Transkript
Gastroenterologie und Ernährung
Nahrungsmittelallergie versus Nahrungsmittelintoleranz
Definitionen, Diagnostik und Therapie
Durch Nahrungsmittel verursachte allergische Krankheitsbilder sind vielfältig und oft schwer von funktionellen Beschwerden abzugrenzen, vor allem wenn nur der Magen-Darm-Trakt betroffen ist (gastrointestinale Nahrungsmittelallergien im engeren Sinne [GI-NMA i.e.S.]). Häufige Symptome sind Übelkeit, Brechreiz, retrosternales Brennen, Blähungen, Verstopfung, Durchfälle und Koliken. Wichtige Differenzialdiagnosen sind primär und sekundär erworbene Darm-Enzymopathien (z.B. Laktasemangel), Nahrungsmittelintoleranzen (NMI), psychische Aversionen, funktionelle Störungen (Reizdarmsyndrom) sowie eigenständige gastrointestinale Erkrankungen mit gesichertem (z.B. Zöliakie) oder vermutetem immunologischem Pathomechanismus (z.B. eosinophile Gastroenteritis, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa u.a.). Reine GI-NMA ohne weitere Begleitsymptome werden – nach Ausschluss organischer Ursachen – leicht als funktionelle Darmbeschwerden gedeutet und die Möglichkeit einer Allergie auf ein alltägliches Nahrungsmittel wird übersehen. Andererseits sind die meisten Patienten mit Reizdarm überzeugt, an einer NMA zu leiden, und entsprechend enttäuscht, wenn eine solche allergologisch ausgeschlossen wird. Gross ist deshalb hier das Angebot unkonventioneller alternativer Diagnosemethoden, die Allergiediagnosen produzieren, die sich der Patient erhofft. Gross ist hier auch der Suggestiveffekt von Diäten wie Rotationsdiäten. Einschlägige Fallbeispiele von NMA und NMI werden aufgeführt.
Brunello Wüthrich
Falsche Vorstellungen und unkonventionelle Diagnosemethoden
Der Begriff «Nahrungsmittelallergie» (NMA) wird häufig zu weit gefasst und entsprechend falsch angewendet, zum Beispiel unter Einbezug unspezifischer Intoleranzerscheinungen und psychischer Aversionen. Dem Kausalitätsbedürfnis entsprechend neigt der Patient dazu, viele krankhafte Symptome und Beeinträchtigungen seines Wohlbefindens auf den exogenen Faktor «Nah-
rung» und insbesondere auf die «Chemie in der Nahrung» zurückzuführen. Epidemiologische Studien und die tägliche Praxis zeigen aber eindeutig, dass zwischen einer vom Patienten wahrgenommenen Unverträglichkeit auf Nahrungsmittel und den Resultaten einer genauen Abklärung eine grosse Diskrepanz besteht. Von alternativen Medizinern (besonders aus dem Kreis der «klinischen Ökologie») und Naturheilpraktikern werden aufgrund unkritischen Denkens, persönlicher oder «sektiererischer» Weltanschauung sowie
alternativer, wissenschaftlich nicht anerkannter Testverfahren relativ häufig multiple «Nahrungsmittelallergien» und «Lebensmittelzusatzstoffallergien» diagnostiziert oder unklare funktionelle und organische Erkrankungen als Ausdruck einer NMA angesehen. Einige dieser diagnostischen Verfahren werden, aufgrund vorliegender objektiver Informationen, von Fachgesellschaften und Experten übereinstimmend als wenig sinnvoll, unseriös oder gar potenziell gefährlich eingestuft, sodass von ihrer Anwendung am Patienten abgeraten wird. Diese, für Hersteller und Verfechter, lukrativen Methoden sollten zudem nicht von öffentlichen Krankenkassen übernommen werden. Darunter fallen die Elektroakupunktur nach Dr. Voll, die bioelektrische Funktionsdiagnostik, Bioresonanz- und Multiresonanzverfahren, «angewandte» Kinesiologie, Radiästhesie, Pendeln, Magnetopathie, Geopathie sowie die Irisdiagnostik und Ähnliches. Dabei handelt es sich um Suggestivtechniken, die jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Unkonventionelle diagnostische (und therapeutische) Verfahren sollten – ebenso wie konventionelle medizinische Methoden – nach dem derzeitigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse mit Prüfkriterien nach internationalem Standard und nicht nach dem «Binnenkonsens» sogenannter besonderer Therapierichtungen geprüft und bewertet werden. Die Diagnosen, die mit diesen unkonventionellen Methoden gestellt werden, lauten in der Regel auf Lebensmittelzusatzstoff-, Zucker-, Weizen- und Kuhmilchallergie. Tatsächlich sind allergische Reaktionen auf Lebensmittelzusatzstoffe (E-Nummern = «Chemie» in der Nahrung) – entgegen der Meinung von Patienten-, Konsumentenschutzorganisationen und Massenmedien – ausserordentlich selten. Das Irrationale zeigt sich in den Diätempfehlungen. So wird als Ersatz für die mit unkonventionellen Methoden diagnostizierte Weizenallergie Dinkelmehl empfohlen, eine alte Weizenart, die sich allergologisch jedoch wie Weizen verhält, oder bei «Kuhmilchallergie»
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Gastroenterologie und Ernährung
wird Ziegen- oder Stutenmilch eingesetzt. Bei einer echten Kuhmilchallergie handelt es sich jedoch häufig um eine Sensibilisierung auf Kaseine, die nicht artspezifisch sind. Wer allergisch auf Kuhmilch wäre, würde also auch Ziegen- und Stutenmilch nicht vertragen.
