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KURZ VORGESTELLT
Agroscope – Forschung in Landwirtschaft und Ernährung
Agroscope hat mehr als 1100 Mitarbeitende in verschiedenen Forschungszentren. Agroscope ist das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung und ist dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) angegliedert. Es sieht sich als Brückenbauer zwischen Forschung und Umsetzung in der Landwirtschaft. Marc Andrey, Leiter Kommunikation von Agroscope, erläutert die Ziele und die Tätigkeiten der Institution. Stellvertretend für die grosse Zahl an Projekten stellen wir zwei detaillierter vor. Agroscope forscht zurzeit in über 100 Projekten und setzt dabei sechs Schwerpunkte: • Landwirtschaft im Klimawandel • Schutz der natürlichen Ressourcen • Agrarökologische Produktionssysteme • Nachhaltige und gesunde Ernährung • Wirtschaftliche und artgerechte Nutztier-
haltung • Wettbewerbsfähige Produktion von Lebens-
mitteln SZE: Können Sie uns die Ziele von Agroscope näher beschreiben? Marc Andrey: Die Landwirtschaft steht vor riesigen Herausforderungen: Klimaveränderung, Schutz der natürlichen Ressourcen und gleichzeitig eine wachsende Bevölkerung, für die eine gesunde und nachhaltige Ernährung
Abbildung: Klimaveränderung, der Schutz von Luft, Boden, Wasser und Biodiversität sowie die gesunde Ernährung einer wachsenden Bevölkerung sind die grossen Herausforderungen der Landwirtschaft.
Neue Serie: Institutionen und Verbände im Bereich Ernährung
produziert werden muss. Das birgt Zielkonflikte. Wir müssten mehr produzieren, haben aber immer weniger landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung. Bei einer intensiveren Landwirtschaft besteht die Gefahr einer stärkeren Nutzung der Wasserressourcen, eines erhöhten Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und der Auslaugung des Bodens. Dieser Zielkonflikt «Mehr Produktion – Schutz der natürlichen Ressourcen» besteht nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. Wir versuchen, mit unserer Forschung Lösungen zu finden, welche die Landwirtinnen und Landwirte auf dem Feld umsetzen können und dort Wirkung erzielen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist, mit unseren Forschungsergebnissen die Grundlagen für politische Diskussionen zu liefern und die Entscheidungsfindung zu unterstützen.
Wie sieht eine nachhaltige Landwirtschaft aus? Bei Nachhaltigkeit denkt man zuerst an die ökologische Komponente. Aber auch ökonomische und soziale Faktoren müssen einbezogen werden. Die Bauernfamilien müssen mit ihrer Arbeit auch ein angemessenes Einkommen erzielen. Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte in Einklang zu bringen, ist eine Herausforderung.
Agroscope ist dem Bundesamt für Landwirtschaft angegliedert. Mit welchen Institutionen arbeiten Sie zusammen? Die Zusammenarbeit mit vielen Partnern aus Forschung und Landwirtschaft ist eng. Kooperationen bestehen beispielsweise mit der ETH Zürich und der EPFL Lausanne, den Universitäten Zürich, Basel, Bern, Lausanne, den Fachhochschulen für Agrarwissenschaften (HAFL) und für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (Fibl). Diese Liste ist nicht vollständig. Unsere diversen internationalen Kooperationen sind auf unserer Website in einer interaktiven Grafik aufgeführt.
Unterscheidet sich die Forschung in der Schweiz und im Ausland? Landwirtschaft ist immer auch regional geprägt. So unterscheiden sich beispielsweise die Voraussetzungen für den Weinbau in der Romandie, im Tessin und der Deutschschweiz in Bezug auf das Klima, den Boden und den Produktionsmethoden. Unser Ziel ist, dass wir die regionalen Forschungsresultate für die ganze Schweizer Land-
wirtschaft und bei Bedarf auch für internationale Kooperationen nützen können.
Welches sind Ihre wichtigsten Forschungsprojekte, die sich direkt auf die Ernährung fokussieren? Unser Slogan ist «Gutes Essen – gesunde Umwelt». Deshalb haben wir zahlreiche Projekte, die das Ernährungs- und Konsumverhalten erforschen. Landwirtschaft und Ernährung müssen zusammen betrachtet werden. Hier eine kleine Auswahl an Forschungsprojekten: • Humanstudien, teilweise mit Agroscope-in-
tern entwickelten Produkten, die den Einfluss von fermentierten Lebensmitteln auf die Gesundheit testen (siehe unten). • Ausgewogene Ernährung in Mensen: Wie unterscheidet sich das Angebot? Welches sind die Gründe dafür? • Fleischkonsum: Wie unterscheidet sich das Konsumverhalten in Abhängigkeit von Bildungsstand, Geschlecht, und Alter? • Kompetenzzentrum Rohmilchprodukte: Analyse der positiven Effekte von Rohmilchprodukten auf die menschliche Gesundheit. • Proteinverdaulichkeit von verschiedenen Lebensmitteln im Labor. Dazu hat Agroscope eine Methode entwickelt, die in der Ernährungsforschung aufwändige Versuche an Mensch und Tier reduzieren kann (1).
