Transkript
NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN
FODMAP-Konzept: Praktische Umsetzung und Fallbeispiele
SILVIA MAISSEN*, CAROLINE KISS*
Silvia Maissen
Bei Patienten mit einem Reizdarmsyndrom (RDS) spielt die Ernährung eine zentrale Rolle, und in den letzten Jahren wurde ihr wieder vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Eine individuelle und auf die Symptome ausgerichtete Ernährungstherapie ist ein entscheidender Faktor im Behandlungskonzept des RDS. Mit dem FODMAP-Konzept gibt es nun erstmals ein wissenschaftlich basiertes Behandlungsvorgehen für die Ernährungsberatung. Dieser Ansatz basiert auf dem Meiden der osmotisch aktiven und schlecht absorbierbaren Kohlenhydrate, die im Kolon durch die bakterielle Fermentation zu schmerzhaften Blähungen und Diarrhö führen können. Durch eine FODMAPreduzierte Ernährung ist keine Heilung des RDS möglich; es kann jedoch eine Symptomkontrolle mit Verbesserung der Lebensqualität erzielt werden. Nachfolgend werden das FODMAP-Konzept und dessen praktische Umsetzung anhand von Fallbeispielen erläutert.
Caroline Kiss
In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurde die Bedeutung der Laktose und der Fruktose sowie des Sorbits als Trigger des RDS bekannt. Es war jedoch klar, dass das nicht die einzigen Triggersubstanzen sind. Durch weitere Forschung in der Biochemie und der Verdauungsphysiologie der Kohlenhydrate wurden weitere kurzkettige Kohlenhydrate als mögliche Auslöser bekannt und resultierten im FODMAP-Konzept. Die erste Publikation dazu erschien 2005 von dem Gastroenterologen Peter Gibson und der Ernährungsberaterin Sue Shepherd. Ein wachsendes Team von Gastroenterologen, Forschern und Ernährungswissenschaftlern an der Monash University, Eastern Health und Central Clinical School in Australien hat den Ansatz erweitert. Die meisten Analysen zum Gehalt dieser kurzkettigen Kohlenhydrate in Lebensmitteln wurden dort oder am King’s College der University of London durchgeführt.
*Ernährungsberatung; Endokrinologie, Diabetologie und Metabolismus; Universitätsspital Basel
Heute gilt das Konzept für Patienten mit unspezifischen Magen-Darm-Beschwerden als evidenzbasiert (1). Es gibt bereits mehrere Studien mit Patienten mit RDS mit gutem Erfolg (siehe Seite 12 dieser Ausgabe), erste Daten liegen auch bei Patienten mit Ileostoma oder Pouchitis vor. Möglicherweise ist das Konzept auch bei entzündlichen Darmerkrankungen zur Beschwerdereduktion wirksam.
Was sind FODMAP?
Das Akronym FODMAP steht für Fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide and Polyole. FODMAP haben drei typische Eigenschaften, die zu Symptomen führen können (1): • Sie sind nur teilweise im Dünndarm
resorbierbar. • Sie sind kleine Moleküle und daher
osmotisch aktiv. • Sie werden schnell von Bakterien
fermentiert. Die nicht resorbierten Saccharide lösen einen osmotischen Effekt aus, der zu einem Wassereinstrom ins Ileum und Kolon
führt. Weiter werden sie im Kolon durch bakterielle Zersetzung zu kurzkettigen Fettsäuren, Methan, Kohlendioxid und Wasserstoff metabolisiert (2). Diese Fermentierung führt zu einer Gasbildung, die Symptome wie Flatulenzen und – durch den gesteigerten Druck auf die Darmmukosa – abdominale Schmerzen auslöst (3).
