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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
HPV-Infektionen
Eine Impfung schützt vor vielen Erkrankungen
HPV-induzierte Tumoren sind sowohl bei Frauen als auch bei Männern häufig. Die HPV-Impfung ist für beide Geschlechter eine effektive Primärprävention mit nachgewiesener individueller und epidemiologischer Wirkung. Die Spätimpfung ist durchaus auch für Risikopersonen in der dermatologischen Praxis sinnvoll.
Insgesamt betrachtet ist die HPV-Infektion die häufigste Geschlechtskrankheit überhaupt, betonte PD Dr. med. Severin Läuchli vom Universitätsspital Zürich. Die von HPV-Viren induzierten Krebsarten zählen zu den häufigsten überhaupt – so ist zum Beispiel das Analkarzinom bei der Subgruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), häufiger als das Zervixkarzinom bei Frauen. Bei den oropharyngealen Karzinomen ist HPV in 72 Prozent der Fälle nachweisbar. Darüber hinaus ist eine HPV-Infektion ein unabhängiger Risikofaktor für eine HIV-Infektion, wahrscheinlich über die Destruktion. Die HP-Viren können ein sehr breites Spektrum von Krankheiten induzieren, die von den benignen kutanen Läsionen wie den gewöhnlichen Warzen (Verrucae vulgares) auf der einen Seite über die benignen Läsionen im Kopf-/Halsbereich und den Kondylomen im anogenitalen Bereich bis zu den HPV-assoziierten Malignomen im Kopf-/Hals- sowie im Anogenitalbereich reichen. Mit Abstand am häufigsten sind hierbei sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Genitalwarzen. An nächster Stelle folgen die Krebsvorstufen der Zervix, die Zervixkarzinome und die Krebsvorstufen der Vulva, dann die Kopf-Hals-Karzinome, die bei Männern deutlich häufiger auftreten (Abbildung 1).
Epidemiologie von HPV
Mittlerweile sind über 200 Typen von humanen Papillomaviren (HPV) beschrieben. Die genitalen Warzen und die intraepithelialen Neoplasien werden vor allem durch die Subgruppe der Alpha-Papillomaviren ausgelöst, die weiter in die Low-risk- und High-riskTypen unterteilt werden. Unter den Low-risk-Typen sind es vor allem die HPV-Subtypen 6 und 11, die zusammen für über 90 Prozent der genitalen Warzen verantwortlich sind. Die häufigsten High-risk-Typen sind 16 und 18; für das Krebsrisiko ist allein der Subtyp 16 um mehrere Logstufen häufiger verantwortlich als die anderen High-risk-Typen.
Tipp: Deutsche S3-Leitlinie zur Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien:
Langfassung online unter https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/082-002l_S3_Impfpraevention-HPV-assoziierter-Neoplasien_2020-07_01.pdf
HPV-Infektionen seien, wie Läuchli betonte, «extrem häufig» – und entsprechend häufig seien auch die durch HPV verursachten Krankheitsbilder: «Wir gehen davon aus, dass ungefähr 1 Prozent der adulten Bevölkerung unter genitalen Warzen leidet. Sogar bei bis zu 15 Prozent der adulten Bevölkerung dürfte eine subklinische HPV-Infektion ohne Manifestation vorliegen, und die Lebenszeitinzidenz von HPV liegt für die stummen Infektionen bei ungefähr 80 Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung und bei etwa 10 Prozent für die genitalen Warzen.» Die Übertragung erfolgt über Schmierinfektionen durch Haut- und Schleimhautkontakt. Die Manifestationen werden dabei nicht nur dort registriert, wo der Kontakt stattgefunden hat. So können beispielsweise auch heterosexuelle Männer perianale Kondylome aufweisen. Zur Infektion kommt es meistens in jungen Jahren kurz nach Aufnahme der sexuellen Tätigkeit, wobei die Infektionen in der Regel nur transient erfolgen. So sind 90 Prozent der Infektionen nach 2 Jahren nicht mehr nachweisbar. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die jahrelange Viruspersistenz. Die Inkubationszeit liegt in der Regel bei 1 bis 3 Monaten; es gibt aber auch latente Infektionen, die über Jahre persistieren und erst nach Jahren reaktiviert werden können, betonte Läuchli: «Das ist ein wichtiger Punkt, auch im Gespräch mit dem Patienten, weil dieser sehr häufig nicht genau weiss, woher er diese Infektion hat. Da muss man sehr gut aufpassen, dass es nicht zu Schuldzuweisungen dem aktuellen Partner gegenüber kommt. Denn es kann durchaus sein, dass die Infektion Jahre zuvor, bei einer früheren Partnerschaft, stattgefunden hat.»
