Transkript
SARKOPENIE UND FRAILTY
Das geriatrische Assessment – Ziele und Methoden
MATTHIAS KAISER
Geriatrisches Assessment zielt darauf ab, einen älteren Menschen in seinen Fähigkeiten, Ressourcen und Einschränkungen zu charakterisieren und daraus ein individualisiertes therapeutisches Vorgehen zu definieren. Selbstverständlich sollen der ärztliche Blick und die intuitive Einschätzung des Zustandsbildes eines älteren Menschen weiterhin die Basis der ärztlichen Entscheidungsfindung sein, jedoch erleichtern die Testverfahren des geriatrischen Assessments in vielerlei Hinsicht eine Objektivierung der gemachten Beobachtungen. Oft decken die verschiedenen Tests auch Einschränkungen und Stärken des Patienten auf, die mit dem «blossen Auge» vielleicht nicht entdeckt worden wären. In einigen Fällen kann das ergänzende Durchführen eines geriatrischen Assessments sogar budgetrelevant sein, wie beispielsweise im niedergelassenen Bereich in Deutschland. Letztlich dient ein standardisiertes Assessment auch der Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Einrichtungen und der Qualitätssicherung. Wird das Assessment wiederholt durchgeführt, können Entwicklungen im zeitlichen Verlauf sehr gut dokumentiert werden, wie zum Beispiel im rehabilitativen, aber auch im niedergelassenen Bereich. Im Folgenden sollen die verschiedenen Testverfahren des geriatrischen Basisassessments in Anlehnung an die Empfehlungen der Ärztlichen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Geriatrie in Bayern (AFGiB [1]) beschrieben werden. Dabei handelt es sich um eine übersichtliche Anzahl etablierter, also valider und reliabler Verfahren, die ein effektives Assessment in angemessener Zeit ermöglichen.
Aufgrund der Mehrdimensionalität der geriatrischen Zustandsbilder bedarf es verschiedener Testverfahren, um ein klares Bild von einem älteren Menschen zu erhalten. Die Tests beziehen sich dabei auf die Bereiche Funktionalität (Mobilität, Kraft, Sturzgefahr, Autonomie), Kognition, Emotion, soziale Situation und Ernährungszustand. Das geriatrische Assessment muss nicht notwendigerweise von einem Arzt gemacht werden. Im Rahmen stationärer und teilstationärer Aufenthalte sowie bei ambulanten Untersuchungen kann das Assessment auch von Psychologen, Krankenpflegepersonal und Sprechstundenhilfen durchgeführt werden. Einige Tests können sogar der zu testenden Person selbst im
Sinne einer Selbsteinschätzung vorgelegt werden, sofern keine kognitive Störung vorliegt.
Die geriatrischen Testverfahren
Häufig wird initial das sogenannte geriatrische Screening empfohlen, wie es von Mark Lachs und Kollegen von der Universität Yale im Jahre 1990 beschrieben wurde (2). Dieses dauert nur wenige Minuten und dient der groben Orientierung über Fähigkeiten und Einschränkungen des untersuchten älteren Menschen und hat im Besonderen die Aufgabe, einen älteren Menschen als einen «geriatrischen Patienten» zu identifizieren, das heisst das Vorhandensein typischer geriatrischer Beschwerden und Symptomenkomplexe
nachzuweisen. Jedoch werden in einer strukturierten geriatrischen Anamnese viele der im geriatrischen Screening enthaltenen Themenbereiche wie Kognition, Kontinenz, Ernährungszustand, Mobilität, Versorgungssituation etc., ohnehin angesprochen, weshalb das geriatrische Screening nach Lachs nicht zwingend zusätzlich durchgeführt werden muss. An das initiale Screening beziehungsweise die Anamneseerhebung schliesst sich das weiterführende Basisassessment an.
Beurteilung der Alltagsaktivitäten
1. Barthel-Index (ADL) Gut etabliert ist die Beurteilung der «Activities of Daily Living» (ADL) nach Dorothea Barthel und Florence Mahoney (3).
