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Entzündung und Ernährung
Das viszerale Fettgewebe – Basis für chronisch entzündliche Erkrankungen
Auf ihr Fettgewebe darf man Mitmenschen kaum ansprechen: Das negative Image, das schlechte Gewissen des Laien, sich ungesund zu ernähren, wird in Erinnerung gerufen und schürt Schuldgefühle. Bei kenntnisreicherer, aber immer noch eingeschränkter Betrachtung wird positiv an ein Organ gedacht, das aufgrund seiner Energie/Fettspeicher in früheren Phasen der Evolution das Überleben in Zeiten schwieriger Nahrungsbeschaffung sicherte. Dicksein hatte eben Vorteile als Vorbeugung gegen längere Hungerzeiten. Diesen «Vorteil» schleppen wir noch heute mit uns herum, er ist zum Ballast geworden. Ist das Fettgewebe deswegen ein nutzloses Organ geworden, das nur unserem (im Westen bevorzugten) Schönheitsideal im Wege steht? Oder hat es bisher wenig beachtete Funktionen? Ist das Fettgewebe nicht vielmehr ein Moderator des Stoffwechsels, indem es als grösstes endokrines Organ grosse Teile des Metabolismus organisiert und verändert? Fettzellen sind tatsächlich an der Kommunikation mit dem Gesamtorganismus in hohem Mass beteiligt und
nicht nur einseitig Empfänger von Sig-
nalen zur Einspeicherung von Fett und
metabolischen Veränderungen. Im Ge-
genteil – in ausgeprägter Form gilt
das Fettgewebe als grösster Risikofak-
tor für kardiovaskuläre Erkrankungen
und Typ-2-Diabetes.
Eugen J. Verspohl
Aufbau
Das Fettgewebe ist ein spezieller Bindegewebstyp, der von Kollagenfasern umgeben ist. Prinzipiell wird weisses und braunes Fettgewebe unterschieden. Weisse Adipozyten sind mit 40 bis 150 µm Durchmesser vergleichsweise sehr gross, besitzen eine grosse Lipidvakuole und speichern Triglyzeride. Durch den hohen Fettanteil des Körpers hat der Mensch Reserven, um bis zu 30 Tage ohne Nahrungszufuhr auszukommen. Der Wert schwankt allerdings sehr stark: von 10 Prozent Fettanteil (Sportler, extrem schlanke Menschen), über 15 bis 25 Prozent (Normalgewicht) bis weit über 50 Prozent (fettleibige Menschen). Die Zellen des braunen Fettgewebes erscheinen im Lichtmikroskop bräunlich, daher der Name. Sie sind wesentlich kleiner, und ihre Funktion liegt in der Aufrechterhaltung der Körpertemperatur. Während kleinere Säuger und Winterschläfer vergleichsweise grosse Wärmeverluste kompensieren müssen (das Oberflächen-Volumen-Verhältnis ist kybernetisch ungünstig) und deshalb ihr braunes Fettgewebe lebenslang behalten, kommt es bei grösseren Säugetieren und dem Menschen nach der Neugeborenenphase zu einer fast vollständigen Rückbildung des braunen Fettgewebes.
