Transkript
BERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Neues zum malignen Melanom
Aktuelle Entwicklungen bei Abklärung und Therapie
Das Melanom ist eine maligne Proliferation von Melanozyten vorwiegend in der Haut, wo jede zehnte Zelle der Basalzellschicht ein Melanozyt ist. Grosse Fortschritte der letzten fünf Jahre haben die Melanomtherapie völlig verändert. Darüber berichtete Prof. Dr. Robert Hunger, Universitätsklinik für Dermatologie, Inselspital Bern, am Swiss Derma Day 2016.
Nach wie vor nimmt die Melanominzidenz in der Schweiz zu. Hauptsächlich dünne Melanome mit guter Prognose sind für die Zunahme verantwortlich. Aktuell liegt die zunehmende jährliche Anzahl von Neuerkrankungen bei 2300 und die ziemlich stabile jährliche Anzahl von Todesfällen bei 300. Das Melanom ist vorwiegend eine Erkrankung älterer, über 50-jähriger Personen. Allerdings kommt es immer wieder vor, dass auch bei jungen Erwachsenen Melanome diagnostiziert werden. Die Dicke des Primärtumors nach Breslow stellt weiterhin den wichtigsten prognostischen Marker dar. Zusätzliche Marker, die bei der Abschätzung der Prognose eine Rolle spielen, sind die Ulzeration und bei dünnen Melanomen (unter 1 mm) die Mitoserate. Prognostisch wichtig ist zudem der Lymphknotenstatus.
Biopsie und Staging
In den europäischen beziehungsweise den schweizerischen Guidelines zum kutanen Melanom wird für die Diagnose eine Exzisionsbiopsie mit minimalem bzw. schmalem seitlichem Rand gefordert (1, 2). Die Diagnose sollte durch ein erfahrenes Pathologieinstitut gestellt werden. An heiklen Lokalisationen sei es aber durchaus legitim, zuerst eine Stanzbiopsie durchzuführen, sagte der Referent. Er präsentierte dazu das Fallbeispiel einer 63-jährigen Patientin mit klinisch unklarem, blutendem Tumor an der Fusssohle in Nähe der Grosszehenbasis. Die Stanzbiopsie
Abbildung: Akrales Melanom
(Foto: Dr. Marguerite Krasovec Rahmann)
ergab hier ein ulzeriertes Melanom von 3,7 mm Dicke (pT3b). Für das Staging ist immer eine klinische Untersuchung nötig mit Inspektion der ganzen Haut, Palpation der regionalen Lymphknoten und Suche möglicher systemischer Metastasen (1, 2). Was die bildgebenden Verfahren betrifft, ist das Thoraxröntgenbild ganz aus den Stagingempfehlungen verschwunden. Bei dünnen Low-Risk-Tumoren unter 1 mm Tumordicke, ohne Ulzeration und mit weniger als 1 Mitose pro mm2 (pT1a) wird kein bildgebendes Verfahren als nötig erachtet (1). Bei Tumoren pT1bpT3a (ulzerierte dünne und mitteldicke Tumoren bis 4 mm) wird eine Lymphknotensonografie (Suche nach lokoregionalen Lymphknotenmetastasen) als Staginguntersuchung empfohlen. Bei einem Tumor von mehr als 4 mm Dicke (pT4) oder bei einem ulzerierten Tumor von 2,01 bis 4,0 mm Dicke (pT3b) lautet die Empfehlung: CT oder wenn möglich PET-CT vor der chirurgischen Behandlung und der Sentinel-Lymphknoten-Biopsie (1).
