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Genetik und Epigenetik
Erkenntnisse aus der Prionenforschung
Warum sind die Menschen so unterschiedlich, obwohl alle über einen gemeinsamen Chromosomensatz mit etwa 30 000 Genen als Bauplan verfügen? Die Frage, wie diese Vielfalt entsteht und weitergegeben wird, ist schon lange Gegenstand genetischer Forschung. Auffällig war, dass nicht alle Erscheinungsformen (Phänotypen) unserer Individualität durch die klassische Mendelsche Genetik erklärt werden konnten. Auf der Suche nach dem Ursprung dieser nicht im chromosomalen Bauplan verankerten Phänotypen wurden von Biologen Mechanismen erschlossen, die mit dem Begriff «Epi-Genese» (von epi-genesis, griech. für «nachträgliche Entstehung») bezeichnet wurden. Am Beispiel des Prionproteins, der damit assoziierten Prionenkrankheiten und der Bildung infektiöser, übertragbarer Prionen lässt sich der Übergang von der Genetik in die Epigenetik auf Proteinbasis gut nachvollziehen, wie der folgende Beitrag zeigt.
Walter Bodemer
nen verursachte Variante CJD (vCJD) irritierten Biologen und Mediziner; die zugrunde liegenden Pathomechanismen waren rätselhaft, und das Prion galt als Erreger unbekannter Art. Durch intensive Forschung konnte das Prion letztlich als kausales, infektiöses Agens bei Prionenkrankheiten eindeutig identifiziert werden. Inzwischen hat sich gezeigt, dass überraschenderweise auch Hefezellen (sowie Bakterien?) über prionartige Regulationsmechanismen verfügen. Diese Mechanismen erklärten die in Hefen beobachtete nicht mendelsche Vererbung, die im Widerspruch zu dem oben erwähnten Dogma stand, das für die Vererbung ausschliesslich die Nukleinsäuren DNA oder RNA als Erbsubstanz vorsieht. Diese in Hefe umgesetzten Forschungskonzepte waren bahnbrechend für die Identifizierung und Aufklärung der spezifischen molekularen Eigenschaften von Prionen in Tier und Mensch und deckten ein bis dato unerwartetes biologisches Regulationsszenario auf. Prionen, die keine kodierende Nukleinsäure besitzen und dennoch als übertragbare Erreger fungieren, waren infek-
Die Genetik beschreibt die kausale Verbindung von Genotyp und Phänotyp, deren Verankerung in der kodierenden Erbsubstanz DNA und die damit verbundene Möglichkeit zur Vererbung, was als zentrales Dogma der Molekularbiologie bekannt wurde (Abbildung 1). Diese Weitergabe von Genen und deren Mutationen führt zu einer Vielfalt an Phänotypen, die von dem jeweils zugrunde liegenden Genotyp programmiert werden. Die Epigenetik erklärt ihrerseits phänotypische Veränderungen, die nicht auf Dauer in der Erbsubstanz festgelegt werden. Epigenetische Prozesse steuern also zeitweise die Expression der Gene und sind dadurch in der Lage, das biologische Erscheinungsbild eines in der DNA vorgegebenen Phänotyps zu erweitern beziehungsweise zu variieren. Wir wissen, dass epigenetische Mechanismen veränderlich sind, zum Beispiel durch Umwelteinflüsse und/oder Stress. Sie können sogar weitergegeben werden, allerdings ohne den Mendelschen Gesetzen zu gehorchen, da sie nicht zum festen Bestandteil der Erbsubstanz werden. Die Epigenetik hat sich inzwischen neben der klassischen und molekularen Genetik als fester Bestandteil der Biologie etabliert.
Geschichte Scrapie im Schaf, Kuru und die sporadische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (sCJD) im Menschen sowie die durch BSE-Prio-
Genetik
Epigenetik
gründet sich auf
basiert auf
DNA
Modifikation von Basen in DNA durch Methylierung
RNA
Austausch von Basen in RNA durch «editing»
Protein
Fehlfaltung eines Proteins Prionzustand
Zentrales Dogma
Dogma durchbrochen Reverse Transkriptase!