Definitionen von Nahrungs-
mittelallergie und Nahrungs-
mittelintoleranz
Unverträglichkeitsreaktionen nach Nahrungsaufnahme werden gemäss den Empfehlungen der Europäischen Akademie für Allergologie und klinische Immunologie (EAACI) nach den auslösenden Mechanismen eingeteilt. Psychische Aversionen auf Nahrungsmittel und psychosomatoforme Reaktionen (d.h., der Patient ist überzeugt, an einer Nahrungsmittelallergie zu leiden, obwohl eine solche objektiv nicht vorliegt) müssen von den Begriffen Nahrungsmittelallergie oder -intoleranz abgegrenzt werden, da sich die vermeintlich krankhafte Rolle von Nahrungsmitteln oder Lebensmittelzusatzstoffen mit keiner wissenschaftlichen Methode untermauern lässt. Von den krankhaften Mechanismen müssen dann die toxischen Reaktionen abgegrenzt werden wie Durchfälle und Erbrechen nach Genuss verdorbener Speisen infolge bakterieller Toxine oder Vergiftungserscheinungen nach Genuss roher Bohnen infolge des Lektingehalts (Lektine werden durch Kochen inaktiviert). Auch die sogenannte Scombroid-Reaktion, eine allergieähnliche Reaktion mit Hautrötung, Juckreiz, Nesselausschlag, Kopfschmerzen, Atemnot, MagenDarm-Symptomatik bis zum Schock, gehört hierzu. Sie wird durch Histamin verursacht, das aus verdorbenen Fischeiweissen, insbesondere von Thunfisch (Konserven) und Makrelen, entsteht. Die bakterielle Kontamination bei falsch gelagertem Fisch führt über den Abbau von Histidin zu Histamin, das weder durch Erhitzen noch Tieffrieren zerstört wird.
Nahrungsmittelallergien Von Nahrungsmittelallergien (NMA)
spricht man nur, wenn die krankhaften Reaktionen nach Nahrungsaufnahme als Folge immunologischer Reaktionen entstehen. In Individuen mit entsprechender Veranlagung (sogenannten Atopikern) wird also die Bildung spezifischer, gegen ein bestimmtes Nah-
Tabelle 1: Empfehlungen für eine histamin- und histaminliberatorenarme Diät
Histaminreiche Nahrungsmittel
Folgendes Fleisch ist zu meiden
Histamingehalt
Alle Wurstwaren wie Bratwurst, Cervelat, Mettwurst,
< 0,1–318 mg/kg Le Parfait, Aufschnitt Alle rohen, geräucherten und gepökelten Wurstwaren (Salami, Bünderfleisch, Most- bröckli, Rohschinken, Schinken, Räucherschinken, Landjäger etc.) Nehmen Sie frisches oder tiefgekühltes Fleisch inkl. Geflügel, also Schnitzel, Kotelette, Geschnetzeltes, Hackfleisch, Filet etc. Folgender Fisch ist zu meiden Thunfisch, Makrele Sardinen Sardellen Krustentiere Hering (besonders als Konserve und Räucherfisch) Histamingehalt < 0,1–13000 mg/kg 110–1500 mg/kg 176 mg/kg Achtung: Fischkonserven nach dem Öffnen der Dose rasch aufbrauchen! Nehmen Sie frische oder tiefgekühlte Fische wie z.B. Dorsch, Forellen, Flunder etc. Folgender Käse ist zu meiden Blauschimmelkäse, Roquefort Cheddar Emmentaler, Gruyère, Parmesan, Sbrinz Tilsiter, Provolone und alle überalterten Käse Histamingehalt 158 mg/kg 34 mg/kg < 0,1–555 mg/kg 50–60 mg/kg Nehmen Sie Hüttenkäse, Quark, Frischkäse etc. Folgendes Gemüse ist zu meiden Sauerkraut Spinat Tomaten, Aubergine, Steinpilze, Morcheln Histamingehalt 6–200 mg/kg 38 mg/kg 22 mg/kg Nehmen Sie alle anderen Gemüse, frisch oder tiefgekühlt. Folgende Früchte sind zu meiden Erdbeeren, Zitrusfrüchte Nehmen Sie alle anderen Früchte wie Äpfel, Birnen, Aprikosen, Melonen etc. frisch oder tiefgekühlt. Ausserdem zu meiden Rotwein, Weisswein, Bier, Trockenhefe Histamingehalt < 0,1–13 mg/kg Wechseln Sie zu histaminarmen alkoholischen Getränken. Liste siehe unter: www.biodyn.ch/b.html Quelle: Jarisch R (ed). Histamin-Intoleranz. Histamin und Seekrankheit. 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart-New York, 2004. Erarbeitet in Zusammenarbeit mit der Ernährungsberatung des Universitätsspitals Zürich und Herrn Dr. St. Bodmer, Biodyn GmbH, Dietikon, Schweiz. rungsmittel beziehungsweise gegen Nahrungsmittelstrukturen gerichteter Antikörper induziert. Die häufigsten NMA werden durch IgE-Antikörper verursacht. Diese sind auch für allergische Reaktionen an den Atemwegen (Heuschnupfen, allergisches Asthma), an der Haut (allergische Urtikaria, atopisches Ekzem) oder am MagenDarm-Trakt (gastrointestinale Nahrungsmittelallergien) verantwortlich. NMA-Symptome können schon durch kleine oder mässige Mengen des betreffenden Nahrungsmittels ausgelöst werden, verschwinden nach dessen Elimination und werden überzeugend und reproduzierbar durch eine erneute Exposition hervorgerufen. Nahrungsmittelintoleranzen Reaktionen nach Einnahme von Nah- rungsmitteln (inklusive Nahrungsmit- 18 Nr. 2 • 2008 Gastroenterologie und Ernährung Tabelle 2: Pollenassoziierte Nahrungsmittelallergien Pollen Nahrungsmittel Birkenpollen Beifusspollen Gräserpollen Traubenkrautpollen (Ambrosia) (Roh-)Obst: Apfel, Aprikosen, Birne, Kirschen, Kiwi, Mandeln, Pfirsich (Roh-)Gemüse: Karotte, Sellerie(-Knolle) Nüsse: Haselnuss, Mandeln, Baumnuss Gemüse (auch gekocht): Sellerie(-Salz), Karotten Gewürze: Anis, Fenchel, Koriander, Kümmel, Kamille, Paprika Frucht: Mango, Sonnenblumenkerne Tomate, Erdnuss, Melone, Getreide Banane, Melone, Zucchini, Gurke telzusätzen), bei denen keine immunologisch-spezifischen