Transkript
MIKROBIOM
Ein Schlüsselelement zwischen Ernährung und Gesundheit
Die gastrointestinale Mikrobiota
Fotos: zVg
Guy Vergères, Ueli Bütikofer
Eine wachsende Zahl von Firmen bietet den Konsumentinnen und Konsumenten über Internet und soziale Medien eine Analyse ihrer gastrointestinalen Mikrobiota (GIM) an, das heisst einen Katalog der verschiedenen Darmmikroben. Diese Resultate werden verwendet, um den Kun dinnen und Kunden eine personalisierte und gesundheitsfördernde Ernährung zu empfehlen. Wie zuverlässig sind aber die wissenschaftlichen Grundlagen für solche Dienstleistungen?
Unser Gastrointestinaltrakt wird von einer mikro biellen Population besiedelt, die aus mehr als 1014 Ein heiten je Gramm Kot besteht, die Tausenden verschie dener Arten angehören, die ihrerseits zu den grossen phylogenen Gruppen der Parasiten, Pilze, Bakterien, Viren und Phagen gehören. Bakterien sind die am besten charakterisierten Mikroorganismen der GIM, und ihre Anzahl steigt entlang des Magen-DarmTrakts deutlich an, von 102 bis 103 je Gramm im Ma gen auf 109 bis 1012 je Gramm im Dickdarm. Die Zu sammensetzung der GIM und damit ihre Funktion variieren ebenfalls in «Längsrichtung», wobei der Magen durch die angereicherte Präsenz der Familie Lactobacillaceae gekennzeichnet ist, während viele andere Gattungen (Bifidobacterium, Bacteroides, Clostridium, Escherichia …) die unteren Abschnitte des Darms (Ileum, Kolon) besiedeln (1).
Vielfältige funktionelle Eigenschaften
Viel mehr als ihre Zusammensetzung sind die funk tionellen Eigenschaften der GIM, also ihr Beitrag zur menschlichen Physiologie, relevant. Eine Analyse des Genoms dieser Bakterien (d. h. des Mikrobioms) durch die Annotation der von diesem Genom kodier ten Enzyme zeigt, dass die GIM eine enorme Stoff wechselkapazität besitzt. Diese Vielfalt ermöglicht es den GIM-Bakterien, sich in der ökologischen Nische des Darms anzusiedeln, insbesondere durch die Nut zung verschiedener Kohlenstoffquellen und anderer Verbindungen, die sie für ihr Wachstum benötigen (z. B. Vitamine), sowie durch die Produktion von Metaboliten, die ihre Interaktion mit der Darmumge bung fördern (z. B. Exopolysaccharide) (2). Die meta bolische Kapazität des GIM ist durch das Gesamtgenom gekennzeichnet, das für Tausende von Enzy men codiert, die zahlreiche chemische Reaktionen durchführen können. Die GIM verfügt auch über andere strukturelle Schlüsseleigenschaften. Einerseits besteht das Ge samtgenom aus einem Kerngenom, das von der Mehr
heit der Bakterien geteilt wird, andererseits gibt es grosse interindividuelle Unterschiede, da eine grosse Anzahl von Enzymen nur von einem Teil der Bakte riengenera codiert wird (3). Diese Eigenschaften er möglichen es der GIM, eine breite metabolische Aktivität zu entfalten, die diejenige des menschlichen Organismus bei Weitem übersteigt (3). Im Zusam menhang mit dieser Vielfalt haben sich Wissenschaft ler die Frage gestellt, ob es ein universelles Mikrobiom gibt oder zumindest ein universelles «Kernmikro biom». Dieses scheint von Bakterien aus der Abteilung (Phylum) der Firmicutes geprägt zu sein. Das Gesamtmikrobiom wird durch Umweltparameter beeinflusst und ergänzt (Stadt, Land, Alter, Stress, Krankheiten, Medikamente, ethnische Herkunft, Lebensstil, Ernährung) (4). Diese Faktoren verändern das Gleichgewicht der GIM, insbesondere ihre Vielfalt zwischen kommensalen Mikroorganismen, die für die menschliche Gesundheit förderlich sind, sowie sol chen, die schädlich sind (5).