Speicherfunktion (Lipogenese und Lipolyse), Insulin
Die auffälligste und daher am meisten beachtete Funktion der Fettzellen
ist die Speicherung von Triglyzeriden. Das Wechselspiel von Lipogenese (Energiespeicherung) und Lipolyse (Energiebereitstellung) unterliegt dabei einer strengen hormonellen Regulation. Insulin, das wichtigste lipogeneseregulierende Hormon, regt den Stoffwechsel der Zelle zur Lipogenese und Glukoseaufnahme an, unter Beteiligung folgender Wirkungen: 1. Stimulation der Glukoseaufnahme
über Translokation von GLUT-4Transportern in die Plasmamembran 2. Aktivierung der Pyruvatdehydrogenase 3. Erniedrigung der intrazellulären cAMP-Spiegel durch Aktivierung einer cAMP abhängigen Phosphodiesterase 4. Induktion der Lipoproteinlipase. Neben Insulin zeigen auch Prostaglandin E1 und Adenosin eine antilipolytische Wirkung, die über eine Senkung des cAMP-Spiegels erfolgt. Darüber hinaus ist das sympathische Nervensystem über antilipolytisch wirkende α-2- und lipolytisch wirkende β3-Rezeptoren an der Gesamtregulation der Lipogenese beteiligt. Was ist therapeutisch zu beachten? Insulin hat gemäss obiger Betrachtung einen gewichtssteigernden Effekt, der auch bei sehr gut eingestellten (dosierten) Diabetikern nicht ganz zu vermeiden ist. Dabei ist es gleichgültig, ob der Patient Insulin spritzt oder ein insulinausschüttendes orales Antidiabetikum erhält. Eine Ausnahme ist nach der derzeitigen Studienlage das Insulinanalogon Insulindetemir (Levemir®).
Thermogenese Das Fettgewebe ist an der Wärme-
regulation des Körpers beteiligt. Die Wärmeisolierung durch das weisse Fettgewebe ist von geringerer Bedeutung als die Fähigkeit des braunen Fettgewebes, Wärme zu produzieren. Unter dem Einfluss von Schilddrüsenhormonen und Katecholaminen (β-3Rezeptoren) kommt es im braunen Fettgewebe zu einer Entkopplung der Elektronenübertragung. Energie wird nicht mehr als ATP gespeichert, sondern in Form von Wärme abgegeben.
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Tabelle: Hormonelle Beeinflussung der Leptinsynthese
Hormon Insulin Glukokortikoide Östrogene Androgene Katecholamine Schilddrüsenhormone
Leptinsynthese ↑ ↑ ↑ ↓ ↓ –/↓
Was ist therapeutisch zu beachten? Die Ankurbelung der Thermogenese zur Gewichtsreduktion durch den Einsatz von β-3-Rezeptoragonisten scheiterte beim Menschen, da die Menge von braunem Fettgewebe – im Gegensatz zum Tier – viel zu gering ist.
Lokales Angiotensinsystem Die Fettgewebshomöostase hängt von
einem Gleichgewicht zwischen lokal gebildeten Wachstumsstimulatoren und -inhibitoren ab. Das Angiotensinsystem spielt hier eine wichtige Rolle. Während der Fettzellentwicklung befinden sich Präadipozyten in engem Kontakt mit vaskulären Endothelzellen, die zum Beispiel über eine neutrale Endopeptidase in der Lage sind, diverse Angiotensinpeptide zu bilden. Vergrösserte insulinresistente Adipozyten hemmen über diese Angiotensinpeptide dann die Rekrutierung von Präadipozyten. Diese Hemmung konnte durch Zugabe von AT1-Rezeptor-Antagonisten (z.B. Losartan) aufgehoben werden. Dies spricht für die Beteiligung eines lokalen Angiotensinsystems an der Fettzellentwicklung. Somit unterliegen die Vorgänge der Proliferation der Präadipozyten, der Adipozytenkonversion und der Regulation der Adipozytengrösse einer strengen autokrinen, parakrinen und endokrinen Kontrolle. Dabei ist neben der Zell-Zell-Kommunikation auch das Zusammenspiel verschiedener Gewebe zu beachten. Die Kommunikation zwischen Fettzellen und anderen Zellen wurde früher als einseitig betrachtet, als ob die Fettzelle lediglich unter dem Einfluss von Hormonen und nervalen Einflüssen stehen würde. Nein, sie ist auch Kommunikator und damit selbst ein endokrines Gewebe.
Das Fettgewebe als endokrines Organ – die adipozentrische Betrachtungsweise
Meistens wird das Fettgewebe mit anabolen und katabolen Vorgängen des Lipidstoffwechsels in Zusammenhang
gebracht, also Fettspeicherung, Lipolyse, Lipogenese und Thermogenese, wie oben erwähnt. Modern ist heute eine adipozentrische Betrachtungsweise: Das Fettgewebe ist das grösste endokrine Organ, dessen sekretorisch, hormonell und regulatorisch wirkende Produkte metabolische und kardiovaskuläre Ereignisse beeinflussen und somit auch für Komplikationen, also pathophysiologisch bedeutsame Entgleisungen, verantwortlich sein können.
