Transkript
PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN UND ERNÄHRUNG
Immer mehr Hinweise für eine Korrelation
Hochprozessierte Lebensmittel und psychische Gesundheit
Timur Liwinski, Astrid Lounici, Undine E. Lang
Timur Liwinski
Hochverarbeitete Lebensmittel (ultra-processed foods), sind Produkte, die weitreichende industrielle Verarbeitungsschritte durchlaufen und oft viele Zusatzstoffe sowie zugesetzten Zucker enthalten. Diese Lebensmittel nehmen einen immer grösseren Teil der Nahrungsmittelkette ein, was auf die Bequemlichkeit und Haltbarkeit solcher Produkte zurückzuführen ist. Dieser Artikel thematisiert die Gesundheitsauswirkungen von hochverarbeiteten Lebens mitteln, wobei ein besonderes Augenmerk auf ihren potenziell schädlichen Einfluss auf die psychische Gesundheit gelegt wird.
Astrid Lounici Undine E. Lang
Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist psychische Gesundheit dadurch gekennzeichnet, dass eine Person in der Lage ist, die Herausforderungen und Belastungen des täglichen Lebens erfolgreich zu bewältigen und gleichzeitig Konstruktives zur Gemeinschaft beizutragen (1). Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen Angststörungen, gefolgt von affektiven Störungen (9,8%), unipolare Depression allein (8,2%) und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum (5,7%) (2). Gemäss dem Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) lebt weltweit jede zehnte Person mit einer psychischen Erkrankung, und diese Rate steigt weiter an. Im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie allein stieg die Anzahl der Menschen, die an Depressionen oder Angststörungen litten, um 25% an (3). Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden, weisen im Durchschnitt eine reduzierte Lebenserwartung auf (4). Im vergangenen Jahrhundert haben auf gesamtgesellschaftlicher Ebene deutliche Veränderungen in unseren Lebensgewohnheiten stattgefunden. Diese Veränderungen, darunter die Abkehr von traditionellen Lebensstilen mit weniger Fokus auf sozialen Beziehungen, reduzierte Möglichkeiten für körperliche Aktivität und zum Teil drastische Veränderungen von Ernährungsgewohnheiten, wurden mit dem zunehmenden Auftreten von psychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht (5). Obwohl die Ernährung allein nicht die einzige Ursache für psychiatrische Störungen darstellt, wird sie als ein bedeutender Faktor betrachtet, der die Entstehung und Schwere dieser Erkrankungen beeinflussen kann (6). Derzeit stehen wir vor einer paradoxen Situation, in der in vielen Gesellschaften Lebensmittel reichlich vorhanden sind, aber unsere Lebensmittelwahl oft zu nährstoffarmen Optionen tendiert. Dazu gehören hochverar-
beitete Lebensmittel (ultra-processed foods, UPF), die meist eine hohe Energiedichte, aber einen niedrigen Gehalt an lebenswichtigen Nährstoffen aufweisen. Folglich befinden sich viele Menschen in einem Zustand, in dem sie zwar übermässig essen, aber unterernährt sind (7).
Was sind hochverarbeitete Lebensmittel?
Der moderne Mensch bereitet viele Lebensmittel vor dem Verzehr zu, was verschiedene Vorteile mit sich bringt. Zum Beispiel ist gebratenes Muskelfleisch in der Regel bekömmlicher und leichter verdaulich als rohes Fleisch. Die sehr alte Verarbeitungstechnik der Fermentation macht viele Lebensmittel überhaupt erst geniessbar (8). Die Verarbeitung von rohen Lebensmitteln wie Fisch, Fleisch, Getreide und Milch ermöglichte es unseren Vorfahren, Lebensmittel länger haltbar zu machen und ihren Nährwert zu steigern. Dies wiederum machte sie unabhängiger von Umweltfaktoren wie Jahreszeiten und Wetterbedingungen, was zur evolutionären Weiterentwicklung des menschlichen Gehirns und zur Förderung von Kultur und Technologie beitrug (9). Die Lebensmittelverarbeitung an sich ist also keinesfalls immer problematisch, allerdings kommt es auf den Grad der Verarbeitung an. Der Begriff UPF stammt aus dem NOVA-Lebensmittelklassifikationssystem, das von Forschern an der Universität São Paulo, Brasilien, entwickelt wurde (10). Das System unterteilt Lebensmittel in vier Kategorien, basierend darauf, wie stark sie während ihrer Herstellung verarbeitet wurden. 1. Unverarbeitete oder minimal verarbeitete Lebensmittel: Hierzu gehören Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Milch, Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchte, Eier, Nüsse und Samen, die keine Zusatzstoffe enthalten