Mechanismen im Spiel sind, werden als Nahrungsmittelintoleranzen (NMI) klassifiziert. Es handelt sich also um nicht allergische Reaktionen nach Aufnahme von Nahrungsmitteln, wobei enzymatische, pharmakologische sowie unbekannte intoleranzerzeugende Mechanismen unterschieden werden. Bei den enzymatischen Intoleranzen ist der Laktasemangel am häufigsten. Das Disaccharid Laktose, ein nativer Bestandteil in Milch und Milchprodukten, wird im Dünndarm durch das Enzym β-Galaktosidase (= Laktase) in Glukose und Galaktose gespalten. Bei etwa 20 Prozent der Menschen nimmt die Laktaseaktivität nach dem Alter von zwei Jahren ab. Zugeführte Laktose kann dann aufgrund der fehlenden oder ungenügenden Laktaseaktivität vermehrt in den Dickdarm gelangen und dort zu Beschwerden führen (Blähungen, Bauchkrämpfe, Durchfälle). Pharmakologische Intoleranzen treten bei besonders disponierten Personen nach Genuss gewisser Nahrungsmittel mit hohem Histamingehalt oder anderen pharmakologisch aktiven Substanzen (gefäss- oder psychoaktive biogene Amine wie Tyramin, Serotonin und Phenylethylamin) auf. Besonders histaminreich sind fermentierte Produkte, Hartkäse, Schokolade, Erdbeeren, Tomaten, Schalentiere und gewisse Rotweine. Eine Sonderstellung zwischen den enzymatischen und pharmakologischen Intoleranzen nimmt die Histaminintoleranz ein. Sie wird auf eine fehlende oder mangelnde Inaktivierung des Histamins durch das in der Darmschleimhaut sezernierte Enzym Diaminoxidase (DAO) zurückgeführt, das normalerweise einen raschen Histaminabbau bewirkt. Wird das exogen mit der Nahrung oder endogen durch Histaminliberatoren zugeführte Histamin (Tabelle 1) nicht inaktiviert, können pharmakologisch wirksame Histaminspiegel erreicht werden, die identische Beschwerden auslösen wie eine allergische Sofortreaktion. Auch Alkohol und gewisse Medikamente (Aspirin, NSAR, MAO-Hemmer) hemmen die DAO-Aktivität. Seit Kurzem ist es möglich, eine Substitutionstherapie mit einem DAO-haltigen Präparat (Daosin®) durchzuführen. Den meisten durch Lebensmittelzusatzstoffe bedingten Intoleranzen liegen vorläufig noch unbekannte Mechanismen zugrunde. Da diese Intoleranzen echten allergischen Reaktionen ähnlich sind, wird dafür auch der Begriff «pseudoallergische Reaktionen» verwendet. Bei Intoleranzreaktionen, die nicht auf einer Enzymopathie beruhen, kann die Diagnose nur durch doppelblinde, plazebokontrollierte orale Provokationstests mit Nahrungsmitteln oder Lebensmittelzusatzstoffen gesichert werden, da dafür derzeit keine validierten Hautoder Bluttests verfügbar sind. Klinik und Klassifikation von IgE-vermittelten Nahrungs- mittelallergien Gemäss den verfügbaren Statistiken leiden etwa 4 bis 6 Prozent der Erwachsenen und 5 bis 10 Prozent der Kinder unter Nahrungsmittelallergien. Die Dunkelziffer dürfte jedoch ziemlich hoch sein, da viele Personen mit weitgehend harmlosen Symptomen nie einen Arzt aufsuchen. Nahrungsmittel können nicht nur durch Einnahme (per ingestionem), lokal (durch direkten Kontakt mit den Schleimhäuten des Verdauungstrakts) und hämatogen (nach Resorption im Magen-Darm-Kanal) Allergiesymptome am entferntes- ten Schockorgan (z.B. Haut, Atemtrakt) auslösen, sondern auch durch direkten Hautkontakt (perkutan) oder durch Einatmen (per inhalationem). Die allergischen Manifestationen können sofort (Minuten bis zu 1 Stunde), verzögert (mehrere Stunden) oder spät (über 12–36 Stunden) nach Allergenaufnahme auftreten. Selten wird ein biphasischer Verlauf mit Wiederauftreten der Symptome nach beschwerdefreiem Intervall und ausnahmsweise tödlichem Ausgang beobachtet. Die klassischen Symptome sind Juckreiz, akute Urtikaria (Nesselfieber), Quincke-Ödem (Angioödem), Fliessschnupfen, Bronchospasmus, Durchfall, Darmkoliken, Erbrechen bis zum Vollbild des anaphylaktischen Schocks. NMA bei Jugendlichen und Erwachsenen zeigen sich am häufigsten in Form der auf den LippenMund-Pharynx-Bereich lokalisierten «oral allergy syndromes» (OAS) (Juckreiz, pelziges Gefühl, evtl. Schwellung), die besonders bei Birkenpollenallergikern nach Genuss von Frischobst und/oder Frischgemüse und Haselnüssen auftreten (Tabelle 2). Darüber hinaus manifestieren sie sich am häufigsten auf der Haut (ca. 45%), dem Respirationstrakt (24%), im Magen-Darm-Trakt (22%) und im Kreislaufsystem (10%). Isolierte Organmanifestationen weisen 36 Prozent der Patienten auf, wobei 22 Prozent eine reine Haut- und nur etwa 6 bis 8 Prozent ausschliesslich eine Atemwegsoder eine gastrointestinale Symptomatik entwickeln. Neuere Studien bestätigen die Existenz einer GI-NMA mit einer geschätzten Prävalenz bei Erwachsenen von 1 bis 2 Prozent. Diese Zahlen machen deutlich, dass eine reine GI-NMA in der Praxis eher selten vorkommt. Klassifikation der NMA Zum besseren Verständnis werden NMA in drei Typen (A, B und C) eingeteilt, die unter anderem ihre altersabhängig unterschiedliche Häufigkeit, die Verschiedenartigkeit des Allergenspektrums sowie die unterschiedliche Stabilität von Nahrungsmittelallergenen erklären. Die drei Typen A, B und C sind folgendermassen charakterisiert: Typ A Diese