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Ursachen, Diagnostik, Therapiemöglichkeiten
Reizdarm – eine erweiterte Perspektive
Der Reizdarm, auch «irritable bowel syndrom» (IBS) genannt, ist eine sehr häufige Erkrankung. Sie führt zu eingeschränkter Lebensqualität für die Patientinnen und Patienten und zu hohen Kosten für das Gesundheitswesen. Das Verständnis für die Krankheit hat sich weiterentwickelt; so wird vor allem der gestörten Interaktion des Darms mit dem Gehirn eine wichtige Rolle bei der Pathogenese zugeschrieben. Die heutigen Kenntnisse haben auch die Wahl der Therapien erweitert.
Daniel Pohl
«Die Interaktionen
zwischen dem Darm und dem Gehirn sind
»besser erforscht.
Daniel Pohl
Das Verständnis der Pathophysiologie des IBS hat sich über die Jahre gewandelt. Postulierte man früher eine psychische Erkrankung und eine Motilitätsstörung als Hauptfaktoren, ist heute das Verständnis für die Krankheitsentwicklung differenzierter. Die Interaktionen zwischen dem Darm und dem Gehirn sind besser erforscht. Zahlreiche neuronale Verbindungen leiten Informationen vom Darm zum Gehirn. Bei einer Reihe neuroaktiver Substanzen spielt das Mikrobiom eine zentrale Rolle und damit auch die Ernährung. Andererseits kann auch das Gehirn die Zusammensetzung des Mikrobioms über das autonome Nervensystem modulieren, indem es die Darmmotilität, die intestinale Passage, die Sekretion und die Darmpermeabilität beeinflusst (1). Auch immunologische Vorgänge spielen bei diesem hochkomplexen System eine Rolle. Der Reizdarm gehört zu den funktionalen gastrointestinalen Störungen (functional gastrointestinal disorder FGID), die allerdings nach den heute gültigen ROME IV-Kriterien «Störungen der Interaktion zwischen Darm und Gehirn (Disorders of gut brain interaction DGBI) genannt werden (2, 3).
Diagnose-Kriterien ROME-IV
Das Reizdarmsyndrom ist eine häufige chronische Erkrankung des Gastrointestinaltraktes. Wie häufig, ist regional unterschiedlich und hängt von der Definition ab. In der Schweiz leiden ca. 7% der Bevölkerung daran (nach ROME-III-Kriterien 9,2%, nach Rome-IV-Kriterien 3,8%) (4).
Die Krankheit führt zu eingeschränkter Lebensqualität für die Betroffenen und zu hohen Kosten für das Gesundheitswesen (5, 6). Es findet sich ein hoher Anteil an psychiatrischer Komorbidität. Je nach Untersuchung leiden von den Patienten mit IBS 15–48% an somatoformen Störungen, Angststörungen und Depressionen. Die geltenden Diagnosekriterien der IBS wurden in ROME IV definiert (7). Die Beurteilung der Stuhl beschaffenheit erfolgt immer noch anhand des Bristol Stool Form Scale, der sieben Formen von sehr hartem bis wässrigem Stuhl unterscheidet (8). ROME IV beurteilt beim IBS die verschiedenen Formen des IBS • IBS-A mit alternierender Stuhlform • IBS-C mit Constipation • IBS-D mit Diarrhö • IBS-M gemischte Form nicht als unabhängige Störungen, sondern als Kontinuum, denn die Symptome können bei den Patienten während des Krankheitsverlaufs auch wechseln (2, 3). Der diarrhoische und der gemischte Typ sind bei uns am häufigsten. Nach der Diagnose bleiben die Symptome häufig über einige Jahre bestehen. Eine Untersuchung zeigte, dass 7 Jahre nach der Diagnosestellung des IBS noch immer 55% daran leiden. Bei einigen ändern sich die gastrointestinalen Symptome; nur bei etwa einem Viertel werden die Symptome besser oder verschwinden (9, 10).