Dogma gebrochen Erreger ohne DNA oder RNA als Erbsubstanz
Abbildung 1: Das Zentrale Dogma der Biologie beschreibt den Informationsfluss von der kodierenden DNA über die vermittelnde RNA (Boten-RNA) zum funktionellen Protein (Beispiel: die zelluläre Genexpression). Das Dogma wurde zum ersten Mal nach der Entdeckung der Reversen Transkriptase gebrochen; Information aus RNA wird in DNA umgeschrieben (Beispiel: Retroviren wie HIV). Ein weiterer Verstoss gegen das Dogma wurde durch die Prionenforschung aufgedeckt. Native Proteine gewinnen einzig und allein durch eine strukturelle Umwandlung (Fehlfaltung) neue Funktionen. Im Falle von Prionproteinen verwandeln diese sich in ein Prion mit übertragbarem pathogenem Potenzial. Damit war bewiesen, dass Proteine in der Lage sind, Informationen zu kreieren und weiterzugeben. Ihre inhärente Information basiert nicht auf Erbsubstanz wie die herkömmlich kodierende DNA oder RNA.
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tionsbiologisch unbekannt. Es wurde jedoch bewiesen, dass sich aus nativem Prionprotein (PrPc) pleomorphe, toxische PrP-Aggregate bilden, die als Ausgangsmaterial für eine entstehende infektiöse Einheit dienen. Die Entdeckung dieses Prozesses, nämlich die Tatsache, dass ein und demselben nativen Protein nur durch die strukturelle Fehlfaltung eine neue pleomorphe Isoform und damit gleichzeitig auch eine neue Funktion verliehen wird, war revolutionär und wird als epigenetisch bezeichnet. Eine Analogie wäre das Bild eines schützenden Regenschirms, der sich wegen einer Windböe umdreht und damit seine Funktion verliert: Man wird nass. Wir mussten lernen, dass nicht allein unsere Gene in der Zelle für das Ein- und Ausschalten der Genexpression verantwortlich sind, sondern dass sich ein pathogener Erreger auch ohne deren Zutun bilden kann. Der Nachweis, dass auch Proteine durch epigenetische Regulation in die Genexpression eingreifen, war ein wertvoller Nebeneffekt der Prionenforschung. Die Regulation ergänzte proteinseitig die bisher bekannten epigenetischen Mechanismen, die bei DNA auf der Methylierung von Basen und bei RNA auf dem «editing», das heisst auf der Modifizierung einzelner Nukleinbasen, beruht. Bemerkenswert ist, dass die Molekularbiologie erst vor wenigen Jahrzehnten die epigenetischen Regulationsmechanismen der Genexpression entdeckt hat.
Genetik der Prionenerkrankungen Allele des Prion-Protein-Gens (PrNP) und die sporadische Creutzfeld-Jacob-Krankheit (sCJD) Das etwa 33 000 Dalton grosse PrP des Menschen wird im Prion-Protein-Gen (PrNP) kodiert und liegt in zwei Allelen im Chromosom 20 vor, die entweder für Methionin oder Valin kodieren. Aufgrund unseres diploiden Genoms kommen homozygote M/M- oder V/V-Träger zu 40 Prozent beziehungsweise zu 10 Prozent in der Population vor; heterozygote M/V-Träger treten mit einer Häufigkeit von 50 Prozent auf. Diese Allelkonstellationen bestimmen sowohl die Häufigkeit des Vorkommens als auch die Art der klinisch differenzierbaren sCJD-Krankheitsbilder.
Genetisch bedingte und familiär auftretende gCJD und fCJD Die genetisch bedingte CJD (gCJD) entsteht durch Mutationen von Basen und durch Insertion kurzer DNA-Sequenzen im PrNP-Gen. Die klinischen Symptome können heterogen sein und umfassen zum Beispiel Demenz, Ataxie und Myoklonus. Eine Zuordnung dieser seltenen neurodegenerativen Krankheitsbilder zu den entsprechenden PrNP Veränderungen ist Gegenstand klinisch-neurologischer Forschung. Die genetisch bedingte fatale familiäre Insomnie (FFI) und das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS) sind an
Abbildung 2: Das Schema beschreibt vereinfachend die Umwandlung von nativem PrP (alpha-Helix) in neurotoxische PrP-Aggregate und die hochstrukturierten beta-Faltblatt-Solenoide aus fehlgefaltetem PrP. Fragmentierung eines Solenoids kann zu infektiösen Prionenstämmen führen, weist auf ihre Übertragbarkeit hin und hat das Potenzial, sich ohne Nukleinsäure zu vermehren.
Punktmutationen im Prion-Protein-Gen (PrNP) gekoppelt und
klassisch vererbbar.