Wie wird Ihre Arbeit wahrgenommen? Das ist stark von der Zielgruppe abhängig. In der Landwirtschaft und der Käseproduktion sind Agroscope und seine Forschung enorm bekannt, da die Zusammenarbeit sehr intensiv ist. Auch in wissenschaftlichen Kreisen ist Agroscope dank der vielen nationalen und internationalen Kooperationen ein Begriff. Mit 1100 Mitarbeitenden sind wir eine der grössten Forschungseinrichtungen. In der Bevölkerung ausserhalb der Landwirtschaft und Forschung ist der Name Agroscope hingegen weniger bekannt. Obwohl unsere Projekte und Forschungsresultate in den gängigen Medien und auch in Wissenschafts- und Hintergrundsendungen immer wieder aufgegriffen werden, eignen sich viele der eher komplexen Themen nicht für grosse Schlagzeilen.
Wie wird sich Agroscope verändern? Die neue Standortstrategie beinhaltet eine Konzentrierung auf drei Hauptstandorte in Posieux (FR), Changins (VD) und Reckenholz (ZH). Einige bisherige Standorte werden auf-
28 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 3|2023
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gegeben oder kleiner weitergeführt. Neue, dezentrale Versuchsstationen kommen dazu. Das ermöglicht uns, die Kosten für die Infrastruktur zu senken und die freiwerdenden Mittel direkt in die Forschung einzusetzen. Welches sind Ihre Wünsche für die Zukunft? Bis 2028 möchten wir die Standortstrategie von Agroscope gemäss Planung umsetzen. In Zukunft wollen wir zudem noch stärker praxis orientiert arbeiten und unsere Anstrengungen in der Systemforschung verstärken. Problemstellungen werden wir über Fachgebiete hinaus im Gesamtsystem der Land- und Ernährungswirtschaft untersuchen – beispielsweise auch mit Bäuerinnen und Bauern sowie Konsumentinnen und Konsumenten. Ich hoffe, dass es uns gelingt, vermehrt gemeinsam in Ko-Kreation mit verschiedenen Partnern Lösungen für eine zukunftsträchtige Land- und Ernährungswirtschaft zu erarbeiten.
Zwei Projekte näher vorgestellt
Fermentation von Nahrungsmitteln Leitung: PD Dr. Guy Vergères, Funktionelle Ernährungsbiologie, Mikrobielle Systeme von Lebensmitteln. Durch Fermentation von Nahrungsmitteln entstehen oft die gleichen Metaboliten, die auch durch das Darmmikrobiom gebildet werden. Nun soll der gesundheitliche Nutzen fermentierter Produkte erforscht werden. Dazu wurden verschiedene Teilprojekte definiert. 1. Von den über 14 000 Bakteriellen Isolaten, die Agroscope besitzt, wurde das Genom von mehr als 1400 vollständig sequenziert. Davon wurden 180 Stämme getestet, um durch die Fermentation von Milch zu Joghurt neue ernährungsphysiologische Eigenschaften in die Milchmatrix einzuführen. Gewisse Bakterien besitzen die Eigenschaft, bioaktive, gesundheitsrelevante Substanzen zu produzieren, zum Beispiel Vit amine oder Indole, die einen günstigen Einfluss auf das Immunsystem haben können. 2. Die Europäische COST-Aktion «PIMENTO» will den Verzehr und die Produktion von fermentierten Produkten in der EU erfassen und kartografieren sowie den gesundheitlichen Nutzen untersuchen. Zudem werden die regionale Vielfalt und die lokale Produktion auf verschiedenen Ebenen erforscht, um europaweit die Innovation zu fördern (2). Agroscope spielt eine leitende Rolle in dieser COST-Action. 3. Welche fermentierten Nahrungsmittel die Schweizerinnen und Schweizer essen, wird mit Daten der menuCH, der ersten nationalen Ernährungserhebung, untersucht. Urinproben einer observationellen Studie, der Swiss Kidney Stone Cohort (SKSC), werden erfasst, um Biomarker zu identifizieren. Damit sollen, wie die Ernährung, insbesondere fermentierte Le-
bensmittel mit Faktoren der Gesundheit assoziiert werden können. 4. Agroscope führt zusammen mit Kliniken Interventionsstudien mit Probanden unterschiedlichen Alters und/oder mit unterschiedlichem BMI durch. Diese Studien erforschen den Impakt des Verzehrs verschiedener fermentierter Produkte, wie Milch, Käse oder Joghurt. Diese Messungen werden mit einer Analyse der Zusammensetzung des Darmmikrobioms komplementiert.