Genetik und soziales Lernen
ROME IV Diagnose-Kriterien
• Rezidivierende abdominale Schmerzen mindestens während eines Tages pro Woche in den letzten 3 Monaten
• Die Schmerzen müssen 2 der folgenden Kriterien auf weisen:
– treten beim Stuhlgang auf – assoziiert mit einer veränderten Stuhlfrequenz – assoziiert mit einem veränderten Aussehen des Stuhls
Ob sich ein IBS entwickeln kann, ist auch von genetischen Komponenten abhängig. In einer Studie fanden sich bei 34% der IBS-Patienten Angehörige, die ebenfalls an IBS erkrankt sind, jedoch nur 13% bei der Kontrollpopulation (11). Je näher verwandte Personen erkrankt sind, desto h öher ist das Risiko, ebenfalls an IBS zu erkranken (12). Eineiige Zwillinge entwickeln in 22,4% beide das Krankheitsbild IBS, zweieiige Zwillinge nur in 9,1%. Diese Untersuchung zeigt, dass eine genetische Komponente vorhanden ist, aber wei-
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tere Faktoren ebenfalls eine Rolle spielen müssen (13). Dass auch das soziale Lernen eine wichtige Rolle spielt, zeigt die Tatsache, dass die Chance, an der Krankheit zu erkranken, gleich hoch ist, wenn die Mutter von IBS betroffen oder ein eineiiger Zwilling (14), obwohl man nur die Hälfte der Gene mit der Mutter teilt. Auch wenn in einer Familie die Schmerzthematik eine grosse Rolle spielt, also häufig über Schmerzen gesprochen wird, kann dies das Entstehen eines IBS begünstigen (15).
Trigger-Infektionen
Häufiger Auslöser eines IBS sind Infektionen des Magen-Darm-Trakts. Studien konnten zeigen, dass beispielswiese nach lokalen Infektionen, ausgelöst durch die Kontamination der Trinkwasserversorgung, später trotz Abheilung der Infektionen deutlich mehr Menschen die Kriterien für ein Reizdarmsyndrom erfüllten, als Bewohner von ähnlich beschaffenen Orten, die nicht von einer Infektion betroffen waren (16).
Symptome-Trigger Nahrungsmittel?
Etwa 20–25% der Normalbevölkerung geben Nahrungsmittelunverträglichkeiten an. Gastrointestinale Beschwerden sind bei 30–50% das Hauptproblem. Bei den Patienten mit IBS geben 60–90% an, dass sich bei bestimmten Nahrungsmitteln die Symptomatik verschlechtert oder erst entsteht. Häufig genannt werden beispielsweise Milchprodukte, Hülsenfrüchte, Weizen und/oder fetthaltige Speisen (17). Ein wichtiger Symptomtrigger sind fermentierbare Kohlenhydrate, sogenannte FODMAP’s*1. Eine tatsächliche Nahrungsmittelallergie ist dabei selten vorhanden. Das Konzept der FODMAPs hat sich in wenigen Jahren durchgesetzt. Die aufgenommenen FODMAPS sollen im Dünndarm vorverdaut und in kürzere Ketten zerteilt werden. Verschiedene Faktoren bestimmen die Absorption dieser kurzkettigen Kohlenhydrate. So spielt die Aktivität der Enzyme eine Rolle. Ohne Laktase wird beispielsweise der Milchzucker nicht im Dünndarm aufgenommen, sondern weiter distal fermentiert. Die Fruktoseresorption erfolgt mittels eines Glukose-abhängigen Transportsystem; die Aufnahme von Fruktose ist also abhängig von der gleichzeitig aufgenommenen Menge Glukose. Eine wichtige Rolle für die Absorption spielen auch die Transitzeit und der Zustand der Darmmukosa. Werden die Kohlenhydrate im Dünndarm ungenügend aufgenommen, kommt es distal zu einem osmotisch bedingten Wasseranstieg und zur Gasproduktion durch die Fermentation. Neuroimmunologische und endokrine Faktoren können eine lokale Reaktion mit einer veränderten Barrierefunktion des Darmepithels im betroffenen Darmsegment verursachen. Dies kann bei einer Hypersensitivität schliesslich zu gastrointestinalen Symptomen führen (18). Durch viszerale Hypersensitivität, immunologische und endokrine Faktoren kann schliesslich eine Entzündung mit einer veränderten Barrierefunktion des Darmepithels im betroffenen Darmsegment entstehen.
