Transkript
ERNÄHRUNG UND SPORT
Ernährung im Sport: vegan, vegetarisch oder doch mit Fleisch?
Kommen Leistungssportler ohne Fleisch und tierische Produkte zu genügend Proteinen, Vitaminen und Mineralien? Die Sportwissenschaftlerin Judith Haudum aus Grödig (A) beantwortet die wichtigsten Fragen zu Diäten im Leistungssport.
«Bei Mikronähr-
stoffen und Mineralien wie Vitamin B12 und Eisen ist es fraglich, ob dies ohne Supple-
»mentation überhaupt
möglich ist.
SZE: Reicht die Versorgung mit Mikro- und Makronährstoffen bei veganer Ernährung im Leistungssport? Judith Haudum: Mit veganer Ernährung ist es generell schwieriger, den Energiebedarf und den Bedarf an Proteinen abzudecken, weil energiedichte Energiequellen wie Fleisch oder Milchprodukte fehlen. Mir sind auch nur wenige Kraft- und Ausdauersportler bekannt, die sich vegan ernähren. Wenn sich Leistungssportler für diese Diätform entscheiden, setzt das eine gute Planung und viel Wissen voraus. Gerade beim Proteinbedarf ist es essenziell, gute Quellen zu kennen, beispielsweise Tofu und Soja, welche hochwertige Aminosäuren wie Leucin enthalten, die es auch für die Regeneration braucht. Bei Mikronährstoffen und Mineralien wie Vitamin B12 und Eisen ist es fraglich, ob dies ohne Supplementation überhaupt möglich ist. Denn schon ohne spezielle Diäten ist es für Leistungssportler teilweise schwierig,
sie in genügender Menge aufzunehmen. Veganer nehmen auch viele Früchte und Gemüse zu sich. Das belastet durch die hohe Ballaststoffzufuhr beispielsweise auch die Verdauung.
Wie sieht es mit vegetarischer Ernährung aus? Haudum: Vegetarier haben in der Regel weniger Schwierigkeiten, sich energiedicht zu ernähren. Allerdings kommt es auf den jeweiligen Vegetarismus an. Laktovegetarier essen kein Fleisch, keinen Fisch und keine Eier. Milch und Milchprodukte hingegen werden verzehrt. Ovo-Lakto-Vegetarier essen kein Fleisch und keinen Fisch. Eier, Milch, Milchprodukte oder Honig sind aber erlaubt. Neben diesen Formen gibt es noch zahlreiche Zwischenvarianten. Die ausreichende Zufuhr von Mikro- und Makronährstoffen ist beim klassischen Vegetarismus, bei den OvoLakto-Vegetariern, gegeben. Zudem werden auch gute und gesunde Fettquellen benutzt.
Zur Person:
Judith Haudum wuchs in Linz (A) auf. Sie hat ein Magisterstudium in
Sportwissenschaften (Biomechanik) und Romanistik (Italienisch) abge-
schlossen. Sie rundete ihre Ausbildung in Salt Lake City (USA) ab, wo
sie Sporternährung an der University of Utah studierte und das Master-
studium 2009 erfolgreich beendete.
Seit ihrem Studienabschluss hat sie erfolgreich mit Athleten zusammen-
gearbeitet und sie dabei unterstützt, ihre Gesundheit zu erhalten/zu ver-
bessern, ihre Leistung zu optimieren und ihr Körpergewicht zu regeln.
Judith Haudum ist Mitglied der American Dietetic Association, der
Judith Haudum
Gruppe Sports and Cardiovascular Nutritionists, der Österreichischen Ge-
sellschaft für Sporternährung, des American College of Sports Medicine, der Gruppe Professionals in
Nutrition for Exercise and Sport, des European College of Sport Science und der International Society of
Biomechanics in Sports. Sie ist ausserdem Mitglied des Expertenbeirats der Österreichischen Gesell-
schaft für Sporternährung und zertifizierte ISAK-Anthropometristin.
Korrespondenzadresse: MMag. Judith Haudum MSc Sports Nutrition – Sport Science Kellerstrasse 18/3, A-5082 Grödig E-Mail: info@sportnutrix.com, Internet: www.sportnutrix.com
Wie sieht es beim Fleischkonsum aus? Geht das auch nachhaltig? Haudum: Sich mit Fleisch zu ernähren, macht vieles einfacher, gerade bei der Zufuhr mit Eisen und Vitamin B12. Es gibt Hämeisen, das in tierischen Produkten wie rotem Fleisch, Geflügel, Leber und Eiern enthalten ist, sowie das Nichthämeisen, das in Brot, Nüssen, grünblättrigem Gemüse, getrockneten Früchten oder Hülsenfrüchten vorkommt. Das Hämeisen wird vom Körper sehr gut absorbiert, das Nichthämeisen wesentlich schlechter, da besitzt Fleisch klare Vorteile. Durch die breit gefächerte Nahrungszufuhr sind auch hochwertige Eiweisse und deren Variationen vorhanden. Das Thema Nachhaltigkeit habe ich immer im Hinterkopf. Es gibt aber Grenzen, denn die Leistung steht primär im Vordergrund. Wird jemandem beispielsweise viel Leistung abverlangt, dann müssen Leistungssportler auch Gels einnehmen, um auf die benötigte Energie zu kommen. Das ist nicht nachhaltig, aber für die Leistung berechtigt.