Fermentierbare Oligosaccharide: Fruktane, Frukto-Oligosaccharide und Galakto-Oligosaccharide
Fruktane sind Oligosaccharide und Polysaccharide der Fruktose und enthalten in ihrer Struktur ein an Fruktosemoleküle gebundenes Glukosemolekül (3). Die Kettenlänge variiert von zwei bis zu mehreren Hundert Elementen (4). Inulin ist eine Untergruppe der Fruktane mit einem Polymerisationsgrad > 10 und wird aus
Abkürzungen
RDS Reizdarmsyndrom FOS Frukto-Oligosaccharide GOS Galakto-Oligosaccharide
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NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN
Tabelle: FODMAP-Gruppen mit Nahrungsmittelbeispielen
FODMAP
Fermentierbare Oligosaccharide (Fruktane, FOS und GOS)
Disaccharid Laktose
Monosaccharid Fruktose
Polyole
FODMAP-reich
FODMAP-arm
Nektarinen, Wassermelone, Artischocken, Knoblauch, Zwiebeln, Weizen, Roggen, Pistazien, Hülsenfrüchte
Buchweizen, Dinkel, Hafer, Kartoffeln, Mais, Quinoa, Reis
Milch, Joghurt, Frischkäse
laktosefreie Milch und Joghurt
Hart-, Halbhart- und Weichkäse
Honig, Äpfel, Birnen, Mango, Wassermelone, Spargel
Aprikosen, Bananen, Honigmelone, Orangen, Kiwi, Ahornsirup, Melasse
zahnschonende Kaugummi/Bon- Bananen, Heidelbeeren, Kiwi, bons, Äpfel, Birnen, Steinfrüchte, Orangen, Rhabarber Wassermelone, Blumenkohl, Pilze
den Wurzeln des Chicorées gewonnen (3). Fruktane mit einem Polymerisationsgrad < 10 werden Frukto-Oligosaccharide (FOS) genannt (2). FOS und Inulin werden heute in der Nahrungsmittelindustrie aufgrund ihres präbiotischen Effekts Produkten wie beispielsweise Joghurt und kalorienoder fettreduzierten Lebensmitteln zugesetzt (1). Da Fruktane im Dünndarm nicht resorbiert und Fruktose-Fruktose-Ver bindungen nicht aufgespalten werden, gelangen sie ins Kolon. Fruktane kommen in grossen Mengen in bestimmten Gemüsesorten (z.B. Zwiebeln, Knoblauch) und Getreidesorten wie Weizen und Roggen, jedoch nur in kleinen Mengen in Hafer oder Dinkel vor (3). Galakto-Oligosaccharide (GOS) sind Kohlenhydratketten mit Galaktosemolekülen und je einem Fruktose- sowie Glukosemolekül. Beispiele hierfür sind Raffinose und Stachyose (2); sie kommen in Hülsenfrüchten wie Linsen, Kichererbsen oder Borlottibohnen vor. Wie bei den Fruktanen fehlt dem menschlichen Körper das Enzym für die Spaltung dieser Kohlenhydratketten. Folglich gelangen GOS immer in das Kolon, wo sie zu Symptomen führen können (1). Weil dem Menschen sowohl für die Spaltung von Fruktanen als auch von GOS ein Enzym fehlt, gibt es für diese kurzkettigen Kohlenhydrate keine Testverfahren, um eine allfällige Unverträglichkeit feststellen zu können. Disaccharid: Laktose Die Laktose ist ein Disaccharid, bestehend aus Galaktose und Glukose, und kommt in Milch und Milchprodukten vor. Für die Spaltung der Laktose ist das Enzym Laktase erforderlich, das im Bürstensaum der Enterozyten des Dünndarmes lokalisiert ist (5). Die Laktose erfüllt nur bei einer Laktoseintoleranz die Kriterien der typischen, oben genannten FODMAPEigenschaften (1). Aus diesem Grund handelt es sich um ein spezielles FODMAP. Monosaccharid: Fruktose Fruktose kommt als Monosaccharid, als Disaccharid (Saccharose) und wie bereits erwähnt als Oligosaccharid sowie Polysaccharid (Fruktane) vor. Die verschiedenen Mechanismen der Fruktoseaufnahme sind noch nicht vollständig erforscht (6). • Durch bestimmte Transportproteine (GLUT-5) wird Fruktose passiv durch den Bürstensaum des Dünndarms transportiert. Weitere Transportproteine (GLUT-2) sorgen dafür, dass Glukose, Fruktose und Galaktose ins Blut aufgenommen werden. • Wird Glukose aktiv durch den Bürstensaum resorbiert, finden sich dort auch GLUT-2, das die Fruktose