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KONGRESSBERICHT
Vor und während der Chemotherapie und Bestrahlung
Ernährung und körperliche Aktivität bei Krebs
Krebs beeinflusst die Nahrungszufuhr, den Stoffwechsel, führt zu Entzündungen und körperlicher Dekonditionierung, was das Risiko einer Mangelernährung stark erhöht. Bei Patientinnen und Patienten, die bereits mangelernährt sind oder ein Risiko dafür aufweisen, kann eine Ernährungstherapie den Outcome verbessern. Prof. Laurence Genton Graf, Hôpitaux Universit aires Genève, präsentierte aktuelle Daten und Empfehlungen zur Ernährungstherapie und zu körperlicher Aktivität bei Krebs.
Die wichtigsten negative Auswirkungen durch Krebs und die Therapie (1) • reduzierte Nahrungsaufnahme • Entzündung • Müdigkeit mit geringer körperlicher Aktivität.
können im Zentralnervensystem über den Mechanismus der Entzündung der Appetit re duziert werden und im Muskel die Proteolyse verstärkt werden, Faktoren, die wiederum die Nahrungsaufnahme vermindern (4).
Bei Krebs ist häufig eine Mangelernährung zu beobachten, die den Outcome negativ beein flusst. Die reduzierte Nahrungsaufnahme kann durch die Krankheit selbst und/oder die Therapie bedingt sein. Häufig erschweren Läsionen in Mund und dem weiteren Gastro intestinaltrakt die Nahrungsaufnahme; ver änderte Vorlieben und das Vermeiden gewis ser Speisen, eine frühe Sättigung, aber auch die depressive Verstimmung sind weitere wichtige Faktoren. Eine Zusammenstellung wichtiger Gründe für die geringere Nahrungsaufnahme ist in der Tabelle aufgeführt (2). Nicht alle Krebsformen führen gleich häufig zu einer Kachexie. Besonders betroffen sind Pa tientinnen und Patienten mit Tumoren im Magendarmtrakt und Hals- und Nackenbe reich, sowie bei Lungenkrebs (3).
Veränderter Energieverbrauch
Fatigue und physische Dekonditionierung – ein Teufelskreis
Fatigue führt zu einer geringeren körperlichen Aktivität. Das fördert die körperliche Dekon ditionerung und induziert so einen weiteren Verlust an Muskelmasse und -funktion, was die Fatigue wiederum v erstärkt. Fatigue kann mit einer reduzierten Lebensqualität, Schlaf störungen und kognitiven Dysf unktionen ver bunden sein (6).
Wann ist eine Ernährungstherapie indiziert?
Lässt sich mittels eines Screeningtools ein Risiko für eine Malnutrition feststellen, wird ein Assessment durchgeführt, um die Diag nose der Malnutrition zu bestätigen. Die GLIM-Kriterien beurteilen drei phäno typische Kriterien: • Nicht gewollter Gewichtsverlust
• Tiefer Body-Mass-Index • Reduzierte Muskelmasse. Und zwei ätiologische Kriterien: • Reduzierte Nahrungsaufnahme oder -re
sorption • Krankheit oder Inflammation. Die Diagnose wird gestellt, wenn mindestens ein phänotypisches und ein ätiologisches Kri terium erfüllt sind (7). Gemäss den ESPEN Practical Guidelines sollte Ernährungstherapie bei einer manifesten Mal nutrition, aber auch bei einem Risiko für Mal nutrition eingesetzt werden. Primär beginnt man mit einer oralen Ergänzungstherapie. Ist dies nicht ausreichend, sollte man auch zu enteraler, bzw. einer parenteralen Ernährung übergehen (8). Via QR-Code können die 2021 publizierten Guidelines geladen werden.
Der Ernährungszustand korreliert mit dem Outcome
Verschiedene Studien haben den Zusammen hang mit dem Ernährungszustand und dem Outcome bei Krebs untersucht. Die erste pro spektive internationale Studie untersuchte die Wirkung einer Ernährungstherapie bei 57 000 Patienten, die sich einem elektiven Eingriff für einen kolorektalen oder Magenkrebs unterzie hen mussten. Bei all diesen Patienten wurde der Ernährungsstatus gemäss der GLIM-Kri terien erhoben. Ein Drittel der Patienten war zum Zeitpunkt der Operation mangelernährt. Malnutrition führte zu einer um 32–40% er höhten Mortalität und einer höheren Kompli kationsrate, beipsielsweise Wundinfektion (9).
