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ALLERGIE
Atopisches Ekzem: Genetische Ursache oder umweltbedingt?
TEIL 1: SUBTYPEN UND GENETISCHE FAKTOREN Von Brunello Wüthrich und Regula Patscheider
Das atopische Ekzem ist eine multifaktorielle Haut-
erkrankung. Unter anderem werden genetische und
umweltbedingte Faktoren sowie Veränderungen der
Hautstruktur und immunologische Ursachen, die auf
komplexe Weise interagieren, dafür verantwortlich
gemacht. Es sind zwei Subtypen des atopischen
Ekzems zu unterscheiden, die eine unterschiedliche
Prognose in Bezug auf die Allergiekarriere haben.
Teil 1 dieses Beitrags geht auf die genetisch beding-
ten Ursachen der Erkrankung ein.
Das atopische Ekzem ist eine chronisch wiederkehrende, entzündliche Hauterkrankung, die durch ekzematöse Läsionen an typischer Lokalisation sowie Hauttrockenheit, starken Juckreiz und vielfältige pathophysiologische Aspekte gekennzeichnet ist (Abbildung 1). Gemäss der neuen Nomenklatur der WAO (World Allergy Organization) ist die Bezeichnung «Ekzem» als Oberbegriff zu verwenden, der die Subtypen der atopischen Dermatitis umfasst, nämlich das IgE-vermittelte atopische Ekzem und das nicht-IgE-vermittelte nicht atopische Ekzem.
Zwei Subtypen des atopischen Ekzems und Allergiekarriere
Die meisten Patienten mit atopischem Ekzem weisen gegenüber den herkömmlichen Umweltallergenen serologisch hohe Konzentrationen sowohl beim Gesamt-IgE als auch bei den allergenspezifischen IgE auf. Auch fallen ihre Pricktests und intrakutanen Testreaktionen positiv aus. Bei einer Untergruppe von Kindern und Erwachsenen finden sich jedoch bei klinisch völlig typischem Bild des atopischen Ekzems absolut normale Gesamt-IgE-Werte und keinerlei nachweisbare Sensibilisierungen gegenüber Inhalations- oder Nahrungsmittelallergenen. Hierbei handelt es sich um den sogenannten «intrinsischen» Subtyp des atopischen Ekzems, ohne frühere oder aktuelle allergisch bedingte respiratorische Erkrankung. Die Prävalenz der Patienten des «intrinsischen» Subtyps wurde in einer neueren Studie mit 5,4 Prozent angegeben. Dass die Prävalenzrate bei jüngeren Teilnehmern mit 15 bis 45 Prozent deutlich höher ist, lässt sich auf das Vorkommen einer transienten Form des Ekzems zurückführen (1). In einer europäischen Multizenterstudie mit 314 Patienten, die das Schwergewicht auf AtopiePatchtests mit Inhalations- und Nahrungsmittelallergenen hatte, entsprachen 7 Prozent der Fälle dem «intrinsischen» Typ, das heisst, alle diese Patienten hatten negative Prick- oder IgE-Tests. Offenbar lag hier keine Soforttypsensibilisierung, sondern nur eine Spättypreaktivität auf eines oder mehrere der getesteten Allergene vor. Ein positiver Atopie-Patchtest für ein bestimmtes Allergen lag bei 17 Prozent aller Patienten vor, das heisst, auch bei einem
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ter Sensibilisierten hatten die früher und stärker
Sensibilisierten ein deutlich höheres Asthmarisiko.
Bei der Interpretation solcher Subgruppen-Nachun-
tersuchungen ist Vorsicht geboten. Sicherlich bedarf
es noch weiterer Untersuchungen, doch der Nutzen
der Cetirizinbehandlung für die Asthmaprävention
bei Sensibilisierungen gegenüber Hausstaubmilben
oder Gräserpollen war deutlich (relatives Risiko für
Asthmaentwicklung 0,6, 95%-KI 0,4–0,9) (6, 7).
Zwei andere Studien besagen, dass Kinder mit der
nicht atopischen Variante des atopischen Ekzems
Abbildung 1: Schuppung und Risse bei Zehen eines Atopikers
selten an Asthma erkranken (8, 9): Von 77 untersuchten zweijährigen Kindern mit atopischem Ek-
zem konnten 64 Prozent dem IgE-vermittelten Sub-
«intrinsischen» Typ kann gelegentlich ein positiver typ zugewiesen werden, bei 21 Prozent trat bis zum
Atopie-Patchtest bei negativem Prick- oder RAST- Alter von 11 Jahren Asthma auf, und 15 Prozent er-
Test vorkommen (2).