aufnimmt und weitertransportiert. Das erklärt die erleichterte Aufnahme von Fruktose, wenn gleichzeitig Glukose vorhanden ist, und die effiziente Resorption von Saccharose (2). Die Fähigkeit des Dünndarmes zur Fruktoseaufnahme ist limitiert. Studien zeigen, dass 50 g Fruktose bei 80 Prozent der Personen nicht vollständig resorbiert werden (7). In grossen Mengen stellt reine Fruktose deshalb immer ein Problem dar. Bei den Früchten, die sowohl Fruktose als auch Glukose enthalten, findet somit eine erleichterte Aufnahme statt. Jedoch muss die Verträglichkeit von Früchten, die mehr Fruktose als Glukose oder grosse Mengen an Fruktose enthalten, ebenso wie Honig, beachtet werden (3). Die gleichzeitige Einnahme von Fruktose und Sorbit verschlechtert die Fruktoseresorption im Dünndarm (7). Die Fruktosezufuhr erhöht sich zudem durch den Verzehr von stark fruktosehaltigem Maissirup, der als Süssungsmittel verwendet wird. Dieser sogenannte High-Fructose Corn Syrup (HFCS) wird in der Schweiz allerdings deutlich seltener eingesetzt als in den USA (3). Polyole Polyole sind Zuckeralkohole und kommen in natürlicher Form in einigen Früchten und wenigen Gemüsesorten vor. Sorbit findet sich vor allem in Früchten mit viel freier Fruktose, Mannit kommt zum Beispiel in Pilzen vor. Verwendet werden Polyole als energiearme Süssungsmittel in Diät- und Lightprodukten. Klar abzugrenzen von den Polyolen oder Zuckeraustauschstoffen sind die Süssstoffe, die aufgrund ihrer chemischen Struktur nicht zu den Kohlenhydraten zählen. Zu finden sind Polyole auch in zahnschonenden Kaugummis, Bonbons und Produkten mit dem Vermerk «kann bei übermässigem Verzehr abführend wirken». Sie werden durch passive Diffusion absorbiert, da der menschliche Organismus dafür kein spezielles Transportsystem besitzt (1). FODMAP-Konzept Das FODMAP-Konzept beruht darauf, die kurzkettigen Kohlenhydrate auf ein tolerierbares Minimum zu reduzieren. Dabei werden die FODMAP (Tabelle) in einer ersten Restriktionsphase 4 bis 6 Wochen lang strikt reduziert, um eine Symptomverbesserung herbeizuführen. 19 3/13 NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN Andere Therapiestrategien Nein Diagnose von RDS Ist der Patient bereit für eine Ernährungsumstellung? H2-Atemtest (Fruktose, Laktose) Zuweisung mit Verordnung an spezialisierte Ernährungsberaterin Phase 1 : Restriktion aller FODMAPs Phase 1 : Restriktion Fruktane, GOS, Polyole + je nach Resultat Fruktose/Laktose Überprüfung des Ansprechens nach 4-6 Wochen Keine Verbesserung Partielle Verbesserung Zufriedenstellende Verbesserung Evtl. Verlängerung der Restriktionsphase 2–4 Wochen Berücksichtigung zusätzlicher Ernährungs-Trigger Keine Verbesserung Erneute Vorstellung beim Arzt Abbildung: FODMAP-Konzept bei funktionellen Darmerkrankungen Phase 2 : Wiedereinführung der FODMAPs gemäss Toleranz Phase 3: FODMAP-reduziert Langzeiternährung Überprüfung der Ausgewogenheit Danach erfolgt die schrittweise Einführung einzelner FODMAP-haltigen Lebensmittel bis zur individuellen Toleranzmenge. Die letzte Phase stellt die Langzeiternährung einer individuellen FODMAP-reduzierten Ernährung dar. In der Abbildung ist das diätetische Vorgehen grafisch dargestellt. Die FODMAP können sich im Laufe eines Tages – oder speziell bei trägem Darm über mehrere Tage hinweg – akkumulieren und Beschwerden auslösen. Das erschwert das Erkennen spezifischer Lebensmittel als Ursache für die Symptome und erklärt, weshalb eine globale Restriktion sinnvoll ist. Da alle FODMAP ähnliche Symptome verursachen können, ist es in der Regel auch nicht sinnvoll, nur einzelne zu eliminieren. Bei negativem H2-Atemtest mit Laktose und je nach täglicher Laktosezufuhr muss dieses FODMAP jedoch nicht weggelassen werden; damit kann eine unnötige Restriktion verhindert werden (1). Ein Essbe- schwerdeprotokoll und Skalierungen (0 = keine bis 10 = sehr stark) der Symptome sind sehr hilfreich, um Trigger zu eruieren und den Beschwerdeverlauf zu verdeutlichen. Neben den FODMAP müssen auch weitere mögliche Beschwerdeauslöser wie Fett, Alkohol, Nikotin, Koffein, grosse Mahlzeiten und Mahlzeitenrhythmus berücksichtigt werden (1). 