Transkript
TOXINE
Aflatoxine
DOMINIQUE SCHMIDT
Aflatoxine sind Mykotoxine, die vor allem von zwei Spezies von Aspergillus produziert werden. Aspergillus ist eine Schimmelpilzart, die in erster Linie in feucht-warmen Klimazonen vorkommt. Es ist bekannt, dass Aflatoxine genotoxisch und karzinogen wirken.
Entdeckung
1960 starben in England in einer Truthahnfarm mehr als 100 000 Tiere innert kürzester Zeit. Die Krankheit wurde zuerst Turkey-X-Disease genannt. Schliesslich wurde das Gift von Aspergillus flavus im brasilianischen Mais gefunden, der für die Fütterung der Tiere verwendet worden war. Entsprechend wurde daraus der Name abgeleitet: Aspergillus-flavus-Toxin = Aflatoxin (1).
Vorkommen
Aflatoxine kommen in Nahrungsmitteln vor, vor allem in Erdnüssen, Baumnüssen, Pistazien, Mandeln, Mais, Reis, Feigen und anderen getrockneten Nahrungsmitteln sowie in Getreide, Soja, Gewürzen, rohen vegetalischen Ölen, Kakaobohnen und Baumwollsamen. Die Kontamination kann sowohl vor als auch nach der Ernte erfolgen. Neuere Modellberechnungen lassen vermuten, dass durch die Klimaerwärmung die Aflatoxinkontamination bei Getreide in Europa zunehmen wird (2). Der am meisten verbreitete Typ von Aflatoxinen und zugleich der gefährlichste ist Aflatoxin B1. Er wird von Aspergillus flavus und Aspergillus parasiticus gebildet. Das Hauptabbauprodukt von Aflatoxin B1
ist Aflatoxin M1, das eine etwas schwächere, im Übrigen aber ähnlich schädliche Wirkung besitzt und in der Milch von mit verseuchten Nahrungsmitteln gefütterten Tieren enthalten ist (3). Hochrechnungen ergeben, dass bis zu ein Viertel der Welternteproduktion mit Aflatoxinen verseucht ist. Das führt zu grossen finanziellen Verlusten in den industrialisierten Ländern und hohen Erkrankungsraten in nicht industrialisierten Ländern (4).
Toxische und karzinogene Wirkung
Unterschieden wird zwischen einer unmittelbar toxischen Wirkung durch eine einmalige Aufnahme hoher Dosen und einer karzinogenen Wirkung durch wiederholte Aufnahme von geringeren Dosen. Die letale Dosis beim Erwachsenen beträgt 1 bis 10 mg/kg Körpergewicht. Allerdings kann eine hepatotoxische Wirkung – vor allem bei wiederholter Aufnahme – schon bei Konzentrationen von 10 µg/kg Körpergewicht beobachtet werden. Die karzinogene Wirkung beruht darauf, dass das Aflatoxin nach Aufnahme in den Hepatozyten unter Einwirkung von Zytochrom P450 in ein sehr reaktionsfähiges
Abbildung 1: Aspergillus flavus (1)
Abbildung 2: Strukturformel von Aflatoxin B1
Epoxid umgewandelt wird, das in den Zellkern eindringt und DNA-Veränderungen verursachen kann. Mutationen des p53-Tumorsuppressor-Gens sind nachgewiesen worden (5). Aflatoxin B1 kann jedoch auch weiter in Aflatoxin M1 umgewandelt und zu einem gewissen Teil in der Milch ausgeschieden werden. Bei oraler Aufnahme führt es insbesondere zu Leberkarzinomen, gelegentlich auch Nie-
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Abbildung 3: Aflatoxine auf Mais
risiert durch Erbrechen, Bauchschmerzen, Lungenödem, Hämorrhagie, Krämpfe, Koma und Tod durch Hirnödem. Die pathologischen Befunde zeigen eine Fettumwandlung von Leber, Niere und Herz. Bei Mykotoxinen besteht keine typische Dosis-Wirkungs-Kurve. Die Wirkung hängt unter anderem aber von Alter, Geschlecht, Rasse und Ernährungszustand des Individuums ab. Ausserdem spielen konkomittierende Infektionen vor allem mit Hepatitis-B-Viren und Parasiten eine Rolle. Eine lang dauernde Einnahme selbst von niedrigen Aflatoxindosen kann, wie schon vorgängig erwähnt, zu Leberzellkarzinomen führen (11).