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Übertragbare Formen von CJD Die Übertragbarkeit einer Prionenkrankheit von Mensch zu Mensch ist seit Kuru bekannt. Weniger der Kannibalismus als die rituelle Auftragung von prionenhaltigem Gehirngewebe im Gesicht um Augen, Nase und Mund führte damals zur lokalen Streuung der als Kuru benannten Krankheit beim Fore-Stamm auf Papua-Neuguinea. Inzwischen wurde die Übertragung von Prionen beim Menschen auch nach Transplantation von Dura mater, durch Hormonbehandlungen und Bluttransfusionen beobachtet. Diese nicht neuronalen Gewebe wurden als zusätzliche Reservoirs für Prionen ermittelt. Selbst neurochirurgische Instrumente wurden als Übertragungsmaterial ausgemacht, da Prionen aufgrund ihrer biochemischen Eigenschaften an Metall haften. Die Übertragung der spongiformen Enzephalopathie wurde später unter dem Oberbegriff TSE für transmissible spongiforme Enzephalopathie in der Neurologie eingeführt. Die wichtigste TSE für uns Menschen ist die vom Rind durch BSE-Prionen übertragene und als variante CJD (vCJD) bezeichnete Krankheit, deren Auftreten nach Erlöschen der BSE-Epidemie entsprechend abgenommen hat. Der 2017 berichtete vCJD-Fall in Abwesenheit von BSE ist jedoch ein Indiz, dass Vorsicht geboten ist. Der Patient wies eine M/V-Heterozygotie auf, was seine Suszeptibilität für vCJD bestimmt hat. Möglicherweise gibt es noch weitere asymptomatisch mit BSE-Prionen infizierte Menschen, die die gleiche Allelkonstellation besitzen.
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Epigenetische Mechanismen bei der Bildung infektiöser Prionen Das native PrP, dessen Fehlfaltung zu pathogenen Isoformen und die Bildung eines infektiösen Agens Alphahelikale Aminosäuresequenzen kennzeichnen das native PrPc, während die pathogenen PrPsc/PrPres-Isoformen eine partielle Beta-Faltblattstruktur annehmen, die sie gegen den (diagnostisch wertvollen) proteolytischen Abbau durch die Proteinase K resistent (res) werden lassen (PrPres-Isoformen). Bei der Aggregatbildung bauen sich stapelartige, an eine Spule erinnernde Solenoid-Strukturen auf, die sich autokatalytisch polymerisieren, wobei sich Molekül an Molekül anlagert (Abbildung 2). Im Zuge dieses Anlagerungsprozesses wird natives PrP einer Konformationsänderung unterworfen und so dessen Fehlfaltung erzwungen. Am Ende des Prozesses entstehen grosse Amyloidstrukturen, die sich im Elektronenmikroskop, mit der Rasterkraftmikroskopie und hochauflösend mit der Kryoelektronenmikroskopie räumlich vermessen und darstellen lassen. Erst wenn die grossen Amyloid/Solenoid-Strukturen zu einer Art «Prionenschwarm» zerfallen, erlangen die einzelnen Prionen ihre infektiösen Eigenschaften. In unseren eigenen Experimenten ermittelten wir für ein natives PrP eine Grösse von etwa 30 Kubiknanometer. Diese Grösse passt zu elektronenmikroskopischen Befunden, in denen 7 bis 10 gestapelte PrP-Moleküle als Basis eines infektiösen Prions gefunden wurden. Fatal ist zudem, dass sich diese durch die Ablagerung pathologischer PrP-Isoformen entstehenden Aggregate durch die intrazelluläre «Abfallentsorgung» nicht mehr eliminieren lassen, sodass die Zelle untergeht. Die dabei entstehenden neurodegenerativen Veränderungen lassen sich in Form von Vakuolisierungen erkennen; das Absterben der Zellen lässt sich histologisch/mikroskopisch verfolgen.
Ausbreitung von Prionen im Organismus Experimentelle Daten belegen, dass PrP-Isoformaggregate von Zelle zu Zelle durch nanotubuläre Kanäle wandern. Damit breitet sich die Krankheit proximal und distal im Gewebe aus. Selbst Blutzellen wurden als Träger von Prionen identifiziert und verteilen Prionen mit dem Blutstrom im Organismus – auch in nicht neuronale Gewebe. Eine periphere Streuung der Erkrankung wird durch die Weitergabe von Aggregaten/Prionen über Exosomen erreicht. Exosomen sind unter anderem bekannt geworden als Transporter von Nukleinsäurefragmenten mit unbekannter pathogener Funktion. Die zentrifugale Ausbreitung infektiöser Prionen über das Gehirn bis in extraneuronales, zum Beispiel lymphatisches Gewebe und den Appendix kann damit erklärt werden.