Wie sich der Konsum von Laktose bei einem Laktasemangels auswirkt, wurde in einer Studie in China untersucht, wo die meisten im Erwachsenenalter eine geringe Aktivität der Laktase im Dünndarm aufweisen. Patienten mit IBS-D und gesunden Kontrollen wurden unterschiedlichen Mengen Laktose verabreicht. Um die Malabsorption der Laktose zu bestimmen, wurde neben genetischer Testung das H2 in der Atemluft bestimmt, das durch die Fermentation der unverdauten Laktose entsteht, auch wurde nach den Symptomen gefragt. IBS-D-Patienten und Kontrollen zeigten bei einer grossen Menge Laktose von 40 g eine Malabsorption im Atemtest in 93% resp. 92%, bei 10 g Laktose in 42% resp. 35%. Patienten mit IBS-D berichteten häufiger über Laktoseintoleranz-Symptome (LI) als Gesunde, bei 40 g Laktose 85% versus 73%, bei 10 g 18.3% versus 3,3%. IBS-D-Patienten nahmen deswegen auch weniger Milchprodukte zu sich. Daraus wurde gefolgert, dass zwar das Risiko von Symptomen der LI zwar auch von der Laktosemenge und der Gasproduktion abhängig ist, die IBS-D Patienten aber deutlich häufiger von Symptomen der LI berichteten, unabhängig von der vorhandenen Malabsorption (19).
Diagnostik der IBS
Bei Verdacht auf ein IBS muss eine sorgfältige Ana mnese gemacht werden. Folgende Befunde gelten als «Red Flags» und bedingen sorgfältige Abklärungen: • Symptombeginn nach dem 50. Lebensjahr • Gewichtsverlust • Familienanamnese für kolorektales Karzinom,
Ovarialkarzinom, chronisch entzündliche Darmerkrankung • Blutungen aus dem Anus • nächtliche Symptome • Fieber. Bei allen Patienten über 50 Jahren sollte zwingend ein Kolonkarzinomscreening mittels Koloskopie gemacht werden. Im Labor sollte nach einer Anämie, Leukozytose und einem erhöhten CRP gesucht werden, sowie nach abnormen Chemiewerten. Ein positiver Nachweis von Blut im Stuhl ist ebenfalls ein potenzielles Warnzeichen. Dringend zu empfehlen sind auch Biopsien der Darmschleimhaut; bei IBS ohne Obstipation ist eine Koloskopie zum Ausschluss einer mikroskopischen Colitis oder chronisch entzündlichen Darmerkrankung bereits früher sinnvoll. In seltenen Fällen können weitere Untersuchungen beim Spezialisten indiziert sein. Bei Patientinnen muss immer eine gynäkologische Abklärung durchgeführt werden. Auch wenn das Ovarialkarzinom selten ist, werden andererseits 80% der Ovarialkarzinome primär als Reizdarm beurteilt (20).
Zöliakie – bereits unter glutenfreier Ernährung
Eine Zöliakie sollte immer ausgeschlossen werden. Manchmal besteht aber das Problem, dass zwar eine Zoeliakie vermutet und eine Diät eingehalten wird,
*1 fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide and Polyole
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Pflanzliche Mittel
Abbildung: die verschiedenen Stadien der Krankheit mit empfohlenen Therapieansätzen von peripher zu zentral. ©Daniel Pohl, USZ
die Diagnose aber nie bestätigt wurde. Besonders bei jungen Patienten sollte die Diagnose verifiziert werden, um nicht unnötigerweise lebenslange Diätvorschriften zu verordnen. Dazu ist eine Reexposition mit Gluten nötig. Laut der aktuellen Leitlinie (21) soll dafür während 3 Monaten 10 g Gluten täglich gegeben werden; für Betroffene kann es eine Herausforderung sein, täglich 4 Stück Brot zu essen. Eine frühere Studie (22) zeigte, dass man bereits nach 2 Wochen mit 3 g Gluten einen signifikanten Unterschied zwischen Personen mit und ohne Zöliakie feststellen kann, mittels Bestimmung der Transglutaminase-AK und einer Biopsie der Darmschleimhaut. Starten sollte man bei einer Glutenreexposition auf jeden Fall mit kleinen Mengen, weil sonst die Gefahr für schwere Nebenwirkungen besteht.