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Dieses Testverfahren wird seit Mitte der Fünfzigerjahre in mehreren Krankenhäusern des US-Gliedstaates Maryland zur Beurteilung der Pflegebedürftigkeit eingesetzt. Erst 1965 erfolgte die Veröffentlichung und damit die weitere Verbreitung des Tests. Es handelt sich beim als BarthelIndex bekannt gewordenen Test primär nicht um ein geriatrisches Verfahren, sondern es wurde ursprünglich konzipiert, um das Ausmass der Einschränkungen und den rehabilitativen Erfolg bei Patienten mit neuromuskulären und muskuloskeletalen Erkrankungen zu beurteilen. Da der Barthel-Index ausschliesslich basale, alltägliche Tätigkeiten abfragt, ist er in allen Altersgruppen gut einsetzbar. Der Zeitaufwand ist gering, insbesondere wenn die zu testende Person direkt beobachtet werden kann, wie zum Beispiel im Rahmen eines stationären Aufenthaltes. Der Barthel-Index beurteilt die Selbstständigkeit in den zehn Teilbereichen Essen und Trinken, Baden und Duschen, Körperpflege, An- und Auskleiden, Stuhlkontrolle, Harnkontrolle, Toilettenbenutzung, Bett- und Stuhltransfer, Gehen beziehungsweise selbstständiges Fahren mit einem Rollstuhl und Treppensteigen. Die Gesamtpunktzahl beträgt 100, wobei die verschiedenen Bereiche unterschiedlich hoch gewichtet sind. Eine höhere Punktzahl bedeutet grössere Unabhängigkeit, jedoch nicht notwendigerweise Selbstständigkeit. Komplexere Tätigkeiten wie zum Beispiel Telefonieren, Einkaufen gehen, Wäsche waschen und Ähnliches werden vom Barthel-Index nicht erfasst. Auch bei einer Gesamtpunktzahl von 100 kann also ein nicht unerheblicher Unterstützungsbedarf bestehen.
2. Lawton-IADL Im Jahre 1969 veröffentlichten M. Powell Lawton und Elaine Brody aus Philadelphia ihre Arbeit über die «Instrumental Activities of Daily Living» (IADL), die auf den ADL aufbauen und komplexere Tätigkeiten mit einschliessen (4). Der Test wurde gezielt für ältere Menschen entwickelt und wird sowohl in der ärztlichen Praxis als auch in der Forschung häufig eingesetzt. Im sogenannten Lawton-IADL werden acht Teilbereiche abgefragt, die über
basale Funktionen hinausgehen und solche Tätigkeiten betreffen, die für eine echte Selbstständigkeit erforderlich sind. Aufgrund dieser relativ hohen Grundanforderungen kann der Lawton-IADL nicht bei jedem älteren Menschen eingesetzt werden. Es wird üblicherweise etwas mehr Zeit zur Durchführung benötigt als beim Barthel-Index, da der Test in Form eines Interviews geführt wird. Es wird der Hilfsbedarf beziehungsweise die Unabhängigkeit in den Bereichen Telefonieren, Einkaufen, Kochen, Haushaltsführung, Wäsche waschen, Verkehrsmittelbenutzung, Medikamenteneinnahme und Geldgeschäfte erfragt. Aufgrund der Auswahl der Fragen ist der Test für ältere Menschen, die im Alters- oder Pflegeheim leben, nicht oder nur sehr eingeschränkt geeignet. Manchmal wird empfohlen, bei Männern auf die Fragen zu Kochen, Haushalt und Waschen zu verzichten und demnach die Höchstpunktzahl entsprechend anzupassen. Dieses Vorgehen sei jedem Untersucher selbst überlassen und ist sicherlich auch nicht generell so anwendbar (5). Zur Zeit der Einführung des Tests in den späten Sechzigerjahren war dies aber das übliche Vorgehen. Maximal können für die acht Tätigkeiten acht Punkte erreicht werden, eine höhere Punktzahl bedeutet grössere Selbstständigkeit. Da zu jeder abgefragten Tätigkeit bis zu fünf abgestufte Antwortmöglichkeiten existieren, aber nur entweder null oder ein Punkt vergeben werden kann, ist es offensichtlich, dass eine Punktzahl von eins nicht immer die grösstmögliche Selbstständigkeit in diesem Bereich bedeuten muss. Auch ein Punktwert von null bedeutet nicht zwingend, dass der geringste Grad an Selbstständigkeit für den entsprechenden Bereich vorliegt. Viel wichtiger als der absolute Punktwert ist damit die Betrachtung der einzelnen Fragen und deren Bewertung hinsichtlich der aktuellen Relevanz für den älteren Menschen. Wie der Barthel-Index gibt auch der Lawton-IADL den Jetztzustand wieder und ist in erster Linie dazu geeignet, den derzeitigen Hilfsbedarf abzuschätzen (z.B. zur Planung der Entlassung aus dem Krankenhaus); bei wiederholter Anwendung kann er auch als Verlaufsparameter dienen.