Beachten Sie die Ernährungspyramide bei Sportlern? Haudum: Bei Leistungssportlern nicht, da diese zu allgemein gehalten ist. Sie ist mehr ein genereller Leit-
26 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2018
ERNÄHRUNG UND SPORT
faden bei der Qualität der Ernährung. In der Beratung halte ich mich an die Vorlieben des Sportlers und an die jeweilige Sportart. Eine Turnerin isst anders als ein Kraft- oder Ausdauersportler.
Wie bedeutend ist die Flüssigkeit als Energiezufuhr? Haudum: In erster Linie muss Flüssigkeit den Bedarf decken, dann nimmt die Zufuhr von Energie an Bedeutung zu. Viele Leistungssportler trinken gerne Wasser und haben dadurch einen Leistungsabfall. Dieser kann mit gekauften Sportgetränken vermieden werden, aber insbesondere auch durch einfache, selbst gemixte Mischungen. Beispielsweise kann einem Tee Maltodextrin beigefügt werden und noch etwas Zitronensaft. Wird viel geschwitzt und steht eine lange Sporteinheit bevor, dann sollte auch Salz hinzugefügt werden. Ein weiterer Vorteil der selbst gemischten Getränke ist zudem, dass Zusatzstoffe fehlen. Denn viele Industrieprodukte sind aufgrund der geforderten Haltbarkeit eher sauer, was für den Verdauungstrakt wiederum schwer verträglich ist.
Welche Bedeutung haben Fette für Sportler? Haudum: Sie sind wichtig, auch für das Immunsystem. Es braucht aber gesunde Fette wie die ungesättigten Fettsäuren. Für die Regeneration sind auch Omega-3-
Fettsäuren wichtig. Nüsse und Hülsenfrüchte enthalten wichtige Fette und sind Energieträger.
Alimentation et sport: végan, végétarien ou avec de la viande?
Wann und wie viele Kohlenhydrate können/sollen Sportler wann einnehmen? Haudum: Das hängt wiederum von der Belastung und der Intensität ab. Bei einer
Mots-clés: gels énergétiques – types de régimes – micro- et macronutriments – durabilité dans le sport
Sporteinheit von 45 Minuten müssen keine Kohlenhydrate dazugegeben werden. Es reicht, wenn vor der Belastung genügend Kohlenhydrate aufgenommen werden. Bei Sporteinheiten von 90 bis 120 Minuten reichen rund 20 bis 30 g aus. Bei 2 bis 3 Stunden sind es 60 bis manchmal 80 g Kohlenhydrate, und bei über 150 Minuten sind es 90 g. Wenn die Energie-
Les sportifs de haut niveau parviennent-ils à avoir des apports suffisants en protéines, vitamines et minéraux sans viande et produits d’origine animale? Comment calculer les apports en hydrates de carbone pour des séances d’activité sportives intensives? Une spécialiste du sport, Judith Haudum, Grödig (A) répond aux principales questions sur les régimes des sportifs de haut niveau.
zufuhr über die Ernährung nicht aus-
reicht, beispielsweise bei mehrwöchigen Sporttouren,
können auch Gels eingesetzt werden, die jeweils 25 g
Kohlenhydrate enthalten.
So könnte beispielsweise ein Ernährungstag aussehen,
wenn am Vormittag eine lange Trainingseinheit statt-
findet:
Frühstück: 1 grosse Schale Müesli mit Naturjoghurt
(1% Fett) und 1 Glas Milch, 1 EL Honig, Kiwi,
Tee/Kaffee mit Milch.
Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2018 27
ERNÄHRUNG UND SPORT
Training (3½ Std. intensiv): Sportgetränk, 2 selbst gemachte Energieriegel (z.B. mit Samen, Nüssen, Früchten, Honig, Haferflocken), 3 Gels (Ziel: 80 g Kohlenhydrate/h), anschliessend: Buttermilch und Banane. Mittagessen: 1 Portion Fisch (130 g), gegrillt, leicht gewürzt, mit gekochten Kartoffeln, kleiner gemischter Salat mit Walnussöl, Balsamico-Essig und Orange. Zwischenmahlzeit: 2 bis 3 Dinkelwaffeln, 1 Apfel, 1 kleiner Joghurt (1% Fett) mit Nüssen und Trockenobst. Abendessen: gegrilltes Poulet (120 g) mit Dinkel (und Olivenöl, Kräutern), Gemüse gedünstet mit etwas Olivenöl, 2 Scheiben Avocado, 1 EL Samen/Körner, rote Weintrauben, 1 Rippe dunkle Schokolade.
