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FORTBILDUNG
Hauttuberkulose und Tuberkulide
Von Daniel Fleisch und Stephan Lautenschlager
Während die Tuberkulose in den vergangenen Jahrhunderten als die «weisse Pest» galt, hat sie seit der Entdeckung wirksamer Tuberkulostatika und der Etablierung von Vorsorgeuntersuchungen vor allem in den entwickelten Ländern viel von ihrem Daniel Fleisch früheren Schrecken verloren. Auch in der Schweiz haben die Tuberkulosefälle – und damit auch die Hauttuberkulosen – stetig abgenommen, sodass diese Differentialdiagnose bei unklaren Hauterkrankungen von Dermatologen kaum mehr in Erwägung gezogen wird. Die aktuellen Daten von WHO und BAG sowie das Auftreten multiresistenter Fälle belegen jedoch, dass durchaus in Zukunft wieder vermehrt mit dieser Diagnose zu rechnen ist und den Dermatologen in der Früherkennung der kutanen Manifestationen eine wichtige Rolle zukommt.
Epidemiologie
Die WHO nahm sich vor, die Tuberkulose bis 2010 auszurotten. Dieses Ziel wurde jedoch klar verfehlt. Schätzungen gehen davon aus, dass ungefähr ein Drittel der Weltbevölkerung eine latente Tuberkulose hat. Glücklicherweise erkranken davon nur ungefähr 5 bis 10 Prozent an einer manifesten Form. Dennoch geht die WHO von 9 Millionen Neuerkrankungen pro Jahr aus. Jährlich sterben 2 bis 3 Millionen Menschen an dieser Infektion. Global gesehen ist diese bakterielle Erkrankung immer noch eine der am häufigsten zum Tode führenden Infektionskrankheiten. Die überwiegende Mehrheit der Neuerkrankungen findet in den Entwicklungsländern statt, vor allem in Afrika mit einem Anteil von 80 Prozent aller Tuberkulosefälle. Aber auch im Orient und in Asien ist die Tuberkuloseinzidenz weiterhin hoch. Ungenügende medizinische Versorgung, zunehmende Resistenzproblematik und vor allem auch die HIV- Epidemie sind die hauptsächlichen Faktoren, welche dazu führen, dass die Tuberkulose weiterhin eines der grössten Gesundheitsprobleme der Welt darstellt.
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Während in den industrialisierten Ländern die Tuberkulosefälle stetig abnahmen, bleibt die Inzidenz in den Entwicklungsländern weiterhin hoch oder steigt gar noch an. Auch in der Schweiz nahm die Anzahl der Tuberkulosefälle in den letzten Jahren kontinuierlich ab. 2011 wurden insgesamt 580 Fälle gemeldet. Tuberkuloseerkrankungen bei Personen mit Schweizer Herkunft machten im Jahre 2009 noch 24 Prozent aus, während 70 Prozent der Infektionen bei Personen ohne Schweizer Herkunft registriert wurden. Die Immigration prägt folglich klar die Tuberkulosesituation in der Schweiz und ist auch verantwortlich für den leichten Wiederanstieg der Fälle in der Schweiz seit 2008, bedingt durch die Zunahme von Immigranten aus Afrika. Während die Lunge verständlicherweise am häufigsten befallen ist, machen die kutanen Tuberkulosefälle nur maximal 3 Prozent der Fälle aus. Aufgrund der zunehmenden Resistenzproblematik und der Immigration ist aber eine Zunahme der kutanen Tuberkulose wahrscheinlich.
Kutane Tuberkuloseerreger
Als Erreger ist vor allem Mycobacterium tuberculosis für die Hauttuberkulose verantwortlich, während Fälle durch Mycobacterium bovis viel seltener sind. Mycobacterium bovis war früher hauptverantwortlich für Tuberkulosefälle, unter anderem Tonsilleninfektionen bei Kindern, bedingt durch die Übertragung aus infektiöser Milch. Die Rinderbestände sind jedoch seit Jahren tuberkulosefrei, zudem wird die Milch heutzutage pasteurisiert.
Risikofaktoren für eine Hauttuberkulose
Eine verminderte Immunitätslage ist einer der Hauptfaktoren für das Auftreten einer aktiven Tuberkulose beziehungsweise für die Reaktivierung einer latenten Form. Vor allem die HIV-Infektion ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für eine Koinfektion mit Mykobakterien. Aber auch immunsuppressive Therapien, ein Diabetes mellitus oder Lungenerkrankungen sowie die in der Dermatologie immer häufiger eingesetzten TNF-α-Inhibitoren sind als Risikofaktoren gut bekannt.