Mobilitätstests
1. Timed Up-and-Go-Test Zur einfachen und schnellen Beurteilung der Mobilität im geriatrischen Bereich wurde der sogenannte Timed Up-andGo-Test (TUG) entwickelt. «Timed» deswegen, da mit einer Stoppuhr die Zeit genommen wird, die die zu testende Person zur Bewältigung der Aufgabe benötigt. Der TUG ist einer der «jüngsten» Tests des geriatrischen Basisassessments. Er wurde 1991 von Diane Podsiadlo und Sandra Richardson von der Universität Montreal, Kanada, entwickelt und veröffentlicht (6). Der Zeitaufwand für Durchführung und Beurteilung ist sehr gering. Der sitzende Proband wird aufgefordert, aufzustehen, drei Meter nach vorne zu gehen, umzudrehen und sich nach der Rückkehr zum Stuhl wieder zu setzen. Es soll ein fester Stuhl mit Armlehnen verwendet werden. Üblicherweise benutzte Hilfsmittel, wie zum Beispiel ein Gehstock, dürfen verwendet werden. Wird die Aufgabe in unter 10 Sekunden bewältigt, liegt keine Mobilitätsstörung vor. Auch bei unter 20 Sekunden wird noch von keiner alltagsrelevanten Beeinträchtigung ausgegangen. Erst wenn mehr als 20 oder über 30 Sekunden benötigt werden, liegen relevante bis schwerwiegende Mobilitätsstörungen vor; dann kann beispielsweise das Überqueren der Strasse an einer Ampel schwierig werden oder gar nicht mehr möglich sein. Eng verbunden mit der Mobilität ist das Risiko zu stürzen. Es wurden Zweifel geäussert, ob der TUG überhaupt in der Lage sei, das Sturzrisiko älterer Menschen prospektiv abschätzen zu können. Neuere Arbeiten von Lindsay und Kollegen (2004) legen nahe, dass dies zumindest im akut-geriatrischen Bereich nicht so ist (7). Wenn man aber auch diejenigen Patienten in die Betrachtung mit einbezieht, bei denen der TUG-Test überhaupt nicht mehr durchgeführt werden konnte, so war das höchste Sturzrisiko bei eben jenen Patienten zu finden (8). Interessanterweise bedeutet also die Durchführbarkeit des TUG an sich und ohne Betrachtung des Testergebnisses schon ein eher niedrigeres Sturzrisiko als bei fehlender Durchführbarkeit.
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2. Tinetti-Test Alternativ oder ergänzend zum TUG-Test kann der Mobilitätstest nach Tinetti zur Anwendung kommen (9). Dieser von Mary Tinetti von der Universität Yale im Jahre 1986 beschriebene Test besteht aus zwei Teilen: einem Gleichgewichtstest und einem Gangtest. Zunächst werden das Gleichgewicht im Sitzen und im Stehen in Ruhe und unter verschiedenen erschwerenden Bedingungen sowie das Aufstehen und Hinsetzen geprüft. Danach erfolgt die Beurteilung des Gangbildes einschliesslich Beurteilung von Schrittauslösung, Schrittlänge, Schritthöhe, Schrittbreite und Schrittsymmetrie sowie Rumpfstabilität, Gangkontinuität und Gangabweichung. Insgesamt kann eine Punktzahl von 28 vergeben werden, wobei ab 20 oder weniger Punkten eine Mobilitätsstörung mit erhöhtem Sturzrisiko vorliegt. Der Tinetti-Test ist allerdings deutlich zeitaufwendiger als der TUG-Test und erfordert einen geschulten Untersucher, um die Beobachtungen während der einzelnen Untertests korrekt interpretieren und in Punktwerte übertragen zu können. Dafür ergeben sich aber auch konkretere Aussagen über einzelne Teilbereiche der Beweglichkeit, die dann Hinweise auf die Genese der Mobilitätsstörung ermöglichen können.