Sicherheitsabstand bei der Exzision
Gemäss den aktuellen schweizerischen Guidelines sollte die chirurgische Exzision des Primärtumors innerhalb von 4 bis 6 Wochen nach der primären Resektion erfolgen (2). Der empfohlene Sicherheitsabstand ist von der Tumordicke abhängig. Er beträgt 0,5 cm bei In-situ-Melanomen, 1 cm bei dünnen Melanomen unter 2 mm Dicke (pT1-2) und 2 cm bei dickeren Melanomen über 2 mm (pT3-4). Zwingend sei der empfohlene Sicherheitsabstand von 2 cm bei der Nachexzision dickerer Melanome allerdings nicht, sagte der Referent. Auch ein reduzierter Sicherheitsabstand von 1 cm sei durchaus vertretbar. Im Fallbeispiel der 63-jährigen Patientin mit ulzeriertem Melanom von 3,7 mm Dicke an der Fusssohle wurde aufgrund der heiklen Lokalisation ein Sicherheitsabstand von lediglich 1 cm gewählt, weil es bei 2 cm Sicherheitsabstand zu funktionellen Einbussen gekommen wäre. In Bern gelte am Inselspital bereits seit über 15 Jahren die Richtlinie, nur 1 cm Sicherheitsabstand zu schneiden, so der Referent. Kürzlich
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wurden in einer prospektiven Studie die Daten von 325 Patienten mit einer Melanomdicke über 2 mm analysiert (3). Bei 228 Patienten erfolgte die Nachexzision gemäss den internen Weisungen mit 1 cm Sicherheitsabstand und bei 97 Patienten abweichend von den Weisungen mit 2 cm Sicherheitsabstand (interne Kontrollgruppe). Die durchschnittliche Tumordicke nach Breslow betrug 4,36 mm und der mediane Follow-up 1852 Tage. Die Studie zeigte, dass ein Sicherheitsabstand von 2 cm statistisch keinen Vorteil ergab, denn sowohl das krankheitsfreie Überleben als auch das Gesamtüberleben waren in beiden Gruppen praktisch identisch. Auch die Häufigkeit von lokoregionären Metastasen und von Fernmetastasen war in den beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich (3). Die Studie stützt die Ansicht, dass ein reduzierter Sicherheitsabstand von 1 cm auch bei dicken Tumoren infrage kommt, obschon die schweizerischen Richtlinien 2 cm empfehlen.
Sentinel-Lymphknoten-Biopsie und komplettierende Lymphadenektomie
Die aktuellen schweizerischen Guidelines empfehlen, bei Patienten mit einem Melanom von ≥ 1 mm Dicke sowie klinisch und/oder sonografisch unauffälligen regionalen Lymphknoten generell eine SentinelLymphknoten-Biopsie (SLNB) in Betracht zu ziehen (2). Der Nutzen bestehe nicht darin, dass die SLNB das Leben verlängern könnte, sondern darin, dass der betroffene Patient mehr über seine Prognose erfahre, legte Prof. Hunger dar. Die 10-Jahres-Resultate des Multicenter Selective Lymphadenectomy Trials (MSLT) haben gezeigt, dass die SLNB das Gesamtüberleben nicht verbessert (4). Weil die SLNB aber genauere prognostische Informationen liefert, nehmen besonders jüngere Patienten diesen Eingriff gern auf sich, um mehr Gewissheit zu erhalten, so der Referent. Ob die SLNB aber auch bei über 80-jährigen Patienten noch sinnvoll sei, könne bezweifelt werden. Wenn im Sentinel-Lymphknoten (SLN) Metastasen gefunden werden, sollte zweifellos die ganze Lymphknotenstation ausgeräumt werden. Dadurch kann zwar die lokale Tumorkontrolle, aber nicht das Überleben verbessert werden. Wenn keine Metastasen im SLN zu finden sind, wird keine komplettierende Lymphadenektomie (CLND = completion lymph node dissection) durchgeführt. Wie bei isolierten Tumorzellen, kleinen Tumorzellaggregaten und kleinen Metastasen im SLN vorzugehen ist, kann der Tabelle 1 entnommen werden.