Einfluss der Ernährung auf das gastrointestinale Mikrobiom
Das erste offensichtliche Phänomen, das die Wechsel wirkung zwischen Ernährung und GIM hervorhebt, ist die Entwicklung der GIM bei Neugeborenen. Während Säuglinge mit einer praktisch nicht vorhan denen GIM geboren werden, kommt das Neugebo rene bei der Geburt mit der Umwelt in Kontakt, zu der auch die verschiedenen Mikroorganismen der Mutter (Vagina bei vaginaler Geburt, Haut, Muttermilch usw.) gehören. Der Einfluss der Muttermilch auf die GIM von Babys ist ein spektakuläres Beispiel für die Modulation der GIM durch die Ernährung. Muttermilch spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung der GIM des Kleinkindes, da sie spezielle Oligosaccharide enthält, die als spezifische Wachs tumsquelle für Bifidobakterien dienen. Bifidobakterien sind eine Bakteriengattung, die für die Entwick lung des Immunsystems des Kindes, die Stärkung der
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«Der Einfluss der
Muttermilch auf die GIM von Babys ist ein spektakuläres Beispiel für die Modulation
»der GIM durch die
Ernährung.
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«Die Zusammen
setzung der GIM wird mit Nahrungs- mittelallergien
»in Verbindung
gebracht.
Darmbarriere und die Bekämpfung von Krankheits erregern wichtig ist (6). Die Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen ist durch eine Zunahme der GIM-Vielfalt gekennzeichnet, die mit der Exposition gegenüber einer vielfältigen Umwelt, einschliesslich der Ernährung, zusammenfällt. Die Zusammensetzung der GIM stabilisiert sich im Erwachsenenalter weitgehend, ist jedoch durch eine dynamische zeitliche Komponente gekennzeichnet, die potenziell die Gesundheit beeinflussen kann (7). Eine 2012 veröffentlichte Studie zeigte, dass sich die Zusammensetzung der GIM von Senioren, die in ei nem Altersheim leben, von der Zusammensetzung des GIM von Senioren, die in Privathaushalten leben, unterscheidet. Darüber hinaus korreliert die Zusam mensetzung der GIM mit den Unterschieden in der Diätzusammensetzung dieser beiden Seniorengrup pen. Diese letzte Beobachtung deutet darauf hin, dass die Ernährung die Zusammensetzung der GIM mass geblich beeinflusst (8). Ein Wechsel von einer tierbasierten zu einer auf pflanzlichem Eiweiss basierenden Ernährung führt innerhalb von 24 Stunden zu einer schnellen Verän derung von wenigen Bakterienarten in der Zusam mensetzung der GIM. Insbesondere ist das Ausmass der durch die Ernährung hervorgerufenen kurzfristi gen Veränderungen geringer als die Unterschiede in der interindividuellen Zusammensetzung der GIM (9). Eine Beziehung zwischen Ernährung und GIM wurde in einer langfristigen Kohorte untersucht. Ein solcher Ansatz hat aufgezeigt, dass diese beiden Fak toren auf koordinierte, wenn auch individuelle Weise moduliert werden. Diese zeitliche Übereinstimmung deutet auf einen kausalen Effekt zwischen Diät und Zusammensetzung der GIM im Langzeitverlauf hin (10). Ein Einfluss der Ernährung auf die GIM ist je doch kein Beweis dafür, dass die Ernährung die Ge sundheit über die GIM direkt beeinflussen kann. Um einen solchen Effekt nachzuweisen, muss man sich zunächst mit der Auswirkung der GIM auf die Ge sundheit beschäftigen.
Gastrointestinales Mikrobiom und Gesundheit
Das Mikrobiom eines gesunden Menschen produziert Stoffwechselprodukte (z. B. Vitamine, Aminosäure metaboliten, Cholesterin, Phytochemikalien, Hor mone, Lipide und kurzkettige Carbonsäuren), deren positive Wirkungen auf die Funktion der verschiede nen menschlichen Organe (Magen-Darm-Trakt, Im munsystem, Nervensystem usw.) bereits bekannt sind. Darüber hinaus kommunizieren die Mikroorganis men in einer gesunden GIM auf koordinierte Weise miteinander, um die Stabilität ihrer ökologischen Ni sche zu gewährleisten und insbesondere das Eindrin gen von Pathogenen zu bekämpfen (11). Die Zusam mensetzung und die Funktion der GIM haben somit Auswirkungen auf das Gleichgewicht zwischen menschlicher Gesundheit und Krankheit (Krebs, mi krobielle Infektionen, entzündliche Darmerkrankun gen und Fettleibigkeit) (12).