Kognitions- und Emotionstests
Mini Mental State Examination (MMSE) Der MMSE ist einer der bekanntesten Kognitionstests, gerade für den geriatrischen Bereich. Er wurde 1975 von Marshal Folstein, Susan Folstein und Paul McHugh von der psychiatrischen Klinik des JohnHopkins-Krankenhauses in Baltimore entwickelt und veröffentlicht (10). Der MMSE wurde aus dem Bedürfnis heraus entwickelt, einen möglichst kurzen Test zur Verfügung zu haben, der ausschliesslich kognitive Aspekte berücksichtigt. Im Gegensatz zu den übrigen damals verfügbaren Testverfahren schloss der MMSE Fragen zu anderen psychischen Störungen aus. Der MMSE wird in Form eines Interviews durchgeführt und sollte in einer ruhigen und entspannten Atmosphäre stattfinden. Der Untersucher und die Test-
person sollten dabei allein sein, um die Testperson im Falle falscher Antworten nicht zu entmutigen oder zu beschämen. Die Gesamtpunktzahl des MMSE beträgt 30 Punkte, wobei auf die Fragenkomplexe zur Orientierung 10 Punkte, zur Merkund Erinnerungsfähigkeit 6 Punkte, zur Aufmerksamkeit und Rechenfähigkeit 5 Punkte und zur Sprache 9 Punkte entfallen. Eine Gesamtpunktzahl zwischen 25 und 30 gilt als unauffällig, ein Ergebnis zwischen 18 und 24 Punkten zeigt eine leichte kognitive Störung und eine Punktzahl zwischen 0 und 17 Punkten eine schwere kognitive Störung an. Bei Vorliegen von Hör- oder Sehstörungen sowie bei Schreibproblemen oder Schwierigkeiten, einzelne Fragen zu beantworten, die offensichtlich nicht mit einer kognitiven Störung in Zusammenhang stehen, sollte dies dokumentiert werden, um das Testergebnis nicht fälschlicherweise zu niedrig anzugeben. Es kann in der klinischen Praxis auch sinnvoll sein, von der vorgegebenen Gesamtpunktzahl abzuweichen und den Test dahingehend zu individualisieren, dass nur die Fragen gewertet werden, die ein Proband aufgrund seiner (nicht demenzbedingten) Einschränkungen tatsächlich beantworten kann. Ein Beispiel: Ein Proband mit ausgeprägter Sehminderung kann die Fragen zu den zu benennenden Gegenständen (2 Punkte) nicht beantworten und die zu lesende Aufforderung «Schliessen Sie die Augen» (1 Punkt) und die Tests zum Schreiben (1 Punkt) und Abzeichnen (1 Punkt) nicht ausführen. Bei den übrigen Fragen werden zwei zur zeitlichen Orientierung (2 Punkte) falsch beantwortet, der Rest ist richtig. Dieser Proband verliert also 7 Punkte, wodurch bei einer Gesamtpunktzahl von 23 eine leichte kognitive Störung diagnostiziert werden müsste. Bei berechtigtem Zweifel an diesem Ergebnis lohnt es sich, von der Gesamtpunktzahl von 30 die Punktzahl der Fragen abzuziehen, die der Proband womöglich nur aufgrund der Sehminderung nicht beantworten konnte. Insgesamt hat der Proband nun 23 von 25 der für ihn möglichen Punkte erreicht. Hochgerechnet auf eine Gesamtpunktzahl von 30 entspricht das einer Punktzahl von
über 27, womit der Proband wieder im Normalbereich liegt. Allerdings schliesst auch eine Punktzahl im Normalbereich eine beginnende Demenz nicht aus, selbst eine volle Punktzahl von 30 ist dabei möglich. Zur Früherkennung von Demenzen sollte der MMSE somit nicht eingesetzt werden. Hinweise auf die Genese der Demenz kann der MMSE ebenfalls nicht geben. Bei Verdacht auf eine beginnende Demenz sollten daher sensiblere Testverfahren eingesetzt werden wie zum Beispiel der DemTect oder der TFDD («Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionabgrenzung»).
