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KONGRESSBERICHT
Ziel wird selten erreicht
Nahrungsfasereinnahme in der Schweizer Bevölkerung
Eine ausreichende Nahrungsfasereinnahme ist wichtig für Gesundheit und Wohlbefinden (1, 2). Doch Untersuchungen zeigen, dass die empfohlene Menge an Nahrungsfasern kaum erreicht wird. Welche Faktoren mit der Aufnahme von Nahrungsfasern assoziiert sind, untersuchte Katja Schönenberger, Inselspital Bern, anhand einer Datenanalyse zur Schweizer Bevölkerung.
In der Schweiz werden 30 g Nahrungsfasern pro Tag empfohlen. Dieser Referenzwert wird von den deutschen, österreichischen und schweizerischen Ernährungsgesellschaften (D-A-CH) festgelegt (3). Das US Food and Nutrition Board hingegen setzt den Referenzwert pro aufgenommene kcal fest, empfohlen werden 14 g/1000 kcal/Tag (4). Idealerweise stammen Nahrungsfasern von minimal oder unverarbeiteten Produkten. Denn die ultraverarbeiteten Lebensmittel (UPF) haben wesentliche Nachteile, eine hohe Energiedichte, zugesetzte konsumfördernde Stoffe wie Salz oder Zucker und ein geringes Sättigungsvermögen (5). Nun fügen aber Hersteller von UPF immer häufiger Nahrungsfasern hinzu, da das im Nutriscore positiv bewertet wird (6).
Konsum von UPF steigt weiter an
Der Konsum von UPF hat sich sehr stark erhöht, im Vereinigten Königreich machen diese bereits mehr als die Hälfte der konsumierten Lebensmittel aus. Die Nahrungsfasereinnahme in der Schweiz ist eher tief, aber vergleichbar mit anderen europäischen Ländern (7, 8). Dabei ist eine direkte Assoziation
Abbildung 1: Eine Studie zeigte, dass die Einnahme von UPF mit einem höheren Krebsrisiko einhergeht (10).
zwischen dem durchschnittlichen Anteil der UPF an der Ernährung und der Prävalenz von Adipositas zu sehen (9). Diese Beobachtung wurde in einer Interventionsstudie mit 20 stationär aufgenommenen Erwachsenen weiter untersucht. Die Probanden bekamen während 14 Tagen entweder Essen aus UPF oder unverarbeiteten Nahrungsmitteln, die aber die gleichen Mengen an Kalorien, Zucker, Fett, Nahrungsfasern und Makronährstoffen enthielten. Beide Gruppen konnten beliebig viel essen, dabei war die Kalorienaufnahme in der Gruppe mit den UPF durchschnittlich 500 kcal/Tag höher. Das beeinflusste das Körpergewicht. Während die Gruppe mit den UPF 1 kg Gewicht zunahm, verlor die Gruppe mit den unverarbeiteten Nahrungsmitteln in der gleichen Zeit 1 kg Körpergewicht (5).
Wie isst die Bevölkerung in der Schweiz?
Mit der Nationalen Ernährungserhebung menuCH, einem Projekt des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in Zusammenarbeit mit dem BAG, wurde ein Querschnitt zur Nahrungsmittelaufnahme bei der erwachsenen Bevölkerung zwischen 18 und 75 Jahren erfasst. Die Erhebung dauerte von Januar 2014 bis Februar 2015 (11). Bei den Teilnehmenden wurden mit einem Fragebogen soziodemografische Charakteristika, gesundheitliche Aspekte, Zufriedenheit mit dem Körpergewicht, Kochgewohnheiten sowie das Ess- und Bewegungsverhalten erfragt. Bei einer physischen Visite wurden das Körpergewicht, die Körpergrösse und der Bauchumfang gemessen. 2 Mal wurden die Teilnehmenden direkt von geschulten Ernährungsfachpersonen kontaktiert, um die eingenommenen Nahrungsmittel der letzten 24 Stunden zu erheben. Diese Befragung war verteilt über Wochentage und Jahreszeiten. Diese Studie konnte erstmals repräsentive Daten zum Lebensmittelverzehr und zum Ernährungsverhalten der Schweizer Bevölkerung zusammentragen. Die anonymisierten Daten können nun für Forschungsarbeiten genutzt werden und sie waren auch die Grundlage dieser Datenanalyse zur Nahrungsfasereinnahme.