Sekretionsprodukte Inzwischen sind etwa 100 teilweise
wichtige Sekretionsprodukte des Fettgewebes entdeckt worden. Man bezeichnet viele Produkte als Adipokine und Adipozytokine, was die Herkunft und Funktion andeutet. Zwischen dem Fettgewebe und anderen Insulinzielorganen besteht ein Crosstalk, für den eine rasch wachsende Zahl von in den letzten Jahren identifizierten Adipozyten-Genprodukten – beginnend mit dem Tumor-Nekrose-Faktor-alpha (TNF-α) sowie Leptin, Resistin und Adiponektin – verantwortlich sind. Das weisse Fettgewebe, also eine Fettleibigkeit oder verminderte Lipoatrophie, reguliert alle bekannten von Fettzellen und sie umgebenden Zellen (auch Fibroblasten, Mastzellen und Makrophagen) abgegebenen Hormone.
Einige der Sekretionsprodukte lassen sich im Blut messen und geben Hinweise auf das Ausmass bestimmter wichtiger Funktionen: I Hinweis auf Fettzellmasse, Energie-
balance, Lipid- und Glukosemetabolismus I Hinweis auf Entzündungsmarker, Zytokine mit inflammatorischer Wirkung I Wirkungen auf Gefässe und Blutdruck I Modulierung des Immun- und Komplementsystems I Beeinflussung der Zellteilung und des Gerinnungssystems.
Pathophysiologische Bedeutung einiger der freigesetzten Faktoren
Bei Adipositas, also der Vermehrung des viszeralen Fettgewebes, steigt die Bildung von Botenstoffen und inflammatorisch wirkenden Substanzen wie TNF-α, IL-6, Leptin und C-reaktives Protein (CRP) an. Einige Veränderungen (z.B. die Plasmaspiegel einiger Adipokine wie Adiponektin, ASP und C3) sind schon Marker bei jungen Adipösen, auch wenn sie sonst noch keine Lipidveränderungen aufweisen.
Leptin Leptin (griechisch leptos = dünn)
steht für ein Hormon, das 1994 bei dickleibigen ob/ob-Mäusen entdeckt wurde und in das grosse therapeutische Hoffnungen gesetzt wurden. Dieses zytokinähnliche Protein wird nur im Fettgewebe gebildet und proportional zur Fettzellmasse in die Blutbahn sezerniert. Serumleptin ist ein Indikator für den Energiestatus des Körpers, das heisst, es stellt dem Hunger- und Sättigungszentrum Informationen über die vorhandenen Fettdepots, also über die Energiereserven des Körpers, zur Verfügung. Leptin ist wie Insulin ein Adipositassignal, das sich schnell bei Nahrungskarenz normalisiert. Ein Leptindefizit führt über weitere Mechanismen zu vermindertem Energieverbrauch: Abnahme von TSH, Levothyroxin (T4), Gonadotropinen und Testosteron. Leptin wird hormonell reguliert (Tabelle); es hemmt die Insulinund Kortisolsekretion, steigert die Knochenbildung und hat eine essenzielle Bedeutung für die Fertilität.
Das Peptid überwindet die Blut-HirnSchranke mittels eines Transportmechanismus und bindet an spezifische Rezeptoren bestimmter Hirnregionen. Nachgeschaltete Neuropeptide im Hypothalamus sind NPY und α-MSH: gebildetes NPY erhöht den Appetit, gebildetes α-MSH (α-Melanozyten-stimulierendes Hormon) bremst den Appetit (Abbildung 1). Somit ergibt sich ein geschlossener Regelkreis.