Uhrentest Ergänzend zum MMST kann der Uhrentest durchgeführt werden. Bei diesem Testverfahren wird auf einem Blatt Papier ein Kreis vorgegeben, der das Zifferblatt einer Uhr symbolisieren soll. Die zu testende Person wird gebeten, die Ziffern und die zwei Zeiger der Uhr einzuzeichnen. Es wird eine beliebige darzustellende Uhrzeit vorgegeben, häufig wird aber «zehn nach elf» verwendet. Der Grund für die Beliebtheit von «zehn nach elf» ist, dass es ein häufiger Fehler leicht kognitiv eingeschränkter Testpersonen ist, einen Zeiger auf die «zehn» zu richten. Ein Zeitlimit wird nicht gesetzt, meist dauert der Uhrentest jedoch nur wenige Minuten. Der Uhrentest stellt eine Reihe relativ komplexer Anforderungen an die zu testende Person, wie beispielsweise visuell-räumliches Vorstellungsvermögen, Zahlenverständnis, Handlungsplanung, Handlungsausführung und Konzentration. Deshalb eignet sich der Uhrentest recht gut zur Früherkennung einer demenziellen Entwicklung und kann auch als Verlaufsparameter Hinweise auf eine graduelle Veränderung der kognitiven Fähigkeiten geben. Es wurden über die letzten Jahrzehnte, die der Uhrentest im Einsatz ist, verschiedene Auswertungskonzepte entwickelt, die jedoch immer die Vollständigkeit der eingezeichneten Ziffern, die korrekte Platzierung der Ziffern und die Korrektheit der eingezeichneten Uhrzeit bewerten beziehungsweise die Schwere der Abweichun-
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gen. Sehr häufig wird die Klassifizierung nach Kenneth Shulman verwendet, einem Psychiater von der Universität Toronto (11, 12). Dabei werden sechs Kategorien gebildet, wobei die Höhe der Kategorie mit der Schwere der Abweichungen zunimmt. Ein Wert von eins und zwei (bei leichten Fehlern in der Darstellung) gilt als normales Ergebnis. In der Kategorie drei ist zum Beispiel die Uhrzeit falsch eingezeichnet, in Kategorie sechs ist keine Ähnlichkeit mehr mit einer Uhr zu erkennen. Bei jedem der erwähnten Kognitionstests sollte beachtet werden, dass die Diagnose einer Demenz nicht allein nach Durchführung eines Tests möglich ist, sondern sich auch auf andere Kriterien stützt (z.B. Dauer der kognitiven Störungen von mindestens sechs Monaten) und durch andere Verfahren ergänzt werden sollte (zerebrale Bildgebung, ggf. Liquoruntersuchung).
Geriatric Depression Scale (GDS) Da depressive Störungen zu den häufigen Gesundheitsproblemen bei älteren Menschen zählen, wurde die Geriatric Depression Scale im Jahre 1982 gezielt zum Einsatz in dieser Population von Jerome Yesavage und Kollegen der Stanford-Universität entwickelt (13). Ursprünglich bestand die GDS aus 100 Fragen zu verschiedenen Bereichen wie Emotion, Selbstwertgefühl, Motivation und ähnlichen. Aus diesen Fragen wurden die 30 ausgewählt, die sich am besten zur Unterscheidung zwischen depressiven und nichtdepressiven älteren Testpersonen eigneten. Im Jahre 1986 wurde dann von Javaid Sheikh eine weitere, auf 15 Fragen verkürzte Version vorgestellt, die heute überwiegend verwendet wird (14). Jede der 15 Fragen wie zum Beispiel: «Sind Sie grundsätzlich mit Ihrem Leben zufrieden?» oder «Glauben Sie, die meisten anderen Leute haben es besser als Sie?» ist entweder zu bejahen oder zu verneinen. Jede Antwort im Sinne einer Depression wird mit einem Punkt bewertet, bei der erstgenannten Frage wäre dies also «Nein» und beim zweiten Beispiel «Ja». Der Zeitaufwand für die GDS ist gering. Ursprünglich wurde die GDS als Selbst-
beurteilungsfragebogen entwickelt, die Testung findet jedoch auch häufig als Interview statt. Ein Ergebnis zwischen 0 und 4 von 15 möglichen Punkten gilt als unauffällig, bei höherer Punktzahl ist eine Depression zu vermuten. Bei der Version mit 30 Fragen reicht der Normbereich bis 9 Punkte. Grundsätzlich ist es sinnvoll, aufgrund der häufigen Überlappung zwischen Demenz und Depression im geriatrischen Bereich und der damit gegebenen Verwechslungsgefahr neben der GDS einen Demenztest wie beispielsweise den MMST durchzuführen. Es sollte beachtet werden, dass die GDS bei gegebenen kognitiven Einschränkungen weniger aussagekräftig sein kann.
