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Medizin im Fokus
2• 2019
TDP-43-Proteinopathie im Hippocampus
LATE – eine bis anhin unbekannte, aber häufige Demenzform bei Hochbetagten
Wer «Demenz» hört, denkt unwillkürlich «Alzheimer» – das mag in vielen Fällen auch gerechtfertigt sein. Wie es scheint, leiden jedoch Betroffene, insbesondere Hochbetagte, mindestens so häufig an einer bis anhin unbekannten Demenzform, die zwar mit vergleichbaren Symptomen einhergeht, jedoch andere pathologische Wurzeln hat. Erst kürzlich wurde diese neue Krankheit im Neurologie-Journal «Brain» durch ein Team internationaler Wissenschaftler vorgestellt (1).
Alzheimer ist nicht nur eine der auch in der breiten Öffentlichkeit bekanntesten, sondern auch eine der häufigsten Demenzerkrankungen im Alter, allerdings nicht die einzige, wie man jetzt weiss. Bei früheren Forschungsarbeiten hatte sich bereits gezeigt, dass zahlreichen Demenzkranken, die scheinbar an Alzheimer gestorben sind, die für diese Erkrankung charakteristischen BetaAmyloid-Plaques sowie fehlgefaltete Tau-Proteine im Gehirn fehlten. Stattdessen liessen sich gravierende histologische Veränderungen in der Hippocampusregion nachweisen, die den Untergang von Neuronen zur Folge hatten und mit entsprechenden kognitiven Defiziten verbunden waren.
Fehlfaltung der genregulierenden TDP-43-Proteine Weiterführende Forschungsarbeiten haben jetzt ergeben, dass die zellschädigenden Ablagerungen in den Gedächtnisarealen durch fehlgefaltete TDP-43-Proteine (transactive response DNA binding protein of 43 kDa) verursacht werden. Diese spielen eine entscheidende Rolle bei der Regulation der Genexpression im Gehirn und anderen Geweben. TDP-43-Ablagerungen wurden vor einigen Jahren bereits beschrieben, nachdem sie in Nervenzellen von Patienten mit amyotropher Lateralsklerose gefunden worden waren. Beobachtet wurden sie aber auch bei frontotemporaler Demenz – beides also seltenere Erkrankungen, die sich eher bei jüngeren Menschen finden.
LATE vor allem bei Hochbetagten verbreitet In ihrer Publikation berichten die Forscher jetzt, dass sich die pathologischen TDP-43-Fehlfaltungen vorwiegend im limbischen System hochbetagter Menschen (≥ 85 Jahre) finden, wobei zunächst die Amygdala, in späteren Stadien die für Lernen und Gedächtnis verantwortliche Hippocampusregion sowie weitere Hirnbereiche betroffen sind. Im weiteren Verlauf schrumpfen die erkrankten Hirnareale – ein Effekt, der auch von der Alzheimer-Demenz bekannt ist. Die Auswirkungen auf Erinnerungsvermögen und kognitive Leistungsfähigkeit sind bei beiden Demenzformen
vergleichbar. Da diese bis anhin unbekannte Demenz die Gedächtniszentren des Gehirns betrifft, gehen die Autoren von einer neuen Krankheit aus, die sie mit dem Akronym LATE bezeichnen, was für «limbic-predominant age-related TDP-43-encephalopathy» steht.
LATE von Alzheimer bis anhin
klinisch nicht zu unterscheiden
Aus den Forschungsdaten geht hervor, dass etwa
25 Prozent aller über 85-Jährigen mit kognitiven
Defiziten eine TDP-43-Proteinopathie aufweisen.
Ob es sich jeweils um Symptome einer Alzheimer-
oder einer LATE-Erkrankung handelt, lässt sich
nämlich klinisch bis heute nicht erfassen. Zurzeit
ist weder ein Biomarker in Sicht noch ein Tracer
verfügbar, mit dem sich TDP-43 beispielsweise in
der PET sicher nachweisen liesse; wenig hilfreich
sind hier auch Liquordiagnostik oder MRI. Die Au-
toren gehen davon aus, dass viele klinische Stu-
dien mit neu entwickelten Alzheimer-Medikamen-
ten vermutlich daran gescheitert sind, dass die
vermeintlich Alzheimer-kranken Studienteilneh-
mer an einer LATE-Demenz litten. Weitere For-
schungsarbeiten zu LATE und Alzheimer seien
dringend erforderlich, um die bestehenden Wis-
senslücken zu schliessen.
CR
Literatur: 1. Nelson PT, Dickson DW, Trojanowski JQ et al.: Limbic-predominant age-related TDP-43 encephalopathy (LATE): consensus working group report. Brain 2019; doi: 10.1093/brain/awz099.
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