1. Phase: Restriktion der FODMAP In der Restriktionsphase wird 4 bis 6 Wochen lang eine FODMAP-arme Ernährung durchgeführt. Die Lebensmittel werden für diese Phase in FODMAP-arm und FODMAP-reich eingeteilt mit dem Ziel, die gesamte FODMAP-Zufuhr zu reduzieren. Um die Fruktosezufuhr zu reduzieren, müssen Früchte mit deutlich höherem Fruktose- als Glukosegehalt weggelassen werden, und pro Mahlzeit sollten nicht mehr als 3 g Fruktose gegessen werden (1, 3). Auf laktosehaltige Fertigprodukte wird verzichtet, und laktosehaltige Milchpro- dukte werden durch laktosefreie ersetzt. Die meisten Gemüsesorten können ohne Mengeneinschränkung gegessen werden. Ebenso wird die Zufuhr grosser Mengen von Fruktanen eingeschränkt. Eine Menge von < 0,5 g Fruktan pro Portion und Mahlzeit gilt als FODMAP-arm und wird in der Regel toleriert (3). GOS, FOS und Polyole werden in dieser Phase gänzlich aus der Ernährung gestrichen (1). Eine FODMAP-arme Ernährung hat jedoch nichts mit einer weizen- oder roggenfreien Ernährung zu tun, ebenso wenig mit einer glutenfreien Ernährung. Damit die FODMAP-arme Ernährung auch korrekt umgesetzt werden kann, ist eine ausführliche Instruktion wichtig. Der Patient sollte Alternativen für die FODMAPreichen Lebensmittel kennen, um eine bedarfsgerechte Ernährung zu gewährleisten (8). Deshalb werden auch Menüvorschläge besprochen und Rezepte abgegeben (3). In der Beratung erhält der Patient zudem konkrete Hinweise für die Abänderung von Rezepten und das Lesen von Lebensmitteldeklarationen (1). 2. Phase: Wiedereinführung der FODMAP In der zweiten Beratung, die nach der Restriktionsphase erfolgt, wird die Veränderung der Symptome anhand des Essbeschwerdetagebuchs besprochen. Ist eine Verbesserung erfolgt, werden die FODMAP-haltigen Nahrungsmittel schrittweise wieder eingeführt. Diese Phase dauert unterschiedlich lang – wichtig ist dabei, dass jeweils immer nur ein FODMAP getestet wird (1). Beispielsweise kann Fruktose mit Honig, Laktose mit Milch, Sorbit mit Aprikosen, Mannit mit Pilzen getestet werden. Jeder Test wird mehrere Tage lang jeweils einmal täglich durchgeführt (8). Anhand des durch den Patienten geführten Essbeschwerdeprotokolls lässt sich die tolerierbare Menge eruieren. Die Wiedereinführungsphase ist wesentlich, um eine maximale Vielfalt in der Ernährung zu gewährleisten. Falls die Symptomverbesserung trotz FODMAP-armer Ernährung unzureichend ist, müssen weitere Trigger (z.B. Nahrungsfasern, Alkohol, Portionsgrössen, Stress etc.) einbezogen werden (1). Ergibt 3/13 20 NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN sich auch durch diesen Ansatz keinerlei Besserung, erfolgt eine erneute Vorstellung beim zuweisenden Arzt. 3. Phase: FODMAP-reduzierte Langzeiternährung In dieser dritten Phase wird die langfristige Ernährung mit der individuellen Reduktion der FODMAP definiert. Ziel ist es, so wenig Einschränkungen wie möglich zu haben (1). Die Betroffenen sollen lernen, Lebensmittel, die Symptome verursachen, durch andere vielleicht bis anhin unbekannte Nahrungsmittel zu ersetzen, um damit einer ungenügenden Bedarfsdeckung an Mikro- und Makronährstoffen entgegenzuwirken (3). Da das