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MIKROBIOM
Psychische Symptome und körperliche Erkrankungen
Wie Ernährung die Psyche beeinflusst
«Mir liegt etwas auf dem Magen.» Zwischen Gefühlen und dem Darm wurde bereits vom Volksmund ein Zusammenhang hergestellt. Von Hippokrates ist der Ausspruch überliefert: «Der Darm ist der Vater allen Trübsals.» Neben der Erforschung von neuen medikamentösen und psychotherapeutischen Ansätzen in der Psychiatrie widmen sich die Universitären Psychiatrischen Universitätskliniken (UPK) in Basel der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Darm und Gehirn und damit der Rolle der Ernährung bei psychischen Erkrankungen. Prof. Undine Lang, Klinikdirektorin in den UPK Basel, erläuterte an der SGETagung einige faszinierende Zusammenhänge zwischen Ernährung und Psyche.
Viele Menschen glauben, dass sich die Psyche nicht im Materiellen abspielt, quasi ohne Kör per. Doch psychische Erkrankungen betreffen den ganzen Körper. So gehen somatische Krankheiten einerseits in der Regel mit psychi schen Symptomen einher, andererseits haben psychische Krankheiten einen Einfluss auf die Entstehung von körperlichen Erkrankungen. Oft bleibt unklar, ob ein kausaler Zusammen hang besteht oder ob gewisse Risikofaktoren gleichzeitig somatische und psychische Krank heiten auslösen.
Depression und körperliche Krankheiten
schen Krankheiten. Weiter werden erhöhte Werte für Parameter gemessen, die mit der Entwicklung einer Neurodegeneration assozi iert sind (1). Tatsächlich ist das Auftreten von Krebs, Demenz, Diabetes oder kardiovaskulä ren Erkrankungen bei einer Depression er höht. Bei somatischen Grundkrankheiten fin det sich ebenfalls häufiger eine Depression: bei etwa 30% der Schlaganfallpatienten, bei 40 bis 50% der Krebspatienten, 40% der Herzinfarkt patienten. Die Behandlung der Depression verbessert die Prognose der körperlichen Er krankung (2).
Depression und Diabetes
Bei einer Depression kommt es zu verschiede nen Auswirkungen auf den Körper, die das Entstehen weiterer somatischer Krankheiten begünstigen können. So werden Stresshor mone erhöht ausgeschüttet, was bei kardio vaskulären Erkrankungen eine Rolle spielt. Zudem sind die Entzündungsparameter wie TNF-a and Interleukin 6 erhöht, diese begüns tigen das Entstehen einer Reihe von chroni
*Sinergia, eine Initiative des Schweizerischen Nationalfonds, fördert die Zusammenarbeit von 2 bis 4 Forschungsgruppen, die interdisziplinär und mit Aussicht auf bahnbrechende Erkenntnisse arbeiten (breakthrough research). In der Sinergia-Studie unter der Leitung von Prof. Dagos Inta, die mit 2,4 Millionen Franken finanziert wird, wird in Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten aus verschiedenen Ländern, im Mausmodell und bei Patienten die Rolle neuroplastischer und neuroinflammatorischer Mechanismen auf die Entstehung von Depressionen untersucht. Ausserdem wird der therapeutische Nutzen einer kohlenhydratarmen Diät auf unterschiedliche krankheitsasso ziierte Parameter evaluiert.
Adipositas begünstigt sowohl einen Diabetes als auch eine Depression. Bei vorliegender De pression ist beim Diabetes der Blutzucker häu figer schlechter eingestellt. Wenn man aller dings die Depression behandelt, verringern sich die Komplikationen des Diabetes wie Po lyneuropathie und Erblindung signifikant, die Mortalität sinkt (2). Einige Antidepressiva spielen eine Rolle für den Metabolismus. Bei Antidepressiva vom Typ Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnah mehemmer kann es zu Übelkeit und Appetit verlust sowie zu Gewichtsabnahme kommen. Andere Medikamente, beispielsweise Amitrip tylin und Trimipramin, führen eher zu einer Gewichtszunahme.
