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FETTE UND FETTSÄUREN
Heutige Bedeutung des LDL-Rezeptorproteins: eine «historische» Betrachtung
PAUL WALTER*
Immer öfter kann man feststellen, dass früheres Wissen bei der Interpretation neuer Befunde nur mangelhaft in heutige Überlegungen einbezogen wird. Am Beispiel der Aufklärung von Struktur und Funktion des LDL-Rezeptorproteins vor etwa 30 Jahren soll gezeigt werden, dass der damalige Meilenstein für das Verständnis des LDL-Stoffwechsels seine Bedeutung beibehalten hat. Auch die einige Jahre später festgestellten Befunde, dass bestimmte gesättigte Fettsäuren als Bestandteil der Nahrungsfette eine Erhöhung des Plasma-LDL bewirken, ist nach wie vor gültig. Ein erhöhter LDL-Spiegel bleibt auch weiterhin einer der wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Krankheiten und Schlaganfälle. Deshalb enthalten die meisten nationalen und internationalen Ernährungsrichtlinien den Hinweis, die Menge der mit der Nahrung aufgenommenen gesättigten Fettsäuren tief zu halten. Neuerdings wird der Gehalt an gesättigten Fettsäuren auch bei den Angaben der Zusammensetzung von Lebensmitteln speziell vermerkt.
Lipoproteine
Da Triglyzeride und Cholesterin wasserunlöslich sind, werden sie im Plasma an spezifische Proteine gebunden und als sogenannte Lipoproteine transportiert. Diese werden aufgrund ihrer Dichte in VLDL (very low density lipoprotein), LDL (low density lipoprotein) und HDL (high density lipoprotein) unterteilt, wobei diese Komplexe unterschiedliche Mengen von Cholesterin und Triglyzeriden enthalten und deshalb auch unterschiedliche Bedeutung besitzen. HDL wird in der Leber gebildet und ans Plasma abgegeben und hat in der Peripherie die Aufgabe, überschüssiges Cholesterin der verschiedenen Organe zu binden und in die Leber zurückzuführen. Man weiss heute, dass eine erhöhte Plasmakonzentration von HDL im Hinblick auf ein mögliches Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen günstig ist, deshalb wird das HDL auch als «gutes» Lipoprotein bezeichnet. Das Lipoprotein
*Professor emeritus Universität Basel
VLDL ist reich an Cholesterin und Triglyzeriden; es wird von der Leber gebildet und ans Plasma abgegeben. Dort spalten spezielle Lipasen einen Grossteil der Fettsäuren aus dem VLDL ab. Diese Fettsäuren werden an Albumin gebunden und in die Zielorgane wie zum Beispiel die Muskulatur zur Verbrennung oder an das Fettgewebe zur Speicherung transportiert. Zurück bleibt das LDL, das somit sehr cholesterinreich ist, und mit dem LDL-Rezeptorprotein in die verschiedenen Gewebe aufgenommen und verwendet werden kann. Ein zu hohes LDL im Plasma gilt als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da es an der Plaquebildung in den Arterien beteiligt ist. LDL wird deshalb als «böses» Lipoprotein betrachtet. Die Konzentration von LDL im Plasma wird massgebend vom Ausmass der LDLAufnahme in die verschiedenen Organe gesteuert, was auf die grosse Bedeutung des LDL-Rezeptorproteins hinweist.
LDL-Rezeptor Die 1985 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichneten Arbeiten von Joseph Goldstein und Michael Brown haben in den Siebzigerjahren zur Aufklärung der Struktur und der Wirkungsweise des LDLRezeptors geführt. Der aus 839 Aminosäuren bestehende LDL-Rezeptor ist ein Membranprotein mit einer Reihe von wichtigen Funktionsdomänen, wobei eine an der Zelloberfläche befindliche, endständige Domäne die Bindungsstelle für LDL enthält. Nach der Bindung des LDL an den Rezeptor kommt es zur Endozytose des LDL-Rezeptorkomplexes und anschliessend zur intrazellulären Freisetzung des Cholesterins; danach kann das LDL-Rezeptorprotein wieder an die Zelloberfläche zurückkehren und neue LDL binden. Diese Strukturaufklärung, verbunden mit den mechanistischen Hinweisen, die von den Autoren in ihrer «Nobel Lecture» (1) beschrieben wird, war damals eine grosse wissenschaftliche Leistung.
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Je nach Organ reguliert das aufgenommene Cholesterin die endogene Cholesterinsynthese oder/und wird in der Zelle in spezifische Strukturen eingebaut. Der Cholesterinbedarf eines Organs und somit das Ausmass der Aufnahme wird dabei teilweise durch die Anzahl der Rezeptoren an der Zelloberfläche gesteuert.
