Transkript
EASD
Doppelstrategie mit GIP-/GLP-1-RA
Blutzucker und Gewicht sinken kontinuierlich
Mit dem dualen GIP-/GLP-1-Rezeptor-Antagonisten (GIP-/GLP-1-RA) Tirzepatid ist eine Alternative zu den GLP-1-RA entstanden, sowohl was die Blutzuckersenkung bei Typ-2-Diabetes betrifft, als auch hinsichtlich der Gewichtsreduktion. Die Studien dazu wurden am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Hamburg besprochen.
Der wöchentlich subkutan verabreichte duale GIP-/GLP-1Rezeptor-Antagonist (GIP-/GLP-1-RA) zeigte im SURPASSStudienprogramm bei Patienten mit Typ-2-Diabetes eine stärkere Blutzuckersenkung als Semaglutid (1), Insulin degludec (2), glargine (3) und lispro (4). Dass dabei auch das Gewicht fiel, war aufgrund des Wirkungsmechanismus und der Erfahrungen mit den GLP-1-RA zu erwarten. Doch das Ausmass überraschte. Die Gewichtsreduktion wird separat im SURMOUNT-Studienprogramm untersucht, von denen einige Studien bereits abgeschlossen sind. Die SURMOUNTStudien 1 und 2 testeten verschiedene Tirzepatiddosen (5, 10, 15 mg) versus Plazebo während 73 Wochen bei einer prädiabetischen und einer diabetischen Patientenpopulation. In beiden Studien bewirkte die Höchstdosis einen Gewichtsverlust von bis zu 22 Prozent bzw. 14 Prozent (5, 6). In der SURMOUNT-4-Studie wurde Tirzepatid bei Personen ohne Diabetes und mit einem Body-Mass-Index > 27 kg/m2 untersucht. Die durchschnittlich 107 kg schweren Teilnehmer (n = 783) wurden während 36 Wochen offen mit Tirzepatid von 2,5 auf 12,5 mg/Woche in 2,5-mg-Schritten aufdosiert, um danach das Verum doppelblind randomisiert in einer Dosierung von 10 oder 15 mg/Woche (n =335) oder Plazebo (n =335) während weiteren 52 Wochen zu erhalten. Dabei interessierte die Frage, ob Patienten nach der Gewichtsreduktion in der ersten Studienphase bei einer weiteren Verabreichung ein Plateau erreichen oder noch mehr Gewicht verlieren können und ob der erreichte Gewichtsverlust im Plazebo-Arm gehalten werden kann. Als primäre Endpunkte waren die Veränderung des Gewichts und des Hüftumfangs definiert.
Erst steil, dann flacher
Nach der ersten Studienphase nach 36 Wochen hätten die Teilnehmer seit Studienbeginn 20,9 Prozent ihres Gewichts verloren, berichtete Prof. Louis Aronne, Comprehensive Weight Control Center, Division of Endocrinology, Diabetes and Metabolism, Weill Cornell Medicine, New York (USA). In der zweiten Phase stieg das Gewicht unter Plazebo erneut um etwa 14 Prozent kontinuierlich an. Nach 1 Jahr ohne Tirzepatid lagen die Teilnehmer etwa 10 Prozent unter dem Ausgangsgewicht. Unter Tirzepatid verloren die Teilnehmer gemäss Aronne bis zu Studienende dagegen weitere 5,5 Prozent Gewicht, ge-
samthaft demnach –25,4 Prozent. Der Gewichtsverlust über
die ganze Studienzeit von 88 Wochen betrug unter Plazebo
10 kg, während die Patienten unter Tirzepatid ihr Gewicht
um 28 kg reduzieren konnten.
Der Hüftumfang verringerte sich in der ersten Studienphase
nach 36 Wochen um 17,8 cm, in der zweiten Studienphase
unter Tirzepatid noch um weitere 4,7 Prozent bis zu einer Ge-
samtreduktion von –22,5 cm. Unter Plazebo stieg der Umfang
wieder auf ein Niveau von –9,3 cm an und pendelte sich dort
ein.
Die Häufigkeit von Nebenwirkungen waren in den Verum-
und Plazeboarmen (60 bzw. 56%) ähnlich, wobei der Anteil
von Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Tirzepatid
höher war als unter Plazebo (26 vs. 10%). Die häufigsten
Nebenwirkungen (≥ 5%) unter dem Verum waren erwar-
tungsgemäss Nausea, Diarrhö und Erbrechen. Pankreatitis-
und Gallensteinfälle wurden nicht gemeldet.
Der erreichte Gewichtsverlust von knapp 26 Prozent sei ein
fantastisches Resultat, das an die Ergebnisse von bariatri-
schen Eingriffen heranreiche, kommentierte Prof. Jens Juul
Holst, NNF Center for Basic Metabolic Research, Panum
Institute, University of Copenhagen (DK), die Resultate der
SURMOUNT-4-Studie. Denn ab einem Gewichtsverlust von
15 Prozent steige die Diabetesremissionsrate auf 86 Prozent,
zitierte er die 5-Jahresresulate der Abspeckstudie DIRECT.
Mit dem dualen GIP-/GLP-1-RA gibt es jetzt neben dem ähn-
lich starken GLP-1-RA Semaglutid zwei valable medikamen-
töse Optionen, um Gewicht zu reduzieren. Auch wenn 88
Wochen (bzw. 68 Wochen mit Semaglutid) eine längere Zeit-
dauer darstellen, sei zu hoffen, dass die Resultate gleich an-
haltend wie bei Liraglutid (4 Jahre) und der Bariatrie (20
Jahre) ausfallen werden. Bei allem Enthusiasmus müsse man
sich aber überlegen, was man bei Therapieende mit den Pa-
tienten macht: Das Medikament absetzen oder weiterverab-
reichen? Und würden die Patienten überhaupt freiwillig
damit aufhören?
s
Valérie Herzog
Quelle: «SURMOUNT-4 Trial results: the impact of tirzepatide on maintenance of weight reduction and benefits of continued therapy». Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 2. bis 6. Oktober in Hamburg.
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type 2 diabetes. N Engl J Med 2021; 385:503-515. 2. Ludvik B et al.: Once-weekly tirzepatide versus once-daily insulin deglu-
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