FODMAP-Konzept keine ganzen Lebensmittelgruppen eliminiert, kann davon ausgegangen werden, dass eine ausreichende Nährstoffzufuhr gewährleistet ist (8). Für viele RDS-Patienten ist das Auswärtsessen ein besonderer Stressfaktor. Es ist daher wichtig, sie zu ermutigen, auswärts zu essen und am sozialen Leben aktiv teilzunehmen. Sie sollten lernen, mit den Unverträglichkeiten umzugehen, aber auch wissen, dass FODMAP nicht gesundheitsschädigend sind. Fallbeispiel 1 Eine 36-jährige Patientin wurde zur Ernährungsberatung bei Verdacht auf RDS angemeldet. Frau M. hatte ein Gewicht von 65 kg, einen BMI von 22 kg/m2 und in den letzten 12 Monaten durch bewusstere Ernährung und vermehrte körperliche Aktivität 10 kg abgenommen. Zum Zeitpunkt der Zuweisung litt sie bereits sechs Jahre an Blähungen, Bauchkrämpfen, Übelkeit und explosionsartiger Diarrhö. In letzter Zeit waren die Symptome intensiver und häufiger geworden. Frau M. hatte durchschnittlich viermal pro Woche Beschwerden, die 15 Minuten nach dem Mittag- oder Abendessen einsetzten. Der H2-Atemtest mit Laktose und allergologische Tests (Skin-Prick Tests und nahrungsmittelspezifische IgE) waren negativ. Beim H2-Atemtest mit 25 g Fruktose kam es nach einer Stunde zu einem Anstieg der H2-Konzentration von 40 ppm, zu Bauchkrämpfen und später zu Durchfall. Die Ernährungsanamnese zeigte, dass Frau M. 3 ausgewogene Hauptmahlzeiten ohne Zwischenmahlzeiten ass. Sie verzehrte täglich 3 Stärkeportionen, 3 Portionen Gemüse/Salat, keine Früchte und 2 Portionen Milch- und Milchprodukte. Zwischendurch nahm sie regelmässig zahnschonende Kaugummis, damit sie einen frischen Atem hatte. Sie trank knapp einen Liter Wasser, Alkohol und Kaffee mied sie, weil beides mit Beschwerden assoziiert war. Früher ass Frau M. täglich 3 Portionen Früchte; diese hatte sie aufgrund des positiven Testresultates sofort aus ihrer Ernährung eliminiert, was bereits zu einem deutlichen Rückgang ihrer Beschwerden führte. In der Erstberatung wurde Frau M. für die oben beschriebene 4-wöchige Restriktionsphase instruiert, jedoch ohne Einschränkung der Laktose. Dies, weil das Testresultat negativ war, sie kaum Laktose zu sich nahm und bei der Anamnese kein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und dem Laktoseverzehr bestand. Nach diesen 4 Wochen berichtete die Patientin, dass sich die Beschwerden in der Symptomskalierung von ursprünglich 10 auf 2 reduziert hatten. Die vereinzelt auftretenden Beschwerden an einigen Tagen waren durch ungeeignete Kantinenmenüs erklärbar. In der Testphase konnte sie die GOS ohne Probleme einführen. Deutlich wurde aber, dass sie stark auf polyolhaltige Kaugummis und Bonbons, auf fruktosehaltiges Obst (Äpfel, Birnen, Mango und Kirschen) und auf kleine Mengen Weizen, Knoblauch und Zwiebeln reagiert. Sie konnte Weizenbrot und Teigwaren durch Dinkelbrot und -teigwaren ersetzen, was sie selbst in grösseren Mengen tolerierte. Früchte wie Bananen, Kiwi und Zitrusfrüchte ass sie wieder problemlos. Mit diesen Einschränkungen war sie beschwerdefrei. Fallbeispiel 2 Eine 27-jährige Studentin wurde aufgrund von Diarrhö, Bauchschmerzen und -krämpfen mit Verdacht auf RDS zugewiesen. Frau S. hatte ein stabiles Gewicht von 68 kg und einen BMI von 25 kg/m2. Die Beschwerden hatten vor 10 Jahren während eines Sprachaufenthalts in Norwe- gen begonnen. Der H2-Atemtest mit 50 g Laktose zeigte keinen Anstieg des Wasserstoffs, aber sie litt nach 30 Minuten unter Blähungen und Bauchschmerzen mit nachfolgender Diarrhö. Gemäss Ernährungsanamnese verzehrte Frau S. 3 Haupt- und 2 bis 3 Zwischenmahlzeiten. Die Stärkebeilage der Hauptmahlzeiten bestand häufig aus Teigwaren, Sandwich