Abbildung 6: Gewürze und Getreideprodukte auf einem Markt
Abbildung 4: Edelschimmel des Käses
Abbildung 5: Aspergillusbefall von Brot
renkarzinomen. Bei Trägern des Hepatitis-B-Virus ist die Leberkarzinominzidenz noch um ein Vielfaches höher (mindestens 30-mal höher!) (6–8). Da aber auch die Schimmelpilzsporen Aflatoxine enthalten, kann beim Verarbeiten von aflatoxinhaltigen Lebensmitteln Staub entstehen, der bei wiederholtem Einatmen zu Lungenkarzinomen führen kann (9). Aflatoxine sind die häufigste Ursache für die Entstehung von hepatozellulären Karzinomen beim Menschen. In gewissen Gegenden Chinas und der Subsaharazone Afrikas kommt es dadurch zu mindestens 250 000 Todesfällen pro Jahr (1, 10). Symptome Akute Aflatoxinintoxikationen wurden aus Ländern wie Taiwan, Uganda und Indien berichtet. Das Syndrom ist charakte-
Vorbeugungsmassnahmen
von Staat und Industrie
Die Reduktion des Aflatoxinbefalls beginnt bei der richtigen Produktion, Lagerung und Verarbeitung der potenziell gefährdeten Nahrungs- und Futtermittel. Dabei ist jedoch ausdrücklich zu beachten, dass die Aflatoxine nicht hitzelabil sind und durch Erhitzen und Kochen nicht inaktiviert werden. Ganz entscheidend ist eine trockene und kühle Lagerung. Sämtliche Industrienationen haben Maximalkonzentrationen festgelegt, die im Land und beim Import an der Grenze kontrolliert werden. In der Schweiz erfolgt die Überwachung der Mykotoxinhöchstwerte vollzugseitig durch die kantonalen Laboratorien. Die Kontrolle der Futtermittel wird von Agroscope Liebefeld-Posieux überprüft. Gerade vor dem Hintergrund des globalen Handels sind diese Überprüfungen sowie die korrekte Probenahme ganz entscheidend. Bei Milchprodukten handelt es sich um die Werte von Aflatoxin M1, bei allen anderen um Aflatoxin B1. Ausserdem werden Grenzwerte für die Summe von Aflatoxin B1 + B2 + G1 + G2 festgelegt. Für Säuglingsnahrung gelten 10-fach tiefere Grenzwerte, für vor dem Verzehr einer physikalischen Behandlung unterzogene Nahrungsmittel ein 2- bis 4-fach höherer Grenzwert. Neuerdings wird der Zusatz toxinbindender Substanzen vor allem in Futtermitteln erprobt. Diese Materialien sollen mit den
Mykotoxinen noch vor der Aufnahme in den Körper einen schwer löslichen Komplex bilden, der im Darm der Tiere nicht resorbiert, sondern ausgeschieden wird. Auch die biologische Entgiftung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Diese Verfahren beruhen auf einer Deaktivierung der Toxine durch Mikroorganismen und Enzyme. Zum Reinigen verschiedener Verarbeitungsmaschinen wird von der Lebensmittelindustrie Natriumhypochlorit eingesetzt (4, 11). Die Hauptverbreitungsgefahr aflatoxinhaltiger Nahrungs- und Futtermittel ist für Europa vorerst vor allem beim Import zu sehen. Die konsequenten Kontrollen bei der Einfuhr scheinen Erfolge zu zeitigen. Bei den Grenzkontrollen werden zunehmend weniger Lieferungen, welche die Grenzwerte überschreiten, festge-
Tabelle: Grenzwerte Aflatoxin bei Importware in die Schweiz und die EU (12, 13)
Nahrungsmittel Getreide Mais Reis Erdnüsse Haselnüsse Mandeln Paranüsse Pistazien Trockenobst Gewürze Milch Käse
Grenzwert in mg/kg 0,002 0,005 0,005 0,002 0,005 0,008 0,005 0,008 0,002 0,005 0,00005 0,00025
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stellt und zurückgewiesen, als dies noch vor zehn Jahren der Fall war (14–16).