Art von NMA tritt im Säuglings- oder Kleinkindesalter auf. Dabei erfolgt die Sensibilisierung über den Gastrointestinaltrakt mit relativ stabilen Allergenen wie Proteine aus Milch, Nr. 2 • 2008 19 Gastroenterologie und Ernährung Ei, Weizen, Soja sowie (später) Fisch und Erdnuss. Mit Reifung der oralen Toleranz bildet sich die Allergie zurück; Beschwerden können häufig ganz verschwinden. Diese Toleranz ist allergenabhängig: Sie wird häufig bei Milch-, Eier-, Soja- und Weizenallergie beobachtet, selten dagegen bei Fischund Erdnussallergien. Typ B (inkl. Kreuzallergien) Ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind Nahrungsmittelallergiker vom Typ B. Hier erfolgt die Sensibilisierung über den Respirationstrakt, da die orale Toleranz in diesem Alter bereits stabiler ist als die respiratorische Toleranz. Diese Personen leiden meist an Heuschnupfen oder allergischem Asthma. Hier lösen aerogene Allergene (besonders Pollen von Birke und Beifuss) die Bildung von IgE-Antikörpern aus, die wiederum mit ähnlichen Proteinen in Nahrungsmitteln (Obst, Gemüse, Nüsse) kreuzreagieren. Art und Lokalität der klinischen Symptomatik werden durch die Stabilität der kreuzreagierenden Nahrungsmittelallergene bestimmt, wobei die meisten Patienten nur milde Beschwerden aufweisen. Beifusspollenallergiker können allerdings auf gekochten Sellerie und Gewürze sogar mit Schocksymptomen reagieren (sog. Beifuss-Sellerie-Gewürz-Syndrom). Die pollenassoziierte NMA tritt in Mitteleuropa am häufigsten auf (Tabelle 2). Typ C Von Nahrungsmittelallergien vom Typ C sind vor allem erwachsene Frauen betroffen, die (im Gegensatz zu Typ A und B) keine atopische Disposition aufweisen und nie respiratorisch sensibilisiert worden sind; sie leiden also weder an Heuschnupfen noch an Asthma. Die Sensibilisierung erfolgt im Gastrointestinaltrakt gegen wenige, relativ verdauungsstabile Proteine. NMA vom Typ C werden als selten angesehen. Einwandfreie Diagnostik erforderlich Die Diagnostik von Nahrungsmittelallergien ist schwierig und sollte dem allergologisch geschulten Facharzt überlassen werden. Die tägliche Praxis zeigt, dass es nicht immer einfach ist, Ursachen und immunologische Vorgänge einer vermuteten NMA nachzuweisen. Oft müssen verschiedene Diagnoseverfahren eingesetzt werden, um Fall 1. Die 23-jährige Anita G. klagt bei der Erstvorstellung über Bauchkrämpfe, Durch- fall und Erbrechen, auftretend vor allem morgens auf dem Weg zur Arbeit, aber auch tagsüber. Gelegentlich verspüre sie auch Juckreiz an Augen und Nase, Kratzen im Hals und Reizhusten. Selten traten Atemnot sowie generalisierte Urtikaria und Gesichtsschwellungen auf. Die Patientin, ohne persönliche Atopieanamnese, gab keine Beziehung der Beschwerden zur Einnahme von irgendwelchen Nahrungsmitteln oder Medikamenten an. Die ausgedehnte, allergologische Abklärung verlief zunächst negativ, und die Patientin wurde mit der Empfehlung entlassen, einen Beschwerdekalender zu führen. Die Patientin erlitt in der Folge einen erneuten starken Anfall mit der oben geschilderten Symptomatik, wobei dieses Mal ein Streichkäse als auslösende Ursache angegeben wurde. Sie erschien deshalb nochmals für die gezielte Testung. Dabei fielen die Scratch-Tests mit drei verschiedenen Streichschmelzkäsen massiv positiv aus. Bei dem nun bestehenden Verdacht auf Käseallergie wurden IgE-Bestimmungen (RAST) auf Milch, Kasein und α-Laktalbumin durchgeführt, die alle Klasse-2-positiv waren. Durch positive Scratch-Tests mit Schaf- und Ziegenkäse konnte, bei Vorliegen einer Kaseinüberempfindlichkeit, die Sensibilisierung auf alle Käsearten bestätigt werden. Die Patientin gab an, morgens regelmässig kleine Mengen Käse und Milchprodukte zu sich zu nehmen; deshalb die morgendliche Abhängigkeit der Beschwerden auf dem Arbeitsweg. Unter strikter Eliminationsdiät (ohne Käse, Milch und andere Milchprodukte) trat schlagartig Beschwerdefreiheit ein. Bei vorsichtigen Expositionsversuchen merkte die Patientin, dass sie kleine Mengen Milch, z.B. im Kaffee, vertrug, nicht jedoch Mengen von 1 dl oder mehr. Joghurt und Quark konnte sie reaktionslos einnehmen. Es wurde ihr dennoch empfohlen, Milch und Milchprodukte strikt zu eliminieren, um die IgE-Sensibilisierung nicht weiter aufrechtzuhalten. Verlauf: Unter strikter Eliminationsdiät und entsprechender Kalziumzufuhr wurden periodisch Kontroll-RAST-Untersuchungen durchgeführt. Nach Negativ-Werden der RASTErgebnisse auf Kasein konnte die Patientin im folgenden Jahr in Griechenland Ziegenkäse essen und zuhause auch mehrere Raclettes. Bei der letzten Nachkontrolle, bei der sämtliche RAST-Werte negativ ausfielen, gab die Patientin an, beschwerdefrei zu sein. Sie könne nun problemlos Käse und Milchprodukte zu sich nehmen. Diagnose: Nahrungsmittelallergie (Typ C) auf Milch und Milchprodukte mit positiven RASTErgebnissen auf Milcheiweiss, Kasein und α-Laktalbumin. Spontane Desensibilisierung mit Verschwinden der allergenspezifischen IgE-Antikörper nach strikter Eliminationsdiät. Interesse des Falles: Symptome an Augen, Nase, Bronchien und Haut lassen hier