Diagnostik der HPV-Infektionen
Die Diagnose erfolgt in erster Linie anhand der Klinik. Es gibt derzeit keinen Labortest, der irgendeinen Nutzen gezeigt hätte. Auch die Biopsie der Läsionen erfolgt aufgrund der Häufigkeit des Krankheitsbildes nicht routinemässig, kann aber in bestimmten Situationen, wie zum Beispiel bei atypischen Läsionen, bei therapeutischen Non-Respondern oder auch bei HIV-Infizierten, sinnvoll sein. Was allerdings fast nie Sinn macht, ist die oft von den Patienten eingeforderte HPV-Typisierung, weil sie keine Konsequenz für
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die Behandlung hat. Denn das Behandlungsziel ist in der Regel die Entfernung der sichtbaren Läsionen. Wenn es auch keine Evidenz dafür gibt, so erscheint es doch sinnvoll, dass klinisch sichtbare Läsionen beim Partner ebenfalls entfernt werden. Die Liste der Differenzialdiagnosen ist breit. «Ganz sicher muss man Condylomata lata ausschliessen», erinnerte Läuchli. Ein Syphilis-Suchtest schafft hier Klarheit. Weitere Differenzialdiagnosen sind die Bowenoide Papulose, Mollusca contagiosa, eine papulöse Lues II und eine Skabies. Eine benigne Veränderung sind die Hirsuties papillares, die als regelmässige Papeln entlang der Kranzfurche des Penis imponieren und bei denen es sich um vergrösserte Talgdrüsen ohne einen Krankheitswert handelt.
Prophylaxe von HPV-Infektionen
Wer sexuelle Kontakte hat, hat ein Risiko der Ansteckung mit HP-Viren. Kondome schützen dort, wo sie bedecken, vor einer Schmierinfektion. «Aber jedes Kondom hat einmal ein Ende», gab Läuchli zu bedenken. So kann am Ansatz des Penisschaftes trotzdem eine Schmierinfektion stattfinden. Die wirksamste Primärprophylaxe ist die Vakzinierung vor der Aufnahme der sexuellen Aktivität. Sie ist in der Schweiz empfohlen, in Impfprogrammen auch aufgenommen für sämtliche Mädchen und Jungen von 11-14 Jahren sowie als Nachimpfung für junge Frauen und Männer im Alter von bis zu 26 Jahren. Für ihre Wirksamkeit existiert mittlerweile eine robuste Evidenz. In den vorliegenden Studien wurde unter anderem gezeigt, dass nach 3 Jahren bei zuvor nicht infizierten Frauen mit einer Wirksamkeit von 98 Prozent die Zervix-Krebsvorstufen (CIN II/III) und mit einer Wirksamkeit von 100 Prozent die Kondylome verhindert werden. Der Schutz hält nach den bisherigen Erfahrungen zumindest über 14 Jahre an, wahrscheinlich aber deutlich länger. Etwas weniger Studienerfahrungen liegen bisher bei den Männern vor. Doch auch hier bestätigen erste Daten die Wirksamkeit. Als Beispiel zitierte Läuchli eine grosse Studie mit 4065 gesunden, überwiegend heterosexuellen Männern im Alter von 16-26 Jahren, die einen quadrivalenten HPV-Impfstoff verabreicht bekommen haben (1). Darin wurde eine Wirksamkeit von 90 Prozent (Per-Protokoll-Analyse) für die Verhinderung von Kondylomen durch die 4 im Impfstoff enthaltenen HPV-Typen 6, 11, 16 und 18 dokumentiert. In einer anderen Studie wurde eine Subkohorte von insgesamt 602 homosexuellen Männern untersucht (2). Es wurde gezeigt, dass mit dem quadrivalenten HPV-Impfstoff auch die analen intraepithelialen Neoplasien (AIN) um 77,5 Prozent (Per-ProtokollAnalyse) für die Impftypen und um 25,7 Prozent bezogen auf alle HPV-Typen reduziert wurden (2). Der Impfstoff war darüber hinaus auch bei HIV-Positiven wirksam.
EPIDEMIOLOGIE DER HPV-ASSOZIIERTEN ERKRANKUNGEN
Geschätzte jährliche Neuerkrankungen an HPV-assoziierten Neoplasien in Europa1,#
Schätzung der Inzidenzen basierend auf der Datenbank der IARC (International Agency for Research on Cancer), den Eurostat population data sowie weiterer Literatur.
