Transkript
Thema
2 • 2020
Lichtschutzfilter in der Kritik
Systemische Effekte nach Applikation von Sonnenschutzprodukten
Ohne Lichtschutzfilter verfehlen kosmetische Sonnenschutzprodukte ihre eigentliche Daseinsberechtigung, denn auf die UV-absorbierende Wirkung der darin enthaltenen Filtersubstanzen kommt es an, wenn die Haut vor den unerwünschten Folgen des Sonnenlichts, wie Sonnenbrand und Hautkrebs, geschützt werden soll. Zur Anwendung kommen meist chemische UV-Filter, wobei sowohl UV-A- und UVB-absorbierende Substanzen als auch in beiden Strahlenbereichen absorbierende Breitbandfilter zur Verfügung stehen. Jetzt wurde in einer aktuellen Foto: Pete Linforth, pixabay.com Untersuchung (nicht zum ersten Mal) nachgewiesen, dass chemische UV-Filter nach Applikation auf der Haut in relevanten Mengen ins Blut diffundieren. Welche Folgen hat das?
Wissenschaftler der US-Arzneimittelbehörde FDA untersuchten die Absorption von sechs chemischen UV-Filtern (Avobenzone, Oxybenzone, Otocrylene, Homosalate, Octisalate und Octinoxate) nach Anwendung von vier verschiedenen Sonnenschutzprodukten. Dazu wurden jeweils 12 gesunde Probanden (n = 48) auf eine der vier Formulierungen randomisiert (Lotion, Aerosolspray, Nichtaerosolspray und Pumpspray). Am Tag 1 waren die jeweiligen Produkte einmalig (2 mg/cm2) auf 75 Prozent der Körperoberfläche aufzutragen, von Tag 2 bis 4 jeweils viermal im Abstand von zwei Stunden. Nach Auswertung der Blutproben zeigte sich, dass alle sechs UV-Filter im Blut nachweisbar waren, und zwar alle in Konzentrationen, die den von der FDA festgelegten Grenzwert von 0,5 ng/ml übertrafen und zwar schon nach einmaliger Applikation (Tag 1). Die höchsten Blutspiegel wurden für Oxybenzone (258,1 ng/ml nach Lotionsanwendung bzw. 180,1 ng/ml für Aerosolspray) gemessen und lagen sogar noch am Tag 21 über dem Grenzwert. Möglicherweise, so die Autoren, ist die Haut eine Art Depot, aus dem die intradermal akkumulierenden Filtersubstanzen auch nach Ende der
– 12 –
Anwendung sukzessive freigesetzt werden. Die Halbwertszeit der UV-Filter im Blut ergab Werte zwischen 27 Stunden (Octisalate in Sprayform) und 157 Stunden (Octinoxate in Sprayform). In ihrem abschliessenden Fazit betonen die Autoren zwar, dass Sonnenschutzprodukte nach wie vor unentbehrlich seien, da sie vor Sonnenbrand und Hautkrebs schützen. Andererseits würden die Studienergebnisse jedoch darauf verweisen, dass es dringend geboten sei, die möglichen systemischen Wirkungen der eingesetzten Filtersubstanzen aufzuklären (1).
Forderung nach Sicherheitsstudien In seinem begleitenden Kommentar (2) unterstreicht auch der Dermatologe und Melanomspezialist Adewole S. Adamson (University of Texas, Austin, USA), dass sich aus den Resultaten der FDA-Studie zwar keine Evidenz für die Schädlichkeit der Filtersubstanzen ableiten lässt. Der Einsatz der UV-Filter sei also nach wie vor gerechtfertigt. Allerdings räumt er ein, dass sowohl bereits vorliegende tierexperimentelle Studien als auch einige Daten an Menschen auf mögliche gesundheitliche Risiken hindeuten könnten. Aus diesem Grund sei es notwendig, dass die Hersteller baldmöglichst die auch von der FDA geforderten Sicherheitsstudien durchführen.