Bei Krebs kommt es auch zu einem veränder ten Energieverbrauch. Er kann im Vergleich zu Gesunden höher, tiefer oder gleich sein. Einer seit erhöhen der Tumor und auch Lebermetas tasen den Energieverbrauch in Ruhe. Anderer seits sinkt der Grundumsatz durch die Abnahme an Muskel- und Fettgewebe. Der Energieumsatz sinkt zudem durch die gerin gere körperliche Aktivität sowie den reduzier ten thermischen Effekt durch die geringere Nahrungsaufnahme (3).
Entzündung und Krebs
Die zweite häufige Veränderung bei Krebs ist die systemische Entzündung. Verschiedene Organe und Gewebe können beteiligt sein. So
Tabelle:
Wichtige Gründe für eine schlechte Aufnahme von Nährstoffen bei Krebspatienten (2)
• Verschlechterung des Geschmacks, Geruchs und Appetits als Folge des Tumors und/oder der Therapie
• Veränderte Essensvorlieben/Nahrungsmittelvermeidung/Nahrungsmittelaversion, Essprobleme (Zähne, Kauen)
• Dysphagie, Odynophagie oder teilweise/vollständige gastrointestinale Obstruktion, frühes Sättigungsgefühl, Übelkeit und Erbrechen
• Beschwerden im Mund, trockener Mund, klebriger Speichel, Halsschmerzen, Verkrampfung der Kaumuskulatur
• Orale Läsionen und Ösophagitis • Durch Strahlentherapie/Chemotherapie induzierte Entzündungen der Schleimhaut • Akute oder chronische Strahlenenteritis während und nach einer Strahlentherapie • Depression, Angst, Schmerz
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In einer eigenen Review untersuchte die Gruppe um Prof. Genton die Korrelation einer tiefen Muskelmasse (ein GLIM-Kriterium für die Diagnose der Malnutrition) mit dem Out come bei Krebspatienten. Bei einer tiefen Mus kelmasse fanden sich eine schlechtere körper liche Funktion, eine schlechtere Lebensqualität, eine erhöhte Toxizität der Chemotherapie mit einem häufigeren frühen Therapieabbruch so wie gehäufte postoperative Komplikationen. Insgesamt war die postoperative und die Ge samtmortalität erhöht (10). Eine andere Rewiev untersuchte die Evidenz einer oralen Ernährungstherapie während einer Chemo(radio)therapie anhand von ran domisierten kontrollierten Studien. Vergli chen wurde eine Ernährungstherapie von min destens 4 Wochen mit Einsatz von oralen Ernährungsupplementen, die mit Energie oder mit Eiweiss und Omega-3-ungesättigten Fettsäuren angereichert waren. In den 12 Stu dien mit 1350 Teilnehmern fand sich eine Zunahme des Körpergewichts. Allerdings zeigte sich bei der Analyse der Untergruppen, dass die Effekte durch proteinreiche, mit Omega-3-Fettsäuren angereicherte Supple mente erzielt wurden (11). Die Effort-Studie konnte bei 2000 Patienten mit einem Risiko an Malnutrition durch eine individualisierte Ernährungstherapie eine ver ringerte Mortalität nachweisen. Dieser Zusam menhang konnte auch in einer Subanalyse mit 506 Krebspatienten mit einem Nutritional Risk Score (NRS) von ≥ 3 bestätigt werden (12). Man wird in Zukunft noch weiter zu differen zieren versuchen, welche Patienten von einer Ernährungstherapie wirklich profitieren, ob beispielsweise die Krebsform oder eine Entzündung eine Rolle spielen, betonte Prof. Genton.
