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LEBENSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN
Laktoseintoleranz und Fruktosemalabsorption: Diagnostik und Behandlung
Unverträglichkeiten auf die Kohlenhydrate Laktose und Fruktose können eine Fülle von gastrointestinalen Beschwerden hervorrufen. Dipl. oec. troph. Christiane Schäfer, assoziiert in einer allergologischen Schwerpunktpraxis in Hamburg (D), hat für das deutsche Bundesgesundheitsblatt einen Artikel zum wachsenden Problem der Zuckerverwertungsstörungen geschrieben. Die Monatszeitschrift beleuchtet aktuelle Fragestellungen im öffentlichen Gesundheitswesen. Sie gibt im Interview Auskunft über aktuelle Diagnose- und Therapiemöglichkeiten. Die Umstellung der Ernährung und die Aufklärung von Patienten bleiben weiterhin die tragenden Säulen der Therapie.
SZE: Warum ist es im Vergleich zur Laktoseintole-
ranz schwieriger, eine Fruktosemalabsorption zu er-
fassen?
Christiane Schäfer: Die Laktoseintoleranz kann eine
genetische Veranlagung sein, bei der es im Lauf des
Lebens zu einer nachlassenden Effektivität des lakto-
sespaltenden Enzyms Laktase kommt. Oder aber sie
kann aufgrund einer Erkrankung zeitlich befristet
auftreten. Die Fruktosemalabsorption hingegen ist
Christiane Schäfer
eher ein Essfehler, kein beständiges Krankheitsgeschehen. Solche Essfehler basieren oftmals auf zu viel
Fruktose pro Mahlzeit, beispielsweise aufgrund des
Verzehrs von Säften, Süssigkeiten oder zu vielen
Früchten, oder sie entsteht aufgrund
eines eher «schlechten» Warenange-
Intolérance au lactose et malabsorption au fructose: diagnostic et traitement
botes mit der häufigen Verwendung der preislich günstigeren Fruktose. Zur Erfassung der Fruktosemalabsorption (= schlechte Aufnahme)
Mots clés: malabsorption – intolérances – lactose – fructose – diagnostic – traitement
wird der Wasserstoffatemtest durchgeführt. Er wird in Deutschland mit 25 oder 50 Gramm Fruktose durch-
Les intolérances à certains hydrates de carbone – lactose ou fructose – peuvent provoquer toute une série de troubles gastro-intestinaux. Christiane Schäfer, diplômée en écotrophologie avec compétence particulière en allergologie, installée à Hambourg (D), a rédigé un article pour le journal fédéral allemand de la santé (Bundesgesundheitsblatt) sur les problèmes de plus en plus fréquents affectant le métabolisme des sucres. Le mensuel fait le point sur les questions auxquelles le système de santé publique est confronté. Au cours d’une interview, elle aborde les possibilités actuelles en matière de diagnostic et de traitement. La modification de l’alimentation et l’information aux patients restent toutefois les piliers du traitement.
geführt, das heisst, die Anwendung ist variabel. 50 Gramm befinden sich nah an der physiologischen Kapazitätsgrenze, die zudem durch das individuelle Ernährungsmuster beeinflusst werden kann. Bei der Auswertung des Tests sollte daher ein Abgleich mit den Ernährungsgewohnheiten erfolgen. Nicht zu verwechseln ist die Fruktosemalabsorption mit der hereditären Fruktose-intoleranz, die ein schwerwiegendes internistisches Krankheitsbild beschreibt. Es handelt sich dabei um einen lebenslangen Leberenzymdefekt. Die Diagnose und die Therapie unterscheiden sich grundlegend.