Eine Datenanalyse von 34 Studien mit insgesamt 4347 Personen und 12 Krankheitsbildern ermöglichte es, zunächst einen Gesundheitsindex für die gesunde GIM zu erstellen und zwischen gesunden und kran ken Personen mit einer der aufgelisteten Krankheiten (Darmkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, rheuma tische Arthritis, Typ-2-Diabetes, Colitis ulcerosa usw.) zu unterscheiden (13). Neben der Zusammen setzung ist die Vielfalt der GIM ein Parameter, der regelmässig mit der menschlichen Gesundheit in Ver bindung gebracht wird. So wird eine geringere Vielfalt beispielsweise mit neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Alzheimer und Schizophrenie in Verbindung gebracht (14). Über diese Assoziationen zwischen Krankheiten und der Zusammensetzung der GIM hinaus stellen detailliertere Studien Inter aktionen zwischen bestimmten Bakterien und Risiko faktoren für metabolische Dysfunktionen her. Bei spielsweise korrelieren Clostridium bolteae und Ruminococcus gravus positiv mit Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen (Triglyzeride, viszera les Fett, glykiertes Hämoglobin), während Bifidobacterium animalis positiv mit protektiven Faktoren wie HDL-Cholesterin oder langkettigen ungesättigten Fettsäuren korreliert ist (15). Die Zusammensetzung der GIM wird mit Nahrungs mittelallergien in Verbindung gebracht. So unter scheidet sich die GIM bei eineiigen Zwillingen, die hinsichtlich ihrer Anfälligkeit für Nahrungsmittel allergien unterschiedlich sind, während die GIM-Zu sammensetzung ähnlicher ist, wenn beide Zwillinge an einer Nahrungsmittelallergie leiden. Ausserdem haben Zwillinge, die keine Nahrungsmittelallergien aufweisen, eine vielfältigere GIM-Zusammensetzung als ihre an Allergien leidenden Zwillinge (16).
Veränderte Ernährung – Einfluss auf das Mikrobiom
Da die Ernährung die GIM-Zusammensetzung ein deutig beeinflusst, ist es offensichtlich, dass die Er nährung die menschliche Gesundheit über die GIM beeinflussen kann. Sollten wir also unsere GIM er nähren, um unsere Gesundheit zu optimieren? Die Antwort auf diese Frage ist nicht trivial, da es auch möglich ist, dass Veränderungen des Gesundheitszu stands, die direkt durch die Ernährung moduliert wer den, ihrerseits eine Veränderung der Zusammenset zung der GIM bewirken. Indirekte Belege für eine solche Verbindung liefert eine Analyse, in der die Vielfalt der GIM-Zusammen setzung mit einem Index zur Messung der Ernäh rungsqualität verglichen wurde. Ein solcher Ansatz hat gezeigt, dass Menschen mit einer qualitativ hoch wertigen Ernährung eine grössere Vielfalt ihrer GIM aufweisen (17). Studien an Menschen, Tiermodellen oder in vitro (Zellkulturen) haben gezeigt, dass ge sundheitsbeeinflussende Ernährungsinterventionen durch Veränderungen der GIM gekennzeichnet sind, die auf 3 Ebenen messbar sind: nämlich mit seiner Vielfalt (positiv mit der Gesundheit assoziiert), dem Verhältnis Firmicutes zu Bacteroidetes (negativ mit
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der Gesundheit assoziiert) und dem Reichtum an spe zifischen Arten, von denen jede auf spezifische Weise mit der Gesundheit assoziiert ist. Beispielsweise wer den Polyphenole, die positiv mit der Gesundheit asso ziiert sind, mit einer grösseren Vielfalt der GIM, einem geringeren Verhältnis von Firmicutes zu Bacte roidetes, einer Zunahme potenziell gesundheitsför dernder Bakterien wie Bifidobacterium, Lactobacillus oder Akkermansia sowie einer Abnahme pathogener Bakterien wie Clostridium difficile oder Escherichia in Verbindung gebracht. Hingegen werden gesättigte Fettsäuren, die negativ mit der Gesundheit assoziiert werden, mit einer Abnahme der GIM-Vielfalt, einer Erhöhung des Verhältnisses Firmicutes zu Bacteroidetes, einer Abnahme der potenziell gesundheits fördernden Bakterien sowie einer Erhöhung patho gener Bakterien in Verbindung gebracht (18). Interessanterweise ist die Vielfalt der GIM von Perso nen, die auf eine Diät zur Gewichtsabnahme reagier ten, höher als diejenige von Personen, die nicht auf die Diät ansprachen, was darauf hindeutet, dass die Plastizität der GIM ein Element ist, das eng mit den Auswirkungen der Ernährung auf die Fettleibigkeit verbunden ist (19).
