Transkript
Kongressbericht
Ernährungsprinzipien für die Diabetesbehandlung – welche Rolle spielt der glykämische Index?
Im Jahr 2002 wurden in einem Positi-
onspapier der amerikanischen Diabe-
tesgesellschaft (ADA) Prinzipien und
Empfehlungen zur Prävention und Be-
handlung von Diabetes Typ 2 nach
ihrem Evidenzlevel klassifiziert (1, 2).
Ein grosser Teil dieses Statements
bezieht sich auf die Rolle der Kohlen-
hydrate inklusive des glykämischen
Index (GI). Nachfolgend die Zusam-
menfassung eines Grundsatzreferates
zum Thema von M.J. Franz, MS, RD,
gehalten anlässlich des International
Congress of Dietetics im Mai 2004 in
Chicago.
Beatrice Conrad
Mehr als 20 Studien haben aufgezeigt, dass bei freier Nahrungsmittelwahl, jedoch identischer Kohlenhydratmenge der Blutzuckeranstieg nicht divergiert. Deshalb wird, mit Berücksichtigung des Effekts auf die Blutglukosekonzentration, die Menge der zugeführten Kohlenhydrate als weitaus wichtiger angesehen als die Art der zugeführten Kohlenhydrate oder der glykämische Index. Absolut erste Priorität für den Diabetiker hat bei der Mahlzeitenplanung also die Menge der zugeführten Kohlenhydrate.
Viele Faktoren beeinflussen den postprandialen Blutzuckeranstieg, wie zum Beispiel: • die zugeführte Kohlenhydratmenge • die Art des zugeführten Zuckers
(Fructose, Saccharose etc. ) • die Art der Stärke • der Verarbeitungsgrad der Lebens-
mittel
• andere Mahlzeitenkomponenten
(Fett, Proteine, Nahrungsfasern)
• die präprandialen Blutzuckerspie-
gel
• der Schweregrad der Glukoseintole-
ranz.
Positive Langzeiteffekte des GI auf
Blutzuckerspiegel, Blutfette und Kör-
pergewicht konnten in keiner Studie
eindeutig belegt werden (3).
Aus Sicht der ADA gibt es keine
genügende Evidenz, um generell eine
Ernährung mit niedrigem GI zu emp-
fehlen.
Eine kürzlich publizierte Metaana-
lyse, die den Stellenwert spezieller Diä-
ten mit niedrigem GI bei Diabetikern
untersuchte, zeigte eine Reduktion des
HBA1C von 7,4 Prozent, im Vergleich zu
einer Diät mit hohem GI, die eine Re-
duktion des HBA1C von 0,35 Prozent
gegenüber dem Ausgangswert (4) er-
gab. Allerdings zeigten verschiedene
andere Ernährungsinterventionsstu-
dien bei Diabetikern eine deutlichere
Reduktion des HBA1C um 15 bis 22 Pro-
zent, wenn neben rein diätetischen
Massnahmen auch Lifestyle-Interven-
tionen in die Untersuchung einbezo-
gen wurden (5).
Per definitionem berücksichtigt der
GI ausschliesslich die Art der Kohlen-
hydrate und ignoriert die gesamte
Kohlenhydratmenge einer verzehrs-
üblichen Portion. Dies obschon sowohl
die Menge als auch die Art der zuge-
führten Kohlenhydrate die Blutglu-
kose- und Insulinantwort beeinflussen
(6). Im Weiteren ist eine grosse Vari-
anz der Blutglukosespiegel bei jeder
Testmahlzeit festzustellen, sowohl in-
tra- als auch interindividuell (7).
Solange sich durch eine «Niedrig-GI-
Diät» keine positiven Langzeiteffekte
zeigen lassen, sollte die Mahlzeitenpla-
nung der Diabetiker möglichst einfach
gestaltet werden. In der Praxis umsetz-
bare Empfehlungen sind wesentlich.
So empfiehlt die ADA, den Diabetiker
vor allem im Auswählen der Nahrungs-
mittel und im Abschätzen der zuge-
führten Kohlenhydratmengen zu schu-
len. Das Wissen über den Einfluss des
GI kann bei gut geschulten Diabeti-
kern zur Feinkorrektur der Stoffwech-
sellage dienen.
I
Autorin: Beatrice Conrad, dipl. Ernährungsberaterin SVDE Platanenweg 10, 4914 Roggwil
Quelle: Referat von M.J. Franz, MS, RD, gehalten anlässlich des International Congress of Dietetics, Mai 2004, Chicago.
Referenzen: 1. American Diabetes Association: Evidencebased nutrition principles and recommendations for the treatment and prevention of diabetes and complications (Position Statement). Diabetes Care 2002; 25: 202–212. 2. Franz MJ, Bantle JP, Beeb CA, Brunzell JD, Chiasson J-L, Garg A, Holzmeister LA, Hoogwert B, Mayer-Davis E, Moordian A, Purnell, JQ, Wheeler M: Evidence-based nutrition principles and recommendations for the treatment and prevention of diabetes and related complications (Technical review). Diabetes Care 2002; 25: 148–198. 3. Franz MJ: Carbohydrate and Diabetes: is the source or the amount more important. Current Diabetes Reports 2001; 1: 177–186 4. Brand-Miller J, Hayne S, Pelocz P, Colagiuri S.: Low glycemic-index diets in the management of diabetes; a meta-analysis of randomized, controlled trials. Diabetes Care 2003; 26: 2261–2267. 5. Franz MJ. The glycemic index. Not the most effective nutrition therapy intervention Diabetes Care 2003; 26: 2003–2005. 6. Pi-Sunyer FX: Glycemic index and disease. Am J Clin. Nutr 2002; 76: 290–298. 7. Wolever TM, Vorster HH Bjorch I, Brand-Miller J, Brighenti F, Mann JI, Ramdath DD, Granfeldt Y, Holt S, Petty TL, Venter C, Xiaomei W: Determination of the glycemic index of foods; interlaboratory study. Eur J Clin Nutr 1998; 52: 924–928.
Nr. 3 • 2004
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