifikante Effekte gezeigt. Zur Risikobewertung wurde der NRS-Score gewählt. Dann wurden individuelle Ernährungsziele definiert. Begonnen wurde immer mit einer oralen Ernährung, falls die Ernährungsziele nicht erreicht wurde nach 5 Tagen auf eine enterale, bzw. parenterale Ernährung umgestellt. Die Komplikationen konnten von 26,9% auf 22,9% gesenkt werden, die Mortalität vom 9,9% auf 7,2%. Das bedeutet, um eine Komplikation zu vermeiden, mussten 25 Patienten, um einen Todesfall zu vermeiden 37 Patienten eine Ernährungstherapie erhalten. Wichtig war aber auch, dass die Funktionalität und die Lebensqualität positiv beeinflusst wurden.
Abbildung: Toolsbox für ein individualisertes und Evidenz-basiertes Ernährungsmanagement
Wer profitiert? Wer profitiert nicht?
Der grosse Vorteil der EFFORT-Studie war, dass Patienten mit unterschiedlichen Grundkrankheiten eingeschlossen wurden. So konnte man in der Sekundäranalyse zeigen, dass die meisten Patientengruppen profitierten. Auch mangelernährte Patienten mit einer Herzinsuffizienz hatten einen Nutzen, obwohl bisher bei der Therapie eher auf eine Salzrestriktion Wert gelegt wurde, als auf eine Energieund Eiweissreiche Ernährung.» Insbesondere
16 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 3|2024
KONGRESSBERICHT
Tabelle:
Die Evidenz-basierte Ernährungsmedizin beruht auf drei Pfeilern (11)
Klinische Expertise • Fachliche Kompetenz • Screening für Malnutrition • Ernährungsassessment • Ausschluss anderer medizinischer Erkrankungen
Beste wissenschaftliche Evidenz • Randomisierte, kontrollierte Studien und Meta-
analysen • Klinische Richtlinien
Patientenpräferenzen • Personalisierte Ernährung mit Einbezug der
Präferenzen des Patienten • Individuelle Ernährungsziele (Energie, Eiweiss,
Flüssigkeit)
herzinsuffiziente Patienten mit einer schweren Malnutrition mit einem NRS-Score von über 4 hatten eine deutliche Verbesserung der Mortalität gezeigt (7). Nicht profitiert haben hingegen Patienten mit einem hohen Entzündungswert. Dies wurde schon in einer früheren Metaanalyse festgestellt (9). Eine Studie aus Aarau untersuchte nun, was die Ursache sein könnte. So wurden die Patienten mittels des initialen CRP-Werts stratifiziert. Patienten mit einem tiefem oder moderaten CRP wiesen einen Benefit für die Ernährungstherapie auf, nicht jedoch Patienten mit sehr hohen Entzündungswerten (CRP > 100 mg/l) (9). Bei Patienten mit sehr starker Entzündung konnte die Ernährungstherapie sogar negative Effekte haben.
Ziel – Individualisierung der Ernährungstherapie
Die Mangelernährung betrifft Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern. Als Beispiel wurden zwei extreme Beispiele aufgeführt, die eine sehr unterschiedliche Grundkrankheit zeigen. Ein polymorbider Patient aus dem Pflegheim mit einer geringe Energieund Proteinaufnahme während der letzten 6 Monaten und ein anaboler Patient mit starker Inflammation bei einem metastasierenden Karzinom mit «adäquater» oraler Aufnahme von Energie und Eiweiss. Dies sind völlig unterschiedliche Phänotypen weisen beide eine Malnutrition auf. Während der erste Patient von einer Ernährungstherapie profitiert, ist es beim zweiten Patienten wohl nicht der Fall (10). Das Ziel ist es also, die Patienten genauer zu charakterisieren. Möglicherweise können ver-
schiedene Marker bei der Entscheidung für oder gegen eine Therapie und abei der Wahl der am besten geeigneten Ernährungsform helfen.
Ausblick – EFFORT-2-Studie
Die EFFORT-Studie zeigte den Effekt der Ernährungstherapie 30 Tage nach Austritt (6). Bei einer Analyse nach 6 Monaten war dieser nicht mehr nachweisbar. In der EFFORT-2Studie sollen Patienten nach Austritt aus dem Spital eingeschlossen werden, um den Nutzen einer langfristigen Ernährungstherapie zu untersuchen. Auch untersucht werden soll die Frage, welche Rolle der Eiweissgehalt der Ernährung hat. Wiederum werden Patienten ab einem Risikoscore NRS von 3 eingeschlossen. Bis jetzt sind 700 Patienten in der Studie, angestrebt werden 800 bis 1200 Patientinnen und Patienten.
Evidenz in den Alltag übertragen
Die wissenschaftliche Evidenz soll auch auch wirklich beim Patienten ankommen. Die Evidenz-basierte Ernährungsmedizin beruht auf drei Pfeilern (Tabelle).