Aktuelle ESPEN-Guidelines
Die aktuellen ESPEN Practical Guidelines (8, 13) lauten: 1. Nach Möglichkeit die Ursachen einer ver
minderten Aufnahme oder Assimilation behandeln. 2. Bei Bedarf Ernährungsunterstützung, um den Bedarf zu decken: • Energiebedarf: 25–30 kcal/kg/Tag • Proteinbedarf: 1–1,5 g/kg/Tag • Vitamine und Spurenelemente entspre chend der empfohlenen Nahrungsauf nahme
• Bei Insulinresistenz: Verhältnis von Energie aus Fett (vs. Kohlenhydrate) erhöhen. 3. Weitere Möglichkeiten: • Kortikosteroide und Gestagene für einen begrenzten Zeitraum, um den Appetit zu steigern (in definierten Situationen ma ximal 1–3 Wochen) • N-3-Fettsäuren oder Fischöl zur Steige rung des Appetits, der Muskelmasse und des Körpergewichts • Nicht genügend Beweise: nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente, Cannabinoide, Androgene, bestimmte Aminosäuren für den Muskelaufbau.
Körperliche Aktivität unterstützt Ernährungstherapie
Die ESPEN Practical Guidelines empfehlen körperliche Aktivität als einen wichtigen Be standteil der Ernährungstherapie. Empfohlen wird ein Ausdauertraining und zusätzlich ein Krafttraining (14). Gemeinsam beeinflussen die beiden Trai ningsformen die Gehfähigkeit positiv und auch die bestehenden Symptome wie die Fatigue. Die Kraftübungen haben einen positi ven Effekt auf die Knochendichte und die Muskelmasse und -kraft. Andererseits scheint das aerobe Training die systemische Entzün dung etwas verringern zu können (15).
Das körperliche Training ist in allen Phasen wirksam
Eine regelmässige körperliche Aktivität ist schon als Prävention einer Krebserkrankung wirksam. Bei einer Krebserkrankung sollte die körperliche Aktivität in allen Krankheitspha sen gefördert werden. Beobachtet werden eine verbesserte Verträg lichkeit und Wirksamkeit der Therapie, eine Verringerung der Nebenwirkungen und eine Reduktion der Rezidivhäufigkeit (15, 16).
Praktische Durchführung des Trainings
Noch gibt es wenig Literatur, wie eine körper liche Aktivität bei den Krebspatienten in der Praxis umgesetzt werden soll. Experten aus verschiedenen Fachdisziplinen haben Emp fehlungen zusammengestellt (17). Man sollte die Patienten danach fragen, wie oft sie sich in
der letzten Woche körperlich betätigt haben, und dies dokumentieren. Es ist wichtig, die Botschaft zu vermitteln, dass körperliche Ak tivität den Krankheitsverlauf verbessern kann.
Empfehlung
• Aerobe Übungen mindestens 30 Minuten 3 × wöchentlich, mit einer mittleren Intensität (Sprechen möglich, aber nicht Singen).
• Auch Krafttraining mindestens 2 ×/Woche während 20–30 Minuten.
Wenn immer möglich sollte der Patient auf geeignete Trainings-Programme hingewiesen werden. Bei Bedarf kann die körperliche Akti vität auch mit einer Fachperson durchgeführt werden. Allerdings ist die Kostenübernahme oft noch nicht in jedem Fall geklärt. Wichtig ist, dem Patienten zu vermitteln, dass Er nährungstherapie und Bewegung sich ideal ergänzen und dass die körperliche Bewegung die Wirksamkeit der Ernährungstherapie ver stärkt.
Barbara Elke
Quelle: 45th ESPEN Congress on Clinical Nutrition & Metabolism, Lyon, Frankreich, 11.–14.12.2023. Prof. Laurence Genton Graf, Clinical Nutrition Geneva University Hospital, Switzerland. Nutrition and physical activity before and during cancer therapy.