Ist eine Kombination der Laktoseintoleranz und der Fruktosemalabsorption möglich, und wenn ja, wie kommt es dazu? Christiane Schäfer: Das ist möglich, ja, denn es kann sowohl zu viel Fruktose in der täglichen Kost sein, ein sogenannter Fruktoseüberhang, als auch eine Laktoseunverträglichkeit vorliegen. Die Unverträglichkeit auf Milchzucker wird heute häufiger ausgelöst, weil viele Produkte durch die Verarbeitungsprozesse deutlich mehr Laktose als früher enthalten. Mit kleinen Mengen können viele Laktoseintolerante noch «umgehen» und sie verdauen, aber bei grösseren Mengen entstehen die typischen Verdauungsbeschwerden wie Blähungen und Durchfall. Fruktose ist oftmals ein Problem, weil viele Menschen heute deutlich mehr davon konsumieren, beispielsweise, indem sie zu viel Früchte statt Gemüse verzehren. Langfristig kann es zu einer Dysbiose im Darm kommen, weil das Verhältnis von «guten» und «schlechten» Keimen in der Darmflora aufgrund solcher Ernährungsmuster gestört wird. Dann braucht es eine Umstellung der Gesamternährung oder eine andere Auswahl von Lebensmitteln, vielleicht eine Darmsanierung oder zum Teil sogar ein Antibiotikum zur Behandlung der Beschwerden.
Sind Supplemente und/oder Nährstoffergänzungsprodukte für Menschen mit Zuckerverwertungsstörungen notwendig? Christiane Schäfer: Die vorliegenden Studien sind bezüglich dieser Fragestellung in der Durchführung manchmal unsauber: So ist der Zinkverlust zum Beispiel bei Durchfall hoch. Wenn also das Einschlusskriterium für eine Studie Durchfall ist, kann ein niedriger Zinkstatus im Blut nicht allein der Fruktose angelastet werden, denn nicht jeder Malabsorber hat täglich Durchfall. Es ist also häufig die Frage, wie die Studien durchführt wurden und wer anschliessend die Pathologie bewertet hat.
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Die meisten Ergänzungsprodukte halte ich für unsinnig, weil die Fruktosemalabsorption kein dauerhaftes Problem ist, sondern sich innerhalb kurzer Zeit durch eine Änderung des Essverhaltens und der Lebensmittelauswahl beseitigen lässt.
Hat der Konsum von Fruktose auch Vorteile? Christiane Schäfer: Aus internistischer Sicht hat die hohe Fruktosezufuhr keine Vorteile. Allerdings ist der Einsatz der Fruktose aus monetären Gründen zum Beispiel für die verarbeitende Lebensmittelindustrie von Vorteil, weil sie kostengünstig ist. Zudem hat Fruktose eine hohe Süsskraft und kann den Geschmack von vielen Nahrungsmitteln intensivieren. Eine weitere Zunahme des Fruktosekonsums mag auch in den von den deutschen, österreichischen und Schweizer Fachgesellschaft für Ernährung propagierten Formel «Fünfmal täglich Obst und Gemüse» liegen. Solche Empfehlungen führen dazu, dass dem sowieso höheren Früchtekonsum kein Riegel vorgeschoben wird, obwohl wir eigentlich vor allem dafür sorgen müssten, dass der Gemüseverzehr stark erhöht wird!
Welche Nachteile können sich aufgrund des hohen Fruktosekonsums entwickeln? Christiane Schäfer: Unser Körper kann die vielen Kohlenhydrate, die wir heute üblicherweise zu uns nehmen, nicht zwischenlagern. Denn wir haben keinen Speicher dafür. Wer sich wenig bewegt, aber viel Brot, Säfte, Früchte isst und trinkt, muss diese Kohlenhydrate irgendwo zwischenparken. Und der Ort dafür ist beim Menschen die Leber. Besteht ein Überangebot an Nahrungsfetten und/oder -kohlenhydraten, kann die Leber sie nicht mehr vollständig verarbeiten und abtransportieren. Sie speichert die Fette; man spricht von einer Fettleber, wenn mehr als 50 Prozent der Hepatozyten von einer Leberzellverfettung betroffen sind. Aber nicht nur adipöse Menschen können eine Fettleber entwickeln, sondern auch sogenannte TOFIS: Menschen, die aussen dünn sind, aber innen dick («Thin outside, fat inside»). TOFIS zeigen sozusagen verfettete Organe, wobei der Vorgang reversibel ist, wenn der Lebensstil angepasst wird, das heisst die Fruktosezufuhr reduziert und die körperliche Bewegung gesteigert wird. Bei einem sitzenden Lebensstil hingegen sollte man auf zu viel Fruktose verzichten und stattdessen moderat Eiweisse und Fette zuführen. Von der Bewegung her darf es gern ein Kraftausdauertraining sein. Selbst kleine regelmässige Übungseinheiten auf dem Teppich vor dem Fernseher sind hilfreich, um die kleinen Zellkraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, die dann Energie besser verbrennen und die Leber entlasten.