Therapiekonzept bei IBS – allgemeine Massnahmen
Das Therapiekonzept (Abbildung) gibt einen Überblick über die Therapien bei verschiedenen Stadien der IBS. Wichtig ist es, eine stabile Arzt-Patienten-Beziehung zu etablieren. Die Ängste des Patienten müssen ernst genommen werden. Man sollte ihm nicht vermitteln, dass er «nichts» hat, sondern dass es sich um eine benigne Krankheit mit einer guten Prognose handelt, deren Behandlung aber langwierig sein kann. So müssen realistische Ziele gesetzt werden, um Frustrationen zu vermeiden (23, 24). Eine Ernährungsberatung, z. B. mit einer FODMAP- Therapie ist bei Blähungen und Schmerzen zu empfehlen. Mit allen Patienten sollte grundsätzlich eine Modifikation des Lebensstils, eine Verbesserung der Ernährung und ein Stressmanagement besprochen werden. Zusätzlich hilft der Ratschlag, sich körperlich ausreichend zu bewegen. Eine Studie hat nachgewiesen, dass eine moderate körperliche Aktivität 3- bis 5-mal wöchentlich während 12 Wochen die Symptome deutlich verbessern kann (25).
Pflanzliche Mittel sind zu Recht beliebt bei der initialen Behandlung eines IBS. Wir starten meist mit Sterculia-Derivaten oder Iphagula, um durch Wasserbindung bei diarrhöebetontem Reizdarm die Stuhlkonsistenz zu festigen oder bei leichter Obstipation zu erweichen (26, 27). Nicht sinnvoll ist es, Patienten, speziell mit Blähungen und Bauchschmerzen eine allgemein als «gesund» wahrgenommene Vollkornkost zu empfehlen, da diese die Symptome verstärken kann. Auch verschiedene Phytotherapeutika werden eingesetzt. Nicht bei allen konnte in einem plazebokontrollierten Versuch eine Verbesserung der Symptome nachgewiesen werden. Besser als Plazebo wirkte Menta peperita (Pfefferminze) (28). Eine kontrollierte Studie wurde an 208 Patienten mit IBS mit einer Mischung von 9 Heilpflanzenextrakten (Iberogast®) gemacht. Hier konnte nach 4 Wochen eine signifikante Besserung des abdominalen Symptomenscores gezeigt werden (29). Auch Carmentin, ein Kombipräparat aus Kümmel und Minze (Menthacarin®), wurde in verschiedenen Studien untersucht. Eine Metaanalyse zeigte, das Carmentin bezüglich Schmerzreduktion wirksamer ist als Placebo und gleich wirksam wie das Prokinetikum Cisaprid (30).
Weitergehende medikamentöse Therapien
Stehen Schmerzen im Vordergrund, können Spasmolytika eingesetzt werden. Eine positive Wirkung ist in Studien nachgewiesen; diese sind in der Cochrane Database zusammengefasst (26). Viele Medikamente sind aber älter und haben Nebenwirkungen bei eingeschränkter Hauptwirkung. Wir setzen sie deshalb nicht oft ein. Bei schwerer Constipation kann man Sekretagoga, Linclotid, anwenden. Das sehr potente Medikament kann bei nicht Obstipierten zu Durchfall führen, ist sonst aber gut verträglich. Im Verlauf der Therapie werden auch die Schmerzen günstig beeinflusst, wie eine Metaanalyse bestätigen konnte (31). Bei IBS-D kann eine Malabsorption von Gallensäure die Ursache sein. Dies ist eher selten und muss vorher nachgewiesen werden, was recht aufwändig ist. Steht die Diagnose fest, können Gallesäurebinder helfen, die Nebenwirkungen sind gering, nur ist die Einnahme unangenehm (32). Anders als in der Packungsbeilage beschrieben, man solle die Therapie eher abends, nicht mit den Mahlzeiten geben. Bei einer diagnostizierten Fehlbesiedelung des Dünndarms kann eine Therapie mit einem nicht resorbierbaren Antibiotikum (Rifaximin) in Betracht gezogen werden. Im Vergleich zu Plazebo zeigt sich während eines Follow-up von 10 Wochen eine Besserung der allgemeinen Symptome und eine Reduktion der Blähungen. In der Schweiz wird das Medikament nicht erstattet. Falls eine bakterielle Fehlbesiedelung mittels Atemtest oder Jejunalapsirat nachgewiesen wurde, ist eine Kostengutsprache durch die Krankenkasse meist erfolgreich (33, 34).