Hungerzustand
Nahrungsüberangebot
Fettzellmasse ↓ ↓ Leptin
Fettzellmasse ↑ Leptin ↑
Hypothalamus
↑ NPY ↓ MSH
↑ MSH ↓ NPY
⇓
↑ Nahrungsaufnahme ↓ Thermogenese (Energieverbrauch)
⇓
↓ Nahrungsaufnahme ↑ Thermogenese
⇓
energiekonservierender Effekt
⇓
antiadipöser
Effekt
Abbildung 1: Bedeutende Faktoren beim Appetitverhalten
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mit einer besseren Diabeteseinstellung, günstigeren Lipidprofilen und reduzierten Entzündungsparametern verbunden sind. Therapeutische Ansätze bestehen bisher nicht.
Nierenkompression, RAAS-Aktivierung und Sympathikusaktivierung erhöhen die tubuläre Natriumresorption bis zur arteriellen Hypertonie.
Abbildung 2: Ursachen der adipositasassoziierten Hypertonie
Kinder mit einem kongenitalen Leptindefizit weisen schon in den ersten Lebensjahren eine massive Gewichtszunahme auf. Bei den fettleibigen ob/ob-Mäusen klappte die «Therapie»: Eine Leptingabe führte zu einer verstärkten Fettverbrennung, die ein deutlich grösseres Ausmass aufwies, als durch einen alleinigen Futterentzug erreicht werden konnte; gleichzeitig stieg der Energieumsatz. Beim Menschen war diese Therapie dagegen erfolglos: Grund ist möglicherweise eine Störung des Leptinregelkreises (die sog. Leptinresistenz), was vermutlich auf einer Transportstörung an der Blut-Hirn-Schranke vor oder auf einem Defekt im Signalmechanismus hinter dem Leptinrezeptor beruhen könnte.
Was ist therapeutisch zu beachten? Leider erfüllten sich therapeutische Hoffnungen zur Gewichtsreduktion durch die Anwendung von rekombinantem Leptin beim Menschen nicht. Der Effekt war zu gering. Wahrscheinlich ist eine Leptinresistenz aufgrund der bei Adipösen (Nichtdiabetikern und Diabetikern) erhöhten Leptinspiegel dafür verantwortlich. Allerdings verfügen nur wenige adipöse Patienten über einen Leptinrezeptordefekt oder ein mutiertes Leptingen als Grund für ihre Fettleibigkeit. Bei solchen Patienten musste die Leptinanwendung wirkungslos bleiben, dagegen hatte man bei den wenigen leptindefizienten Patienten Erfolge. Gute Ergebnisse wurden bei lipoatrophem
Diabetes erreicht, der durch Hyperglykämie, Insulinresistenz, massiven Fettgewebsschwund und Leptinmangel gekennzeichnet ist. Ferner wird ein Bezug zwischen Leptin und Hypertension beziehungsweise Koronarerkrankungen vermutet. Ein Präparat ist nicht im Handel.
Adiponektin (= Acrp30, AdipoQ,) Auch dieses aus 247 Aminosäuren
bestehende Hormon wird ausschliesslich in Fettzellen gebildet. Möglicherweise besitzt Adiponektin gefässaktive antiinflammatorische und antiatherosklerotische Eigenschaften. Erhöhte Adiponektinspiegel korrelieren direkt mit HDL-Cholesterol und korrelieren invers mit BMI, HbA1c, Triglyzeriden, Apolipoprotein B-100, dem Entzündungsmarker CRP und Fibrinogen.
Bei Adipösen sind die Adiponektinspiegel erniedrigt, was mit einer Insulinresistenz assoziiert ist und eine diabetische Stoffwechsellage verschlimmert. Diese erniedrigten Werte haben einen hohen Prognosewert für Typ-2-Diabetes. Adiponektin scheint der wichtigste Faktor zu sein, der darüber entscheidet, ob bei einem Übergewichtigen ein Typ-2-Diabetes auftreten könnte. Festzuhalten bleibt, dass dies nur bei 30 Prozent der Übergewichtigen der Fall ist.