Ernährungsassessment
Eine Einschätzung des Ernährungszustandes sollte das geriatrische Basisassessment abrunden. Ernährung und Mangelernährung bei älteren Menschen sind Themen, die gerade in den letzten Jahren weiter in den Fokus des Interesses sowohl der Kliniker als auch der Wissenschaftler gerückt sind. Wie in der Literatur berichtet, ist der eng verflochtene Komplex aus Mangelernährung, Sarkopenie (Verlust von Muskelmasse) und Frailty (Gebrechlichkeit) eine der häufigsten Risikokonstellationen für die Gesundheit älterer Menschen und hat Einfluss auf Funktionalität, Morbidität, Mortalität und letztlich auch auf die Kosten des Gesundheitssystems. Zur Beurteilung des Ernährungszustandes älterer Menschen eignet sich in besonderer Weise das Mini Nutritional Assessment® (MNA), da es gezielt für die geriatrische Population entwickelt worden ist (15). Die Entwicklung erfolgte in den frühen Neunzigerjahren anhand von Ernährungsdaten einer Population aus dem französischen Toulouse. Das MNA wurde 1994 durch Yves Guigoz, Bruno Vellas und Philip Garry veröffentlicht (16). Eine Kurzform wurde im Jahre 2001 von Laurence Rubenstein entwickelt (17) und dieses Jahr (2009) in einer überarbeiteten und leicht modifizierten Fassung vorgestellt. Das MNA enthält 18 Fragen zu den Teilbereichen Anthropometrie (BMI, Oberarm- und Wadenumfang), allgemei-
nes Assessment (Wohnsituation, Mobilität, Medikamentenkonsum, psychischer Stress und akute Erkrankung, Demenz und Depression, Hautläsionen), Ernährungsassessment (Anzahl vollständiger Mahlzeiten pro Tag, Appetitverlust, Gewichtsverlust, Proteinzufuhr, Verzehr von Obst und Gemüse, Flüssigkeitszufuhr, Hilfsbedarf bei Nahrungsaufnahme) und Selbsteinschätzung des Ernährungs- und Gesundheitszustandes. Maximal können 30 Punkte erreicht werden. Diese Gesamtpunktzahl wurde absichtlich gewählt, um den MNA in dieser Hinsicht an den MMSE anzulehnen. Eine Punktzahl ab 24 wird als «normaler Ernährungszustand» bezeichnet. Zwischen 17 und 23,5 Punkten spricht man von einem Risiko für Mangelernährung, bei weniger als 17 Punkten liegt eine manifeste Mangelernährung vor. Ein grosser Vorteil des MNA ist, dass es ohne Bestimmung von Laborparametern auskommt. Ausserdem zielen eine ganze Reihe von Fragen auf spezifische Probleme älterer Menschen ab, vor allem die des allgemeinen Teils. Allerdings ist der Zeitbedarf mit etwa 10 Minuten für die Langform des MNA relativ hoch, da auch das derzeitige Gewicht und die Grösse gemessen werden müssen, um den BMI berechnen zu können. Die Kurzform des MNA enthält zwar auch den BMI, kommt aber mit nur 6 Fragen aus (17). In der aktualisierten Version der Kurzform kann deswegen auch der Wadenumfang anstatt des BMI eingesetzt werden. Wie die Langform hat sich die Kurzform in der klinischen Anwendung bewährt und verhilft dem MNA zu einer grösseren Verbreitung. Die Formulare sind auf www.mnaelderly.com in zahlreichen Sprachen frei erhältlich.
