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Gastroenterologie und Ernährung
Bedeutung der Ernährung bei akuten Durchfallerkrankungen
Durchfallerkrankungen sind weltweit
eines der grössten gesundheitlichen
Probleme, da sie Hauptverursacher
der hohen Kinder- und Säuglingssterb-
lichkeit (1,9 Millionen Kinder pro
Jahr) in den nicht industrialisierten
Ländern sind (1). In den Industrie-
staaten sind dagegen Durchfall-
erkrankungen vor allem bei älteren
und betagten Menschen mit einer er-
heblichen Morbidität assoziiert (2).
Michael Steuerwald
Akute Durchfälle sind in der überwiegenden Mehrzahl die Folge bakterieller Infektionen, die bei gesunden immunkompetenten Erwachsenen in der Regel selbstlimitierend verlaufen. Säuglinge und Kinder in Entwicklungsländern und betagte Menschen mit Komorbiditäten in Industrienationen sind durch diese Infektionen in verstärktem Masse gefährdet: Gleichzeitig bestehendes Erbrechen, Intoleranz oraler Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme führen zu Dehydratation, allgemeiner Schwäche und Immobilität und dadurch zu einer erhöhten Morbidität (Hospitalisationen) und Mortalität (Kindersterblichkeit in Drittweltländern). Das Management akuter Durchfallerkrankungen ist relativ einfach: zweckmässige Diagnostik, kritische Indikationsstellung von Antibiotikatherapien und natürlich eine wirksame supportive Therapie (3). Die supportive Therapie umfasst in erster Linie eine rasche Korrektur der Flüssigkeits- und Elektrolytdefizite, die Bekämpfung von Schmerzen, Nausea und Erbrechen und eine Senkung der Stuhlfrequenz. In zweiter Linie muss die Kalorienzufuhr wiederhergestellt werden, um Katabolismus und Mangelernährung zu verhindern. Die Indika-
tion für eine solche «Ernährungstherapie» richtet sich nach der Schwere und zu erwartenden Dauer des akuten Durchfalls, des Alters des Patienten und der Komorbidität.
Ernährungsmedizinische
Interventionen bei Durch-
fallerkrankungen
Es gibt fünf therapeutische Prinzipien, die in der Ernährungsmedizin akuter Durchfallerkrankungen zur Anwendung kommen: orale Rehydratationslösungen, spezielle Kohlehydratpräparationen zur Reduktion des Stuhlvolumen, die sogenannten «micronutrients» Zink und Vitamin A, die Probiotika, die der Rekonstitution einer normalen Darmflora förderlich sein sollen und die Vermeidung von Ernährungsfehlern.
Orale Rehydratationslösungen Im englischen Sprachgebrauch wer-
den diese «oral rehydration solutions» (ORS) genannt. Die WHO und die UNICEF propagieren seit 2006 eine neue Formulierung mit geringerem Na+- (75 mEq/l) und Glukosegehalt (75 mmol/l) und damit geringerer Osmolarität (245 mmol/l gegenüber der früheren Lösung mit 311 mmol/l). Der Grund für diese Anpassung war die Erfahrung, dass eine 311-mmol/lLösung (vor allem bei deyhdrierten Kindern) leicht hyperosmolar ist und dadurch eine osmotische Diarrhö sowie die gefährliche Hypernaträmie begünstigen kann. In vielen Studien wurde nachgewiesen, dass diese neue ORS das Stuhlvolumen um 25 Prozent, Erbrechen um 30 Prozent und die Notwendigkeit parenteraler Flüssigkeitszufuhr um 30 Prozent gegenüber der alten Formulierung senkt (1, 4). Die in der Schweiz erhältliche ORS enthält 90 mmol Na und 111 mmol/g Glukose, die höchste von der WHO als «akzeptabel» eingestufte Konzentration dieser Hauptkomponenten (5).
Rehydratationslösungen mit Zusatz von Stärkemehl oder Guargummi
Glukosebasierte Rehydratationslösungen können die Dehydratation korrigieren, haben jedoch nur einen geringen Einfluss auf die Stuhlmenge.
Durch Zusatz von Maisstärke (Haushaltname in der Schweiz «Maizena») oder Reismehl kommt es bei Patienten mit Cholera zu einer Reduktion der Stuhlmenge um etwa die Hälfte in den kritischen ersten 48 Stunden. Die unverdaute Stärke wird im Kolon zu Butyrat fermentiert, ein starker Stimulus für die Na+-Absorption. Der Zusatz von amylaseresistenter Stärke hat vor allem ihren Platz bei grossvolumiger choleraähnlicher Diarrhö (6). Der Zusatz von Guargummi, einem Mannose-Galaktose-Polysaccharid, das aus der Guarbohne gewonnen wird, führt über den gleichen Mechanismus zu einer Konzentrationserhöhung intrakolonischer kurzkettiger Fettsäuren. Der Effekt bei der nicht Non-Cholera-Diarrhö ist zwar signifikant, aber mässig (Verkürzung der Diarrhö von 90 auf 74 Stunden [7]).