Neuartige systemische Therapien des metastasierten Melanoms
In den letzten fünf Jahren hat sich die Behandlung des fortgeschrittenen oder metastasierten Melanoms
Tabelle 1:
Indikationen zur komplettierenden Lymphadenektomie (CLND)
Keine malignen Zellen im Sentinel-Lymphknoten (SLN) Isolierte Tumorzellen im SLN Kleine Tumorzellaggregate unter 0,1 mm (etwa 30 Tumorzellen entsprechend) im SLN Kleine Metastasen unter 1,0 mm im SLN Metastasen über 1,0 mm im SLN
Indikation nicht gegeben
Indikation nicht gegeben Indikation nicht gegeben
Indikation eher nicht gegeben Indikation gegeben
(nach Prof. Dr. Robert Hunger)
Tabelle 2:
Kombinationstherapie mit 2 Kinaseinhibitoren: Weniger Hautnebenwirkungen im Vergleich zur Monotherapie
Papillome Keratoakanthome/Spinaliome Plantare Hyperkeratosen Alopezie
Dabrafenib plus Trametinib
1% 2% 3% 7%
DabrafenibMonotherapie
21% 9% 32% 26%
(nach Prof. Dr. Robert Hunger und [5])
grundlegend verändert. Die herkömmliche Chemotherapie mit den Zytostatika Dacarbazin (Dacin®) oder Temozolomid (z.B. Temodal®) hat an Bedeutung verloren (2). Heute wird die genetische Testung von Tumorgewebe (möglichst von Metastasen) empfohlen, denn das individuelle Mutationsprofil ist für die Wahl der Behandlung mit Kinaseinhibitoren wichtig (1). Kinaseinhibitoren sind kleinmolekulare Medikamente, die täglich oral eingenommen werden. Sie bewirken eine rasche Tumorantwort bei hoher Ansprechrate. Problematisch ist die mit der Zeit einsetzende Resistenzentwicklung. Unabhängig von spezifischen Mutationen der Tumoren können Immuncheckpointinhibitoren zur Immunstimulation eingesetzt werden. Es handelt sich dabei um monoklonale Antikörper, die intravenös alle 2 bis 4 Wochen verabreicht werden. Sie bewirken eine langsamere Tumorantwort bei etwas tieferer Ansprechrate. Ihr grosser Vorteil bestehe in der lang dauernden Antwort, die bei einem Teil der Patienten erreichbar sei, berichtete der Referent.
Zugelassene orale Kinaseinhibitoren zur Blockade eines für das Melanomwachstum wichtigen Signalweges
Selektive BRAF-Inhibitoren: L Vemurafenib (Zelboraf®) L Dabrafenib (Tafinlar®)
Selektive MEK-Inhibitoren: L Cobimetinib (Cotellic®) L Trametinib (Mekinist®)
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Bei etwa 50 Prozent der Melanome ist eine Mutation im BRAF-Gen zu finden. Sie bewirkt, dass über den RAS/RAF/MEK/ERK-Signalweg unkontrolliertes Tumorzellwachstum stimuliert wird. Eine Hemmung des Tumorwachstums kann erreicht werden, wenn der Signalweg blockiert wird, sei es durch einen selektiven BRAF-Inhibitor (derzeit zugelassen Vemurafenib und Dabrafenib) oder weiter unten noch zusätzlich durch einen selektiven Inhibitor der Proteinkinasen MEK 1 und MEK 2 (Cobimetinib in Kombination mit Vemurafenib, Trametinib in Kombination mit Dabrafenib). Die Kombinationstherapie mit einem BRAF- und einem MEK-Inhibitor erhöht im Vergleich zur Monotherapie die Ansprechrate, verlängert das Gesamtüberleben und reduziert die Häufigkeit spezifischer Nebenwirkungen wie beispielsweise sekundärer Hauttumoren (Tabelle 2) (2). Bei dieser Kombination von zwei Medikamenten könne das eine Medikament Nebenwirkungen des anderen aufheben, so der Referent. Insgesamt seien diese Kinaseinhibitoren relativ gut verträglich. Prof. Hunger wies bei Vemurafenib speziell auf fototoxische Reaktionen und bei Dabrafenib auf Reaktionen mit hohem Fieber hin.
Immuntherapie beim metastasierten Melanom
Bei der Melanombehandlung haben sich folgende Immuncheckpointinhibitoren zur immunmodulatorischen Therapie etabliert: L Anti-CTLA4-Antikörper Ipilimumab (Yervoy®) L Anti-PD1-Antikörper Pembrolizumab (Keytruda®)
und Nivolumab (Nivolumab BMS®)
Die Anti-PD1-Antikörper Pembrolizumab und Nivo-
lumab griffen in der Effektorphase bei der Interaktion
zwischen Tumorzellen und T-Zellen ein, erklärte der
Referent. Sie vereiteln den Versuch der Tumorzellen,
über PD1 die Immunzellen zu hemmen, indem die
Antikörper diese Interaktion blockieren. Durch die
Behandlung wird erreicht, dass T-Zellen die Tumor-
zellen besser eliminieren können. Mit beiden Anti-
PD1-Antikörpern wurden eindrückliche Behand-
lungsresultate mit lang dauerndem Ansprechen und
vielversprechenden Überlebensraten erreicht (2).
