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BARIATRIE
Aktuelle empfohlene Operationstechniken – was, wann, bei wem?
MARC SCHIESSER, MARCO BÜTER, ANTONIO NOCITO
Marc Schiesser
Übergewicht und Adipositas haben in der westlichen Welt epidemische Ausmasse erreicht. In der Schweiz sind etwa 37 Prozent der Bevölkerung übergewichtig (BAG 2010). Konservative Therapiemassnahmen inklusive medikamentöser Therapien führen leider bei einem grossen Teil der adipösen Patienten nicht zum gewünschten Erfolg (1). Die bariatrische Chirurgie hat sich in den letzten Jahrzehnten als effiziente und nachhaltige Therapie bei adipösen Patienten etabliert (1, 2). Mit der Einführung der Laparoskopie konnte zudem die perioperative Morbidität deutlich gesenkt werden (3), sodass heute die Operationen mit einem beschränkten perioperativen Risiko durchgeführt werden können. In vielen Zentren auf der ganzen Welt hat sich die Laparoskopie deshalb als Standard durchgesetzt. Die perioperative Mortalität bei einer laparoskopischen Magenbypassoperation konnte ebenfalls über die letzten Jahrzehnte gesenkt werden und beträgt derzeit etwa 1,6 Promille (4). Der folgende Beitrag informiert über die drei häufigsten Operationstechniken.
Aufgrund der hohen Prävalenz der Adipositas ist eine chirurgische Therapie nur für einen kleinen Prozentsatz der adipösen Patienten verfügbar. Aus diesem Grund sind die Patientenselektion und die Wahl der Operationstechnik durch die Spezialisten entscheidend und sollten interdisziplinär nach den internationalen Standards erfolgen. Für die Indikation zur Operation wird generell ein Versagen der konservativen Therapie über zwei Jahre vorausgesetzt (5). Die häufigsten Operationsverfahren sind heute der laparoskopische Magenbypass, vor dem laparoskopischen Magenband und neu – mit zunehmender Häufigkeit – der laparoskopischen Schlauchmagenresektion. In der Schweiz werden jährlich zirka 2000 bariatrische Operationen vorgenommen, wobei der laparoskopische Magenbypass mit etwa 70 Prozent nach wie vor am häufigsten durchgeführt wird (SMOB unpublished). Seit dem 1. Januar 2011 gelten in der Schweiz neue Richtlinien zur operati-
ven Behandlung von Übergewicht (5). Die Krankenkassen sind neu verpflichtet, ab einem BMI von 35 kg/m2 die Kosten für eine bariatrische Operation zu übernehmen. Es ist zu bemerken, dass der Diabetes Typ II als Begleiterkrankung der Adipositas mittels bariatrischer Chirurgie effizient behandelt werden kann und als solcher ein besonderes Indikationskriterium darstellt (6, 7). Ein weiterer Punkt, der neu eingeführt wurde, ist die Aufhebung der Altersbeschränkung. Nachfolgend werden die drei häufigsten Operationstechniken und ihre Vor- und Nachteile einzeln diskutiert.
Laparoskopischer Magenbypass
Der laparoskopische Magenbypass (Abildung 1) gilt bei vielen Experten der bariatrischen Chirurgie weiterhin als Standardverfahren und stellt eine effiziente und nachhaltige Therapie dar. Dieser Eingriff führt zu einem mittleren Gewichtsverlust von etwa 62 Prozent (2) und resultiert in
einer effizienten Therapie der Begleiterkrankungen (Diabetes, Hypertonie, Hyperlipidämie). Die perioperative Mortalität liegt bei zirka 1,6 Promille (4). Schwerwiegende perioperative Komplikationen wie Anastomoseninsuffizienzen der Gastrojejunostomie treten bei 2 bis 4 Prozent der Patienten auf (8). Der Magenbypass kann insbesondere bei adipösen Patienten mit symptomatischem Reflux als effiziente Therapie eingesetzt werden. Die Nachteile des laparoskopischen Magenbypasses erklären sich ebenfalls aus der Operationstechnik. Eine endoskopische Kontrolle des ausgeschalteten Magenanteils, sowie eine ERCP (röntgenologische Darstellung der Leber- und Pankreasausführungsgänge) sind in der Regel nicht mehr möglich. Patienten, die eine endoskopische Nachkontrolle im Bereich des Magens und/ oder Gallengangsystems brauchen, sollten einem anderen Operationsverfahren zugeführt werden (Schlauchmagenresek-
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Abbildung 1: Proximale Magenbypassoperation p: Magenpouch, a: alimentärer Schenkel 150 cm, b: biliärer Schenkel 50 cm, c: Common Channel
Abbildung 2: Magenband
Abbildung 3: Magenschlauchoperation (gastric sleeve resection) a: Magenresektat
tion). Zudem kann es bei einem gewissen Prozentsatz der Patienten mit Magenbypass im Verlauf zu inneren Hernien kommen. Diese können sich als Folge der Durchtrennung des Dünndarms nach relevantem Gewichtsverlust entwickeln.