oder Pizza und selten aus Kartoffeln oder Reis. Sie ass täglich Fleisch oder Fisch, 2 Portionen Gemüse, 1 Portion Obst sowie 3 Portionen Joghurt und fettreduzierte Milch. Ihre Trinkmenge lag bei 1 bis 1,5 Liter Wasser und Schwarztee. Auf kohlensäurehaltige Getränke und scharfe Speisen verzichtete sie bereits. Durch die bereits vor der Erstberatung durchgeführte, laktosearme Ernährung kam es kurzfristig zu einer Verbesserung der Symptome. Bei der Erstberatung litt Frau S. jeden 2. Tag an den beschriebenen Beschwerden. In der Anamnese wurde deutlich, dass ihre Symptome auch stark stressabhängig waren. Das vorgängig geführte Essbeschwerdeprotokoll zeigte, dass fettreiche Mahlzeiten und Kaffee vermehrt zu Symptomen führten. In der Beratung wurden die Grundlagen der Verdauung und der Einfluss von FODMAP sowie von Stress thematisiert. Zusätzlich wurde sie für eine 4-wöchige FODMAParme Ernährung instruiert. Die Restriktionsphase wurde bewusst nach der Prüfungszeit begonnen, um den Einfluss von Stress zu minimieren. In dieser Phase traten die Beschwerden nur noch vereinzelt auf. Die Symptomskalierung zeigte einen Rückgang von 8 auf 1. Teilweise hatte Frau S. etwas Mühe, passende Nahrungsmittel zu finden, und war unsicher im Interpretieren der Zutatenliste. Somit wurde das erneut geübt, Alternativen wurden besprochen und das Vorgehen der 2. Phase erläutert. Die Patientin testete danach sehr selbstständig alle FODMAP. Der grösste Einfluss auf die Beschwerden zeigte sich beim Weizen, Dinkel tolerierte sie jedoch problemlos. Rohe oder grosse Mengen Zwiebeln oder Knoblauch sowie Hülsenfrüchte wurden dagegen nicht vertragen und entsprechend gemieden. Alle anderen Früchte und Gemüsesorten konnte sie wieder 21 3/13 NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN problemlos einführen. Kleine Mengen Laktose, zum Beispiel ein Joghurt pro Tag, tolerierte sie, jedoch keine grösseren Mengen. Gelegentlich ass sie bewusst auch nicht gut verträgliche Lebensmittel und nahm die Beschwerden in Kauf. Fallbeispiel 3 Frau L, eine 40-jährige Patientin, wurde mit Verdacht auf RDS angemeldet. Sie hatte ein stabiles Gewicht von 56 kg und einen BMI von 21 kg/m2. Bereits seit der Kindheit litt sie an unspezifischen MagenDarm-Beschwerden. Vor einigen Jahren wurde mit einem H2-Atemtest (Anstieg von 10 ppm auf 130 ppm in 75 min und Auftreten von Blähungen und Diarrhö) eine Laktoseintoleranz festgestellt. Seither ass sie laktosearm und erfuhr dadurch teilweise eine Besserung der Symptome. Zu Beginn der Ernährungsberatung litt sie fast täglich an starken Blähungen und Bauchschmerzen, die bereits nach dem Frühstück auftraten. Normalerweise hat sie täglich Stuhlgang, jedoch alle 2 bis 3 Tage immer wieder Phasen mit hartem Stuhlgang, was die Symptome verstärkte. Berufsbedingt reiste sie viel in der Welt herum und hatte eine hohe Stressbelastung. Der Stress hatte bei ihr eine hohe Triggerfunktion. Gemäss Ernährungsanamnese hatte Frau L. einen regelmässigen Mahlzeitenrhythmus mit 3 Haupt- und 3 Zwischenmahlzeiten. Sie ass ausgewogene Mahlzeiten, bevorzugte Vollkornprodukte, 1 bis 2 Portionen laktosearme Milch/Milchprodukte, 3 Portionen Gemüse und bis zu 4 Portionen Früchte. Die Trinkmenge betrug bis zu 3 Liter Wasser oder ungesüssten Tee. Alkohol trank sie nur noch selten und in kleinen Mengen. Für die 1. Phase wurde sie instruiert, strikt laktosearm zu essen, den Früchte- und Gemüsekonsum zu reduzieren und keine Fruktane zu verzehren. Die 6-wöchige, korrekt durchgeführte Restriktionsphase zeigte jedoch keine deutliche Symptomverbesserung. Sie berichtete lediglich von einem Rückgang der Beschwerden von 6 auf 5 (Skalierung 