Weiterführende Publikationen: • Kiesel P, Bodemer W, Gib-
son T, Zischler H, Kaup FJ: Prion infected rhesus monkeys to study differential transcription of Alu DNA elements and editing of Alu transcripts in neuronal cells and blood cells. J Med Primatol 2012; March 2. • Kiesel P, Kues A, Kaup F-J, Gibson TJ, Bodemer W, Zischler H: A Comparative Analysis to Study Editing of Small Noncoding BC200- and Alu Transcripts in Brain of Prion-Inoculated Rhesus Monkeys (M. Mulatta). JTEH, Part A (2012); 75: 391–401. • Saab BJ1, Mansuy IM: Neurobiological disease etiology and inheritance: an epigenetic perspective. J Exp Biol. 2014; 217 (Pt 1): 94–101. doi: 10.1242/jeb.089995. • Mansuy IM, Mohanna S: Epigenetics and the human brain: where nurture meets nature. Cerebrum. 2011; 8. Epub 2011 May 25.
Weiterführende Links für Interessierte: www.cjd-goettingen.de (Prof. Dr. Inga Zerr)
Epigenetik und die strukturelle Weitergabe von Information Die Genese von Prionenkrankheiten und Prionen unterliegt sowohl einer genetischen als auch einer epigenetischen Kontrolle der Wirtszelle. Epigenetisch entstandene Prionen aus einer sCJD sind ebenso wie die genetisch, also erblich, übertragenen CJD-Fälle gesundheitspolitisch weniger bedeutend. Als es jedoch zur Übertragung von BSE-Prionen durch Fleischkonsum kam, wurden infektiöse Prionen für die Bevölkerung bedrohlich. Dass ein epigenetisch entstandenes BSE-Prion einem harmlosen zellulären PrP durch epigenetische Mechanismen pathogenes Potenzial verleihen konnte, erregte Besorgnis. Es wurde deshalb befürchtet, dass es in den Jahren nach 2000 zu einer unkontrollierbaren BSE-vCJD Epidemie kommen könnte, was jedoch dank der radikalen Elimination infektiöser Fleischbestandteile erfreulicherweise ausblieb. Inzwischen kennen wir Beispiele für die proteingebundene Epigenetik aus sehr unterschiedlichen biologischen und medizinischen Fachbereichen. Das neue Wissen über Prionen in Menschen und Säugetieren, aber auch in Hefe und Pilzen, erweiterte die bisher bekannte Epigenetik, die sich auf die Modifikation von DNA und RNA beschränkte. Der konformationelle Wechsel eines nativen Proteins in eine funktionell veränderte Isoform kann jedoch durch Änderung eines Regulationszustandes in der Zelle auch zu vielfältigen physiologischen Konsequenzen führen. Allerdings hinterlassen diese Veränderungen ihrerseits – nach bisherigem Kenntnisstand – keinerlei Spuren in der DNA einer Zelle oder eines herkömmlichen nukleinsäurehaltigen Pathogens und folgen somit nicht den Regeln der klassischen Genetik.
Prionenforschung als Wegbereiter für Epigenetik in der Zellbiologie
Die Grundlagenforschung zu Prionen hatte weitreichende
wissenschaftliche Konsequenzen und führte in der Biologie
und Medizin zu einem immensen Wissensschub. Andere neu-
rodegenerative Proteinopathien wie Morbus Alzheimer, Par-
kinson oder ALS scheinen mit ihren «prionartigen» Proteinen
epigenetischen Pathogenitätsmechanismen zu gehorchen.
Eine Übertragung von Morbus Alzheimer oder Parkinson im
Maus-Tiermodell scheint zwar theoretisch möglich, eine In-
fektiosität, wie sie dem Prion zugeschrieben werden kann,
ist jedoch weder bei Morbus Alzheimer noch bei Parkinson
experimentell nachgewiesen worden.
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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. rer. nat Dr. med. habil. Walter Bodemer Deutsches Primatenzentrum DPZ Leibnitz-Institut für Primatenforschung Kellnerweg 4 D-37077 Göttingen E-Mail: WBodemer@dpz.eu
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