Peniskarzinome
Krebsvorstufen des Anus (AIN2/3) Analkarzinome Kopf-Hals-Karzinome
Genitalwarzen
1.227
1.562
1.554
2.487 – 4.551
1.045
1.477
2.440
4.062
5.834
1.396
12.164 – 24.135
34.939
263.227 – 503.010
376.608 – 427.720
379.330 – 510.492
Vaginalkarzinome
Vulvakarzinome Krebsvorstufen der Vagina (VaIN2/3) Krebsvorstufen des Anus (AIN2/3)
Analkarzinome
Kopf-Hals-Karzinome Krebsvorstufen
der Vulva (VIN2/3)
Zervixkarzinome Krebsvorstufen der
Zervix (CIN2+)
Genitalwarzen
Männer
Frauen
Abbildung erAstbebllitlvdounnMg SeDrsntaeclhltDvaotnenMvoSnDHnaartcwhigDSaetteanl.;vIonnfecHtdarAtwgeingteCtanacl.e1r 2017; 12: 19
CIN2+ = zervikale intraepitheliale Neoplasie Grad 2 und höher. VIN2/3 = vulväre intraepitheliale Neoplasie Grad 2 und 3. AIN2/3 = anale intraepitheliale Neoplasie Grad 2 und 3. VaIN2/3 = vaginale intraepitheliale Neoplasie Grad 2 und 3. # Europa = 31 Länder, für die die EMA (European Medicines Agency) zuständig ist, sowie die Schweiz. Die angegebenen Zahlen basieren auf einem Bericht zur Schätzung der jährlichen HPV-
Evolution von bivalent zu nonavalentassoziierten Neuerkrankungen in Europa für das Jahr 2015. Die Schätzung basiert auf der Cancer Incidence in Five Continents (CI5) Volume X Datenbank der Jahre 2003–2007 der IARC (International Agency for Research on Cancer) sowie den Eurostat population data für 2015. Für die Schätzung der Inzidenz der Krebsvorstufen wurden Publikationen der Jahre 2004 – 2006 und 2009 – 2011 genutzt. Zur Schätzung der Inzidenz im Jahr 2015 wurden aktuelle Bevölkerungszahlen der genannten europäischen Länder herangezogen. Angegeben sind jeweils die in der Publikation geschätzte mittlere Anzahl an neuen HPV-assoziierten Karzinomen sowie der geschätzte Range der Anzahl an neuen HPV-assoziierten Krebsvorstufen und Genitalwarzen.
Neben dem bivalentem und dem quadrivalenten gibt es mittlerweile auch den nonavalenten Impfstoff. «In erster Linie sollte heute der nonavalente Impfstoff verabreicht werden, weil dieser die meisten HPV-Typen abdeckt», so die Empfehlung von Läuchli. Da sie etwas mehr Antigen und Adjuvans enthält, kommt es bei der nonavalenten Vakzine zu etwas stärkeren Lokalreaktionen. Diese Vakzinierung wurde in einigen Ländern bereits breit eingeführt, so dass dort bereits epidemiologische Auswirkungen sichtbar sind. So kam es in Australien nach Einführung des Impfstoffes zu einer deutlichen Abnahme der genitalen Warzen, die 7 Jahre nach Start der Impfprogramme bei jungen Heterosexuellen kaum noch vorkommen (3). In der Schweiz sei die Durchimpfung leider nicht so gut, bemängelte Läuchli: «Bei uns werden immerhin 59 Prozent der 16-jährigen Mädchen geimpft. Bei den Jungen sieht es mit 17 Prozent schlechter aus, obwohl es durchaus sinnvoll wäre, die Jungen auch zu impfen.»
Impfung zur Sekundärprävention?
Macht es Sinn, auch Personen zu impfen, die bereits
die sexuelle Aktivität aufgenommen haben? Es gebe
keine guten, kontrollierten, randomisierten Studien,
die eine therapeutische Wirkung der HPV-Impfung
bei bestehender Infektion gezeigt hätten, gab
Läuchli zu bedenken. «Aber wir können postulieren,
dass wir einen Schutz vor einer Reinfektion, vor allem
mit anderen HPV-Typen haben.» Für Frauen mit zer-
vikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN) wurde ge-
zeigt, dass neue CIN nach einer Impfung seltener
auftreten (4). Bei sexuell aktiven MSM, die nach einer
12-monatigen Erscheinungsfreiheit geimpft wurden,
wurde die Inzidenz analer Kondylome nach der Imp-
fung reduziert (5).
s
Adela Žatecky
Quelle: Interdisziplinäre Fortbildung Dermatologie-Gynäkologie, Inselspital, am 3. Dezember 2020.
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Referenzen: 1. Giuliano AR et al.: Efficacy of quadrivalent HPV vaccine against HPV Infection and di-
sease in males. N Engl J Med 2011; 364(5): 401-411. 2. Palefsky JM et al.: HPV vaccine against anal HPV infection and anal intraepithelial neo-
plasia N Engl J Med 2011; 365(17): 1576-1585. 3. Chow EP et al.: Ongoing decline in genital warts among young heterosexuals 7 years
after the Australian human papillomavirus (HPV) vaccination programme. Sex Transm Infect 2015; 91(3): 214-219. 4. Joura EA et al.: Effect of the human papillomavirus (HPV) quadrivalent vaccine in a subgroup of women with cervical and vulvar disease: retrospective pooled analysis of trial data. BMJ 2012; 344: e1401. 5. Swedish KA, Goldstone SE: Prevention of anal condyloma with quadrivalent human papillomavirus vaccination of older men who have sex with men PLoS One 2014; 9(4): e93393.
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