ein allergisches Geschehen als praktisch sicher beurteilen. Bei Fehlen entsprechender Symptome nach Genuss von Rotwein oder histaminreichen oder histaminliberierenden Nahrungsmitteln (Tabelle 1) war eine Histaminintoleranz nicht im Spiel. Leider waren bei der Nichtatopikerin die Hautteste negativ, eine IgE-Bestimmung wurde nicht durchführt. Erst der «Kommissar Zufall» führte auf die Spur des auslösenden Allergens (Käse). Durch strikte, mehrmonatige Allergenkarenz liess sich eine Toleranz mit spontaner Desensibilisierung induzieren. Fall 2. Melanie S., 40 Jahre alte, nicht atopische Patientin, die seit Jahren intermittierend an abdominalen Krämpfen und Koliken leidet. In den letzen Monaten starke Verschlechterung der Symptomatik. Internistische, gastroenterologische und gynäkologische Abklärungen zeigten keinen pathologischen Befund. Auf Wunsch der Patientin erfolgte eine Allergieabklärung auf der Allergiestation am USZ. Allergologische Abklärung: Die detaillierte Anamnese ergab, dass die Patientin seit ihrem 14. Lebensjahr sporadisch an Übelkeit, Bauchkrämpfen und, eventuell, Erbrechen litt, zuerst nach Genuss von Würsten, später auch nach (reichlichem) Fleischgenuss. Fisch, Geflügel, Kuhmilch und Eier werden toleriert. Prick-Tests mit Inhalationsallergenen und Nahrungsmitteln verliefen negativ. Aufgrund der Anamnese wurden Intrakutantests mit Fleischextrakten (Rind-, Schwein- und Lammfleisch) durchgeführt, die eine einfach positive Sofortreaktion ergaben. Spezifische IgE waren mit Rindfleisch RAST Klasse 3, mit Schweinefleisch Klasse 2, mit Lammfleisch Klasse 1, und mit anderen NM Klasse 0. An 3 verschiedenen Tagen wurden offene orale Provokationen auf nüchternen Magen durchgeführt, wobei 4–8 h nach Provokation mit 30–50 g Wurst (Cervelat) beziehungsweise 100 g Rindfleisch (gebraten) Nausea, Bauchkrämpfe, Durchfall, Juckreiz in den Ohren, Gesicht und Handflächen auftraten. Eine dritte orale Provokation erfolgte mit der gleichen Rindfleischmenge nach vorheriger Einnahme von 400 mg DNCG (Nalcrom®). Nach der gleichen Latenzzeit zeigten sich wieder die gleichen Symptome. Verlauf: Unter strikter Eliminationsdiät von Fleischprodukten traten in der Folge weder Bauchkoliken noch Diarrhö auf. Die Patientin tolerierte weiterhin Fisch und Geflügelfleisch 20 Nr. 2 • 2008 Gastroenterologie und Ernährung (inkl. «Geflügel-Fleischkäse» der Migros). Spätere Reexpositionen mit Rindfleisch führten prompt zum Rezidiv. Eine akute behandlungsbedürftige Episode mit akuten Koliken, heftigen Bauchschmerzen und Durchfall trat frühmorgens (5.30 h) auf, nachdem am Vorabend ein «Geflügel-Fleischkäse» der Migros gegessen wurde. Nach genauem Studium der Etikette zeigte sich, dass dieser «GeflügelFleischkäse» auch Schweinefleisch (deklariert) enthielt. «Geflügel-Fleischkäse» ist eben nicht immer «Geflügel-Fleischkäse»! Diagnose: Gastrointestinale Nahrungsmittelallergie bei monovalenter Sensibilisierung auf Fleischeiweisse mit verzögerter Symptomatik bei einer Nichtatopikerin (NMA Typ C). Interesse des Falles: Bei gesicherter Nahrungsmittelallergie muss der Allergiker das Etikett mit der Produktzusammensetzung stets genau studieren, weil hier Änderungen immer möglich sind. Fall 3. Sinda D., 58 Jahre alt. In der persönlichen Anamnese sind ein allergisches Asthma bronchiale (aktuell diesbezüglich beschwerdefrei) und relevante IgE-Sensibilisierung auf Birkenpollen, Katzenepithel (am stärksten), Hundeschuppen und Hausstaubmilben zu erwähnen. Bis 1 Jahr vor der allergologischen Abklärung in meiner Praxis war die Patientin bezüglich Magen-Darm beschwerdefrei. Nach einer Clindamycinbehandlung (Dalacin®) trat die als Nebenwirkung bekannte Colitis desquamativa auf; seitdem litt die Patientin unter chronischer Diarrhö. Koloskopisch wurde eine Divertikulose diagnostiziert. Interkurrent trat nach einer Therapie mit Rulid® (Roxithromycin) ein perakuter Durchfall auf. Die Patientin war in der Folge vor allem durch Einnahme bestimmter Lebensmittel in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt und wurde deshalb mittels eines «Cytolisa-Tests» abgeklärt, der «multiple Nahrungsmittelallergien» ergab. Die darauf verordnete Rotationsdiät nach einem computerisierten Planausdruck führte nur vorübergehend zu einer leichten Besserung der Diarrhö. Die Patientin war stark verunsichert und wegen der komplizierten Diät noch mehr in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Durch den Hausarzt erfolgte eine Zuweisung zur allergologischen Abklärung und Überprüfung der serologischen Resultate. Vor der Diagnose eines «irritable bowel syndroms» – wohl als Folge der Dalacin®-Nebenwirkung – sollte eine Nahrungsmittelallergie, eine Laktoseintoleranz und eine erworbene Sprue ausgeschlossen werden. Allergologische Abklärung: Die Prick-Testung mit Nahrungsmitteln zeigte lediglich eine leichte positive Sofortreaktion auf Hasel-, Erdnuss (wohl als birkenpollenassoziierte NMA via Sensibilisierung auf Bet v1, dem Hauptallergen von Birkenpollen) und Kakao (wahrscheinlich als unspezifisch zu beurteilen). Auch serologisch (IgE-Bestimmung