Transkript
KONGRESSBERICHT
Dos and Don’ts
Ernährungstherapie im Spital – Update
Mangelernährung ist bei älteren, multimorbiden Patienten ein häufiges Problem bei Spitaleintritt. Die gefährdeten Personen sollten rasch erkannt und behandelt werden. Dr. Reinhard Imoberdorf, Chefarzt Klinik für Innere Medizin, und Maya Rühlin, Leiterin Ernährungstherapie/ -beratung, beide Kantonsspital Winterthur, diskutierten mit den Teilnehmern des Workshops die wichtigsten Punkte, wie man vorgehen sollte und welche Fehler es zu vermeiden gibt.
Bei Spitaleintritt hat fast jeder dritte Patient über 85 Jahre ein Risiko für eine Mangelernährung (1). Dieses Problem wird zunehmen, da die Gruppe der älteren Personen weiter wächst. Bei den 65- bis 79-Jährigen sind über die Hälfte multimorbid (2). Viele der vorbestehenden Krankheiten und Medikamente können den Appetit verringern und eine Mangelernährung fördern (3).
BMI – bedingt aussagekräftig
Ein tiefer BMI kann, muss aber nicht ein Hinweis auf eine Mangelernährung sein. Gerade bei übergewichtigen Patienten wird eine Mangelernährung oft verpasst. Trotz hohem Bodymassindex kann eine Sarkopenie mit verminderter Muskelmasse und -funktion vorhanden sein, eine sogenannte sarkopene Adipositas (4).
Rasch handeln
Bei Spitaleintritt sollte unmittelbar ein Screening auf Mangelernährung durchgeführt werden. In der Schweiz wird der NRS 2002 angewendet. Dieser Screening-Test dauert nicht lange und kann durch das ärztliche oder medizinische Assistenzpersonal durchgeführt werden. Der Score ist auch wichtig für die Kodierung der Mangelernährung, damit eine Vergütung der Behandlung erfolgen kann. Bei den identifizierten Risikopatienten sollte ein detaillierteres
Ernährungsassessment durchgeführt und bei Interventionsbedarf innnerhalb von 48 Stunden nach dem Spitaleintritt ein Therapieplan erstellt werden (3, 5).
Die richtigen Fragen stellen
Die Patienten wissen oft nicht, ob sie an Gewicht verloren haben. Sie können eher die Frage beantworten, ob der Appetit geringer war und ob sie weniger gegessen haben. Die Krankheitsschwere kann nach Art der Krankheit beurteilt werden, oder auch wie stark der Patient durch die Krankheit eingeschränkt ist. In Grad 1 ist der Patient noch mobil, bei Grad 2 bettlägerig und bei Grad 3 braucht er intensivmedizinische Betreuung (6).
Nutzen der Ernährungstherapie
2019 konnte die Landmarkstudie EFFORT den Nutzen der personalisierten Ernährungstherapie nachweisen. Die Komplikationen in den ersten 30 Tagen nach Hospitalisation waren in der Interventionsgruppe mit 22,9% tiefer als die der Kontrollgruppe mit 26,9%. 25 Patienten muss man behandeln, um bei einem Patienten schwere Komplikationen zu vermeiden (Number needed to treat NNT = 25). Die Mortalität konnte von 9,2% auf 7,2% gesenkt werden; die NNT beträgt hier 37 (7). Patienten mit einem Risk Score > 4 profitieren noch stärker von der individuellen Ernährungstherapie. Auch in der Subgruppe der Patienten
Die Bedeutung des Screening-Tests
1. Erkennen der Patientn, die eine individivuelle Ernährungstherapie benötigen 2. Diese Patienten einer Ernährungstherapie zuführen. 3. Mangelernährung als eigenständige Diagnose ausweisen, insbesondere für die weitere Behandlung
nach Spitalaustritt. 4. Kodierbarkeit.
Der NRS 2002 erfasst (6)
• Verschlechterung des Ernährungszustands • Schwere der Erkrankung (Stressmetabolismus) • Alter. Link auf QR-Code:
Wann ist ein ungewollter Gewichtsverlust relevant?
• Bei Verlust von 5% des Körpergewichts über 6–12 Monate ODER ein Gewichtsverlust ≥ 2% des Körpergewichts bei vorbestehendem Untergewicht.