0–10). Beim Essbeschwerdeprotokoll wurde deutlich, dass der Stress eine grosse Triggerfunktion hatte. Ein Zusammenhang mit spezi- fischen Lebensmitteln war nicht ersichtlich. Der Faktor Ernährung spielte somit bei ihr nur eine sehr geringe Rolle. Aus diesem Grund machte sie, abgesehen von der Laktose, keine weiteren Einschränkungen. In der Beratung wurden mit ihr eine ausgewogene Ernährung und Möglichkeiten für das Stressmanagement thematisiert. Ausserdem wurde auch der Zusammenhang zwischen dem Unterdrücken des Stuhldrangs und der Obstipation besprochen. Im Verlauf trat diese nur noch bei hoher Stressbelastung und auf Reisen auf. Dafür wurde von ärztlicher Seite eine medikamentöse Therapie zur Stuhlregulation eingeleitet. Diskussion Wie die Patientenbeispiele zeigen, sind die Umsetzung und der Erfolg des FODMAPKonzeptes sehr unterschiedlich. Wichtig ist eine vorgängige ärztliche Abklärung, um andere Erkrankungen auszuschliessen (siehe Seite 6 in dieser Ausgabe). Weiter wird die Beratung dieser Patienten durch eine spezialisierte Ernährungsberaterin in enger Zusammenarbeit mit dem Gastroenterologen empfohlen (1, 9). Zu diskutieren ist die Notwendigkeit der Durchführung der H2-Atemtests (Laktose, Fruktose). Die Resultate können hilfreich sein, da man bei einem negativen Testresultat Laktose und/oder Fruktose nicht meiden muss (1). Allerdings zeigt die Erfahrung, dass es in vielen Fällen trotz der Testresultate sinnvoll ist, alle FODMAP zu reduzieren. Eine auf diesem Gebiet erfahrene Ernährungsberaterin kann anhand der Anamnese und des Essbeschwerdeprotokolls abschätzen, welche FODMAP eingeschlossen werden sollen, und so unnötige Einschränkungen vermeiden. In der Erstberatung geht es um die Situationserfassung und um die Informationsvermittlung zur möglichen Entstehung der Beschwerden sowie um die Instruktion zur Durchführung der Restriktionsphase. Durch das Aufzeigen der Vorgänge im Verdauungstrakt können die Patienten ihre Symptome zuordnen und besser damit umgehen. Die Patienten werden auch aufgeklärt, was ein normaler Stuhlgang ist, was der gastrokolische Reflex ist und dass eine gewisse Menge an Gasen im Darm normal ist. Auch der Einfluss von Emotionen und Stress (Brain-Gut-Axis) wird thematisiert. Viele der Betroffenen leiden oft schon Jahre an den Beschwerden und fühlen sich häufig nicht ernst genommen. Aus diesem Grund ist der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung sehr wichtig (10). Für die Erstberatung muss mit 45 bis 60 Minuten gerechnet werden. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass 3 bis 4 Folgeberatungen erforderlich sind, wobei der letzte Termin nach einem grösseren Zeitraum (3–6 Monate) angesetzt werden sollte, um die Langzeiternährung zu überprüfen. Die Dauer der Restriktionsphase soll mindestens 4 bis 6 Wochen betragen; zu Symptomverbesserungen kommt es häufig schon früher (9). Da die Umsetzung im Alltag jedoch nicht ganz einfach ist, scheint diese Zeit sinnvoll und soll bei unklaren Resultaten um 2 Wochen verlängert werden. Für Personen, die hauptsächlich zu Hause essen und gewohnt sind zu kochen, ist die Umsetzung nicht allzu schwierig. Anders geht es Patienten, die häufig auswärts essen, geringe Kochkenntnisse haben oder bisher häufig Fertigprodukte verwendeten. Für sie bedeutet die Restriktionsphase oft eine grosse Umstellung. Sie müssen lernen, die Zutatenliste von Produkten zu lesen und zu interpretieren, was einen erheblichen Zeitaufwand bedeutet. Wichtig ist auch, dass der Zeitpunkt der Einschränkungen passend gewählt wird, um gegebenenfalls Stress zu minimieren und genügend Vorbereitungszeit einzuplanen. Falls eine Reise