28 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 4|2022
KONGRESSBERICHT
Kasten:
Nova-Klassifizierung Gruppe 1: Unverarbeitete oder minimal verarbeitete Lebensmittel Gruppe 2: Verarbeitete Kochzutaten Gruppe 3: Verarbeitete Lebensmittel Gruppe 4: Ultraverarbeitete Nahrungsmittel und Getränke (UPF)
Nun wurden die Daten gezielt hinsichtlich der eingenommenen Nahrungsfasern analysiert. Die verzehrten Lebensmittel wurden gemäss der Nova-Klassifizierung eingeteilt (siehe Kasten), ausserdem wurde der Gehalt der Nahrungsfasern der eingenommenen Nahrungsmittel bestimmt. Die jeweiligen Resultate wurden dann gewichtet nach Altersgruppe, Geschlecht, Zivilstand, Grossregion der Schweiz, Nationalität, Haushaltsgrösse, Jahreszeit und Wochentag (8, 9, 11). Nur 13% hatten eine nach den D-A-CH-Empfehlungen genügende Einnahme von Nahrungsfasern (siehe Abbildung 2). Dann wurde untersucht, welche Parameter eher mit einer genügenden Einnahme einhergehen. Eine ausreichende Einnahme war zu finden bei Personen mit einer höheren körperlichen Aktivität, einem
Abbildung 2: Nahrungsfasereinnahme in der Schweiz: Der grüne Bereich zeigt die Probanden mit genügender Nahrungsfasereinnahme ≥ 30 g/Tag. Der rote Bereich zeigt die Probanden, die nicht einmal die Hälfte der empfohlenen Menge an Nahrungsfasern einnehmen (15 g/Tag). Die D-A-CH-Empfehlungen lauten: 30 g Nahrungsfasern pro Tag (durchgezogene Linie), die gestrichelte Linie zeigt die Hälfte (15 g/ Tag).
normalen BMI, bei Nichtrauchern und bei Personen mit einer höheren Bildung. Männer wiesen eine eher höhere Aufnahme von Nahrungsfasern auf, das hängt mit der absolut höheren Menge Nahrung zusammen, beim relativen Referenzwert «Nahrungsfasern/kcal» verliert sich der Vorteil, hier haben eher Frauen eine genügende Aufnahme. Bei den Altersgruppen 18 bis 29 Jahre und 60 bis 75 Jahre wird eine geringere Aufnahme von Nahrungs-
fasern verzeichnet, wobei das bei der älteren Gruppe mit der geringeren Menge an Nahrung erklärt werden kann. Eine genügend hohe Aufnahme von Nahrungsfasern findet sich bei einem hohen Konsum von Zerealien, Früchten, Gemüse und Nüssen. Die Wahrscheinlichkeit für eine genügend hohe Zufuhr von Nahrungsfasern sinkt, je höher der Anteil an UPF ist. Es werden Massnahmen diskutiert, wie man den Verzehr von UPF verringern könnte, zum Beispiel durch die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder mit einer Besteuerung. Das könnte dazu beitragen, dass die Nahrungsfasereinnahme durch minimal oder unverarbeitete Lebensmittel erhöht wird. Barbara Elke
Quelle: SGAIM-Frühjahrskongress 2.6.2022, Lausanne. Gastgesellschaft GESKES: Special Nutritional Cases. Nahrungsfasern in der Schweizer Bevölkerung, Katja Schönenberger, Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus (UDEM), Inselspital, Universitätsspital Bern.