Systemische Effekte von UV-Filtern und ihrer Metaboliten nachgewiesen. In einer wenige Monate früher (November 2019) erschienenen Studie zu diesem Thema waren Umweltmediziner der Universität Erlangen-Nürnberg bereits zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Ziel ihrer Untersuchung war, inwieweit sich UV-Filter und ihre Metaboliten nach Applikation von Sonnenschutzprodukten im Blut und Urin nachweisen lassen. Untersucht wurden die prominenten UV-Filter Otocrylene und Avobenzone sowie der Otocrylene-Hauptmetabolit 2-Cyano-3,3-Diphenylacrylsäure (CDAA). Bei 20 Probanden wurden nach eintägiger Anwendung eines Otocrylene und
2 • 2020
Thema
Zürcher Umwelttoxikologen warnten schon vor Jahren
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die Zürcher Umwelttoxikologen um PD Dr. Margret Schlumpf und Prof. Dr. Walter Lichtensteiger schon vor Jahren über unerwünschte systemische Effekte von UV-Filtersubstanzen berichteten. Im Zentrum ihrer Forschungstätigkeit standen die Auswirkungen verschiedenster Chemikalien – unter anderem auch UV-Filter – auf Mensch und Umwelt. Schlumpf und Lichtensteiger gelang im In-vitro-Zellsystem der Nachweis, dass acht von neun untersuchten UV-Filtern östrogenaktive Eigenschaften aufweisen. UV-Filtersubstanzen wurden u.a. auch in Muttermilch sowie im Fruchtwasser und in Nabelschnurblut gefunden, so dass aufgrund der hormonaktiven Wirkungen mit Störungen wichtiger Entwicklungsvorgängen in dieser frühen Lebensphase gerechnet werden muss, was sich bei gewissen Substanzen im Tierversuch schliesslich auch beobachten liess. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten die Wissenschafter in zahlreichen Publikationen (z.B. 4, 5) – sie ernteten damit jedoch weniger Renommee als Kritik. Immerhin sind damals als Folge ihrer toxikologischen Daten einzelne der beanstandeten Filtersubstanzen (ohne grosses Aufsehen) vom Markt genommen worden.
Avobenzone haltigen handelsüblichen Sonnenschutzprodukts (1. Anwendung: 2 mg/cm2 gefolgt von einer 2. und 3. Anwendung von 1 mg/cm2 nach 2 und 4 Stunden) nicht nur
Blut-, sondern auch Urinproben gesammelt. Die Probenent-
nahme erfolgte jeweils vor, während und nach Applikation
des Sonnenschutzprodukts. Auch hier zeigt die Auswertung
der Daten, dass die beiden UV-Filter sowie insbesondere der
Otocrylene-Metabolit CDAA nach dermaler Applikation in
höheren Konzentrationen systemisch nachweisbar sind, und zwar sowohl im Blut als auch im Urin. Und auch hier fordern die Autoren, dass die gesundheitlichen Auswirkungen der vielfach zum Einsatz kommenden chemischen UV-Filtersubstanzen endlich genauer untersucht werden müssten (3).
Fazit
Um sicherzustellen, dass UV-Filter langfristig keine negativen
Effekte auf die Gesundheit von Mensch und Tier haben, sind
die in der aktuellen FDA-Studie geforderten Sicherheits-
studien nicht nur notwendig, sondern vor dem Hintergrund
der seit langem bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse
zu diesen in zahlreichen Kosmetika und Lichtschutzproduk-
ten breit eingesetzten Substanzen überfällig.
CR
Literatur: 1. Matta MK, Florian J, Zusterzeel R, Pilli NR et al.: Effect of sunscreen application on plasma concentration of sunscreen active ingredients: A randomized clinical trial. JAMA 2020; 323(3):256-267. doi:10.1001/jama.2019.20747. 2. Adamson AS, Ahinkai K: Systemic Absorption of Sunscreen: Balancing benefits with unknown harms. Comment. JAMA 2020; 323(3): 223–224. 3. Hiller J, Klotz K, Meyer S et al.: Systemic avaiulability of lipophilic organic UV filters through dermal sunscreen exposure. Environ Int 2019; 132: 105068. 4. Schlumpf M et al.: Endocrine activity and developmental toxicity of cosmetic UV Filters – an update. Toxocology 2004;205: 113–122. 5. Krause M, Klit A, Blimberg Jensen M, Seeborg T, Frederiksen H, Schlumpf M, Lichtensteiger W et al.: Sunscreens: Are they beneficial for Health? An overview of endocrine disrupting properties of UV-Filters. Int J Androl 2012; 35(3): 424–436.
– 13 –