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und wenig gegenüber ihrem natürlichen Zustand verändert wurden. 2. Verarbeitete Zutaten: Dies umfasst Lebensmittel, die anderen Lebensmitteln zugefügt werden, anstatt für sich allein verzehrt zu werden, wie Salz, Zucker und Öle. 3. Verarbeitete Lebensmittel: Diese werden durch die Kombination von Lebensmitteln aus den Gruppen 1 und 2 hergestellt und auf eine Weise verändert, die auch von «Hobbyköchen» durchgeführt werden könnte. Hierzu gehören Lebensmittel wie Marmelade, eingelegtes Gemüse, Konserven von Obst und Gemüse, selbstgemachtes Brot und Käse. 4. Ultra- oder hochverarbeitete Lebensmittel: UPF enthalten in der Regel fünf oder mehr Zutaten. Sie werden grundsätzlich industriell hergestellt und enthalten oft viele Zusatzstoffe und Inhaltsstoffe, die in der traditionellen Lebensmittelherstellung sowie der häuslichen Küche normalerweise nicht verwendet werden. Dazu gehören Konservierungsstoffe, Emulgatoren, nicht-nutritive Süssstoffe sowie künstliche Farb- und Aromastoffe. Diese Lebensmittel haben in der Regel eine lange Haltbarkeit (10). Beispiele für UPF sind Eiscreme, zahlreiche Wurstwaren, Kartoffelchips, industriell hergestelltes Brot, viele Fast-Food-Waren, Frühstücksflocken, Schokoriegel und zahlreiche andere Süsswaren, Erfrischungsgetränke (Soft-Drinks), Joghurts mit Fruchtgeschmack, Instant-Suppen, zahlreiche Fertig- und Tiefkühlgerichte sowie einige alkoholische Getränke. Dies schliesst auch Ersatzprodukte für Milch- und Fleischprodukte ein. Tatsächlich sind die meisten vegetarischen und veganen Fertigprodukte stark verarbeitet (11, 12). Die charakteristischen Inhaltsstoffe von UPF sind entweder Lebensmittelsubstanzen, die in der Küche keine oder seltene Verwendung finden, oder Klassen von Zusatzstoffen, deren Funktion es ist, das Endprodukt verkaufsfähig und schmackhaft zu machen. Zu den Lebensmittelsubstanzen, die in der Herstellung von UPF Verwendung finden und in der Küche selten oder gar nicht verwendet werden, gehören verschiedene Zuckerarten (Fructose, Maissirup mit hohem Fructosegehalt, Fruchtsaftkonzentrate, Invertzucker, Maltodextrin, Dextrose, Laktose), modifizierte Öle (gehärtete oder interesterifizierte Öle) und Proteinquellen (hydrolysierte Proteine, Sojaproteinisolat, Gluten, Kasein, Molkenprotein und «mechanisch getrenntes Fleisch») (13). Klassen von Zusatzstoffen, die ausschliesslich bei der Herstellung von UPF verwendet werden, umfassen Aromen, Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Emulgatoren, emulgierende Salze, künstliche Süssstoffe, Verdickungsmittel sowie schaumund antischaumbildende, füllende, karbonisierende, und gellende Überzugsmittel. All diese Zusatzstoffe, insbesondere Aromen und Farbstoffe, dienen entweder dazu, unangenehme sensorische Eigenschaften zu verschleiern, die durch Zutaten, Prozesse oder Verpackung bei der Herstellung von UPF entstehen, oder sie verleihen dem Endprodukt intensive sensorische Eigenschaften, die den Appetit anregen (13). Bedenklich ist der oftmals hohe Anteil an zugesetztem Zucker
in UPF. So beziehen Kinder in den Vereinigten Staaten 92% der Energie aus zugesetztem Zucker über UPF (14). Die Verarbeitung bringt dem Hersteller in vielerlei Hinsicht Vorteile. Die Produkte werden hoch standardisiert, kostengünstig herstellbar, haben eine lange Haltbarkeit und sind geschmackvoll, was den Konsum fördert (15). Auch der Einzelhandel profitiert von stark verarbeiteten Produkten, da aufgrund der langen Haltbarkeit eine gleichbleibende Menge und Qualität angeboten werden kann und weniger Ausschussware anfällt. Dies führt dazu, dass zum Beispiel in den USA viele Handelsketten praktisch ausschliesslich UPF anbieten (16). Die Verarbeitungsprozesse und Inhaltsstoffe machen UPF allerdings typischerweise ernährungsphysiologisch unausgewogen und begünstigen übermässigen Konsum (13). Dies kann dazu führen, dass sie die drei anderen Lebensmittelgruppen verdrängen. Diese anderen Lebensmittelgruppen bilden allerdings die Grundlage für traditionelle Ernährungsmuster, einschliesslich solcher, die für ein langes und gesundes Leben nachweislich förderlich sind (17–20). In den USA, in Kanada, im Vereinigten Königreich und in Australien liefern UPF inzwischen mindestens die Hälfte der gesamten zugeführten Nahrungsmittelenergie (16, 21–23). UPF sind nicht nur in den Industrienationen weit verbreitet. Auch in Entwicklungsländern wächst der Konsum von UPF mit bis zu 10% pro Jahr sehr schnell an (13).