Referenzen: 1. Aune D et al.: Whole grain consumption and risk of cardiovascular
disease, cancer, and all cause and cause specific mortality: systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies. BMJ. 2016 Jun 14;353:i2716. doi: 10.1136/bmj.i2716. PMID: 27301975; PMCID: PMC4908315. 2. Fatahi S et al.: Association of dietary fiber and depression symptom: A systematic review and meta-analysis of observational studies. Complement Ther Med. 2021 Jan;56:102621. doi: 10.1016/j. ctim.2020.102621. Epub 2020 Nov 18. PMID: 33220451. 3. Deutsche Gesellschaft für Ernährung DGE, Österreichische Gesellschaft für Ernährung Öge, Schweizer Gesellschaft für Ernährung SGE, Bonn, Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, 2. Auflage. 7. aktualisierte Ausgabe, ISBN 978-3-88749-261-8. 4. Trumbo P et al.: Food and Nutrition Board of the Institute of Medicine, The National Academies. Dietary reference intakes for energy, carbohydrate, fiber, fat, fatty acids, cholesterol, protein and amino acids. J Am Diet Assoc. 2002 Nov;102(11):1621-30. doi: 10.1016/s0002-8223(02)90346-9. Erratum in: J Am Diet Assoc. 2003 May;103(5):563. PMID: 12449285. 5. Hall KD et al.: Ultra-Processed Diets Cause Excess Calorie Intake and Weight Gain: An Inpatient Randomized Controlled Trial of Ad Libitum Food Intake. Cell Metab. 2019 Jul 2;30(1):67-77.e3. doi: 10.1016/j. cmet.2019.05.008. Epub 2019 May 16. Erratum in: Cell Metab. 2019 Jul 2;30(1):226. Erratum in: Cell Metab. 2020 Oct 6;32(4):690. PMID: 31105044; PMCID: PMC7946062. 6. Yangilar F.: The Application of Dietary Fibre in Food Industry: Structural Feature, Effects son Health and Definition, Obtaining and Analysis of Dietary Fibre: A Review. J Food Nutr Res. 2013;1(3):13-23. 7. BoseleyS.: The Guardian. 2018. theguardian.com/science/2018/ feb/02/ultra-processed-products-now-half-of-all-uk-family-foodpurchases 8. Monteiro CA et al.: Household availability of ultra-processed foods and obesity in nineteen European countries. Public Health Nutr. 2018 Jan;21(1):18-26. doi: 10.1017/S1368980017001379. Epub 2017 Jul 17. PMID: 28714422. 9. Pestoni G et al.: Ultraprocessed Food Consumption is Strongly and Dose-Dependently Associated with Excess Body Weight in Swiss Women. Obesity (Silver Spring). 2021 Mar;29(3):601-609. doi: 10.1002/oby.23091. PMID: 33624439. 10. Fiolet T et al.: Consumption of ultra-processed foods and cancer risk: results from NutriNet-Santé prospective cohort BMJ 2018; 360 :k322 doi:10.1136/bmj.k322 11. https://www.blv.admin.ch/dam/blv/de/dokumente/lebensmittelund-ernaehrung/ernaehrung/menuch-bericht.pdf.download.pdf/ menuch-bericht.pdf 12. Chiuve SE et al.: Alternative dietary indices both strongly predict risk of chronic disease. J Nutr. 2012 Jun;142(6):1009-18. doi: 10.3945/jn.111.157222. Epub 2012 Apr 18. PMID: 22513989; PMCID: PMC3738221. 13. Nachtrag: Die Studie wurde eingereicht als Schönenberger KA, Huwiler VV, Reber E, Mühlebach S, Stanga Z, Pestoni G, Faeh D: Dietary Fiber Intake and its Association with Ultra-Processed Food Consumption in the General Population of Switzerland
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 4|2022 29