oder wichtige gesellschaftliche Anlässe anstehen, soll die Restriktionsphase auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Hatte der Patient Schwierigkeiten bei der Umsetzung oder konnte er sich nicht immer an die Restriktionen halten, ist je nach Situation eine Verlängerung der Testphase sinnvoll. Wird nach 8 Wochen jedoch keine Verbesserung erreicht, muss davon ausgegangen werden, dass die FODMAP keinen Einfluss auf die Beschwerden haben. Die zweite Phase ist sehr wichtig, damit der Patient die sehr restriktive Diät nicht längerfristig durchführt. Die Praxis zeigt, 23 3/13 NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN dass es Patienten gibt, die selbstständig Lebensmittel und Mengen austesten. Sehr ängstliche Patienten brauchen dagegen eine Anleitung für das Vorgehen. Eine rigide Einteilung der Lebensmittel in «verboten» und «erlaubt» ist abzulehnen. Die Grenzen zwischen FODMAP-arm und FODMAP-reich sind nicht klar definiert (1). Dazu kommt, dass für Schweizer Lebensmittel keine Daten zum FODMAP-Gehalt vorhanden sind, was besonders für lokale Produkte, Brote und Backwaren keine klare Aussagen erlaubt. Wichtig ist, Patienten zu motivieren, immer wieder FODMAP-haltige Lebensmittel zu konsumieren. Viele vertragen eine regelmässige Aufnahme von beispielsweise 1 bis 2 Stück Weizen- oder Roggenbrot, allerdings nicht mehr und auch keine zusätzliche Portion weizenhaltiger Teigwaren am gleichen Tag. Weil die blähenden Gemüsesorten auch sehr wertvolle Nahrungsinhaltsstoffe enthalten, wird ein gelegentlicher Konsum von kleinen Mengen Brokkoli oder Blumenkohl empfohlen (1). Zudem ist festzuhalten, dass eine FODMAP-arme Ernährung auch negative Seiten hat: Sie vermindert die Zufuhr präbiotisch wirksamer Oligosaccharide, für die eine präventive Wirkung auf die Entstehung von Kolonkarzinomen gezeigt wurde (2). Schlussbemerkungen Die FODMAP-reduzierte Ernährung stellt ein evidenzbasiertes Konzept zur Symptomverbesserung bei RDS dar, das in 75 Prozent der Fälle zu einer Symptomverbesserung führt (9). Dennoch muss es deutlich als «Therapieversuch» kommuniziert werden. Den Patienten soll bewusst sein, dass der Gastrointestinaltrakt auf viele Einflüsse reagiert und die Ernährung nur ein möglicher Triggerfaktor ist. Die offenen Fragen zum FODMAP-Gehalt von Lebensmitteln, zur Einteilung in FODMAP-arm und FODMAP-reich und zur Auswirkung einer langfristigen Reduktion der Oligosaccharide auf die Darmgesundheit müssen noch geklärt werden. Weitere Studien benötigt es sicherlich auch, um die Sicherheit einer langfristigen FODMAP-Reduktion zu untersuchen. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich, dass die Beratung dieser Patienten eine im Bereich Gastroenterologie spezialisierte und mit dem FODMAP-Konzept vertraute Ernährungsberaterin benötigt. Ziel ist es, mit geringstmöglichen Einschränkungen eine akzeptable Symptomverbesserung zu erzielen sowie eine ausreichende Versorgung an Makro- und Mikronährstoffen zu garantieren. Korrespondenzadresse: Silvia Maissen Ernährungsberatung Mühlenberg 2, 4052 Basel Tel. 079 122 27 81 E-Mail: fodmap@bluewin.ch Literatur: 1. Gibson PR, Shepherd SJ. Evidence-based dietary management of functional gastrointestinal symptoms: The FODMAP approach. J Gastroenterol Hepatol. 2010; 25 (2): 252–258. 2. Gibson PR, Newnham E, Barrett JS, Shepherd SJ, Muir JG. Review article: fructose malabsorption and the bigger picture. Aliment Pharmacol Ther. 2007; 25 (4): 349–363. 3. Shepherd SJ, Gibson PR. Fructose malabsorption and symptoms of irritable bowel syndrome: guidelines for effective dietary management. 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