Transkript
ESC
Vorhofflimmern
Frühzeitige Rhythmuskontrolle bringt grossen Nutzen
Das Risiko für schwere kardiovaskuläre Komplikationen bei Patienten mit Vorhofflimmern sei im ersten Jahr nach der Diagnose am höchsten, erklärte Prof. Paulus Kirchhof, Universitäres Herz- und Gefässzentrum UKE, Hamburg (D), am ESC-Kongress. Meist werde eine therapeutische Rhythmuskontrolle aber erst bei persistierenden Symptomen eingerichtet. Inwieweit eine frühzeitig einsetzende Rhythmuskontrolle bei Patienten mit Vorhofflimmern von Nutzen ist, war Fragestellung in der von ihm geleiteten EAST-AFNET-4-Studie, die am Kongress in einer Hotline-Session präsentiert wurde.
Trotz leitliniengerechter Behandlung erleiden 5 Prozent der Patienten mit Vorhofflimmern jährlich einen Hirnschlag, ein akutes Koronarsyndrom oder einen kardiovaskulären Tod. Das sei Grund genug, eine andere Therapiestrategie auszuprobieren, so Kirchhof. Die multizentrische EAST-AFNET-4Studie untersuchte, ob eine frühzeitig einsetzende Rhythmuskontrolle durch Medikamente oder Ablation das Outcome verbessert. Dazu wurden 2789 Patienten innerhalb des ersten Jahres nach der Vorhofflimmerndiagnose rekrutiert, die mindestens noch 2 weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren oder Erkrankungen aufwiesen. Die Patienten erhielten entweder eine frühe Therapie zur Rhythmuskontrolle (Antiarrhythmika oder Katheterablation) oder eine Standardtherapie. Beide Patientengruppen bekamen Therapien für ihre Herzprobleme, Antikoagulation und Frequenzkontrolle gemäss den Guidelines. Bei wiederholtem Vorhofflimmern wurde die Therapie in der Rhythmuskontrollgruppe angepasst. Die Patienten in der Standardtherapiegruppe wurden initial mit einer Frequenzkontrolle therapiert. Eine Rhythmuskontrolltherapie erhielten sie erst, wenn auf schwerem Vorhofflimmern basierende Symptome auftraten, die sich mit einer optimalen Frequenzkontrolle nicht behandeln liessen. Als primärer Studienendpunkt galt eine Kombination aus kardio-
Nachgefragt bei Prof. Beat Schär, Kardiologie, Universitätsspital Basel:
Was bedeuten diese Studienergebnisse für die Praxis?
Es ist zu bedenken, dass die Studienpatienten, wie es in Studien häufig der Fall ist, sehr selektioniert sind. Ihr CHA2DS2-VASc-Score betrug im Mittel fast 3,5 als Ausdruck eines «high risk» nicht nur für Hirnschlag. Zudem wurden pro Zentrum pro Jahr nur gerade 4 Patienten eingeschlossen. Deshalb wäre ich vorsichtig, beim typischen Praxispatienten das bisherige Prozedere grundsätzlich infrage zu stellen. Wichtigster Aspekt bleibt weiterhin eine optimale orale Antikoagulation und bei symptomatischen Patienten eine Rhythmuskontrolle. Entweder mit einer Pulmonalvenenisolation oder mit einem Klasse-1C-Antiarrhythmikum, sofern möglich. Bemerkenswert ist an der EAST-AFNET-4-Studie übrigens auch noch, dass 35 Prozent der Patienten in der Interventionsgruppe ohne jegliche Therapie im Sinusrhythmus waren.
Die Resultate der EAST-AFNET-4-Studie konnten in den ganz frisch publizierten Guidelines nicht integriert werden.
vaskulärem Tod, Verschlechterung der Herzinsuffizienz und akutem Koronarsyndrom. Als sekundärer Endpunkt waren die im Spital verbrachten Tage pro Jahr definiert. Primärer Sicherheitsendpunkt war die Kombination aus Hirnschlag, Gesamtmortalität und auf die Rhythmuskontrolle zurückzuführenden Nebenwirkungen. Nach 5,1 Jahren traf der primäre Endpunkt in der Gruppe mit der frühen Rhythmuskontrolle bei 249 Patienten, in der Kontrollgruppe bei 316 Patienten ein. Damit sank die Komplikationsrate unter früher Rhythmuskontrolle, verglichen mit der Standardtherapie, um 21 Prozent (Hazard Ratio: 0,79; 95%-Konfidenzintervall: 0,67–0,94; p = 0,005). Die absolute Risikoreduktion lag bei 1,1 Prozent pro Jahr. Der klinische Vorteil der frühen Rhythmuskontrolle zeigte sich in allen Subgruppen konsistent, einschliesslich asymptomatischer Patienten und Patienten ohne Herzinsuffizienz. Alle Komponenten des primären Endpunkts traten in der Gruppe mit der frühen Rhythmuskontrolle numerisch seltener auf, die Raten von kardiovaskulärem Tod und Hirnschlag waren im Vergleich zur Standardtherapie signifikant reduziert. Die Anzahl Spitaltage unterschied sich nicht signifikant (5,8 vs. 5,1). Betreffend des Sicherheitsendpunkts traten in beiden Gruppen ähnlich viele Ereignisse auf (231 vs. 223). In der Gruppe mit der frühen Rhythmuskontrolle kam es zu mehr antiarrhythmikabedingten Nebenwirkungen als unter Standardtherapie, doch traten sie insgesamt selten beziehungsweise etwa gleich häufig wie in früheren Antiarrhythmikastudien in dieser Indikation auf. Eine frühzeitig, innerhalb eines Jahres nach Diagnose installierte Rhythmuskontrolle reduziert laut diesen Resultaten kardiovaskuläre Komplikationen, ohne die Spitaltage oder die Sicherheitsereignisse zu erhöhen. Diese Ergebnisse hätten das Potenzial, die klinische Praxis zu verändern, so das Fazit des Studienleiters. Die Studie wurde zeitgleich mit der Präsentation am Kongress im «New England Journal of Medicine» publiziert (1). s
Valérie Herzog
Quelle: «Hotline HOME-PE», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 28. August bis 2. September 2020, virtuell.
Referenz: 1. Kirchhof P et al.: Early rhythm-control therapy in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2020 Aug 29; doi: 10.1056/NEJMoa2019422.
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