Spezielle Nahrungsmittelzusätze Zink In einer Vielzahl von Studien konnte
nachgewiesen werden, dass der Zusatz von 20 mg Zink während zwei Wochen bei Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und sechs Jahren die Durchfalldauer verkürzt und die Inzidenz respiratorischer und intestinaler Infektionen in den folgenden Monaten reduziert. Säuglinge, die jünger als sechs Monate sind, scheinen nicht von einer Zinktherapie zu profitieren. Der genaue Wirkmechanismnus von Zink ist unbekannt. Zinkmangel als Folge häufiger oder chronischer intestinaler Infektionen ist in Drittweltländern endemisch. Die Korrektur solcher Mangelzustände kann eine Verbesserung der Immunität und deshalb der rascheren Überwindung einer infektiösen Gastroenteritis bewirken (8). Eine direkte Wirkung auf den Darm konnte bisher nicht stringent nachgewiesen werden. Von einer Zinksupplementation scheinen vor allem Kinder mit einer Shigellenruhr zu profitieren, wobei diese Erkrankung wahrscheinlich ein Marker für Mangelernährung ist (9).
Vitamin A und Eisen Vitamin A und Eisen spielen bei der Behandlung der akuten Diarrhö keine
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Rolle, hingegen führt die Korrektur eines Vitamin-A-Mangels in mangelernährten Populationen zu einer deutlichen Verminderung infektiöser Durchfallerkrankungen. Eisenmangelzustände sind sehr prävalent in Populationen mit häufigen Durchfällen und Parasiteninfestationen. Eisenmangel führt bei Kindern zu Gedeihstörungen (8).
Probiotika Probiotika erhalten in der ernährungswissenschaftlichen Literatur eine grosse Beachtung, haben sich aber im klinischen Alltag bei der Behandlung akuter Durchfallerkrankungen nicht durchgesetzt. Das pathophysiologische Konzept ist einfach: Durch Zufuhr «nützlicher» Bakterien kommt es zu einer intraluminalen pH-Absenkung, Vermehrung kurzkettiger Fettsäuren, Freisetzung darmprotektiver Substanzen oder Agglutination pathogener Erreger. Das Verständnis für die genaue Wirkung einzelner Probiotika ist lückenhaft. Multiple Studien mit einer ganzen Anzahl probiotischer Bakterienstämme (Lactobacillus rhamnosus GG und andere Lactobacilli, E. coli Nissle 1917, Saccharomyces boulardii) haben einen positiven, aber mässigen Effekt gezeigt. Die meisten Studien wurden bei Kindern mit (nosokomialen) Rotavirusinfektionen durchgeführt. Die Dauer der Durchfalltage wird demnach um etwa einen Tag verkürzt, Rezidive werden seltener, die Ausscheidung von Rotaviren wird vermindert. Probiotika haben einen nur geringen Effekt bei der invasiven bakteriellen Enterokolitis (10, 11). In den Industrienationen werden Probiotika zur Behandlung und Prävention der antibiotikaassoziierten Diarrhö verwendet. Die Evidenz ist widersprüchlich. Lactobacillus rhamnosus GG und Probiotika mit mehreren Stämmen scheinen antibiotikaassoziierte Diarrhöen zu vermindern, sie haben jedoch keinen Einfluss auf die Inzidenz von C.-difficile-Infektionen. Saccharomyces boulardii hat einen mässigen Effekt auf die Rezidivhäufigkeit nach Behandlung von C.-difficile-Infektionen. Ein kürzliches Review der Cochrane Database zu dieser Frage er-
gab die Konklusion, dass die Evidenz hinsichtlich der Wirksamkeit von S. boulardii als Zusatz zur antibiotischen Therapie bei C.-difficile-Infektionen als ungenügend bewertet werden muss (12).