Der Einfluss hochverarbeiteter Lebensmittel auf die Gesundheit
Grossangelegte Beobachtungsstudien haben einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von UPF und chronischen Erkrankungen wie Adipositas, Typ-2Diabetes, Krebserkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgezeigt (24). Diese Studien wurden in umfangreichen Kohorten aus verschiedenen Ländern durchgeführt, darunter NutriNet-Santé in Frankreich, SUN in Spanien und die UK Biobank (25). Evidenz aus kurzfristigen randomisierten kontrollierten Studien (engl. randomized controlled trials, RCTs) nimmt ebenfalls zu, obgleich solche Studien dadurch limitiert sind, dass sie nur intermediäre Endpunkte aufzeigen können. Langfristige RCTs mit sogenannten «harten» Endpunkten, wie kardiovaskuläre Todes ereignisse, sind aus ethischen Gründen nicht durchführbar. Eine 2 × zweiwöchige RCT konnte zeigen, dass eine auf UPF basierende Ernährung im Vergleich zu einer auf Vollwertkost beruhenden Ernährung zu einer erhöhten Energieaufnahme und Gewichts zunahme führt (26). Diese humanen Daten werden durch tierexperimentelle Studien ergänzt. Solche Untersuchungen weisen beispielsweise darauf hin, dass nicht allein eine vermehrte Energiezufuhr das Gesundheitsrisiko durch UPF erklärt. Die zahlreichen Lebensmittelzusatzstoffe könnten ebenfalls direkte gesundheitsschädliche Effekte aufweisen. Beispielsweise führten einige Emulgatoren (Carboxymethylcellulose, Polysorbat 80) im Mausversuch zu Stoffwechselstörungen, Veränderungen der Darmflora,
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Abbildung: Überblick über die im Artikel erwähnten körperlichen und psychischen Gesundheitsstörungen, die mit dem erhöhten Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln in Verbindung gebracht wurden.
Entzündungen und zur Entstehung von Dickdarmkrebs (27). Neue Erkenntnisse weisen zudem darauf hin, dass UPF durch das mit ihrem Konsum verbundene starke Belohnungserleben suchterzeugend wirken könnten (28). Bedenklich ist ausserdem der negative Umwelteinfluss von UPF. So sind UPF für jeweils mehr als ein Drittel an lebensmittelbedingtem Biodiversitätsverlust und Treibhausgas-Emissionen sowie für mehr als ein Viertel des lebensmittelbedingten Wasserverbrauchs verantwortlich (29).