Hyperlipoproteinämie Typ II (familiäre Hypercholesterinämie) Auch hier waren die Aufklärungsarbeiten der beiden Nobelpreisträger massgebend. Diese autosomal dominant vererbte Erkrankung ist durch eine sehr starke Erhöhung der Cholesterinkonzentration im Serum gekennzeichnet, die mit einem Anstieg der LDL-Fraktion einhergeht. Die Triglyzeridkonzentration kann normal (Typ IIa) oder leicht erhöht (Typ IIb) sein. Heterozygote Träger kommen mit einer Häufigkeit von 1:500 vor und machen etwa 5 Prozent der Patienten aus, die jünger als 60 Jahre sind und bereits einen Myokardinfarkt hatten. Homozygote Träger sind dagegen seltener (1:1 000 000); sie leiden schon in der Kindheit an schwerer Arteriosklerose mit koronarer Herzerkrankung und Zerebralsklerose. Die Ursache des Defekts liegt in verschiedenartigen Mutationen des LDL-Rezeptors beziehungsweise seines Gens, die alle eine Hemmung des LDL-Rezeptorproteins der Organe und somit eine starke Erhöhung des Plasmacholesterinspiegels zur Folge haben. Diese Erkrankung beweist zum einen die enorme Bedeutung des LDL-Rezeptors bei der Regulation des LDLPlasmaspiegels, zum anderen aber auch die Korrelation zwischen hohen LDL-Spiegeln und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Zusammenhang zwischen der Zufuhr gesättigter tierischer Fettsäuren und den resultierenden LDL-Spiegeln Im Schlusskapitel der «Nobel Lecture» schreiben die beiden Preisträger (1) über «Speculations: LDL Receptors and the General Problem of Atherosclerosis». In dieser Zeit waren die Publikationen zur Sieben-Länder-Studie von Keys (2) sowie der Framingham-Studie (3) bereits bekannt, die beide auf eine positive Korrelation zwischen Cholesterin- beziehungsweise
LDL-Konzentrationen im Serum und der Inzidenz von Myokardinfarkten hingewiesen hatten. Bei LDL-Spiegeln von unter 100 mg/dl waren Herzinfarkte selten, oberhalb 200 mg/dl dagegen häufig. Es war schon damals klar, dass das LDL wohl ein wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Krankheiten ist, dass aber andere Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Stress, Diabetes mellitus mit Adipositas sowie spezielle genetische Veranlagungen einen mindestens ebenso wichtigen Einfluss haben. Es wurde aber auch festgestellt, dass Herzinfarkte vor allem mit der Western Diet korrelierten, die durch einen hohen Gehalt an tierischen Fetten und entsprechend höheren LDLWerten charakterisiert ist. Die beiden Forscher spekulierten damals, dass eine Übersättigung der LDL-Rezeptoren in der Leber mit Plasma-LDL möglicherweise zu einem Rückgang der Rezeptoren und so zu einem weiteren Anstieg des LDL-Spiegels führen könnte. Was ist seither geschehen? In Humanstudien konnte gezeigt werden, dass die Einnahme von gesättigten Fettsäuren zu Veränderungen der LDL-Spiegel im Plasma führt. So kommt es nach Verabreichung gesättigter Fettsäuren wie Laurinsäure (C12), Myristinsäure (C14) und Palmitinsäure(C16) zu einem markanten Anstieg der LDL-Konzentrationen im Plasma, während die Aufnahme von Stearinsäure (C18) keinen Effekt zeigte (4). Die einfach ungesättigte Ölsäure, die vor allem in Olivenöl vorkommt, ergab dagegen eine Erniedrigung des LDL-Spiegels, die umso stärker war, wenn sie einen Teil der gesättigten Fettsäuren ersetzte. Dieser Befund erklärt zumindest teilweise die «gesunde Wirkung» einer mediterranen Ernährung, die reich an Olivenöl ist und weniger gesättigte Fettsäuren enthält. In Versuchen mit Hamstern (5) konnten die Resultate mit den gesättigten Fettsäuren bestätigt werden, wobei zusätzlich ein Rückgang der LDL-Rezeptoraktivität gemessen wurde. Weitere Versuche ergaben (6), dass die Regulation der Rezeptorendichte durch die Menge der mRNS mitbestimmt wird. Allgemein wird heute davon ausgegangen, dass eine direkte positive Korrelation zwischen der Einnahme der genannten
Fettsäuren und der Erhöhung der LDL besteht, die wahrscheinlich mit einer verminderten Aktivität des LDL-Rezeptors in der Leber in Zusammenhang steht. Da LDL ein wichtiger Risikofaktor für HerzKreislauf-Erkrankungen ist, wird heute von praktisch allen gewichtigen Organisationen, wie WHO, FAO, Fachärzte-Gesellschaften, und in vielen nationalen Richtlinien empfohlen, die Menge der gesättigten Fettsäuren in der zugeführten Nahrung tief zu halten (höchstens 10% der Gesamtenergie).