RAST/CAP) konnte keine Sensibilisierung auf Hühnereiweiss, Eigelb, Hefe, Poulet- und Hammel-/ Schaffleisch sowie Kakao nachgewiesen werden. Bei negativen Anti-Gliadin-IgG, IgAund Transglutaminase-AK wurde eine Zöliakie serologisch ausgeschlossen. Der daraufhin verordnete Laktoseintoleranztest (H2-Atemtest) war sowohl klinisch als auch im Labor stark positiv. Am gleichen Tag erfolgte die Ernährungsberatung im Spital Zollikerberg, wobei die Patientin auf meine Empfehlung hin bereits Milchprodukte strikt eliminiert hatte und bezüglich Magen-Darm-Symptomatik bereits beschwerdefrei war. Sie erhielt in Reserve (vor Auswärtsessen) noch Lactazym® verschrieben. Diagnose: Laktoseintoleranz (erworben) bei Status nach Dalacin®-induzierter Colitis desquamativa und Status nach akutem Durchfall auf Rulid® (Roxithromycin). Interesse des Falles: Bei der atopisch veranlagten Patientin konnte als Ursache der anamnestisch chronischen Diarrhö seit über einem Jahr, im Anschluss an eine Dalacin®-Therapie, keine IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie oder eine Zöliakie gefunden werden. Die leicht positiven Prick-Test-Reaktionen auf Hasel- und Erdnuss sind als Birkenpollenassoziierte Sensibilisierungen aufzufassen. Der Cytolisa-Test der mittels ELISA-IgG-Antikörpern gegen eine ganze Palette von Nahrungsmitteln bestimmt und multiple positive Resultate ergab, gehört in die Kategorie der «sinnlosen Allergietests» («Patienten abzocken!»), zu denen auch die SGAI in der Schweiz. Ärztezeitung Stellung genommen hat. IgG-AK gegen NM entstehen physiologischerweise und als Epiphänomen aufgrund der erhöhten Darmpermeabilität, wie sie bei einer entzündeten Darmschleimhaut vorkommt, und haben deshalb keine ätiologische oder pathogenetische Bedeutung. Der dar- – einem Puzzlespiel gleich – Symptomatik, individuelle Anamnese und Lebensumstände mit vermuteten auslösenden Nahrungsmitteln zu einem passenden «Bild» zu fügen. Vor der eingehenden allergologischen Abklärung sollten eigenständige gastroenterologische Erkrankungen sowie Laktoseintoleranz und Zöliakie ausgeschlossen werden. Bei rein gastrointestinaler Symptomatik bleiben dann differenzialdiagnostisch ein Reizdarm (IBS), eine NMA i.e.S. und eventuell eine Histaminintoleranz übrig. Ist der Patient bereits Allergiker (Heuschnupfen, allergisches Asthma, Neurodermitis) oder treten die Symptome nicht nur im Magen-Darm-Trakt, sondern auch an anderen Organen auf, dann ist eine NMA wahrscheinlich. Allerdings kann die Einleitung einer allergologischen Diagnostik auch bei Patienten sinnvoll sein, bei denen nach Ansicht des Gastroenterologen ein Reizdarm nicht ausgeschlossen werden kann (siehe Fallbeispiele). Zum einen wird damit eine wenn auch seltene reine GI-NMA nicht verpasst, zum anderen wird verhindert, dass der Patient selbst eine solche Diagnose mit unkonventionellen Methoden in die Wege leitet. Nach einer subtilen allergologischen Anamnese werden verschiedene Hauttests (Prick-, Scratch-, Intrakutan-, Reibtest) durchgeführt und zirkulierende nahrungsmittelspezifische IgEAntikörper (z.B. mit der Immuno-CAPFEIA-Methode) bestimmt. Grundsätzlich sind positive Testergebnisse jedoch nur Ausdruck einer bestehenden Sensibilisierung (oder Kreuzsensibilisierung) gegenüber einem (oder dem kreuzreagierenden) Nahrungsmittel und kein Beweis für eine klinische Relevanz. Umgekehrt schliessen negative Testergebnisse oder fehlende Antikörper keineswegs aus, dass ein Nahrungsmittel als Verursacher einer allergischen oder durch Intoleranzmechanismen ausgelösten Symptomatik infrage kommt. Negative Hauttests können auftreten, wenn die Haut (z.B. bei isolierter gastrointestinaler Nahrungsmittelallergie) nicht das Schockorgan darstellt; ebenso können Antikörper fehlen, wenn der Testextrakt nicht die relevanten allergenen Strukturen enthält oder ein nicht IgEvermittelter Mechanismus im Spiel ist. Orale Expositionstests sind deshalb oft die entscheidende diagnostische Massnahme, um eine aktuelle NMA oder NMI nachzuweisen. Die doppelblinde, Nr. 2 • 2008 21 Gastroenterologie und Ernährung plazebokontrollierte Nahrungsmittelprovokation gilt als der einzig wissenschaftlich akzeptierte Nachweis einer bestehenden Nahrungsmittelallergie/-intoleranz. Das Verfahren ist aufwendig und wird nur in spezialisierten Allergiezentren oder Arztpraxen durchgeführt. Therapie der Nahrungsmittel- allergie Die einzige und sicherste Therapie der NMA ist die Karenz des/der auslösenden nutritiven Allergens/e. Allerdings sollten Diagnosen, die durch alternative Methoden gestellt wurden, erst von einem erfahrenen Allergologen, am besten in einer universitären Allergiepoliklinik, überprüft werden, bevor eingehende Eliminationsdiäten durchgeführt werden. Handelt es sich um ein seltenes oder bewusst gewähltes Nahrungsmittel wie Krevetten, Fisch oder Kiwi, kann die Diät relativ leicht eingehalten werden. Bei Grundnahrungsmitteln wie Milch, Eiern oder Getreide, aber auch bei Nuss- oder Gewürzallergie ist eine vollständige Eliminationsdiät schwer durchzuführen, besonders für berufstätige Allergiker, die