Der Einfluss hochverarbeiteter Lebensmittel auf die psychische Gesundheit
Zunehmende Evidenz legt eine Assoziation zwischen einem erhöhten Konsum von UPF und verschiedenen psychischen Störungen nahe, obwohl strenge kausale Belege zumeist noch ausstehen. Eine Zusammenstellung von körperlichen und psychischen Gesundheitsstörungen, die mit dem erhöhten Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln in Verbindung gebracht wurden, finden Sie in der Abbildung. In einer prospektiven Studie stellte ein Ernährungsmuster, das von UPF dominiert wird, bei Probanden mittleren Alters einen Risikofaktor für das Auftreten depressiver Symptome 5 Jahre nach Erhebung dar, während Vollwertkost protektiv wirkte (30). Daten aus der Nationalen Gesundheits- und Ernährungsuntersuchung (National Health and Nutrition Examination Survey), die von 2011 bis 2016 durchgeführt wurde, deuten darauf hin, dass UPF das Risiko für depressive Symptome erhöhen können, insbesondere bei Menschen mit wenig körperlicher Bewegung: Teilnehmer, bei denen der Anteil von UPF an der Gesamtenergiezufuhr ≤ 73% ausmachte, hatten ein um 35% höheres Risiko für depressive Symptome im Vergleich zu denen, bei denen der Anteil von UPF an der Gesamtenergiezufuhr ≤ 34% betrug (31). In einer Studie mit 14 907
spanischen Hochschulabsolventen im Rahmen des SUN- Projekts hatten Teilnehmer im höchsten Quartil des Konsums von UPF nach Adjustierung für potenzielle Confounder ein höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken, als diejenigen im niedrigsten Quartil (32). In der französischen NutriNet-Santé-Kohorte wurde über eine mittlere Nachbeobachtungszeit von 5,4 Jahren eine Hazard Ratio von 1,21 für depressive Symptome für jede Zunahme des Konsums von UPF um 10% ermittelt (33). Daten aus der Melbourne Collaborative Cohort Study kamen zu ähnlichen Schlussfolgerungen und fanden eine erhöhte psychische Belastung bei zunehmendem Konsum von UPF (34). Auch die Teilnehmer der British-Whitehall-II-Kohorte, die sich im obersten Quintil des Konsums von UPF befanden, hatten eine um 31% erhöhte Wahrscheinlichkeit für rezidivierende depressive Symptome (35). Hingegen wurde in einer epidemiologischen Haushaltsumfrage in zwei Städten in Brasilien festgestellt, dass ein Konsum von frischen sowie minimal verarbeiteten Lebensmitteln, der über dem Durchschnitt lag, mit einer geringeren Prävalenz von depressiven Symptomen in Verbindung stand (36). Eine koreanische Kohortenstudie fand interessanterweise einen geschlechtsspezifischen Unterschied in der potentiellen Auswirkung von UPF auf depressive Symptome, wobei nur Frauen ein höheres Risiko für depressive Symptome bei höherem UPF-Konsum aufwiesen (37). Daten aus der italienischen Ernährungs- und Gesundheitsumfrage zeigten zudem eine Verbindung zwischen dem Konsum von UPF und einer geringen Schlafqualität (38). Die potenzielle Rolle von UPF bei Essstörungen ist ebenfalls besorgniserregend. In einer Studie mit 70 Frauen und 3 Männern, die an Binge Eating litten, stellte sich heraus, dass Lebensmittel, die in einem Essanfall konsumiert wurden, nahezu zu 100% hochverarbeitet waren (39). Jugendliche sind eine besonders vulnerable Bevölkerungsgruppe. UPF wurden mit nachteiligen Auswirkungen auf das Gehirn in Verbindung gebracht, insbesondere während der vulnerablen Phase der Gehirnentwicklung bei Kindern und Jugendlichen (40). Allerdings weisen ausgerechnet Jugendliche einen besonders h ohen Konsum von UPF auf. Aktuelle Studien schätzen, dass UPF bei Jugendlichen zu 29% und 68% der Energiezufuhr beitragen (41, 42). In einer Studie mit 560 spanischen Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren wurde ein höherer Konsum von UPF mit einem vermehrten Auftreten von depressiven Symptomen sowie internalisierenden und externalisierenden Problemen in Verbindung gebracht (43). Hinsichtlich der bereits erwähnten suchterzeugenden Eigenschaften von UPF ist bemerkenswert, dass der Konsum von UPF in einer Stichprobe brasilianischer Jugendlicher mit dem Gebrauch von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen assoziiert wurde (44). Allerdings sollte beachtet werden, dass es sich bei den meisten dieser Untersuchungen um einfache Beobachtungsstudien handelt. Daher könnte auch sogenannte reverse Kausalität vorliegen. Das heisst, Menschen könnten aufgrund psychischer Belastungen zu vermehrtem Konsum von UPF neigen. Eine
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bidirektionale Beziehung zwischen psychischen Störungen und UPF erscheint sehr plausibel (45).