Sie empfehlen, dass neuartige Lebensmittel mit Zuckeralkoholen genau beobachtet werden sollen. Welche Probleme bringen diese mit sich? Christiane Schäfer: In Deutschland sind derzeit 18 neue Süssungsmittel in der Zulassung! Auf dem Markt befinden sich bereits Zuckeralkohole mit so gesund
Gesund oder zu fruktoselastig?
klingenden Namen wie Kokosblütenzucker und Birkenzucker. Diese Zuckeralkohole nehmen eine gefährliche Mittelposition ein, da sie andere Süssungsmittel in der Aufnahme blockieren können und zu Blähungen und Durchfall und so weiter führen. In der Werbung wird dann mit verführerischen Health Claims wie «zahnfreundlich» geworben. Aber so gesund sind die Produkte nicht. Denn gerade die Menschen, für die diese Zuckeralkohole ungeeignet sind, fallen auf das Marketing herein: beispielsweise der Bankangestellte, der bei Hunger schnell einen Apfel isst und einen «gesunden» Fruchtsaft vor der nächsten Sitzung trinkt, schnell einen zuckerfreien Kaugummi isst, weil er Mundgeruch aufgrund der Ernährung hat und mit «frischem Atem» dem nächsten Kunden gegenübertreten möchte. Die Zuckeralkohole verstärken alle gastrointestinalen Probleme, und irgendwann kommt der Betroffene dann auf der Suche nach Informationen auf Internetseiten, die von Extremdiäten sprechen und diese als Heilmittel propagieren, obwohl das Problem einfach darin liegt, dass der Ernährungsstil nicht zum Bewegungsmuster passt.
Welche Empfehlungen könnten zu einer Änderung führen? Christiane Schäfer: Vor allem sollten Ernährungsempfehlungen keine Extreme enthalten. Ideal wären sicher Empfehlungen, die in Richtung Lifestyle, Kochkompetenz und vor allem symptombezogen orientiert sind. Das können pauschale Angaben meist nicht. Daher sollten auch diejenigen Fachgesellschaften zusammensitzen, die mit Ernährung zu tun haben, und gemeinsam alte Empfehlungen überdenken. Die Regel «Fünfmal am Tag Obst und Gemüse» ist meiner Ansicht nach veraltet. Wünschenswert wäre hier eine Umformulierung auf «Gemüse und Obst», um den Schwerpunkt auf Gemüse zu verdeutlichen. Gerade Gemüse sind eine Lebensmittelgruppe, deren Verzehr für Menschen mit einer Kohlenhydratassimilation sehr hilfreich in der Ernährung ist. Aber auch aus anderen präventivmedizinischen Gründen ist dies die wichtigste Regel, die wir alle beherzigen sollten!
«Die Fruktosemalab-
sorption hingegen ist eher ein Essfehler, kein
»beständiges Krank-
heitsgeschehen.
«Die Regel
sicht nach veraltet.
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Welche Empfehlung wäre denn sinnvoll? Christiane Schäfer: Wenn ich mich auf eine Regel festlegen sollte, wäre das zweimal am Tag Gemüse – mittags und abends – und idealerweise möglichst zweimal am Tag ein gutes Sauermilchprodukt. Am besten morgens und abends. In Sauermilch sind lebende Bakterien, die für den Magen-Darm-Trakt wichtig sind. Zusammen mit dem Gemüse wären so gute verdauungsphysiologische Grundlagen gebahnt. Zudem ist Bewegung entscheidend und in Abhängigkeit vom Bewegungsmuster kann dann auch gegessen werden, was gefällt.