Richtige Er nähr ung und Ver-
meidung von Ernährungs-
fehlern bei akuter Diarrhö
Im Lichte begrenzter Ressourcen kommt der Vermeidung von Ernährungsfehlern eine grosse Bedeutung zu. Kinder sollten salzhaltige Flüssigkeiten zu sich nehmen (ORS, gesalzenes Reiswasser, Bouillon, salzhaltige Joghurtgetränke oder Muttermilch). Hyperosmolare Flüssigkeiten wie Softdrinks, gezuckerte Fruchtsäfte sind ebenso zu vermeiden wie salzlose Getränke (Tee mit Zucker). Säuglinge sollten weiter gestillt werden. Wo dies nicht möglich ist, sollte verdünnte Kuh- oder Pulvermilch mit einer Spritze, Tasse oder Löffel in häufigen kleinen Mahlzeiten gegeben werden. Der Gebrauch von Trinkflaschen mit einem «Nuggi» ist zu vermeiden. Ältere Kinder sollten weiterhin feste Nahrung zu sich nehmen, beispielsweise Getreidepräparationen (Typ «Porridge») und Gemüse. Gekochte oder fermentierte Lebensmittel (z.B. Joghurt) sind besser verdaulich als rohe Lebensmittel. Häufige kleine Mahlzeiten sind besser als wenige grössere Mahlzeiten (4).
Zusammenfassung
Durchfallerkrankungen sind ein grosses weltweites Gesundheitsproblem. Die Ursache hierfür ist die Armut grosser Bevölkerungsteile in den nicht industralisierten Ländern. Armut wiederum ist mit Unterernährung und einer erhöhten Infektionsrate assoziiert. In diesen Ländern wäre die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem chloriertem Trinkwasser die einfachste, wirksamste und billigste Methode zur Prävention von Durchfallerkrankungen. Vor diesem Hintergrund muss auch die wichtigste ernährungsmedizinische Intervention gesehen werden: Wird eine ORS mit
kontaminiertem Trinkwasser zuberei-
tet, nützt sie wenig (13). Das Abkochen
von Wasser ist jedoch aufwendig. Die
wesentlichsten Fortschritte in der
Ernährungsmedizin betreffen die Ent-
wicklung iso- bis leicht hypoosmolarer
ORS, den Zusatz von Maisstärke und
die Erkenntnis, dass durch Aufrechter-
haltung der Ernährung die rasche Ent-
wicklung einer Mangelernährung ver-
mieden werden muss.
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Korrespondenzadresse: Dr. med. Michael Steuerwald Oberarzt Gastroenterologie Medizinische Universitätsklinik Kantonsspital Liestal 4410 Liestal
Literatur: 1. Improved formula for oral reyhdration salts to save children’s lives. World Health Organization, Press Release 23. March 2006, Geneva. 2. Meier R, Steuerwald M; Place of Probiotics. Curr Opin Crit Care. 2005 Aug; 11 (4): 318–25. 3. Schiller L, Sellin J. Diarrhea. Sleisenger & Fordtran’s Gastrointestinal and Liver Disease, 7th Edition, Elsevier Science (USA) 4. New ORS. Frequently Asked Questions. World Health Organization, www.searo.who.int/LinkFiles/CAH_Publications_ new_ors-faq.pdf 5. Arzneimittelkompendium der Schweiz, Ausgabe 2008, Documed AG, Basel 6. Ramakrishna BS, Venkatamaran S, Srinivasan P, Dash P, Young GP, Binder HJ; Amylase-Resistant Starch plus Oral Rehydration Solution for Cholera. N Engl J Med 2000 Feb 3; 342 (5): 308–312. 7. Alam NH, Meier R, Schneider H, Sarker SA, Bardhan PK, Mahalanabis D, Fuchs GJ, Gyr N; Partially Hydrolyzed Guar Gum-Supplemented Oral Rehydration Solution in the Treatment of Acute Diarrhea. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2000 Nov; 31 (5): 503–507. 8. Bhutta ZA; Effect of Infections and Environmental Factors on Growth and Nutritional Status in Developing Countries. J Pediatric Gastroenterol Nutr 2006 Dec; 43: S13–S21. 9. de Vrese M, Marteau PR; Effect of zinc supplementation on immune and inflammatory responses in pediatric patients with shigellosis. Am J Clin Nutr 2004; 79: 444–450. 10. de Vrese M, Marteau PR; Probiotics and Prebiotics: Effects on Diarrhea. J Nutr 2007 Mar; 137 (3 Suppl 2): 803S–811S. 11. Wanke CA; Do Probiotics prevent childhood illnesses? BMJ 2001; 322: 1318–1319 (Editorial) 12. Pillai A, Nelson R; Probiotics for Treatment of Clostridium difficile-associated colitis in Adults. Cochr Database Syst Rev 2008 Jan 23; (1). 13. Mirza NM, Caulfield L, Black R, Macharia W; Risk factors for diarrheal duration. Am J Epidemiol 1997; 9 (6): 776–785.
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