Informationen vom Darm ins Gehirn
Der Darm beeinflusst das Gehirn stärker als bisher gedacht. 90% der Informationen fliessen vom Darm ins Gehirn und nur 10% vom Ge hirn in den Darm. Wie unterschiedlich das Ge hirn auf verschiedene Stoffe reagiert, zeigte folgender Versuch (3). Mit einer Sonde wurde gesunden Probanden entweder Fruktose, Glu kose oder Plazebo in den Dünndarm gegeben,
ohne dass diese wussten, was sie erhielten. Glu kose führte zu einem stärkeren Anstieg der Plasmaglukose und dann von Insulin. Zudem kam es zu einem stärkeren Sättigungsgefühl mit einer geringeren anschliessenden Nah rungsaufnahme im Vergleich zu Fruktose. So gar im Vergleich zu Plazebo kommt es bei Fruktose zu einer geringeren Sättigung, somit ist anschliessend die weitere Nahrungsauf nahme nicht gebremst (3). Die Aktivierung unterschiedlicher Hirnareale nach Glukoseoder Fruktosegabe konnte im MRI visualisiert werden. Zucker kann Endorphine freisetzen. Es gibt Patienten, die unter einer Art Zuckerabhängig keit leiden. Zucker wirkt ähnlich wie Opiate. Nicht selten sehen wir bei Patienten, die eine Abhängigkeit, zum Beispiel von Kokain oder Alkohol, überwunden haben, dass sie plötzlich sehr viel Zucker zu sich nehmen. Bariatrische Operationen haben viele positive Effekte bei ausgeprägter Adipositas. Die Pati enten verlieren Gewicht, bewegen sich mehr, das Risko für Diabetes und kardiovaskuläre Krankheiten sinkt. Doch gewisse Patienten klagen, dass sie auf manche Nahrungsmittel keine Lust mehr verspüren. Sie mögen oft kei nen Zucker mehr essen. Zudem kann die Stim mung beeinträchtigt sein, und zwar so stark, dass sogar die Suizidalität ansteigt. Man ver mutet, dass die Ursache die veränderte Über tragung von Informationen vom Darm ins Ge hirn ist. Man weiss inzwischen, dass die Mikrobiota bei der Stimmung, der Kognition, dem Schmerz und der Regulation des Körpergewichts eine Schlüs selrolle spielt. Informationen gelangen vom Darm über neuronale, humorale, metabolische und immunologische Wege ins Gehirn (1).
Mikrobiom produziert Neurotransmitter
Die Bakterien bilden Neurotransmitter wie Serotonin, GABA und Acetylcholin. GABA ist ein Neurotransmitter, der eher Angst erzeugt, Acetylcholin spielt eine Rolle beim Gedächtnis und bei kognitiven Funktionen, Noradrenalin ist für den Antrieb zuständig, Serotonin für die Stimmung. Dopamin steuert die Motivation, teilweise den Antrieb, kann aber auch zu einer Überstimulation und im Extremfall zu einer Psychose führen. Serotonin ist ein wichtiger Botenstoff in der psychopharmakologischen Therapie der De
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pression. Der Darm ist ein bedeutender Sero toninspeicher, 90% des Serotonins finden sich hier. Eine Anwendung für die Psychiatrie könnte sein, dass die Bakterien für uns rele vante Neurotransmitter produzieren (1). Es gibt viele Möglichkeiten zur Interaktion. Wichtig ist das vagale Nervensystem. Während der Vagus eher beruhigend wirkt, ist sein Ge genspieler, der Sympathikus, aktivierend und in Stresssituationen oder bei Angststörungen. Man erforscht die Stimulation des Vagusnervs bei Depressionen. Möglich wäre eine indirekte Stimulation über den Darm. Allerdings steht die Forschung hier noch am Anfang.
Mikrobiomtransfer als Therapie?
Da die Bedeutung des Mikrobioms für das Ge hirn immer deutlicher wird, versucht man das therapeutisch zu nutzen. 3 Ansätze sollen hier besprochen werden: der Transfer von Mikro biom, die Gabe von Probiotika und eine spe zielle Ernährung. Eine kleinere Studie zum Mikrobiomtransfer erzielte beim Menschen positive Effekte bei Autismus (4). Eine Studie an Mäusen zeigte, dass der Stuhl transfer von depressiven auf keimfreie Mäuse depressive Symptome auslösen kann, nicht hingegen beim Stuhltransfer von gesunden Mäusen (5). Eine Dysbiose kann also eine De pression auslösen. So wurde an den UPK eine Studie zu einem Stuhltransfer bei Patienten mit Depression geplant (6). Da es beim Stuhltrans fer allerdings bei schwer kranken Patienten mit Clostridium-difficile-Infektionen in den USA im Verlauf zu Todesfällen kam, hat man sich entschlossen, die Studie abzubrechen (6).