ihre Mahlzeiten oft ausser Haus einnehmen müssen. Es muss beachtet werden, dass manche Nahrungsmittel auch versteckt in anderen Lebensmitteln vorkommen. Milch kann auch zum Brotbacken oder als Bindemittel in Fertigsuppen, Fertigsossen, Fleischund Wurstwaren eingesetzt werden. Kontaminationen und Produktionsrückstände sind weitere Quellen für versteckte Allergene. Bei reiner GI-NMA besteht jedoch glücklicherweise kaum die Gefahr, dass schwere, lebensbedrohende Reaktionen ausgelöst werden. Bei Diätanweisungen genügt es nicht, lediglich die zu meidenden Nahrungsmittel zu verbieten, vielmehr müssen Alternativen angeboten werden, damit eine angemessene Ernährung gewährleistet ist, die nicht zu einer Unterversorgung führt. So muss bei Milchkarenz infolge einer Milchallergie besonders auf ausreichende Kalziumzufuhr geachtet und auf die Zufuhr kalziumhaltiger Gemüse, insbesondere Grünkohl, Spinat, Karotten und Steinpilze, ausgewichen werden. Auch die Riboflavinzufuhr kann ohne Aufnahme von Milch und Milchprodukten ein Problem darstellen, daher sollten vermehrt Getreideprodukte, die ohne Milchzusatz hergestellt wurden, aufgenommen werden. Selbstver- auf basierende Rotationsplan entspricht einem «magischen» Ritual mit grossem Plazeboeffekt. Die Reizdarmsymptomatik im Anschluss an die Dalacin®-induzierte Colitis desquamativa konnte hingegen durch einen pathologischen oralen Laktoseintoleranz-Test eingeordnet werden. Fall 4. Diana K., 26 Jahre, leidet seit der Pubertät an Kopfschmerzen, Magenbrennen, Blähungen und Durchfällen nach Einnahme bestimmter Nahrungsmittel wie z.B. Apfel, Fruchtsaft, Wurstwaren, aber auch nach Tomate, Rotwein, ferm. Käse, Schokolade usw. Wein wird nicht konsumiert. In der jeweils zweiten Hälfte beider Schwangerschaften war die Patientin beschwerdefrei. Bekannt sind ferner eine leichte Pollinose (Rhinokonjunktivitis) in den Frühjahrsmonaten und ein orales Allergiesyndrom nach Kiwigenuss. Eingehende gastroenterologische Abklärungen zeigten einen duodenogastralen Reflux, einen negativen Ureasedirektnachweis und histologisch eine geringgradige uncharakteristische Duodenitis. Ein Laktosetoleranztest war fraglich positiv und ein kürzlich durchgeführter Fruktosetoleranztest (H2-Atemtest im Kinderspital Luzern) deutlich positiv. Unter fruktosearmer und laktosefreier Diät Besserung, jedoch nicht Verschwinden der Bauchsymptomatik und der Kopfschmerzen. Zuweisung zur allergologischen Abklärung und zur Frage einer Histaminintoleranz. Allergologische Abklärung: Prick-Tests mit Inhalationsallergenen: stark positiv auf Baumund Gräserpollen sowie Hausstaubmilben. Nahrungsmittel und Gewürze, mit Ausnahme von Roggenmehl (Kreuzreaktion mit Roggenpollen), negativ. Diagnose: Fruktoseintoleranz, fragliche Laktoseintoleranz, Histaminintoleranz (anamnestisch praktisch gesichert), Ausschluss einer Nahrungsmittelallergie mit Ausnahme einer birkenpollenassoziierten Nahrungsmittelallergie auf Kiwi (orales Allergiesyndrom). Beurteilung: Aufgrund der Anamnese und des pathologischen H2-Belastungstests liegt eine erworbene intestinale Fruktoseintoleranz vor. Da der Glukosespiegel nach Laktoseprovokation leicht anstieg und die Patientin auch nach Genuss von laktosefreien Produkten nicht beschwerdefrei wurde, ist das gleichzeitige Vorliegen einer Laktoseintoleranz sehr fraglich. Eine IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie (v.a. Kuhmilchallergie) konnte aufgrund der negativen Pricktests ausgeschlossen werden. Die beobachteten Symptome nach Genuss histaminreicher Nahrungsmittel sowie die Tatsache, dass die Patientin jeweils in der zweiten Hälfte beider Schwangerschaften beschwerdefrei war, reichen aus, um die Diagnose eines Histaminintoleranzsyndroms bei Diaminooxidasemangel mit praktischer Sicherheit zu stellen. (In der Schwangerschaft erfolgt ein bis über 100%-iger Anstieg der DAO-Aktivität in der Plazenta, um den Fötus vor möglichen histaminbedingten Uteruskontraktionen zu schützen). Fall 5. Judith F., 31 Jahre, leidet seit 4 bis 5 Jahren an unregelmässig auftretenden Ver- dauungsstörungen, in Form von Blähungen, teils mit krampfartigen Bauchschmerzen, vor allem nach Auswärtsessen. Es erfolgten eine homöopathische Behandlung und eine Abklärung mittels Bioresonanz, wobei eine Milchunverträglichkeit diagnostiziert wurde. Darauf erfolgte eine eiweissfreie Diät während 2 Monaten. Eine Besserung konnte jedoch nicht beobachtet werden. Allergologische Abklärung: Prick-Tests mit Nahrungsmitteln und Gewürzen negativ, ausser leicht positiven, wahrscheinlich unspezifischen Sofortreaktionen auf Kakao, Kamille und Kümmel. Gesamt-IgE mit 222,0 kU/l erhöht, spezifische IgE (RAST/CAP) auf Nahrungsmittel-Screen (f x 5), mit den 6 wichtigsten Grundnahrungsmitteln Milcheiweiss, Hühnerei-Eiweiss, Weizen, Fisch, Soja und Erdnuss sowie Kakao und Kümmel mit < 0,35 kU/l negativ. IgA mit 1,61 g/l unauffällig; Gliadin-AK-IgG und -IgA sowie TransglutaminaseAK-IgA nicht erhöht. Eine Laktoseprovokation (H2-Atemtest) verlief negativ. Diagnose: Reizdarm («irritable bowel syndrome») bei Ausschluss einer IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie, einer Zöliakie und einer Laktoseintoleranz sehr wahrscheinlich. Beurteilung: Die Diagnose «Reizdarm» ist letztlich eine Ausschlussdiagnose, wenn alle anderen Möglichkeiten einer NMA oder NMI überprüft wurden. Auch hier suchte die Patientin vergeblich Hilfe bei Alternativmedizinern; schulmedizinisch liess sich die mittels Bioresonanz festgestellte «Milchunverträglichkeit», wie üblich, weder durch Eliminationsdiät noch testmässig, serologisch (F x 5 enthält auch Milcheiweiss) oder durch Laktoseprovokation bestätigen. Die Patientin wurde ausführlich über die Diagnose sowie die pathophysiologischen Mechanismen der NMA und NMA aufgeklärt. Zur symptomatischen Behandlung der Blähungen wurde noch Imogas® rezeptiert, ferner wurde geraten, kleinere Mahlzeiten einzunehmen und gewisse reizende Nahrungsmittel nur in kleineren Mengen zu geniessen. 22 Nr. 2 • 2008 Gastroenterologie und Ernährung ständlich muss darauf geachtet werden, dass kein Eiweissdefizit entsteht. Dies ist besonders bei Kindern zu beachten, die mehr Eiweiss benötigen als Erwachsene. Sojaprodukte, Fisch, Eier und Hülsenfrüchte können den Mangel überbrücken, solange keine zusätzliche Sensibilisierung auf diese Proteine besteht. Ei-Allergiker müssen beim Essen aufpassen, da Eier oft als Bindemittel eingesetzt werden. Bei Hühnereiweisskarenz muss die Proteinaufnahme durch Milch und Milchprodukte ergänzt werden. Problematisch wird es, wenn neben einer Milchnoch eine Hühnereiweissallergie besteht – hier ist auf Kartoffeln, Fleisch, Fisch und Hülsenfrüchte auszuweichen. Anleitungen für die Durchführung von Eliminationsdiäten finden sich in entsprechenden Kochbüchern für Allergiker. Diplomierte Ernährungsberaterinnen mit NMA-Erfahrung bieten zudem wertvolle Hilfe bei der Beratung von Allergikern. Nahrungsmittelallergiker mit systemischen Reaktionen müssen – ähnlich wie Insektenstichallergiker – mit einem Notfallset, bestehend aus einem Antihistaminikum (Cetirizin oder Acrivastin) und einem Kortikosteroid (Prednison 50–100 mg oder Betnesol® solubile 10–20 Tabl. à 0,5 mg) sowie Adrenalinspritzen (Epi-Pen®, Ana- Pen®) ausgerüstet werden. Bei schwer eliminierbaren Nahrungsmittelallergenen (z.B. Gewürze) kann eine prophylaktische medikamentöse Behandlung mit peroral appliziertem Dinatrium cromoglycicum (DNCG) (Colimune®, Nalcrom®) sinnvoll sein. DNCG stabilisiert die Membran der Mastzellen in der Darmschleimhaut und vermindert die Bildung von komplementaktivierenden Allergen-IgEKomplexen nach oraler Allergenbelastung. Limitierend für den Einsatz des Medikaments wirken sich allerdings die hohen Kosten aus, besonders bei den wirksamen höheren Dosierungen. Verlauf und Prognose einer Nahrungsmittelallergie Eine Karenzdiät soll sich grundsätzlich nach dem Schweregrad der klinischen Manifestation und dem Sensibilisierungsgrad des Patienten richten. Beachtet werden muss auch das biologische Verhalten der verschiedenen Allergene (z.B. Thermolabilität, mögliche Kreuzsensibilisierungen). Die Schwellendosis, also die Allergenmenge, die beim einzelnen Patienten eine allergische Reaktion auslöst, ist interindividuell sehr verschieden. Von immunologischer Seite her muss allerdings betont werden, dass nur eine vollständige, über Jahre hinweg konsequent eingehaltene Karenz des inkriminierten Nahrungsmittels zu einem spontanen Rückgang der Sensibilisierung bis zur Negativierung der Testergebnisse führen kann. Kleine tolerierte, klinisch subschwellige Mengen können das Immunsystem des Atopikers ständig stimulieren, so die Sensibilisierung weiterhin aufrechterhalten und dadurch die Chance beeinträchtigen, eine permanente Toleranz beziehungsweise eine echte Desensibilisierung zu bewirken (vgl. Fallbeispiel 1). ■ Korrespondenzadresse: Prof. em. Dr. med. B. Wüthrich Spital Zollikerberg Trichenhauserstr. 20 8125 Zollikerberg E-Mail: brunello.wuethrich@spitalzollikerberg.ch Weiterführende Literatur: – Jäger L., Wüthrich B.: Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen. Immunologie – Diagnostik – Therapie – Prophylaxe. 2. überarbeitete und ergänzte Auflage. Urban & Fischer, München-Jena, 2002. (Eine dritte Neuauflage erscheint noch in diesem Jahr). – Wüthrich B. Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen. In: Eichholzer M, Camenzind-Frey E, Matzke A, Amadò R, Ballmer PE et al. (Hrsg.). – Fünfter Schweizerischer Ernährungsbericht. Bern: Bundesamt für Gesundheit, 2005, 623–646. Weitere Literaturangaben auf Anfrage beim Autor. Veranstaltung Ärztekongress für Mikronährstoffe in der Medizin Praxisbezogene Themen: • Arthritis/Entzündung • Arthrose/Knorpelaufbau • Metabolisches Syndrom/Adipositas • Neurodegenerative Erkrankungen • Antioxidanzien 14. Juni 2008, 9.00 bis 17.00 Uhr im Seehotel Waldstätterhof in Brunnen/SZ SGAM anrechenbar 4.5 Credit Bestellen Sie unser detailliertes Kongressprogramm inkl. Anmeldeformular unter: k.widmer@burgerstein.ch oder Telefon 055-220 12 24 Antistress AG, Gesellschaft für Gesundheitsschutz, 8640 Rapperswil-Jona, Internet: www.burgerstein.ch Nr. 2 • 2008 23