Laparoskopisches Magenbanding
In Europa wurden insbesondere noch vor der Jahrtausendwende viele Magenbänder eingelegt. Das Verfahren ist sehr sicher und hat wenig kurzfristige Komplikationen und eine tiefe Mortalität (0,07%; Buchwald). Die Anlage des Magenbandes (Abbildung 2) sollte laparoskopisch in der sogenannten Pars-Flaccida-Technik erfolgen, um Banddislokationen auf ein Minimum zu beschränken. In vielen Ländern Europas wird das Magenbanding jedoch wegen der eingeschränkten Langzeitresultate zunehmend zugunsten des Magenbypasses verlassen (8–10). Viele der so operierten Patienten (33%) haben späte Komplikationen wie zum Beispiel Magenbandslippage oder sogar Banderosionen (10). Zudem erfährt ein Grossteil der Patienten eine sekundäre Gewichtszunahme, die wiederum bei einem hohen Prozentsatz der Patienten (37%) zu einer sogenannten Konversionsoperation (Bandentfernung und Anlage eines Magenbypasses) führt. Aus diesen Gründen (mangelnde Effizienz und hohe Versagerrate) sind wir insbesondere bei einem immanenten Operationskapazitätsmangel der Meinung, dass das Band nur bei wenigen Patienten indiziert ist.
Laparoskopische Schlauchmagenbildung
Vor einigen Jahren wurde die sogenannte laparoskopische Schlauchmagenresektion (Abbildung 3) als neue Operationstechnik eingeführt. Bei dieser Operation wird ein Grossteil des Magens grosskurvaturseits entfernt. Der Magen wird nach Einlage einer Kalibrierungssonde in den Magen mittels Staplergeräten abgetrennt. Diese Methode hat sich ebenfalls als effizient erwiesen. In einer Studie konnte ein Excessive Weight Loss (EWL) von 57 Prozent nach 6 Jahren erreicht werden (11). Es gibt bis anhin nur wenig Langzeitresultate, und die relativ hohe Refluxrate, die ebenfalls von Himpens et al. publiziert wurde, muss kritisch beurteilt werden. Die Vorteile der Magenschlauchoperation sind unter anderem die weitere Möglichkeit der oberen Endoskopie und der ERCP. Zudem werden keine Dünndarmanteile durchtrennt, und
es kann konsekutiv zu keinen inneren Hernien kommen. Die Methode scheint jedoch insbesondere bei Patienten mit gastroösophagealem Reflux problematisch zu sein. Die perioperative Mortalität sowie Morbidität scheinen vergleichbar oder sogar etwas geringer als jene der Magenbypassoperation. Aus diesem Grund wird die Operation derzeit insbesondere bei Hochrisikopatienten angewendet. Leckagen im Bereich des gastroösophagealen Übergangs sind jedoch hartnäckig und bedürfen einer sofortigen kompetenten Therapie. Wie beim Magenbypass kommt es auch bei dieser Methode zu Veränderungen der gastrointestinalen Hormonspiegel und insbesondere zu einer Reduktion der Ghrelin-produzierenden Gewebe. Diese Veränderungen resultieren ähnlich wie beim Magenbypass in einer deutlichen Verbesserung des Glukosestoffwechsels (12). Weitere Langzeitresultate sowie die Resultate der schweizerischen Multizenterstudie (Bypass vs. Magenschlauch) werden dringend benötigt.