wiesen sich als Vertreter des nicht-IgE-vermittelten
Bei 70 Prozent der Patienten mit atopischem Ekzem Subtyps des atopischen Ekzems (8). Die Persistenz
manifestiert sich die Erkrankung innerhalb der des atopischen Ekzems war in der Nachuntersu-
ersten fünf Lebensjahre (3). Bei 30 bis 60 Prozent chung bei den Nicht-Atopikern (67%) höher als bei
der Kinder beginnt im Laufe von Monaten oder Jah- den «frühen» (43%) und «späten» Atopikern (44%).
ren die sogenannte Allergiekarriere (atopic march): 60 Prozent der «frühen» und 25 Prozent der «späten»
Diese Kinder entwickeln ein Asthma bronchiale, Atopiker entwickelten Asthma. Keines der nicht atopi-
eine Pollinose oder eine ganzjährige allergische schen Kinder erkrankte bis 11-jährig an Asthma.
Rhinitis (4). Wie eine Studie mit 1335 14-Jährigen In der zweiten Studie ergab die Nachkontrolle bei
mit atopischer Anamnese zeigte, trat zuerst das 22 Kindern im Alter zwischen zwei und vier Jahren
Ekzem auf und kurz danach das Asthma bronchiale, mit atopischem Ekzem acht Jahre später, dass bei
das bei 41 Prozent bereits nach zwei weiteren Jahren 68 Prozent das Ekzem weiter bestand. Zudem litten
manifest wurde (5).
45 Prozent an Asthma und 41 an saisonaler Rhino-
konjunktivitis (9). Die Sensibilisierungen gegenüber
Beim nicht-IgE-vermittelten Subtyp tritt Asthma selten auf
den häufigsten Aeroallergenen (CAP-Test mit Sx1) waren von 50 auf 80 Prozent gestiegen, während sie gegenüber Nahrungsmittelallergenen (CAP-Test mit
Zur Verhinderung einer Asthmaentwicklung erwies fx5) von 41 auf 27 Prozent gesunken waren. Bei
sich in der ETAC-Studie (early treatment of the atopic 4 von 7 Kindern mit nicht-IgE-assoziiertem atopi-
child) eine präventive Langzeittherapie (18 Monate) schen Ekzem liessen sich immer noch keine Sensi-
mit Antihistaminika als erfolgreich. Von den mit bilisierungen nachweisen. Aber bei 3 hatte sich das
Cetirizin behandelten Kindern mit Sensibilisierungen intrinsische zu einem extrinsischen atopischen Ek-
gegenüber Gräserpollen und/oder Hausstaubmilben zem weiterentwickelt. 1 dieser Kinder litt neu an
wies die Verumgruppe signifikant weniger Anzei- Asthmasymptomen, wobei das Risiko der Asthma-
chen für die Entwicklung eines späteren Asthmas auf entwicklung im Alter von zwei Jahren beim extrin-
als die Plazebogruppe. Auch im 18-monatigen Follow- sischen Typ viel höher ist als beim intrinsischen.
up nach der Behandlung hielt die günstige Wirkung
bei den gegen Gräserpollen Sensibilisierten an. Bei Kindern, die gegenüber Hausstaubmilben sensibili-
Genetische Faktoren
siert waren, verringerte sich der Unterschied zwi- Das atopische Ekzem tritt familiär gehäuft auf.
schen Verum- und Plazebogruppe bezüglich der Studien mit Zwillingen wiesen eine Übereinstim-
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kumulativen Prävalenz von Asthma graduell. Es gab mungsrate von 0,72 bis 0,86 bei eineiigen und 0,21
unmittelbar nach dem Absetzen der Behandlung bis 0,23 bei zweieiigen Geschwisterpaaren auf (10).
jedoch keine Evidenz für einen Reboundeffekt. Hin- Für die Vererbung der Erkrankung kann kein ein-
gegen bestand in der Plazebogruppe ein signifikant zelnes Gen verantwortlich gemacht werden (11). Es
höheres Risiko für die Entwicklung von Asthma für wird nach krankheitsspezifischen Allelen geforscht
Kinder, die gegenüber Hühnereiweiss, Hausstaub- sowie nach Genen, die mit anderen Charakteristiken
milben, Gräserpollen oder Katzenhaar sensibilisiert allergischer Erkrankungen assoziiert sind (12, 13).