Die Rolle der kurzkettigen Carbonsäuren
Eine weitere Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen Ernährung, GIM und Gesundheit hervor zuheben, ist die Analyse der von der GIM aus Nähr stoffen abgeleiteten Metaboliten in Bezug auf ihre potenziellen Auswirkungen auf die Gesundheit. Ins besondere die kurzkettigen Carbonsäuren (Essig-, Propion- und Buttersäure), die von der GIM durch die Fermentation von Ballaststoffen in Früchten, Gemü sen und Getreide produziert werden, sowie die Indole, die durch den mikrobiellen Stoffwechsel aus Trypto phan in der Nahrung erhalten werden, tragen zur Stärkung des Immunsystems bei, einschliesslich der Stabilität der Darmbarriere und der Kontrolle von Krankheitserregern (20). In diesem Zusammenhang hat eine Schweizer Studie bei trächtigen Mäusen nach gewiesen, dass Indole, die aus Tryptophan in der Nah rung durch die GIM hergestellt werden, das Darm system von Neugeborenen stärken (21). Diese Entdeckung, kombiniert mit dem Nachweis von Indo len im Blut von Personen, die Joghurt konsumiert hatten (22), veranlasste Agroscope, das 4-jährige Pro jekt FerFood.CH 2022 zu starten. FerFood.CH hat zum Ziel, die gesundheitsfördernden Eigenschaften von fermentierten Lebensmitteln zu belegen (siehe Kasten). In diesem Kontext, in dem die Forscher das Gesundheitspotenzial der GIM erkennen, wird die Fermentation von Lebensmitteln als eine Schlüssel strategie zur Förderung der Gesundheit angesehen, da sie dem Körper Bakterien zuführt, die die Zusammen setzung und die Aktivität der GIM beeinflussen, in dem sie bioaktive Metaboliten aus der Fermentation von Lebensmitteln produzieren und das Stoffwechsel profil der GIM ergänzen (23) oder indem sie die GIM durch Fermentationsstämme modifizieren (24).
Grenzen und Zukunft der Forschung
Trotz der zahlreichen Hinweise auf eine intermediäre Rolle der GIM, bei der die Wirkung der Ernährung auf Gesundheit und Krankheit untersucht wird, steht dieser Forschungsbereich – wie so oft in der Human forschung – vor grossen Herausforderungen. Eine erste wichtige Einschränkung ist die Verwen dung der mikrobiellen Zusammensetzung von Fäkal proben als Indikator für die GIM. Die Struktur und die Dynamik der GIM sind hochkomplex. Wie bereits erwähnt, variiert die mikrobielle Zusammensetzung entlang des Gastrointestinaltrakts erheblich. Darüber hinaus ist die lokale Zusammensetzung des Darms sehr variabel, da sie aus transienten Bakterien in sei nem luminalen Volumen sowie aus einem etablierten ökologischen System besteht, dessen Zusammenset zung sich ändert, je tiefer man in den Darmschleim vordringt (25). Deshalb ist die Frage berechtigt, ob Fäkalproben für bestimmte Abschnitte des Gastro intestinaltrakts überhaupt repräsentativ sind (26). Ein zentraler und limitierender Faktor ist die Diffe renzierung zwischen Korrelation und Kausalität. Die überwiegende Mehrheit der Studien in diesem Be reich hat statistisch signifikante Assoziationen zwi schen Ernährung, GIM-Zusammensetzung und Merkmalen der menschlichen Gesundheit festgestellt. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt, der jedes dieser Ele mente in dieser bestimmten Reihenfolge miteinander verbindet (27). Insbesondere ist es möglich, dass die Ernährung Auswirkungen auf den Stoffwechsel und die menschliche Gesundheit hat und diese dann die GIM-Zusammensetzung verändert. Um die wissen schaftlichen Erkenntnisse in diesem Bereich zu er weitern, müssen Interventionsstudien bei Menschen, aber auch am Tiermodell durchgeführt werden. Da mit können die Mechanismen, die jedes Element der Triade aus Ernährung, GIM und Gesundheit mitein ander verbinden, besser identifiziert werden. Diese Forschung umfasst die Transplantation von Darm mikrobiomen sowie einen personalisierten Ernäh rungsansatz, der die interindividuelle Vielfalt der GIM berücksichtigt (28). Zur Illustration einer sol chen Forschungsstrategie nahmen Mäuse, die nach einer Kalorienrestriktion mit menschlicher GIM ge füttert wurden, Gewicht ab und verbesserten ihr klinisches Profil, während Mäuse, die vor der Kalo rienrestriktion mit GIM gefüttert wurden, diese Para meter nicht verbesserten (29). Eine wichtige Einschränkung der aktuellen Studien, die den Zusammenhang zwischen Ernährung, GIM und Gesundheit herstellen, besteht darin, dass die menschliche Physiologie auf die Mikrobiota reduziert wird, was eine stark reduktionistische Sicht darstellt. Obwohl die GIM an der Schnittstelle zwischen Nah rung und Körper angesiedelt ist, ist die menschliche Physiologie komplexer; sie muss deswegen auf eine systemische Weise analysiert werden, um Art und Weise, wie die GIM mit der Nahrung interagiert, um die menschliche Gesundheit zu modulieren, besser hervorzuheben. In diesem Zusammenhang hat eine
«Ein zentraler und
limitierender Faktor ist die Differenzierung
»zwischen Korrelation
und Kausalität.