Das Nebenwirkungsprofil ist im Vergleich zu Ipilimu-
mab günstiger. Immunologische Nebenwirkungen
aufgrund der medikamentös ausgelösten Stimula-
tion des Immunsystems sind in der Regel relativ gut
behandelbar und reversibel. Zu den immunvermit-
telten Nebenwirkungen gehören beispielsweise
Nebenwirkungen an der Haut (Pruritus, Hautaus-
schlag, Vitiligo), Pneumonitis, Kolitis, Hepatitis,
Nephritis und Endokrinopathien (z.B. Hypophysitis,
Typ-1-Diabetes-mellitus, Hypothyreose, Hyperthy-
reose). Die kombinierte Hemmung beider Immun-
checkpoints (Kombinationstherapie mit Ipilimumab
plus Nivolumab) verbessert das progressionsfreie
Überleben noch stärker als die Monotherapien, aller-
dings mit entsprechend mehr Nebenwirkungen (7).
Die aktuellen schweizerischen Guidelines machen
darauf aufmerksam, dass alle Patienten mit einem
metastasierten Melanom an ein Referenzzentrum
überwiesen werden sollten, das über breite Behand-
lungserfahrungen verfügt (2). Die Therapie sollte an
einem interdisziplinären, auf Melanome spezialisier-
ten Tumorboard diskutiert und vorzugsweise im Rah-
men gut geplanter klinischer Studien durchgeführt
werden.
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Ipilimumab verhindert in der Primingphase der T-Zellen ein inhibitorisches Signal. Da das Melanom zu seinem Schutz versucht, die Immunantwort herunterzuregulieren, ist es therapeutisch nützlich, die Herunterregulierung der gegen den Tumor gerichteten Immunantwort zu verhindern. Dies gelingt mit Ipilimumab, sodass die Immunreaktion in der Primingphase gestärkt wird. Ipilimumab verlängert das Gesamtüberleben und wird trotz beträchtlicher Nebenwirkungen als sinnvolle Erstlinien- oder Zweitlinientherapie betrachtet (2). Die Ipilimumabbehandlung sollte nur in spezialisierten Zentren mit Erfahrung bei Immuntherapien durchgeführt werden. Langzeitbeobachtungsdaten zeigen, dass die Überlebenskurven bei Patienten, die Ipilimumab erhalten, nach etwa drei Jahren ein Plateau erreichen, das auch während der folgenden Jahre unverändert bleibt (6). Mit Ipilimumab gelinge es, einen Teil der Melanompatienten auch langzeitlich zu retten und bei ihnen die Tumorprogression zu verhindern, so der Referent.
Alfred Lienhard
Referenzen:
1. Dummer R et al.: Cutaneous melanoma: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2015; 26 (Suppl 5): v126–v132.
2. Dummer R et al.: The updated Swiss guidelines 2016 for the treatment and follow-up of cutaneous melanoma. Swiss Med Wkly 2016; 146: w14279.
3. Hunger RE et al.: A retrospective study of 1- versus 2-cm excision margins for cutaneous malignant melanomas thicker than 2 mm. J Am Acad Dermatol 2015; 72: 1054–1059.
4. Morton DL et al.: Final trial report of sentinel-node biopsy versus nodal observation in melanoma. N Engl J Med 2014; 370: 599–609.
5. Long GV et al.: Combined BRAF and MEK inhibition versus BRAF inhibition alone in melanoma. N Engl J Med 2014; 371: 1877–1888.
6. Delyon J et al.: The ipilimumab lesson in melanoma: Achieving long-term survival. Semin Oncol 2015; 42: 387–401.
7. Larkin J et al.: Combined nivolumab and ipilimumab or monotherapy in untreated melanoma. N Engl J Med 2015; 373: 23–34.
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