Was ist therapeutisch zu beachten? Adiponektin hat lediglich diagnostische Bedeutung: Zusammengefasst zeigen diese Korrelationen, dass erhöhte Adiponektinspiegel bei Diabetikern
TNF-α TNF-α (Tumor-Nekrose-Faktor-al-
pha) ist als Entzündungsmarker in zahlreichen Geweben bekannt und gilt teilweise als Auslöser für die Insulinresistenz; zudem wurde er auch als Sekretionsprodukt von Fettzellen und Makrophagen entdeckt. Das Fettzellvolumen korreliert mit der Menge an TNF-α und seinem Rezeptor. TNF-α besitzt wahrscheinlich keine systemische, sondern nur eine lokale Wirkung. TNF-α hat auf lokaler Ebene katabole Effekte (im Gegensatz zu Insulin, das anabole Effekte hat): Es hemmt die Neubildung von Fettzellen (wirkt also auf Fettzellen zurück, die es sezerniert haben), stört die Insulinwirkung (Insulinresistenz), hemmt den Glukosetransport und regt die Lipolyse an.
Was ist therapeutisch zu beachten? TNF-α hat eine therapeutische Bedeutung, da seine Bildung durch Glitazone (Insulinsensitizer, wie Rosiglitazon [Avandia®] und Pioglitazon [Actos®]) auf genetischer Ebene blockiert und damit die Insulinantwort von Zellen gesteigert wird. Dazu muss man wissen, dass TNF-α auf die dem Insulinrezeptor nachgeschaltete Kaskade hemmend wirkt.
Resistin Resistin (der Name lässt sich ablei-
ten = resistance to insulin) wird während der Adipogenese (Fettgewebsbildung) induziert und als Protein vom Fettgewebe ins Serum abgegeben. Erhöhte Serumresistinspiegel wurden in ob/ob- sowie db/db-Mäusen nachgewiesen, die als Modelle der genetisch determinierten Adipositas beziehungsweise des Diabetes angesehen werden. Resistin kann die Differenzierung von Muskelzellen beeinträchtigen.
Was ist therapeutisch zu beachten? Die Resistingenexpression sowie die Resistinproteinsekretion im Fettgewebe werden wahrscheinlich durch Glitazone (Rosiglitazon, Pioglitazon) reduziert.
Zytokine und Entzündungsfaktoren Bei Adipositas produzieren akkumu-
lierte Monozyten und Makrophagen im Fettgewebe proinflammatorische Proteine als Entzündungsmarker. Daher wird neuerdings diskutiert, ob der
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Adipositas eine subakute chronische Entzündung zugrunde liegt. Die Grundlage dafür ist eine bestehende Korrelation zwischen Körpergewicht und Entzündungsmarkern wie CRP oder Interleukin 6 (IL-6). IL-6 bewirkt dabei wahrscheinlich die Erhöhung von C-Protein im Serum; darüber hinaus fördert es proatherosklerotische Prozesse, wie die Thrombozytenaggregation sowie die Synthese von Adhäsionsmolekülen im Gefässendothel. Dazu passt, dass IL-6 ein anerkannter Risikofaktor für Herzinfarkt ist.
Was ist therapeutisch zu beachten? Die erhöhte Produktion inflammatorischer Zytokine lässt sich durch den Einsatz folgender Substanzen reduzieren: ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Antagonisten, Glitazone, Statine, Metformin, Adiponektin. Diese Wirkstoffe sollen die Rate der Neuerkrankungen an Typ-2-Diabetes verringern. Die klinische Praxis zeigt zumindest für ACEHemmer und AT1-Blocker, dass die chronische Entzündung vermindert und damit beispielsweise auch das Risiko für Typ-2-Diabetes reduziert ist.
PAI-1 (Plasminogenaktivatorinhibitor-1)
Bei der Genese atherosklerotischer Erkrankungen spielt der Plasminogenaktivatorinhibitor-1 eine entscheidende Rolle. Seine vermehrte Sekretion kann zu Koagulationsstörungen mit Thromboembolien führen. Nachdem sich gezeigt hat, dass PAI-1 im Fettgewebe fettleibiger ob/ob-Mäuse erhöht ist und dort schwere hypofibrinolytische Zustände erzeugt, ergibt sich hier möglicherweise ein Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit und Gerinnungsstörungen. PAI-1 ist der stärkste Inhibitor der Fibrinolyse und stellt somit einen eigenen thromboembolischen Risikofaktor dar. Abgegebenes PAI-1 beeinflusst die Blutgerinnung und erhöht das kardiovaskuläre Risiko.