Massnahmen im Haushalt
Lebensmittel sollen im Haushalt kühl und trocken gelagert werden; Tiefkühlen gilt als optimal. Pilzbewachsene Lebensmittel sollen als Ganzes weggeworfen werden, da der sichtbare Pilzbefall nur einen kleinen Teil des Pilzes ausmacht. Bei leichtem Schimmelbefall von Käse und Marmelade genügen das Entfernen einer Schicht von zirka einem Zentimeter und das anschliessende Aufbewahren in der trockenen Kühle. Nicht mit aflatoxinbildendem Aspergillus zu verwechseln sind die Edelschimmel des Käses, wie er zum Beispiel bei Gorgonzola, Roquefort, Camembert und anderen Käsesorten vorkommt. Diese sind unbedenklich. Kontaminierte Nahrungsmittel sollten idealerweise mit der Verpackung entsorgt werden. Hartbehälter und Stoffe sollen mit Seife gewaschen werden, da Aflatoxine in alkalischem Milieu inaktiviert werden. Gleiches gilt bei der Tortillaherstellung, bei der ein alkalisches Milieu entsteht. Hier ist eine Aflatoxinverseuchung kaum möglich. Besondere Vorsicht ist bei Auslandreisen mit Ferienmitbringseln geboten. Wegen anderer gesetzlicher Richtlinien sind im Ausland Gewürze und speziell Pistazien und Muskatnuss gefährlich. Neben er-
höhten Schwermetallkonzentrationen (Blei, Cadmium, Arsen, Selen), karzinogenen Farbstoffen (Sudanrot, Pararot, Rhodamin) und Pestiziden können sie – vor allem wegen unsachgemässer Lagerung – deutlich erhöhte Aflatoxinkonzentrationen enthalten. Beim Kauf von Gewürzen empfiehlt es sich generell, kleinen Verpackungen den Vorzug zu geben und die Verfalldaten einzuhalten. Um Feuchtigkeitseinwirkung zu vermeiden, sollen Streuwürzen beim Anwenden nicht über den Pfannendampf gehalten werden. Aflatoxingefährdete Gewürze sind vor allem Chili, Paprika, Pfeffer, Muskat, Ingwer und Gelbwurz sowie Currypulver, das die Mehrzahl dieser Gewürze enthält. Auch wenn man zu Nahrungsmitteln vernünftig Sorge trägt und Aflatoxine nur in etwa der Hälfte der schimmelbefallenen Nahrungsmittel nachweisbar sind, empfiehlt sich deren Entsorgung generell aus gesundheitlichen Gründen. Auch Tieren sollen diese Lebensmittel nicht verfüttert werden, da Aflatoxine für alle Säugetiere und selbst Vögel und Fische toxisch sind.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Dominique Schmidt Facharzt Innere Medizin FMH Medizinischer Gutachter SIM Hirzbodenweg 50, 4052 Basel E-Mail: info@dschmidt.ch
Literaturverzeichnis: 1. Environmental Health & Safety Online (EHSO), Atlanta, 20.12.2012. 2. EFSA, Europe: Emergence of aflatoxius in cereals in the EU due to climate change. External scientific report, published 23. January 2012. 3. EFSA, Europe: Aflatoxins in food, updated 23. January 2012. 4. Hamed K. Abbas (editor): Aflatoxin and Food Safety. Taylor and Francis, London and New York, 2005. 5. Bressac B et al. Selective G to T mutations of p53 gene in hepatocellular carcinoma from southern Africa. Nature. 1991; 350 (6317): 429. 6. John L. Herrmann, Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives (JECFA), 49th meeting in 1997. 7. Chen CJ et al. Elevated aflatoxin exposure and increased risk of hepatocellular carcinoma. Hepatology. 1996; 2 (1): 38. 8. Bosch FX et al. Epidemiology of primary liver cancer. Semin Liver Dis. 1999; 19 (3): 271. 9. Verbraucherschutz-Jahresbericht 2000, Niedersächsisches Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 2000. 10. Azziz-Baumgartner E. et al. Case-control study of an acute aflatoxicosis outbreak, Kenia, 2004. Environ Health Prospect. 2005; 113 (12): 1779. 11. Mahendra R, Ajit V. Mycotoxins in Food, Feed and Bioweapons. Springer, Berlin und Heidelberg, 2009. 12. Verordnungdes EDI über Fremd- und Inhaltsstoffe in Lebensmitteln vom 26.6.1995 (Stand 7.5.2012): SR 817.021.23. 13. Amtsblatt der Europäischen Union, L 50/8, 27.2.2010: Verordnung (EU) Nr. 165/2010 der Komission vom 26.2.2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln hinsichtlich Aflatoxin. 14. Gewürze/Aflatoxine B & G, Ochratoxin A, Blei und Farbstoffe. Gemeinsame Kampagne Basel-Landschaft (Schwerpunktslabor) und Basel-Stadt. Kant. Laboratorium BL, 10.7.2000. 15. Aflatoxine B & G und Ochratoxin in Erdnüssen, Pistazien, Paranüssen und weiteren Nüssen. Schwerpunktprogramm an der Grenze Mai 2011, Laboratorium BL. 16. Mykotoxine in Reis: Aflatoxine B & G und Ochratoxin A. Kampagnenbericht, Kantonslabor BL, 22.2.2011.
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