Neue Webseite
Pascal Tribolet stellte die neue Webseite (siehe QR-Code) vor. Hier sind die wichtigsten Fakten zur Malnutrition zusammengestellt. Die Webseite ist in mehrere Rubriken eingeteilt. Die nachfolgende Abbildung zeigt, welche Informationen wo zu finden sind. Auf diese Weise sind alle Informationen, Scores, Merkblätter und Literatur zum Thema Malnutrition zusammengefasst. NutriScreen • Screening ist immer der erste Schritt um die
Patienten mit einem Risiko für Malnutrition zu erkennen. Verschiedene Tools sind hier abrufbar, z. B. NRS 2002, Mini-NutritionAssessment in Kurz- und Langform, die GLIM-Kriterien. NutriCalc • Für jeden Patienten berechnen wir die individuellen Energie- und Proteinziele, dazu stehen verschiedene Standardformeln zur Verfügung, z. B. die Harris-Benedict-Formel, Mifflin-Formel. • Es können auch verschiedene Formeln gleichzeitig verwendet und die Ergebnisse verglichen werden. NutriGo • Die aktuelle Evidenz unterschiedet sich bei verschiedenen Patientengruppen. Hier sind krankheitsspezifische Richtlinien zusammengefasst. • Berücksichtigt sind cystische Fibrose, Diabetes, Dysphagie, Geriatrie, Hepatologie,
Hungerstreik/fasten, kritisch krank, Nephrologie, Onkologie, Refeeding Syndrom, Wundheilung. • Wie muss der Energie-, Flüssigkeitsbedarf, Proteinbedarf angepasst werden, Bedarf an Vitamine und Aminosäuren. NutriPro • Die verschiedenen Produkte auf dem Markt werden hier aufgeführt, das sollte die Produkteordner in den Kliniken ersetzen, die ja immer nachgeführt werden müssen. • Orale, enterale und parenterale Therapie. • Auswahlkriterien unter anderem Zusammensetzung, Geschmack oder andere spezifische Charakteristika. • Mit direkten Links zu den Herstellern. • Diese Seite ist noch im Aufbau. NutriRisk • Hier findet sich ein Tool, mit dem das individuelle Risiko für den Patienten und die Risikoreduktion durch eine Behandlung der Malnutrition berechnet werden kann. Die Bedeutung der Ernährungstherapie soll auf diese Weise dem Patienten besser vermittelt werden können. NutriBib • Hier finden sich die wichtigsten Arbeiten in einer Art Bibliothek. Man kann sich hier einen Überblick über die Thematik verschaffen. Die wichtgisten Studien sind hier aufgeführt.
Barbara Elke
Quelle: Nutridays, 27.4.2024, Bern. Neue Evidenz zur Behandlung der Mangelernährung: Hin zu einer personalisierten und Kosten-effizienten Therapie. Prof. Dr. med. Philipp Schütz, Chefarzt, Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Aarau und Pascal Tribolet MSc nutr. med., Ernährungsberater SVDE, Dozent Berner Fachhochschule Gesundheit und Wissenschaft licher Mitarbeiter Medizinische Universitätsklinik, Kantons spital Aarau.
Clinicalnutrition.science Referenzen: 1. Schuetz P et al.: Management of disease-related malnutri-
tion for patients being treated in hospital. Lancet. 2021 Nov 20;398(10314):1927-1938. doi: 10.1016/S01406736(21)01451-3. 2. Sackett D L et al. : Evidence based medicine: what it is and what it isn›t BMJ 1996; 312 :71 doi:10.1136/ bmj.312.7023.71 3. Wunderle C et al.: ESPEN guideline on nutritional support for polymorbid medical inpatients. Clin Nutr. 2023 Sep;42(9):1545-1568. doi: 10.1016/j.clnu.2023.06.023. Epub 2023 Jul 8. 4. Gomes F et al.: Association of Nutritional Support With Clinical Outcomes Among Medical Inpatients Who Are Malnourished or at Nutritional Risk: An Updated Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Netw Open. 2019 Nov 1;2(11):e1915138. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2019.15138.
18 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 3|2024
5. Kaegi-Braun N et al.: Nutritional trials using high protein strategies and long duration of support show strongest clinical effects on mortality.: Results of an updated systematic review and meta-analysis. Clin Nutr ESPEN. 2021 Oct;45:45-54. doi: 10.1016/j.clnesp.2021.08.003.
6. Schuetz P et al.: Individualised nutritional support in medical inpatients at nutritional risk: a randomised clinical trial. Lancet. 2019 Jun 8;393(10188):2312-2321. doi: 10.1016/ S0140-6736(18)32776-4.
7. Hersberger L et al.: Individualized Nutritional Support for Hospitalized Patients With Chronic Heart Failure. J Am Coll Cardiol. 2021 May 11;77(18):2307-2319. doi: 10.1016/j. jacc.2021.03.232.
8. Casaer MP et al.: Nutrition in the acute phase of critical illness. N Engl J Med. 2014 Jun 19;370(25):2450-1. doi: 10.1056/NEJMc1404896.
9. Merker M et al.: Association of Baseline Inflammation With Effectiveness of Nutritional Support Among Patients With Disease-Related Malnutrition: A Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. 2020 Mar 2;3(3):e200663. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2020.0663.
10. Schuetz P et al.: Management of disease-related malnutrition for patients being treated in hospital. Lancet. 2021 Nov 20;398(10314):1927-1938. doi: 10.1016/S01406736(21)01451-3.
11. Mueller M et al. Individuelle, evidenzbasierte Ernährung des medizinischen Spitalpatienten: Wo stehen wir heute? Aktuel Ernährungsmed 2020; 45 :356-362
KONGRESSBERICHT
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 3|2024 19