Empfehlungen für gesundheitsbewusste Verbraucher
Obwohl weitere Evidenz zu den gesundheitlichen Auswirkungen von UPF benötigt wird, sollten die bisher verfügbaren Gesundheitsdaten Verbraucher dazu ermutigen, im Sinne der Prävention körperlicher und psychischer Gesundheitsstörungen ihren Konsum von UPF zu beschränken und minimal prozessierter Vollwertkost den Vorzug zu geben. Regierungsorganisationen mehrerer Länder sowie die UN-FAO raten offiziell, den Konsum von UPF zu begrenzen (13). Hierbei können sehr unterschiedliche Ernährungsweisen mit dem Prinzip, auf Vollwertlebensmittel zu setzen und UPF zu meiden, in Übereinstimmung gebracht werden, ganz gleich ob die Ernährung beispielsweise vegan ist oder einen hohen Anteil an Lebensmitteln tierischen Ursprungs enthält (46). Da Ernährungsweisen, die auf UPF basieren, oftmals zumindest kurzfristig kostengünstiger sein können, sollten politische Massnahmen darauf abzielen, die Erschwinglichkeit und Verfügbarkeit von unverarbeiteten oder minimal verarbeiteten Lebensmitteln zu verbessern. Bisher müssen Lebensmittelhersteller auf Lebensmitteletiketten die in ihren Produkten verwendeten Verarbeitungsmethoden oder gar den Zweck der Verarbeitung nicht angeben. Manchmal kann dies die Identifizierung von UPF erschweren. Viele UPF werden als gesünder vermarktet, als sie es tatsächlich sind. Dazu gehören Labels wie «zuckerfrei», «ohne Zuckerzusatz», «mit Vitaminen angereichert», «ballaststoffreich», «glutenfrei» oder «vegan» (so sind z. B. Cola und Kartoffelchips meist vegan). Selbst der vor Kurzem in der Schweiz eingeführte Nutri-Score macht keinen Unterschied zwischen stark verarbeiteten und weniger verarbeiteten Lebensmitteln (47). Es ist natürlich nicht notwendig und nicht immer möglich, jedes Lebensmittel genau auf Ultra-Verarbeitung zu untersuchen. Frisches Obst und Gemüse sind offensichtlich nicht ultra-verarbeitet, genauso wenig wie Eier, frische Milch und gekühltes Fleisch. Ein einfacher und praktischer Weg, um festzustellen, ob ein Produkt ultra-verarbeitet ist, ist es, zu überprüfen, ob die Liste der Inhaltsstoffe mindestens einen Bestandteil enthält, der in der traditionellen oder heimischen Lebensmittelzubereitung in der Regel nicht verwendet wird (z. B. Geschmacksverstärker wie Mononatriumglutamat, Konservierungs- und Farbstoffe). Ebenso weisen ≥ 5 Inhaltsstoffe darauf hin, dass es sich bei dem Produkt um UPF handeln könnte (48). Zum Teil können auch scheinbar vollwertige Lebensmittel
hochverarbeitet sein, so kann beispielsweise die Panierung von Fischstäbchen oder Chicken-Nuggets ultra-prozessiert sein (49). Auch hier hilft meist ein Blick auf die Zutatenliste.
Ausblick
Es werden weitere wissenschaftliche Untersuchungen benötigt, um die Auswirkungen von UPF auf die psychische Gesundheit besser zu verstehen. Dabei sollten epidemiologische und experimentelle Ansätze kombiniert werden. Unter Nutzung moderner statistischer Methoden, wie z. B. der Regressions-DiskontinuitätsAnalyse, können auch Beobachtungsstudien besser genutzt werden, um Kausalbeziehungen zu belegen (50). Vor allem hinsichtlich der spezifischen Mechanismen, wie UPF das Gehirn und die Psyche schädigen könnten, bestehen erhebliche Defizite. Eine bessere Charakterisierung der schädlichen Eigenschaften spezifischer Zusatzstoffe könnte wichtige Informationen für die Regulierung durch Behörden liefern (z. B. Verbot bestimmter Substanzen, Reduzierung der zulässigen Grenzwerte). Auch können damit Verbraucherempfehlungen und Lebensmittelkennzeichnungen optimiert werden. Da UPF zumindest kurzfristig oftmals kostengünstiger sind als Vollwertkost, sollten politische Massnahmen darauf abzielen, die Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit von nicht oder minimal verarbeiteten Lebensmitteln zu verb essern.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Timur Liwinski Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel Wilhelm Klein-Strasse 27 4002 Basel Tel. 061-325 51 11 E-Mail: Timur.Liwinski@upk.ch Co-Autorinnen: Astrid Lounici Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel Prof. Dr. med. Undine E. Lang Klinikdirektorin der Klinik für Erwachsene und Privatklinik Professorin für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Basel Wilhelm Klein-Strasse 27 4002 Basel Deklaration: Die Autoren haben keine Interessenskonflikte.
Referenzen in der Online-Version des Beitrags unter www.sze.ch
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