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personalisierte Interventionsstudie bei Diabetikern (T2D), die unter anderem die GIM-Zusammenset zung in den Algorithmus einbezog, dazu geführt, dass ein grosser Teil der Personen in Remission ging (30).
Schlussfolgerungen
Die GIM ist zu einem Keyplayer in der ernährungs wissenschaftlichen Forschung geworden. Die aus ei ner Analyse hervorgehenden Forschungsergebnisse versprechen spektakuläre Entdeckungen, die jedoch angesichts der Komplexität der menschlichen Physio logie systemischer durchgeführt werden müssen, um in der Ernährungsberatung und der öffentlichen Ge sundheit umgesetzt zu werden (31).
Kasten: Das Agroscope-Projekt FerFood.CH
Fermentierte Lebensmittel für die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung
Was haben Brot, Käse, Sauerkraut, Schokolade und Wein gemeinsam? Jedes dieser Lebensmittel ist von Mikroorganismen fermentiert!
Die Vision von FerFood.CH ist es, dass fermentierte Lebensmittel spezifisch in die neue Schweizer Lebensmittelpyramide integriert werden. Der Fermentationsprozess ist ein natürlicher und nachhaltiger Prozess, der seit Jahrtausenden genutzt wird, um die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verlängern und neue sensorische Eigenschaften (Aroma und Textur) zu erhalten. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurden durch die Fermentation zudem gesundheitsfördernde Eigenschaften von Lebensmitteln gesteigert. Etwa ein Viertel der konsumierten Nahrungsmittel ist fermentiert. Die Bedeutung der Ernährungsvielfalt und in jüngster Zeit auch der Einfluss der gastrointestinalen Mikrobiota für die menschliche Gesundheit haben neue wissenschaftliche Arbeiten angeregt, die sich spezifischer auf die Vorteile fermentierter Lebensmittel konzentrieren. Die zahlreichen biochemischen Umwandlungen, die den mikrobiologischen Ökosystemen von fermentierten Lebensmitteln und dem Darmtrakt gemeinsam sind, sind ein Schlüsselelement in der Strategie von FerFood.CH. Dafür wird die Liebefelder Stammsammlung von Milchsäurebakterien genutzt, um in fermentierter Milch auf gezielte und innovative Weise eine ernährungsphysiologische und mikrobiologische Vielfalt zu erhalten, die eine gesundheitsfördernde Wirkung aufweist. Dafür wird fermentierte Milch mit Bakterien aus der Liebefelder Sammlung hergestellt, um die Produktion von Metaboliten mit nachgewiesenen gesundheitlichen Vorteilen zu maximieren. Die ernährungsphysiologische Qualität und die funktionellen Eigenschaften der fermentierten Milchen werden durch Untersuchungen in humanen Interventionsstudien, Tier- und In-vitro-Modellen verifiziert. Assoziationen zwischen dem Verzehr verschiedener fermentierter Lebensmittel und der metabolischen Gesundheit werden in Kohorten bis auf Stufe Individuum identifiziert und validiert. Das Wissen über die Wirkung fermentierter Lebensmittel für die menschliche Gesundheit wird unter Verwendung der wissenschaftlichen Literatur und der Ergebnisse des Projekts zusammengefasst. Die Resultate werden vollständig publiziert und den verschiedenen Interessengruppen (inkl. breite Öffentlichkeit) und den zuständigen Behörden vermittelt.
Korrespondenzadresse: PD Dr. Guy Vergères Funktionelle Ernährungsbiologie Mikrobielle Systeme von Lebensmitteln Agroscope Schwarzenburgstrasse 161 3003 Liebefeld-Bern E-Mail: guy.vergeres@agroscope.admin.ch
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