Was ist therapeutisch zu beachten? Die PAI-1-Produktion von Fettzellen wird durch Glitazone und AT1-Rezeptorantagonisten vermindert.
Angiotensin Das Fettgewebe ist in der Lage, in
Abhängigkeit vom BMI Angiotensinogen (AGT) zu synthetisieren und in seine aktive Form, das Angiotensin II, umzuwandeln. Damit ergibt sich die pathophysiologische Hypothese, dass Angiotensin aus dem Fettgewebe der oder mindestens einer der entscheidenden Faktoren für die Entstehung
Fettgewebshypertrophie, Adipositas und Hypertonie begünstigen weitere Symptome des metabolischen Sydroms
Abbildung 3: Das Fettgewebe als Bindeglied des metabolischen Syndroms
der adipositasvermittelten Hypertension ist. Das System schaukelt sich hoch, da Angiotensin die lokale Insulinresistenz begünstigt (Abbildung 2); gleichzeitig werden Zellteilung und -differenzierung gehemmt (Abbildung 2). Ferner fördert Angiotensin II die Produktion von PAI-1, Leptin, IL-6 und IL8, was entsprechend durch AT1-Rezeptorantagonisten aufgehoben wird.
Adipositas-(fettgewebs-)asso-
ziierte Krankheiten
Vermehrtes viszerales Fettgewebe (Adipositas) stellt einen erheblichen Risikofaktor dar für adipositasassoziierte Erkrankungen mit entzündlicher Komponente wie Typ-2-Diabetes, Atherosklerose, Hypertonie und Herzinfarkt, die mit entsprechend erhöhter Morbidität und Mortalität einhergehen.
Adipositas und Diabetes mellitus Durch ihre Beteiligung am Lipid-
und Glukosestoffwechsel spielen Adipozyten eine entscheidende Rolle bei der Glukosehomöostase. Ein insulinresistenter Diabetes mellitus kann eine metabolische Dysfunktion des Fettgewebes repräsentieren. Diese führt zu einer Hyperglykämie und gleichzeitig zu einer Hyperlipidämie, wie es für das metabolische Syndrom typisch ist (Abbildung 3). Eine Lipoatrophie (Verlust von Fettgewebe) führt allerdings zu genauso schweren metabolischen Störungen, die mit Insulinresistenz und potenziell mit Diabetes verbunden sind. Dabei steht Angiotensin II, das ja auch aus dem Fettgewebe stammt, im Vordergrund.
Was ist therapeutisch zu beachten? Der ACE-Hemmer Ramipiril, nicht aber Losartan, verbessert die Insulinsensitivität und Glukoseaufnahme von Fettzellen. Adipozyten geben darüber hinaus Substanzen ab, die eine Insulinresistenz fördern (TNF-α, freie Fettsäuren). Dem steuert das PPARγ-(Peroxisom-Proliferatoraktivierte-Rezeptor-γ-) -System entgegen. Als PPAR-γ-Agonisten besitzen Glitazone allein keine antidiabetischen Effekte, sondern vermögen nur die insulinabhängige Wirkung zu verstärken. Glitazone blockieren die Ausschüttung insulinresistenzfördernder Substanzen wie TNF-α, Leptin und freie Fettsäuren, wodurch auch insulinvermittelte Postrezeptorereignisse und damit die Stoffwechselsituation in den Zielzellen verbessert werden. Es resultiert ferner eine Modulierung von Genen des lokalen Renin-Angiotensin-Systems, eine verbesserte Insulinsensitivität (durch Translokation von GLUT-4-Transportern mit erhöhter Sensitivität der Insulinpostrezeptorkaskade) sowie ein Einfluss auf die Fettsäuresynthase (fatty acid synthetase, FAS) als Leitenzym; ferner kommt der Glyzerinaldehyd-3Phosphat-Dehydrogenase (GAPDH) eine Schlüsselrolle zu. Darüber hinaus induzieren die Glitazone nicht nur die Entwicklung neuer Zellen aus Stammzellen, sondern führen zu einem gesamten «remodeling» des Fettgewebes. Dabei entstehen vermehrt schmale insulinsensitive Adipozyten, während gleichzeitig die Apoptose der älteren insulinresistenten Adipozyten eingeleitet wird.