Schlussbemerkungen
Die Entwicklung der Arteriosklerose ist ein sehr komplexes und multifaktorielles Geschehen, auf das hier in diesem Artikel nicht eingegangen werden konnte. Besonders erwähnenswert sind aber die unterschiedlichen Beeinflussungen des Risikos für solche Erkrankungen. So ist LDL ein anerkannter Risikofaktor, während HDL und n-3-Fettsäuren das Risiko vermindern. Ferner kann der LDL-Spiegel im Plasma auch durch andere Nahrungsbestandteile wie die Menge der eingenommenen Kohlenhydrate verändert werden. Auch die Oxidation der LDL, die zu den pathologischen Plaques in den Arterien führt, ist ein komplexer Vorgang, der unter anderem durch eine gute Versorgung mit antioxidativ wirksamen Substanzen positiv beeinflusst werden kann. Die «ungesunde» Wirkung gesättigter tierischer Fettsäuren wird immer wieder in Zweifel gestellt, da die epidemiologischen Auswertungen entsprechender Humanversuche häufig keine Korrelation zwischen der Aufnahme gesättigter Fettsäuren und einem entsprechend erhöhten kardiovaskulären Risiko erkennen liessen. Gemäss den kürzlich erschienenen evidenzbasierten Leitlinien der DGE (7) über den Fettkonsum und die Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten konnte jedoch in ungefähr 50 Prozent der einbezogenen epidemiologischen Studien und Interventionsstudien ein Zusammenhang von Herz-Kreislauf-Krankheiten mit den aufgenommenen gesättigten Fettsäuren etabliert werden. Nicht alle Studien haben ein vergleichbares Design, zudem
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sind zahlreiche unbekannte Variable vorhanden, die sich nicht alle berücksichtigen lassen. Neben erhöhten LDL-Spiegeln existieren ja weitere wichtige Risikofaktoren wie die Hypertonie, Adipositas und andere Störungen; bei einigen Studienanordnungen genügt der Anstieg eines einzigen Risikofaktors offenbar nicht, um den entsprechenden Einfluss auf das Krankheitsrisiko während der Dauer des Experiments auch nachzuweisen. In einigen Experimenten hat sich zudem gezeigt, dass auch höhere HDLSpiegel die Wirkungen der fettsäurebedingten erhöhten LDL vermindern. Dass die LDL-Spiegel eine wichtige Rolle spielen können, zeigen die Erfolge der Statine, die durch die Hemmung der endogenen Cholesterinsynthese einen Abfall der LDL-Konzentration im Plasma bewirken und so zu einer starken Verminderung der
Herz-Kreislauf-Erkrankungen geführt haben. Auch wenn andere Wirkmechanismen dieser Medikamente nicht ausgeschlossen werden können, weisen diese Resultate doch erneut auf die grosse Bedeutung eines tiefen LDL-Spiegels als gute Vorbedingung gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen hin. Es bleibt die Feststellung, dass eine ausgewogene gesunde Ernährung mit wenig gesättigten Fettsäuren, kombiniert mit viel Bewegung, die beste Methode ist, das Körpergewicht beizubehalten und langfristig gesund zu bleiben.
Korrespondenzadresse: Professor Dr. Paul Walter Nelkenrain 2 4104 Oberwil E-Mail: paul.walter@unibas.ch
Literaturverzeichnis: 1. Brown MS, Goldstein JL. A receptor-mediated pathway for cholesterol homeostasis: http://nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/1985/brown-lecture.html 2. Keys A. Seven Countries: A multivariate analysis of death and coronary heart disease. Cambridge, MA. Harvard University Press; 1980. 3. Kannel WB, Castelli WP, Gordon T, McNamara PM. Serum cholesterol, lipoproteins, and the risk of coronary heart disease. The Framingham study. Ann Intern Med. 1971 Jan; 74 (1): 1–12. No abstract available. 4. Katan MB, Zock PL, Mensink RP. Effects of fats and fatty acids on blood lipids in humans: an overview. Am J Clin Nutr. 1994 Dec; 60 (6 Suppl): 1017S–1022S. Review. 5. Spady DK, Woollett LA, Dietschy JM. Regulation of plasma LDL-cholesterol levels by dietary cholesterol and fatty acids. Annu Rev Nutr. 1993; 13: 355–381. Review. 6. Horton JD, Cuthbert JA, Spady DK. Dietary fatty acids regulate hepatic low density lipoprotein (LDL) transport by altering LDL receptor protein and mRNA levels. J Clin Invest. 1993 Aug; 92 (2): 743–749. 7. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Fettkonsum und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten. Evidenzbasierte Leitlinie 2006. www.dge.de/modules.php?name=St&file=w_leitlinien (accessed 09-2008).