• Ein > 10%-iger ungewollter Gewichtsverlust muss immer abgeklärt werden. • Auch ein erfolgreicher, gewollter Gewichtsverlust sollte hinterfragt werden.
www.rosenfluh.ch/nrs-2002-download
20 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2023
KONGRESSBERICHT
mit Herzinsuffizienz konnte die Effizienz der Ernährungstherapie nachgewiesen werden. Deshalb sollte man bei diesen Patienten neben der medikamentösen Therapie das Augenmerk auch auf die Ernährung legen (8). Eine Sekundäranalyse zeigt auch, dass das Screening und die individualisierte Ernährungsberatung im Spital kosteneffizient sind (9).
Individuelle Beratung
Schon in einer kleinen Studie 2010 konnte gezeigt werden, dass eine individuelle Ernährungstherapie der alleinigen Abgabe von Trinknahrung überlegen ist, zu einer höheren Protein und Energiezufuhr führt sowie positiven Einfluss auf die Lebensqualität hat (10). Auch in der Gruppe, die Trinknahrung erhielt, verbesserte sich die Ernährung im Vergleich zum Ausgangspunkt, aber eine bedeutende Anzahl Patienten setzte die Trinknahrung wieder ab. Eine individualisierte Ernährungsberatung hat eine breitere Palette von möglichen Interventionen (5): • Modifikation der Mahlzeiten • Anreicherung der Ernährung • Trinknahrung • bei Bedarf auch enterale oder parenterale Ernäh-
rung.
Auch nach Hospitalisation weiterführen
Nach der Entlassung, sollte die Ernährungstherapie ambulant fortgeführt werden, wie die ESPEN-Guidelines (5) empfehlen. Die zurzeit laufende EFFORT2-Studie untersucht den Nutzen der ambulanten Ernährungsberatung nach dem Spitalaufenthalt.
Refeeding Syndrom
Ein zu rascher Nahrungsaufbau, oral, enteral oder parenteral, kann zum gefürchteten Refeeding-Syndrom führen. Wird abrupt vom katabolen auf den anabolen Stoffwechsel umgestellt, kommt es für verschiedene Stoffwechselschritte zu einem Mehrbedarf an Thiamin, weiteren Vitaminen sowie Kalium und Phsophat. Die Speicher sind in diesem Zustand aber meist leer, weshalb es zu verschiedenen Komplikationen kommen kann, wie Hypokaliämie, Hypomag nesiämie, Hypophosphatämie oder zur Wernicke Encephalopathie. Die klinischen Hauptsymtpome sind Ödeme, Tachykardie und Tachnypnoe. Mögliche Komplikationen sind Lungenödem, Herzinsuffizienz, Arrhythmien und Atemdepression, die tödlich enden können (11). Deshalb sind ein langsamer Ernährungsaufbau mit einem Labormonitoring sowie Substituierung von Elektrolyten und Vitaminen wichtig (12, 13).
Albumin – ein Entzündungs-Marker
Immer wieder wird das Albumin gemessen, um den Ernährungszustand abzuschätzen. Doch Albumin ist ein ungeeigneter Marker für den Entscheid für oder gegen eine Ernährungstherapie. Gerade bei einem entzündlichen Zustand während einer Krankheit oder nach einem Trauma ist die Serumkonzentration des Albumins erniedrigt (14, 15). So steht dieser eher für einen Marker für eine Entzündung und Prognose als für einen Marker für den Ernährungszustand.
Malnutrition: vegetarisch ja – vegan nein
Gemäss Beschluss des Zürcher Stadtrats soll in Zürcher Spitälern, Altersheimen und weiteren Institutionen ein veganes Menü als Standardmenu angeboten werden. Die Vorlage dazu wird aktuell ausgearbeitet. Nun haben aber Untersuchungen gezeigt, dass bei einem Risiko einer Malnutrition eine vegane Ernährung nicht geeignet ist, eine vegetarische Ernährung hingegen die Bedürfnisse der Patienten mit Malnutrition erfüllen kann (16). Die aktuelle, reguläre Spitalkost ist für über 80% der Patienten adäquat (1).
