Transkript
«Niemand war schon immer da»
EDITORIAL
Die Migration ist wie der Klimawandel eines der grossen Themen, welche die Bevölkerung der Schweiz seit Jahren stark beschäftigen. Die Ergebnisse des sogenannten Sorgenbarometers 2021 und 2022 weisen das Ausländer- und Flüchtlingsthema jedoch deutlich in die zweite Reihe – 2021 stand Corona ganz oben, 2022 ist es nicht überraschend der Krieg in der Ukraine, welcher am meisten Ängste und Sorgen auslöst.
Migration ist nichts Neues. Und auch die Gründe für die Migration haben sich leider nicht grundlegend verändert: erschwerte oder unerträgliche Lebensbedingungen wegen Krieg, politischer Instabilität im Herkunftsland, ethnischer Vertreibungen, Hunger und Arbeitslosigkeit. Das sind Umstände, die wir uns in der Schweiz nur schwer vorstellen können – die wenigsten von uns mussten je einmal existenzbedrohende Situationen überstehen oder haben bewusst Krieg in unmittelbarer Nähe miterlebt. Auch wenn die letzte kriegerische Auseinandersetzung in der Schweiz glücklicherweise fast 200 Jahre her ist, haben doch fast alle Schweizer, streng genommen, einen Migrationshintergrund – denn bis 1848 gab es in der Schweiz nur kantonale Bürgerrechte. Somit wurde man bei einem Umzug in einen anderen Kanton zum «Ausländer». «Niemand war schon immer da» – ich wünsche mir, dass wir Menschen mit Migrationshintergrund mit diesem Bewusstsein, unvoreingenommen und interessiert, begegnen.
heren und weiteren Umgebung zu tun, wobei sich letztere mit «der ganzen Welt» umschreiben lässt. Unsere Patienten befinden sich oft in einer gesundheitlich sehr schwierigen Situation, insbesondere diejenigen mit enteraler oder parenteraler Ernährung. Die Beratung und die Betreuung dieser Menschen werden manchmal zu einer Herausforderung, zum Beispiel, weil die Familie oder der Patient selbst grosse Mühe hat zu akzeptieren, dass er über einen gewissen Zeitraum oder für immer auf diese Ernährungsform angewiesen ist oder keine orale Nahrung mehr zu sich nehmen kann. Weitere Hindernisse sind Verständigungsprobleme und eine sozioökonomische Umgebung, welche die Durchführung der Ernährungstherapie zu Hause erschwert.
Die Kolleginnen und Kollegen beschreiben in den nachfolgenden Beiträgen zum Fokus «Ernährung und Migration» dieser Ausgabe sehr anschaulich, welche Faktoren und Aspekte berücksichtigt werden müssen, damit auch Menschen mit Migrationshintergrund eine erfolgreiche und klientenzentrierte Ernährungsberatung erhalten. Bei der Lektüre zur Vorbereitung zum Verfassen dieses Editorials habe ich mich sehr über die vielfältigen Initiativen und Angebote gefreut, die mittlerweile zur Verfügung stehen, und noch das eine oder andere für mich dazugelernt.
Ich wünsche Ihnen eine ebenso spannende Lektüre.
In meiner beruflichen Tätigkeit als Ernährungsberaterin bei einem Home-Care-provider für klinische Ernährung habe ich täglich mit Menschen aus der nä-
Barbara Richli, Ernährungsberaterin, Vorstand SVDE,
Mitglied Herausgeberbeirat SZE
Barbara Richli
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 4|2022 1