Dieser QR-Code führt zu den «ESPEN Practical Guidelines»
www.rosenfluh.ch/qr/espen-cancer
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Referenzen: 1. Arends J et al.: ESPEN expert group recommendations for
action against cancer-related malnutrition. Clin Nutr. 2017 Oct;36(5):1187-1196. doi: 10.1016/j.clnu.2017.06.017. Epub 2017 Jun 23. PMID: 28689670. 2. Ravasco P: Nutrition in Cancer Patients. Journal of Clinical Medicine. 2019; 8(8):1211. https://doi.org/10.3390/ jcm8081211. 3. Baracos V et al.: Cancer-associated cachexia. Nat Rev Dis Primers 4, 17105 (2018). https://doi.org/10.1038/ nrdp.2017.105. 4. Purcell SA et al.: Key determinants of energy expenditure in cancer and implications for clinical practice. Eur J Clin Nutr. 2016 Nov;70(11):1230–1238. doi: 10.1038/ejcn.2016.96. Epub 2016 Jun 8. PMID: 27273068. 5. Ferrer M et al.: A systemic consequence of progressive, unresolved disease. Cell. 2023 Apr 27;186(9):1824-1845. doi: 10.1016/j.cell.2023.03.028. PMID: 37116469. 6. Piraux E et al.: Effects of exercise therapy in cancer patients undergoing radiotherapy treatment: a narrative review. SAGE Open Medicine. 2020;8. doi:10.1177/2050312120922657. 7. Cederholm T et al.: GLIM criteria for the diagnosis of malnutrition – A consensus report from the global clinical nutrition community. Clin Nutr. 2019 Feb;38(1):1-9. doi: 10.1016/j. clnu.2018.08.002. Epub 2018 Sep 3. PMID: 30181091. 8. Muscaritoli M et al.: ESPEN practical guideline: Clinical Nutrition in cancer. Clin Nutr. 2021 May;40(5):2898-2913. doi: 10.1016/j.clnu.2021.02.005. Epub 2021 Mar 15. PMID: 33946039. 9. GlobalSurg Collaborative and NIHR Global Health Unit on Global Surgery: Impact of malnutrition on early outcomes after cancer surgery: an international, multicentre, prospective cohort study. Lancet Glob Health 2023 11 e341-49. 10. Mareschal J, Achamrah N, Norman K, Genton L: Clinical Value of Muscle Mass Assessment in Clinical Conditions Associated with Malnutrition. J Clin Med. 2019 Jul 17;8(7):1040. doi: 10.3390/jcm8071040. PMID: 31319519; PMCID: PMC6678556. 11. de van der Schueren MAE et al.: Systematic review and meta-analysis of the evidence for oral nutritional intervention on nutritional and clinical outcomes during chemo(radio)therapy: current evidence and guidance for design of future trials. Ann Oncol. 2018 May 1;29(5):1141-1153. doi: 10.1093/annonc/mdy114. PMID: 29788170; PMCID: PMC5961292. 12. Bargetzi L et al.: Nutritional support during the hospital stay reduces mortality in patients with different types of cancers: secondary analysis of a prospective randomized trial. Ann Oncol. 2021 Aug;32(8):1025-1033. doi: 10.1016/j. annonc.2021.05.793. Epub 2021 May 19. PMID: 34022376. 13. Arends J et al.: ESPEN guidelines on nutrition in cancer patients. Clin Nutr. 2017 Feb;36(1):11-48. doi: 10.1016/j. clnu.2016.07.015. Epub 2016 Aug 6. PMID: 27637832. 14. Muscaritoli M et al.: ESPEN practical guideline: Clinical Nutrition in cancer. Clin Nutr. 2021 May;40(5):2898-2913. doi: 10.1016/j.clnu.2021.02.005. 15. Hojman P et al.: Molecular Mechanisms Linking Exercise to Cancer Prevention and Treatment. Cell Metab. 2018 Jan 9;27(1):10-21. doi: 10.1016/j.cmet.2017.09.015. Epub 2017 Oct 19. PMID: 29056514. 16. Stout NL et al.: A Systematic Review of Exercise Systematic Reviews in the Cancer Literature (2005-2017). PM R. 2017 Sep;9 (9S2): S347-S384. doi: 10.1016/j. pmrj.2017.07.074. PMID: 28942909; PMCID: PMC5679711. 17. Schmitz KH et al.: Exercise is medicine in oncology: Engaging clinicians to help patients move through cancer. CA Cancer J Clin. 2019 Nov;69(6):468-484. doi: 10.3322/ caac.21579. Epub 2019 Oct 16. PMID: 31617590; PMCID: PMC7896280.
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