Zusammenfassung
Geriatrisches Assessment benötigt zwar zeitliche und personelle Ressourcen, ist dabei aber kein Selbstzweck, sondern hilft auch dem erfahrenen Arzt, die Fähigkeiten und Einschränkungen seiner älteren Patienten richtig einschätzen zu können. Entsprechende Therapiestrategien können aus diesen Erkenntnissen entwickelt werden. Das geriatrische Basisassessment kann zum Beispiel die folgen-
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den Testverfahren umfassen: Barthel-Index, Lawton-IADL, Timed Up-and-Go-Test (ergänzend Tinetti-Test), MMSE (ergänzend Uhrentest, TFDD und DemTect), GDS und abrundend – und aus persönlicher Sicht obligat – das MNA. Je nach Situation und Patient kann das Assessment jedoch auch weiter ausgebaut oder enger fokussiert werden.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Matthias Kaiser Institut für Biomedizin des Alterns Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg Heimerichstrasse 58 D-90419 Nürnberg E-Mail: dr-kaiser@web.de Internet: www.aging.med.uni-erlangen.de Tel. 0049-911-3000521
Literaturverzeichnis: 1. Vorschläge/Erläuterungen der Ärztlichen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Geriatrie in Bayern e.V. (AFGiB) zur Erhebung des geriatrischen Basisassessments im Rahmen des EBM 2000plus. Erhältlich unter: www.afgib.de 2. Lachs MS, Feinstein AR, Cooney LM Jr, Drickamer MA, Marottoli RA, Pannill FC, Tinetti ME. A simple procedure for general screening for functional disability in elderly patients. Ann Intern Med. 1990; 112 (9): 699–706. 3. Mahoney FI, Barthel DW. Functional Evaluation: The Barthel Index. Md State Med J. 1965 Feb; 14: 61–65. 4. Lawton MP, Brody EM. Assessment of older people: Self-maintaining and instrumental activities of daily living. The Gerontologist. 1969; 9 (3): 179–186. 5. Graf C. The Lawton instrumental activities of daily living scale. Am J Nurs. 2008 Apr; 108 (4): 52–62; quiz 62–63. 6. Podsiadlo D, Richardson S. The timed «Up & Go»: a test of basic functional mobility for frail elderly persons. J Am Geriatr Soc. 1991 Feb; 39 (2): 142–148. Comment in: J Am Geriatr Soc. 2000 Jan; 48 (1): 104–105. 7. Lindsay R, James EL, Kippen S. The Timed Up and Go Test: unable to predict falls on the acute medical ward. Aust J Physiother. 2004; 50 (4): 249–251. 8. Large J, Gan N, Basic D, Jennings N. Using the timed up and go test to stratify elderly inpatients at risk of falls. Clin Rehabil. 2006 May; 20 (5): 421–428. 9. Tinetti ME. Performance-oriented assessment of mobility problems in elderly patients. J Am Geriatr Soc. 1986 Feb; 34 (2): 119–126.
10. Folstein MF, Folstein SE, McHugh PR. Mini-Mental State». A practical method for grading the cognitive state of patients for the clinician. J. Psychiat. Res. 1975; 12: 189–198. 11. Shulman KI, Shedletsky R, Silver I. The challenge of time: clock drawing and cognitive function in the elderly. Int J Geriatr Psychiatry. 1986; 1: 135–140. 12. Shulman KI. Clock-drawing: is it the ideal cognitive screening test? Int J Geriatr Psychiatry. 2000 Jun; 15 (6): 548–561. 13. Yesavage JA, Brink TL, Rose TL, Lum O, Huang V, Adey M, Leirer VO. Development and validation of a geriatric depression screening scale: a preliminary report. J Psychiatr Res. 1982–1983; 17 (1): 37–49. 14. Sheikh JI, Yesavage JA. Geriatric Depression Scale (GDS): Recent evidence and development of a shorter version. Clinical Gerontology: A Guide to Assessment and Intervention 165–173, NY: The Haworth Press, 1986. 15. Bauer JM, Kaiser MJ, Anthony P, Guigoz Y, Sieber CC. The Mini Nutritional Assessment – its history, today’s practice, and future perspectives. Nutr Clin Pract. 2008 Aug–Sep; 23 (4): 388–396. 16. Guigoz Y, Vellas B, Garry PJ. Mini Nutritional Assessment: a practical assessment tool for grading the nutritional state of elderly patients. Facts Res Gerontol. 1994: 15–59. 17. Rubenstein LZ, Harker JO, Salvà A, Guigoz Y, Vellas B. Screening for undernutrition in geriatric practice: developing the short-form mini-nutritional assessment (MNA-SF). J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2001 Jun; 56 (6): M366–372.
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