Zweizeitige Therapiestrategien
Bei Hochrisikopatienten und sogenannten «super obese patients» (BMI > 50 kg/m2) kann eine zweizeitige Strategie zur Reduktion des perioperativen Risikos gewählt werden. Zu diesem Zweck kann als initialer Schritt eine laparoskopische Schlauchmagenresektion durchgeführt werden. Diese Operationstechnik ist als primärer Schritt in der Regel einfacher als eine Magenbypassoperation und kann mit einem beschränkten perioperativen Risiko durchgeführt werden. Nach initialer Gewichtsabnahme von etwa 30 bis 50 kg kann bei Bedarf ein zweiter Operationsschritt angefügt werden. Bei diesem wird eine malabsorptive Komponente hinzugefügt. Der Magen wird postpylorisch durchtrennt, und es wird eine biliopankreatische Diversion mittels «duodenal switch» angelegt (Abbildung 4). Hierbei wird das Ileum mit dem proximalen Duodenum anastomosiert. Zu diesem Zweck wird der Dünndarm 250 cm proximal der Ileozäkalklappe durchtrennt und postpylorisch anastomosiert. Der biliäre Schenkel wird anschliessend 100 cm vor
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Abbildung 4: Magenschlauchoperation mit biliopankreatischer Diversion (duodenal switch); a) alimentäre Schlinge; c) gemeinsamer Schenkel
der Ileozäkalklappe eingeleitet. Damit resultieren eine alimentäre Schlinge von 150 cm und ein sogenannter «common channel» von 100 cm. Der Magenschlauch inklusive biliopankreatischer Diversion mit «duodenal switch» führt zu einem lang anhaltenden, sehr effizienten Gewichtsverlust (EWL über 80%) (13) und resultiert in einer ausgesprochen wirksamen Therapie der Begleiterkrankungen. Die Proteinmangelerscheinungen sind bei konsequenter engmaschiger Nachkontrolle relativ gut zu behandeln. Obwohl diese Operationstechnik als eine der effizientesten beschrieben wird, wird sie
aufgrund der anspruchsvollen operativen Technik und der initial beschriebenen Proteinmangelernährungsrate relativ selten und nur an wenigen Zentren durchgeführt. Als neuere Verfahren werden international der sogenannte Minimagenbypass und die Magenplikatur diskutiert. Diese Verfahren sind jedoch noch nicht etabliert und sollten nur im Rahmen von Studien durchgeführt werden. Die rapportierten Komplikationsraten sind relativ hoch, und insbesondere beim sogenannten Minimagenbypass wird der biliäre Reflux weiterhin kontrovers diskutiert. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Indikation der Operation und der Operationstechnik grundsätzlich interdisziplinär gestellt werden sollte. Sämtliche Faktoren sollten bei der Wahl des Verfahrens sorgfältig berücksichtigt werden, und die Vor- und Nachteile der einzelnen Verfahren sollten eingehend mit den Patienten besprochen werden. Aufgrund der beschränkten Operationskapazitäten soll das effizienteste Verfahren gewählt werden, damit die Patienten möglichst nur einmal operiert werden müssen.
Korrespondierender Autor: PD Dr. med. Marc Schiesser Leiter bariatrische Chirurgie Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie, Universitätsspital Zürich Rämistr 100, 8091 Zürich E-Mail: marc.schiesser@usz.ch
Literatur: 1. Sjostrom L, Lindroos AK, Peltonen M, Torgerson J, Bouchard C, Carlsson B et al. Lifestyle, diabetes, and cardiovascular risk factors 10 years after bariatric surgery. N Engl J Med 2004; 351 (26): 2683–2693. 2. Buchwald H, Avidor Y, Braunwald E, Jensen MD, Pories W, Fahrbach K et al. Bariatric surgery: a systematic review and meta-analysis. JAMA 2004; 292 (14): 1724–1737. 3. Lujan JA FM, Hernandez Q, Liron R, Cuenca JR, Valero G, Parrilla P. Laparoscopic versus open gastric bypass in the treatment of morbid obesity: a randomized prospective study. Ann Surg 2004; 239 (4): 433–437. 4. Buchwald H, Estok R, Fahrbach K, Banel D, Sledge I. Trends in mortality in bariatric surgery: a systematic review and meta-analysis. Surgery 2007; 142 (4): 621–632; discussion 632–625. 5. SMOB. Richtlinien zur operativen Behandlung von Übergewicht. In. www.smobch. 2011. 6. Dixon JB, O’Brien PE, Playfair J, Chapman L, Schachter LM, Skinner S et al. Adjustable gastric banding and conventional therapy for type 2 diabetes: a randomized controlled trial. JAMA 2008; 299 (3): 316–323. 7. Buchwald H, Estok R, Fahrbach K, Banel D, Jensen MD, Pories WJ et al. Weight and type 2 diabetes after bariatric surgery: systematic review and meta-analysis. Am J Med 2009; 122 (3): 248–256 e245. 8. Weber M, Muller MK, Bucher T, Wildi S, Dindo D, Horber F et al. Laparoscopic gastric bypass is superior to laparoscopic gastric banding for treatment of morbid obesity. Ann Surg 2004; 240 (6): 975–982; discussion 982–973. 9. Buchwald H, Oien DM. Metabolic/bariatric surgery Worldwide 2008. Obes Surg 2009; 19 (12): 1605–1611. 10. Suter M, Paroz A, Calmes JM, Giusti V. European experience with laparoscopic Roux-en-Y gastric bypass in 466 obese patients. Br J Surg 2006; 93 (6): 726–732. 11. Himpens J, Dobbeleir J, Peeters G. Long-term results of laparoscopic sleeve gastrectomy for obesity. Ann Surg; 252 (2): 319–324. 12. Peterli R, Wolnerhanssen B, Peters T, Devaux N, Kern B, Christoffel-Courtin C et al. Improvement in glucose metabolism after bariatric surgery: comparison of laparoscopic Roux-en-Y gastric bypass and laparoscopic sleeve gastrectomy: a prospective randomized trial. Ann Surg 2009; 250 (2): 234–241. 13. Marceau P, Hould FS, Lebel S, Marceau S, Biron S. Malabsorptive obesity surgery. Surg Clin North Am 2001; 81 (5): 1113–1127.
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