Fazit
• Screen, Screen, Screen bei Eintritt, flächendeckend (mit NRS-2002)
• Sarkopene Adipositas erkennen und therapieren • Medikamente optimieren, Interaktion mit Ernäh-
rung beachten • unnötige Laborbestimmungen vermeiden • Ernährungstherapie frühzeitig (innerhalb 48 h) be-
ginnen • individualisierte Ernährungstherapie empfohlen • Vermeiden von Refeedingsyndrom/Overfeeding • neben der Ernährung ist auch Bewegung wichtig • vegetarische, ausgewogene Menüs gehören zur
Standardmenüwahl im Spital; vegane Ernährung ist bei Mangelernährung nicht geeignet • ambulante Nachsorge anbieten.
Barbara Elke
Quelle: 7. Frühjahrskongress SGAIM. Workshop GESKES: Die Dos und Don’ts in der Ernährung im Spital. Dr. Reinhard Imoberdorf, Chefarzt Klinik für Innere Medizin, Maya Rühlin, Leiterin Ernährungstherapie, beide Kantonsspital Winterthur. Referenzen in der Online-Version des Beitrags unter www.sze.ch
Die Bedeutung der Ernährungstherapie wurde in den letzten Jahren mit vielen Studien untermauert. Die Einführung eines interdisziplinären Schwerpunkts «Ernährungsmedzin» vor zwei Jahren trägt dem Rechnung. https://www.geskes.ch/schwerpunkt-ernaehrungsmedizin.aspx
22 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2023
Referenzen: 1 Imoberdorf R et al: Prevalence of undernutrition on admission to
Swiss hospitals. Clin Nutr. 2010 Feb;29(1):38-41. 2 Fischer K et al: EEK Bericht Ernährung im Alter 2018. Ein Expertenbe-
richt der Eidgenössischen Ernährungskommission EEK 3 Gomes F et al: ESPEN guidelines on nutritional support for polymor-
bid internal medicine patients. Clin Nutr. 2018 Feb;37(1):336-353. 4 Norman, K., Herder, C:. Sarkopene Adipositas und Inflammation. Dia-
betologe 15, 311–317 (2019). 5 Gomes F et al: ESPEN guidelines on nutritional support for polymor-
bid internal medicine patients. Clin Nutr. 2018 Feb;37(1):336-353. 6 Kondrup J et al; Educational and Clinical Practice Committee, Euro-
pean Society of Parenteral and Enteral Nutrition (ESPEN). ESPEN guidelines for nutrition screening 2002. Clin Nutr. 2003 Aug;22(4):41521. 7 Schuetz P et al: Individualised nutritional support in medical inpatients at nutritional risk: a randomised clinical trial. Lancet. 2019;8;393(10188):2312-2321. 8 Hersberger L et al: Individualized Nutritional Support for Hospitalized Patients With Chronic Heart Failure. J Am Coll Cardiol. 2021 May 11;77(18):2307-2319. 9 Schuetz P et al: EFFORT trial collaborators. Economic evaluation of individualized nutritional support in medical inpatients: Secondary analysis of the EFFORT trial. Clin Nutr. 2020 Nov;39(11):3361-3368. 10 Rüfenacht U et al. Nutritional counseling improves quality of life and nutrient intake in hospitalized undernourished patients. Nutrition. 2010 Jan;26(1):53-60. 11 Aubry, Emilie et al: «Refeeding-Syndrom: Ein konsensusbasierter Algorithmus für stationäre Patienten.» Aktuelle Ernährungsmedizin 44 (2019): 33-42 12 Do L, Ballmer PE, Rühlin M: Die Komplexität des Refeeding-Syndroms. Swiss Med Forum 2017;17:523-528. 13 Reber E et al: Management of Refeeding Syndrome in Medical Inpatients. J Clin Med. 2019 Dec 13;8(12): 2202. 14 Gehring N et al. Serumalbumin – a qualified parameter to determine the nutritional status? Swiss Med Wkly. 2006 Oct 14;136(41-42): 664-9. 15 Fuhrman MP: The albumin-nutrition connection: separating myth from fact. Nutrition. 2002 Feb;18(2):199-200. 16 Thibault R et al: ESPEN guideline on hospital nutrition. Clin Nutr. 2021 Dec;40(12):5684-5709.
KONGRESSBERICHT
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 5|2023 23