Formen und Einteilung
Hauttuberkulosen werden unterschiedlich eingeteilt. Sie können aufgrund des Infektionswegs (exogen oder endogen) unterschieden werden, und sie können in
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Hauttuberkulose und Tuberkulide
primäre und postprimäre Formen oder nach der Reaktionslage bezüglich des Tuberkulintests unterteilt werden. Die grosse klinische Vielfalt der verschiedenen Formen erschwert und verzögert oft die Diagnosestellung einer kutanen Tuberkulose. Primäre Hauttuberkulosefälle sind heutzutage in der Schweiz sehr selten geworden. Dabei handelt es sich um Fälle, wo bereits bei Erstkontakt mit dem Erreger Hautmanifestationen auftreten, wie zum Beispiel die Tuberculosis cutis miliaris disseminata. In der Schweiz werden überwiegend postprimäre Hauttuberkulosen diagnostiziert. Dabei stellt der Lupus vulgaris die häufigste kutane Form dar, gefolgt vom Scrophuloderm (Tuberculosis cutis colliquativa).
Lupus vulgaris
Typisch für den Lupus vulgaris ist eine chronisch progrediente, asymptomatische, braun-rote Plaque mit in der Regel leichter Hyperkeratose. Da diese Form der Hauttuberkulose am häufigsten durch eine hämatogene Streuung von M. tuberculosis aus einem inneren Tuberkuloseherd entsteht, findet sie sich vor allem in gut durchbluteten Hautarealen, präferenziell im Gesicht. Der Lupus vulgaris kann sich aber auch an anderen Hautarealen und klinisch atypisch präsentieren, was sich in der Namensgebung widerspiegelt: Lupus vulgaris exfoliativus, Lupus vulgaris verrucosus, Lupus vulgaris tumidus, Lupus vulgaris ulcerosus und so weiter. Die charakteristische primäre Läsion des Lupus vulgaris ist das Lupusknötchen, welches ein positives Sondenphänomen und in der Diaskopie einen apfelgeleefarbenen (apple jelly) Aspekt aufweist. Die Namensgebung (Lupus = Wolf = fressende Flechte) rührt daher, dass der Lupus vulgaris Mutilationen hervorrufen kann. Ausserdem können in den entstandenen Narben im Verlauf aggressive Plattenepithelkarzinome entstehen.
Scrophuloderm (Tuberculosis cutis colliquativa)
Beim Scrophuloderm kommt es zur abszedierenden Hauteinschmelzung über einem befallenen Lymphknoten. Dabei kann es sich um einen tuberkulösen Primärkomplex handeln oder einen aus der Lunge befallenen Lymphknoten, aus welchem sich die Entzündung per continuitatem auf die Hautoberfläche ausbreitet. Daher
Abbildung 1: Lupus vulgaris vor der Behandlung
findet sich ein Scrophuloderm auch meistens im Bereich der subkutanen Lymphknotenstationen. Initial zeigt sich eine ausgeprägte lokale Lymphadenopathie, verbunden mit laborchemischen Entzündungszeichen. Die darüber liegende Haut verfärbt sich lividrot, wird verbacken und ulzeriert schliesslich mit Bildung von Fisteln und narbigen Einziehungen. Häufig findet sich ein ständiger Wechsel zwischen Exazerbation und Rückbildung. Nach Ausheilung bleiben meist kosmetisch störende Narben zurück.
Abbildung 2: Scrophuloderm
Abbildung 3: Scrophuloderm
Tuberkulide
Bei den Tuberkuliden handelt es sich um eine Gruppe von exanthematischen Erkrankungen, welche als hypererge/infektallergische Reaktion auf eine innere Tuberkuloseinfektion angesehen werden. Der Zusammenhang zwischen einer inneren Tuberkulose und den Tuberkuliden ist unbestritten, aber nach wie vor wenig verstanden. Patienten mit einem Tuberkulid weisen praktisch immer eine ausgeprägte Reaktion auf die Tuberkulintestung auf, jedoch finden sich in den Hautläsionen nie Mykobakterien. Als gesicherte Tuberkulide gelten vor allem der Lichen scrophulosorum und das papulonekrotische Tuberkulid, welches jedoch heutzutage kaum noch angetroffen wird. Beim Erythema induratum Bazin handelt es sich um ein fakultatives Tuberkulid, bei dem M. tuberculosis wahrscheinlich nur einen von mehreren Faktoren darstellt. Das lichenoide Tuberkuloid und der Lupus milliaris disseminatus faciei werden hingegen heute nicht mehr als Tuberkulide betrachtet.