Können sich Sportler glutenfrei gesund ernähren? Haudum: Auf jeden Fall. Kohlenhydrate sind genügend vorhanden, wenn beispielsweise Reis und Kartoffeln konsumiert werden. Populär sind auch die Reisriegel. Auch Quinoa, Hirse oder Buchweizen werden toleriert, die viele Mikronährstoffe liefern. Viel schwieriger ist die Ernährung hingegen bei einer Fruktoseintoleranz. Insgesamt sind die Nahrungsmit-
telintoleranzen bei Sportler ein wichtiges Thema geworden. Ich denke, sie werden aber auch stark dafür sensibilisiert – vielleicht zu sehr. Nicht jede Blähung ist gleich eine Fruktoseunverträglichkeit! Und dahinter gibt es wahrscheinlich auch einen Verkaufsgedanken seitens der Industrie. Dabei muss man bedenken, dass alle gekauften Diätprodukte wiederum Zusatzstoffe enthalten, die für den Körper eine Belastung sind. Deshalb ist selbst gemachte Küche immer noch am gesündesten.
Gibt es auch Leistungssportler, die sich sehr ungesund ernähren? Haudum: Ja. Oft hängt das von der jeweiligen Sportart ab. Wenn es um die Muskelmasse geht, wie bei Ringern, Judokas oder auch Eishockeyspielern, ist oftmals kein Interesse an gesunder Ernährung vorhanden. An Turnieren konnte ich beobachten, dass Karatekas in der Pause bei McDonald’s Burger essen.
Sehr geehrte Frau Haudum, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Interview führte Annegret Czernotta.
NEWS
Benefit von Probiotika bei verschiedenen Formen von Diabetes
Wang et al. gingen in einer systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse den Effekten von Probiotika auf Diabetes und den damit assoziierten Risikofaktoren nach.
Probiotika sind lebensfähige Mikroorganismen, die einem Nahrungsmittel zugesetzt werden. Ihnen werden gesundheitsfördernde Wirkungen zugeschreiben. Dazu gehören positive Effekte auf den Fettstoffwechsel sowie die Prävention von kardiovaskulären oder anderen chronischen Erkrankungen aufgrund ihrer Wirkung auf Blutdruck, Adipositas und Blutdruck. Die Forschungsgruppe suchte in der Cochrane Library, bei PubMed, EMBASE und im Web of Science nach systematischen Studien zu Varia-
blen wie Blutzuckerspiegel, HBA1c und Insulinspiegel. Zum Vergleich bestimmten sie die gepoolten standardisierten Mittelwertdifferenzen und ermittelte die Effektgrösse mittels Random-Effect-Modell; zur Abschätzung der Heterogenität setzte sie die Tests Cochran’s Q und Higgins 12 ein. Insgesamt wurden 18 randomisierte, plazebokontrollierte Studien eingeschlossen. Von den insgesamt 1056 Teihnehmern konsumierten 527 Probiotika, 529 nahmen keine Probiotika. Beim Vergleich der beiden Gruppen zeigte sich ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den gepoolten Mittelwerten bei der Reduktion des Blutzuckerspiegels (p = 0,001). Signifikant war auch der gepoolte mittlere Unterschied bei der Abnahme des Insulinspiegels (p = 0,03) und bei der Reduktion des HBA1c (p = 0,0001). Allerdings galt dies für Patienten
mit Diabetes mellitus Typ 2. Bei Nichtdiabeti-
kern war nur die Reduktion des Low-Density-
Lipoprotein-Cholesterins (LDL-C) signifikant
grösser.
Die Autoren halten fest, dass trotz vielfältiger
Einflussfaktoren Probiotika zu einer Reduk-
tion von Blutzucker, Insulin und HBA1c füh-
ren, insbesondere bei einem Diabetes mellitus
Typ 2. Bei Patienten mit metabolischem Syn-
drom fand sich jedoch keine signifikante Re-
duktion von Insulin und HBA1c . Zudem schei-
nen Probiotika keinen Effekt auf die Blutfette
zu haben.
acz
Quelle: Wang X et al.: Multiple effects of probiotics on different types of diabetes: a systematic review and meta-analysis of randomized, placebo-controlled trials. J Pediatr Endocrinol Metab 2017; 30: 611–622.
28 Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin 2|2018