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Viszerale Analgetika, oder «Neuromodulatoren», sind ein entscheidender Bestandteil der Therapie vor allem bei mittelschweren bis schweren IBS. Sehr gut wirken ältere Antidepressiva wie Amitriptilin (26, 35). Wir setzen es in einer tiefen Dosierung von 10 mg auf die Nacht ein und geben es mindestens 6 Wochen, um ein Ansprechen zu beurteilen. Da Antidepressiva bei vielen Patienten mit Vorurteilen behaftet sind, sollte man den Patienten erklären, dass ein IBS eine Störung der Nerven des Gastrointestinaltrakts beinhaltet und diese Medikamente Neuromodulatoren sind, aber eben früher nur als «Antidepressiva» zugelassen wurden.
Verhaltenstherapien
Verhaltenstherapien können jederzeit zum Einsatz kommen. So zeigte eine randomisierte, kontrollierte, prospektive Studie mit 90 therapierefraktären IBS-Patienten, dass eine 12-wöchige Hypnosetherapie erfolgreicher war als eine gleich lange dauernde ärztliche Konsultation (37). Direkt nach der Behandlung verbesserten sich 61% der Patienten, im Vergleich zu 41% in der Kontrollgruppe. Nach 15 Monaten war der Erfolg noch grösser, so verbesserten sich die Symptome bei 54% in der Versuchsgruppe und 25% bei den Kontrollen. Ob man Entspannungstechniken, bauchzentrierte Hypnose, Stressmanagement, Mindfulness (Achtsamkeit) oder eine kognitive Verhaltenstherapie bzw. dynamische Psychotherapie in die Wege leitet, ist auch abhängig vom Beschwerdemuster und der Motivation des Patienten. Eine internationale, interdisziplinäre Arbeitsgruppe (Rome working group) hat Studien zu verschiedenen Verhaltenstherapien IBS zusammengestellt, ihre Wirksamkeit diskutiert und kürzliche eine Empfehlung zu den sogenannten «Brain-gut-behavior therapies» zusammengestellt (37). Diese Therapien sind vor allem erfolgsversprechend bei Patienten, die ihre Diagnose einer DGBI akzeptiert haben, das Modell einer polymodalen Behand-
lung verstehen und bemüht sind, ihre Coping-Strategien zu verbessern. Schwieriger ist die Behandlung bei mangelnder Motivation oder Komorbiditäten wie einer Persönlichkeitsstörung oder Essstörung. Wenig erfolgsversprechend ist die Therapie bei Patienten, die auf eine Heilung fokussiert sind, keine Zeit haben oder bei denen eine schwere Psychopathologie oder ein aktiver Substanzabusus vorliegt.
Zusammenfassung
• Der neue Name Störung der Darm-Hirn-Interaktion (disorders of gut-brain interaction, DGBI) weist auf die Wichtigkeit der Beziehung zwischen zentralem und intestinalem Nervensystem hin.
• Nahrungsmittel sind ein wichtiger Symptomtrigger. Eine strukturierte medizinische Abklärung ist wichtig bei der Beurteilung eines allfälligen IBS.
• Allgemeinmassnahme wie Patientenedukation, Nahrungsanpassung, ausreichend körperliche Bewe gung sowie Basistherapie mit wasserlöslichen Faserstoffen und pflanzlichen Medikamenten bilden die Basis einer IBS-Behandlung.
• Die Stufentherapie zeigt verschiedene on- und off-label Therapieoptionen. • Alternative Therapiemethoden sind vielversprechend und breit verfügbar. • Entscheiden ist die Motivation der Betroffenen. • Leitlinien (2021) zum Reizdarm:
www.rosenfluh.ch/qr/reizdarm-leitlinien (QR-Code)
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Daniel Pohl UniversitätsSpital Zürich Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie Leiter Funktionsdiagnostik Leiter Standort Gastroenterologie Flughafen Rämistrasse 100 8091 Zürich E-Mail: daniel.pohl@usz.ch www.gastroenterologie.usz.ch
Referenzen in der Online-Version des Beitrags unter www.sze.ch
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