Abteilung Sozialökonomie Leitung: Stefan Mann, Dr. rer. pol. Dr. sc. agr. habil. Leiter der Arbeitsgruppe Sozioökonomie. Die Fragestellungen in der Landwirtschaft werden immer komplexer. Faktoren, wie die Klimaerwärmung, die veränderte Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten und das Problem des ökologischen Fussabdrucks müssen in die Forschung miteinbezogen werden. Es ist auch wichtig, das Konsumentenverhalten zu kennen, um die Entwicklung der Landwirtschaft rechtzeitig steuern zu können.
Veränderung von Ernährungsgewohnheiten, aufgeschlüsselt nach Generationen Begonnen hat das Projekt mit der Untersuchung der Daten aus der Haushaltbudgeterhebung von 1990 bis 2017, die das Kaufverhalten von einzelnen Haushalten erfasst. Die Auswertung der Langzeitdaten erlaubt die Beobachtung der Konsumveränderungen über eine längere Zeit. Aufgeschlüsselt auf das Verhalten von verschiedenen Generationen lassen sich auch Trends beobachten und Prognosen für die zukünftige Nachfrage erstellen. Einige Resultate: • Bohnen und Erbsen werden häufiger konsu-
miert, während sich bei der Trinkmilch ein umgekehrter Trend zeigt, hier findet sich kein Unterschied zwischen den Generationen. • Beim Fleischkonsum verhalten sich die Generationen unterschiedlich. Es wird mehr Geflügel gegessen, jedoch nicht von der jüngeren Generation.
Trends beim Fleischkonsum Der Fleischkonsum ist von besonderem Interesse, weil er stärker zum CO2-Fussabdruck beiträgt. Untersuchungen zeigen, dass der Fleischkonsum bei besser gebildeten Personen stärker sinkt. Bereits publiziert wurde eine Studie zum unterschiedlichen hohen Fleischkonsum von Frauen und Männern. Da zahlreiche Studien in unterschiedlichen Ländern zeigen, dass Männer doppelt so viel Fleisch essen wie Frauen, vermutete man lange, dass dieses Phänomen rein sozial bedingt sei. Eine Studie von Agroscope zeigt nun aber, dass sich der Fleischkonsum
über die Lebensalter verändert. Ein Unterschied zwischen den Geschlechtern beginnt schon mit etwa 4 Jahren, der Trend verstärkt sich mit der Pubertät, im Alter beginnen sich die Geschlechter wieder anzugleichen. Der Fleischkonsum entwickelt sich also parallel zu der Produktion männlicher Sexualhormone. Eine mögliche Schlussfolgerung ist, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen eine biologische Komponente haben (3).
Wer bestimmt den Einkaufsplan? Vor kurzem wurde die Studie fertig gestellt, die untersuchte, wer nach dem Zusammenzug von zwei Singles den Lebensmitteleinkauf bestimmt. Es sind zu 60% die Frauen.
Weitere Projekte Die Sozioökonomie ist ein weites Gebiet. In unserem Fachbereich beschäftigen sich andere Gruppen mit sozialen Faktoren der Landwirtschaft, z. B. mit der Alterssicherung. Eine weitere erarbeitet politische Prognosemodelle, die untersuchen, wie sich politische Entscheidungen, z. B. veränderte Direktzahlungen, aus wirken.
Agroscope in Zahlen (2022)
• 1111 Mitarbeitende • 944 Vollzeitstellen • 48% Frauen • 33 Lernende • 31 Praktikanten/innen • 67 Doktoranden/innen • 39 Postdoc • 1213 Vorträge und Poster • 799 praxisorientierte Publikationen • 592 wissenschaftliche Publikationen • 85 Betreute Dissertationen • 78 Betreute Semester-, Bachelor- und Masterar-
beiten • 1873 Lektionen (Universitäten, Fachhochschulen,
Berufsschulen und Kurse)
Barbara Elke
Referenzen: 1. www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/aktuell/
newsroom/2022/11-04_verdaulichkeit-von-proteinen.html 2. https://fermentedfoods.eu/ 3. https://link.ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46143
Eine interaktive Karte der internationalen Kooperationen finden Sie hier:
www.rosenfluh.ch/qr/agroscope-international
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