Sind spezielle Altersgruppen besonders häufig betroffen? Was bedeutet es für die kindliche Entwicklung, wenn eine Fruktosemalabsorption oder Laktoseintoleranz festgestellt wird? Christiane Schäfer: Kinder haben bis zum 15. Lebensjahr kein Problem mit einer Laktoseintoleranz, ausser in Ausnahmefällen, in denen das Essverhalten und die Lebensmittelauswahl wirklich sehr unglücklich von den Empfehlungen abweichen. Das laktosespaltende Enzym ist aber auf jeden Fall noch ausreichend vorhanden, und es hat meist andere Gründe, wenn wir «Bauchschmerzkinder» behandeln. Bei der Fruktosemalabsorption gehen wir von einem Mengenproblem aus. Viele Kinder nehmen unphysiologische Mengen an Zucker auf, die noch nicht zur Aufnahmefläche des kindlichen Darms passen.
Wie kann der erwachsene Betroffene Fruktose wieder vermehrt in die Ernährung einbauen? Christiane Schäfer: Am sinnvollsten ist es meiner Meinung nach, eine professionelle Ernährungstherapie in Anspruch zu nehmen. Auch Krankenkassen und Ärzte unterstützen mittlerweile diese Sichtweise. Denn das Nahrungsmittelangebot und die Verzehrmöglichkeiten sind heute so vielfältig, dass es unsinnig ist, Pauschalempfehlungen und zu geben oder eine Listenernährung durchzuführen. Generell sollten die Betroffenen die Fruktosezufuhr überprüfen und gegebenenfalls reduzieren, aber nicht weglassen. Ich rate dazu, die Früchte durch Gemüse zu ersetzen. So lernen die Betroffenen schnell, mehr Gemüse in den Alltag einzubauen. Wird Fruktose verzehrt, dann sollte dies idealerweise in Kombination
mit einem Transporter – also Fett – geschehen. Das erleichtert die Aufnahme von Fruktose. Schon nach einer Woche sind in der Regel fast keine Probleme mehr zu beobachten.
Kann es sein, dass aus Angst vor Unverträglichkeiten auch fälschlicherweise auf FODMAP (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyol) und Gluten verzichtet wird? Christiane Schäfer: Wer eine Zöliakie hat, muss glutenfrei essen. Diese Glutenunverträglichkeit an sich betrifft aber nur wenige Menschen. In der Schweiz ist dies 1 Person von 100. Aber Gluten ist ja heute ein Medienthema, eine Grundernährung, die en vogue ist und an der viele Firmen verdienen, ohne dass wir klare Biomarker haben oder wirklich wissen, wie sie diagnostiziert werden soll. Meist basiert der Glutenverzicht auf einer Eigendiagnose. Aber rein aus Beschwerdegründen, oder «einfach mal so» auf Gluten zu verzichten, macht keinen Sinn. Auch die FODMAP sind ein heiss umstrittenes Thema. Anstatt auf alle Zucker zu verzichten, sollte nur der Verursacher gemieden werden. Das ist heute leider nicht der Fall. Viele Empfehlungen im Netz und von angeblichen Therapeuten arbeiten heute mit Listen, die eine strikte Auslassdiät propagieren. Das ist im Vergleich so, als wenn es auf den Strassen mehr Unfälle gäbe und als Konsequenz würde allen Fahrern der Führerausweis weggenommen. Das ergibt ja auch keinen Sinn. Dem Ganzen fehlt dann praktisch der Trainingseffekt. Da in der Ernährungsmedizin aber oftmals nach Evidenz verlangt wird und Studien Evidenz erbringen müssen, sind solche Pauschalansagen an der Tagesordnung, ohne die Gesamtentwicklung im Fokus zu haben.
Sehr geehrte Frau Schäfer, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: Dipl. oec. troph. Christiane Schäfer (Univ.) Team Ernährung Allergologische Schwerpunktpraxis Colonnaden 72 D-20354 Hamburg Internet: www.christianeschaefer.de
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