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Was ist therapeutisch zu beachten? Die Markteinführung der Glitazone (Thiazolidindione, PPAR-γ-Agonisten) als orale Antidiabetika mit blutdruckund lipidsenkenden Eigenschaften eröffnete die Option einer gleichzeitigen parallelen Behandlung mehrerer Symptome. Allerdings sind die antihypertonen und lipidsenkenden Eigenschaften dieser Substanzgruppe nicht so ausreichend ausgeprägt, um auf eine Begleittherapie des Diabetes mellitus mit Antihypertensiva und Lipidsenkern verzichten zu können.
Adipositas und Hypertension Eine Natriumretention scheint bei
der Verbindung von Hypertonie und Adipositas von zentraler Bedeutung zu sein. Dafür kommen prinzipiell drei Mechanismen infrage: 1. Aktivierung des Sympathikus 2. Nierenveränderung 3. Aktivierung des Renin-Angiotensin-
System (RAS). Das von den Fettzellen sezernierte Hormon Leptin ist bei Adipösen erhöht und unterstützt die zentrale Sympathikusaktivierung, was den Appetit hemmt und die Thermogenese im braunen Fettgewebe stimuliert. Bei adipösen Patienten kann das die Nieren umgebende Fettgewebe in das Nie-
rengewebe einwandern und über eine Kompression der Niere zu einem Anstieg des intrarenalen Drucks führen. Die Aktivierung des RAS im Fettgewebe könnte ebenfalls an der Entstehung der Hypertonie beteiligt sein. Zusammen mit einer (durch die Sympathikusaktivierung bedingten) erhöhten Reninaktivität kann das Fettgewebe eine angiotensin-II-vermittelte Hypertonie systemisch begünstigen. Zusätzlich beeinflussen lokal gebildete Angiotensinpeptide die Fettzellentwicklung und die Speicherung von Lipiden.
Fettabsaugen – eine therapeu-
tische Option?
Wenn das Fettgewebe nicht nur bei Übermass ein kosmetisches Problem darstellt, sondern als grösste stoffwechselaktive Drüse des Körpers durch die Freisetzung pathologischer Faktoren auch Krankheiten verursacht, sollte die Entfernung von Fett eine Option sein. Fettabsaugen (Liposuktion) ist jedoch wenig hilfreich, da das abgesaugte subkutane Fett kaum metabolisch aktiv ist; eine Veränderung der Fettstoffwechselstörungen oder der Insulinresistenz ist davon nicht zu erwarten: Triglyzeridspiegel, Blutzucker und
Cholesterolwerte bleiben unverändert – ganz im Gegensatz zu einer echten Gewichtsabnahme.
Zusammenfassung
Es kann festgehalten werden, dass
das Fettgewebe die Möglichkeit hat,
auf ferne Gewebe einzuwirken, und
das auf vielfältige Weise. Die Fettzellen
haben nicht nur eine Bedeutung als
Energiespeicher und damit als Ziel für
gewichtsreduzierende Diäten, sondern
sie bilden das grösste endokrine Or-
gan, das etwa 100 verschiedene Fakto-
ren und Botenstoffe freisetzt, deren
Bedeutung erst teilweise erkannt
wurde und die nach wie vor Ziel inten-
siver Forschungen sind.
I
Literatur auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich.
Korrepondenzadresse: Prof. Dr. E.J. Verspohl Abteilung Pharmakologie Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie Hittorfstr. 58–62 D-48149 Münster
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