22 waren. Im Vergleich zu den vorübergehend und spä- In einer europäischen Studie mit 200 Familien be-
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Abbildung 2: Der Verlust der Filaggrinpeptide führt zu einem epidermalen Barrieredefekt. Allergene können vermehrt eindringen und Entzündungsreaktionen auslösen.
troffener Geschwister wurde nach den Phänotypen atopisches Ekzem und Sensibilisierungen gegenüber Allergenen gesucht. Eine Region mit höchster Überlappung wurde auf dem Chromosom 3q2 vorgefunden (Referenz in 12). Eine weitere Studie untersuchte 148 Familien auf intermediäre Phänotypen einschliesslich Asthma und Gesamt-IgE. Dabei wurden fünf assoziierte Genloci auf den Chromosomen 1q21, 17q25, 20p, 16q und 5q31 identifiziert (Referenz in 12). Eine schwedische Studie mit 197 Zwillingspaaren identifizierte vier Phänotypen und elf Genloci, die mit sämtlichen unterschiedlichen Phänotypen assoziiert waren, die vom Schweregrad des atopischen Ekzems über die allergenspezifischen IgE bis zur direkten Diagnose des atopischen Ekzems reichten. Schliesslich untersuchte eine dänische Studie eine kleine Patientenzahl von Geschwisterpaaren und fand eine Assoziation mit drei Lokalisationen innerhalb des Genoms. Nicht alle diese Lokalisationen sind jedoch stabil genug. Bei genauerer Betrachtung führen die meisten dieser aus genomweiten Untersuchungen gewonnenen Assoziationen nicht zu einer effektiven Identifikation spezifischer Gene. Diese sind in (12) 24 zusammengefasst.
Filaggrinmutationen hauptverantwortlich für atopische Prädisposition
Filaggrin (filament-aggregating protein) und dessen Gen FLG ist mit vielen anderen in die terminale Differenzierung involvierten Genen auf dem epidermalen Differenzierungskomplex auf Chromosom 1q21 lokalisiert. Das initiale Produkt des FLG-Gens ist Profilaggrin, die Hauptkomponente der Keratohyalingranula im Stratum spinosum. Durch posttranskriptionale Modifikation wird Profilaggrin proteolytisch in vielfache Kopien des Filaggrinpeptids aufgespalten. Während der Differenzierung im Stratum granulosum binden die Filaggrinpeptide an das Keratinzytoskelett und führen zur Aggregation der Keratinfilamente. Das Keratinzytoskelett ist in diesen oberen granulären Zellen durch eine wachsende Anzahl desmosomaler Proteine fest mit der Zellmembran verankert. Fillagrin bringt das Zytoskelett zum Kollabieren, wodurch die Keratinozyten zu Schuppen abgeflacht werden (15, 16). Filaggrinpeptide sind für eine intakte epidermale Barriere von entscheidender Bedeutung. Durch Mutationen im Profilaggrin-Gen kommt es zum Verlust der Filaggrinpeptide in der Barriere. Dieser epitheliale Barrieredefekt beeinflusst die Ätiologie des atopischen Ekzems massgeblich (15, 16, 17, 14). Zudem stellen die FLG-Mutationen ein beachtliches Risiko für Asthma bei Patienten mit Ekzemen (17) dar. Es ist anzunehmen, dass mindestens die Hälfte der Kinder mit moderatem bis schwerem Asthma FLG-Mutationen aufweist und vielleicht bei 20 Prozent der Asthmapatienten diese Gendefekte eine Rolle spielen, wobei das Asthma in diesen Fällen sekundär zum atopischen Ekzem in Erscheinung tritt. Diese neuen Erkenntnisse führen auch zur Entwicklung neuer Therapieansätze. Ein Ansatz ist die Festigung der Hautbarriere, indem Fillagrin in Externa zugeführt wird. Damit könnte der Filaggrinmangel in der terminalen epidermalen Differenzierung ausgeglichen werden. Durch rechtzeitige Erkennung von Risikokindern mit FLG-Mutationen können frühzeitige Präventionsmassnahmen eingeleitet werden (18) (siehe auch Teil 2 dieses Beitrags).
Filaggrin (filament-aggregating protein) ist eines der hauptverantwortlichen Gene für das atopische Ekzem. Mutationen in diesem Gen, die zur Verminderung von Filaggrin bis zum totalen Verlust der Filaggrinexpression (bei Homozygotie) in den äusseren Hautschichten führen, begünstigen Phänotypen, die in die atopische Karriere involviert sind.
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Die Hälfte oder mehr Kinder mit moderatem bis
schwerem atopischen Ekzem weisen Filaggrin-
mutationen auf. Dieser Gendefekt wurde zuerst bei
Patienten mit Ichthyosis vulgaris festgestellt. Ein
Drittel der Ichthyose-Patienten leidet gleichzeitig an
einem atopischen Ekzem. Die prävalenten Genmu-
tationen stellen auch einen Risikofaktor für die Ent-
wicklung von Kontaktallergien dar (19).
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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Brunello Wüthrich Facharzt FMH für Allergologie und Dermatologie Spital Zollikerberg, Trichtenhauserstrasse 20, 8125 Zollikerberg E-Mail: bs.wuethrich@bluewin.ch
Interessenkonflikte: keine
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