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Hauttuberkulose und Tuberkulide
Merksätze für die Praxis
● Die immigrationsbedingte Zunahme der Inzidenz von Hauttuberkulosen in der Schweiz erhöht die Wahrscheinlichkeit, dieser Diagnose im dermatologischen Berufsalltag zu begegnen.
● Die Differenzialdiagnose der Hauttuberkulose ist breit: Leishmaniose, Lepra, Sporotrichose, tiefe Tinea, Sarkoidose, granulomatöse Rosazea und so weiter. Entsprechend sind breite Abklärungen nötig.
● Lupus vulgaris ist die häufigste kutane Tuberkulose, meist als Folge einer Lungentuberkulose. Der Ausschluss einer Organtuberkulose ist obligatorisch.
● Tuberkulide sind infektallergische Exantheme auf eine tuberkulöse Infektion. Die Tuberkulinreaktion ist stark positiv. Der kulturelle Erregernachweis in den Hautläsionen ist negativ.
● Die Behandlung besteht in einer initialen tuberkulostatischen Viererkombinationstherapie für 2 Monate (INH, RMP, PZA, EMB), gefolgt von mindestens 4-monatiger Einnahme von INH und RMP.
Lichen scrophulosorum
Der Lichen scrophulosorum kann als Begleitreaktion bei innerlicher Tuberkulose auftreten, aber auch unter einer Tuberkulintestung beziehungsweise einer BCGImpfung oder unter der Behandlung mit Tuberkulostatika. Klinisch kommt es zum exanthematischen Auftreten asymptomatischer, kleiner, spitzkegliger Papeln mit einer feinen Keratose an der Spitze.
Abbildung 4: Lichen scrophulosorum
Abbildung 5: Lichen scrophulosorum und postinflammatorische Hyperpigmentierung nach stark positiver Tuberkulinreaktion
Diagnosestellung
Bei Verdacht auf eine Hauttuberkulose sind zur Bestätigung eine Hautbiopsie, eine Gewebekultur sowie zur Orientierung ein Tuberkulosetest notwendig. Histologisch gelingt der direkte Erregernachweis in der Mehrzahl der Fälle nicht, jedoch kann das granulomatöse Entzündungsmuster wegweisend sein. Bei der Gewebekultur sind die Sensitivität und Spezifität bezüglich des Erregernachweises am höchsten. Mit den heutigen Tuberkulosetests (QuantiFERON-TB® oder T-Spot.TB®) ist es nicht möglich, eine aktive Tuberkulose zu bestätigen. Der Test bestätigt lediglich den Kontakt mit M. tuberculosis. Dennoch dienen diese Tests als diagnostische Stützpfeiler.
Weiterführende Abklärungen
Nach Bestätigung einer kutanen Tuberkulose muss obligatorisch eine Organtuberkulose ausgeschlossen werden. Diese Abklärung sollte in Absprache mit den Infektiologen erfolgen. Sie umfasst in erster Linie ein Blutbild, ein Chemogramm, einen TB-Test, ein ThoraxRöntgen beziehungsweise allenfalls ein Computertomogramm sowie eine Sputum- und eine Urinabklärung.
Therapie
Die Therapie einer Hauttuberkulose weicht nicht von der Therapie der Lungentuberkulose ab. Die Guidelines der WHO empfehlen initial eine Viererkombination mit Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) für 2 Monate, gefolgt von einer Erhaltungstherapie mit INH und RMP über mindestens 4 Monate. Je nach Resistenzlage kann in Absprache mit den Infektiologen allenfalls auf die Einnahme von Ethambutol verzichtet werden. Das hat unter anderem den Vorteil, dass keine ophthalmologischen Kontrollen wegen möglicher Optikusneuritis unter der Therapie notwendig sind. Zu den weiteren Nebenwirkungen dieser Tuberkulostatika gehören relativ häufig Pruritus beziehungsweise ein Hautausschlag. ●
Papulonekrotisches Tuberkulid
Auch dieses Tuberkulid ist heute sehr selten anzutreffen. Klinisch imponieren chronisch-rezidivierende Papeln, welche nekrotisieren und varioliform abheilen.
Korrespondenzadressen: pract. med. Daniel Fleisch Oberarzt E-Mail: daniel.fleisch@triemli.stzh.ch
Erythema induratum Bazin
Beim Erythema induratum Bazin handelt es sich um eine subkutane, noduläre Vaskulitis. Häufiger sind Frauen betroffen, bei welchen sich meistens an den dorsalen Unterschenkeln zur Ulzeration neigende, schmerzhafte Knoten finden.
Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager Chefarzt Dermatologisches Ambulatorium Triemli Herman Greulich-Strasse 70, 8004 Zürich
Interessenkonflikte: keine
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