Helfen Probiotika?
Depressive Menschen haben ein verändertes Mikrobiom, gewisse Bakterienspezies sind er höht, andere erniedrigt (1). Bisher wurden einige Studien mit Probiotika bei Depression
oder Angstsymptomen durchgeführt. Einige kleinere Studien zeigten positive Wirkungen (7–10). In den UPK wurde dazu ebenfalls eine Studie begonnen. 60 mittel- bis schwer depressive Patienten erhielten zusätzlich zur Standardthe rapie ein Präparat mit verschiedenen Pro biotika (Vivomixx®) oder ein Plazebo während 30 Tagen (11, 12). Bei der Probiotikagruppe besserte sich die Symptomatik etwas stärker als in der Plazebogruppe. Und in der Probiotikagruppe beurteilten die Probanden in Tests neutrale Gesichter eher als freundlich und negative eher als neutral, dies zeigte, dass sich die Bewertung von Gesichtern ins Positive verändert hatte. Weiter verbesser ten sich die kognitiven Fähigkeiten (11, 12).
Ernährung und psychische Krankheiten
Es gibt einige Studien, die den Einsatz von Vit aminen und Mikronährstoffen bei psychischen Erkrankungen untersucht haben. Die Daten sind noch zu gering, um eine Aussage machen zu können. Im klinischen Alltag achten wir al lerdings bei unseren Patienten auf potenz ielle Mangelzustände, zum Beispiel Vitamin- oder Eisenmangel, und substituieren den Mangel. Auch in der Psychiatrie wird die Rolle der Er nährung zunehmend anerkannt, wie das in der Kardiologie oder der Gastroenterologie schon früher der Fall war (13). Einige Studien haben gezeigt, dass vor allem die mediterrane und die japanische Diät das Depres sionsrisiko senken. Viele Zahlen stammen aus Kohortenstudien, die im Rahmen der Diabetes forschung bei Hunderttausenden von Menschen über viele Jahre durchgeführt wurden. Zu vega ner und vegetarischer Diät gibt es kleinere Stu dien, die eine positive Tendenz zeigten. Eine grössere prospektive Ernährungsstudie wurde in Australien durchgeführt, die soge nannte SMILES-Studie. 67 Patienten mit einer
schweren Depression erhielten zusätzlich zur Standardtherapie entweder personalisierte Er nährungsempfehlungen, basierend auf einer mediterranen Diät, oder konnten an regelmäs sigen Treffen zur sozialen Unterstützung teil nehmen. Nach 12 Wochen zeigte die Gruppe mit Ernährungsberatung eine signifikante Ver besserung ihres Outcomes (14). Dank eines SINERGIA-Grants* von Prof. Dragos Inta (siehe Kasten), der mittlerweile an der Universität Fribourg forscht und lehrt, konnte in den UPK eine interdisziplinär an gelegte Studie zum Einsatz einer eiweissrei chen Diät bei D epressionen starten.
Ganzheitliche Ansätze und Prävention
Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes wird an den UPK versucht, bei psychischen Erkrankun gen neben der Standardtherapie andere unter stützende Therapien einzubeziehen und ihre Wirksamkeit zu beforschen. Es wird darauf ge setzt, nicht nur Symptome zu bekämpfen, son dern Ressourcen zu stärken. Faktoren, die bei der Entstehung von Depressionen eine Rolle spielen, können dann in der Behandlung entscheidend sein: Ernährung, körperliche Gesundheit, Be handlung von körperlichen Erkrankungen, Schlaf, Beziehungen, Achtsamkeit, Kontakt zur Natur, Arbeit, körperliche Bewegung.
Barbara Elke
Quelle: Fachtagung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE, «Mikrobiom – Entdeckungsreise im Paralleluniversum Darm», Bern 2. September 2022. Prof. Dr. Undine Lang: Die Hirn-Darm-Achse bei psychiatrischen Erkrankungen. Korrespondenzadresse: Prof. Dr Undine Lang Klinikdirektorin der Klinik für Erwachsene und Privatklinik Universitäre Psychiatrische Kliniken Wilhelm-Klein-Strasse 37 4002 Basel E-Mail: undine.lang@upk.ch Internet: https://www.undinelang.ch/
Referenzen auf www.sze.ch einsehbar
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