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EULAR
Ziele der antirheumatischen Therapie
Remission – was bedeutet das eigentlich?
Das primäre Therapieziel im Sinne einer Treat-to-target-Strategie ist Remission. Unklar ist allerdings, wie Remission im klinischen Alltag gemessen werden soll und wie weit sich die verschiedenen in Verwendung befindlichen Kriterien für Remission hinsichtlich ihrer prognostischen Wertigkeit unterscheiden.
Remission ist im Falle entzündlich rheumatischer Erkrankungen definiert als das Fehlen von Zeichen und Symptomen entzündlicher Krankheitsaktivität. Zwar liegen mittlerweile zahlreiche Studien vor, die die Sinnhaftigkeit des Treat-to-target-Konzepts belegen, doch sind Daten zur Aussagekraft der verschiedenen Definitionen von Remission rar. Gerade bei niedriger Krankheitsaktivität stelle sich, so Prof. Laure Gossec aus Paris (F), die Frage, wo man die Grenze ziehen und einen Zustand der Remission definieren solle. In aller Regel werden dafür Scores verwendet, von denen DAS28 (Disease Activity Score 28), SDAI (Simplified Disease Activity Index) und CDAI (Clinical Disease Activity Index) die bekanntesten sind. Das stringenteste Kriterium ist die 2011 von EULAR und ACR eingeführte «boolean remission». Der Begriff bezieht sich auf die Boolsche Variable (Schaltvariable), einen Begriff aus der Algebra, der in der Informatik für eine Variable verwendet wird, die nur zwei Werte annehmen kann. Im konkreten Fall heisst das, dass alle geforderten Kriterien erfüllt sein müssen, damit von Remission gesprochen werden kann (1). Neben der klinischen Definition könnte Remission auch über immunologische Parameter, Biomarker oder Bildgebung definiert werden. Entsprechende Scores und Kriterien wurden definiert, sind in der Praxis gegenwärtig jedoch allenfalls für Forschungszwecke relevant.
Unterschiedliche Scores führen zu unterschiedliche Remissionsraten
Als «core set» von klinischen Kriterien für Remission wurden bereits vor Jahrzehnten die Zahl der schmerzhaften und geschwollenen Gelenke, Akute-Phase-Proteine (in der Regel CRP) und die Einschätzung durch den Behandler definiert. Später kamen Variable der Selbsteinschätzung des Patienten (Schmerz, Gesamtzustand, Funktion) und schliesslich Fatigue hinzu. Diese Komponenten sind in unterschiedlicher Form und Zahl in die verschiedenen Scores eingeflossen. Die verschiedenen Scores überlappen einander zum Teil, weichen teilweise aber auch voneinander ab. Folglich zeigte eine Analyse von 31 Studien mit mehr als 80 000 Patienten, dass Remission nach den verschiedenen Scores von einem jeweils sehr unterschiedlichen Prozentsatz der Patienten erreicht
wird. Dieser ist mit bis zu 40 Prozent für den DAS28 am höchsten und mit 6 bis 10 Prozent für die Boolean Remission am niedrigsten. SDAI und CDAI liegen dazwischen (2). Damit stelle sich, so Gossec, automatisch die Frage, welcher Score der beste ist. Insbesondere dem DAS 28 werde vorgeworfen, die Zahl der Patienten in Remission zu überschätzen, da auch in DAS-Remission eine nicht zu unterschätzende residuale Krankheitsaktivität vorhanden sein kann, die sich in schmerzenden und/oder geschwollenen Gelenken äussert. Allerdings betonte Gossec den hohen prognostischen Wert des DAS28, der es als einziger der diversen Scores bislang in den klinischen Routinebetrieb geschafft hat, während die übrigen Scores vor allem in klinischen Studien zum Einsatz kommen. SDAI und CDAI sind im Vergleich stringenter und nicht so leicht durch Veränderungen des CRP-Spiegels zu beeinflussen. Die amerikanischen und europäischen Fachgesellschaften ACR und EULAR haben sich 2011 auf eine gemeinsame und sehr strenge Definition von Remission geeinigt. Diese kann entweder eine «boolean remission» sein, für die maximal ein geschwollenes Gelenk, maximal ein schmerzendes Gelenk, ein maximaler CRP-Spiegel von 1 mg/dl und eine Selbsteinschätzung des Patienten von maximal einem Punkt auf der globalen Visual-Analog-Skala (VAS) vorliegen dürfen. Alternativ kann Remission auch durch einen SDAI von maximal 3,3 Punkten definiert werden.
Langfristige Remission wichtiger als tiefe Remission
Dass Remission grundsätzlich zu besseren langfristigen Ergebnissen führt, ist naheliegend und unbestritten. Offen ist allerdings die Frage, ob bestimmte Definitionen von Remission mehr oder weniger relevant für das Outcome sind. Gossec verwies auf widersprüchliche Daten zur Frage, ob die sehr schwer erreichbare Remission nach den ACR/EULAR-Kriterien, im Vergleich zur leichter erreichbaren DAS28-Remission, auf lange Sicht tatsächlich klinische Vorteile bringt. Obwohl einige Studien Vorteile für die ACR/EULAR-Remission erkennen lassen, sei es, so Gossec, zu früh, um hier ein Urteil zu fällen. Tatsächlich zeigen Studiendaten sogar, dass es bei Patienten in DAS-Remission keinen Vorteil bringt, eine mög-
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lichst niedrige Punktezahl zu erreichen (3). Ein Nachteil des DAS28 CRP liegt in seiner hohen Sensitivität gegenüber Veränderungen des CRP. Kommen Medikamente zum Einsatz, die CRP besonders stark beeinflussen (IL-6-Inhibitoren, JAK-Inhibitoren), so besteht die Gefahr «falschpositiver» Remissionen. In der Praxis sei es laut Gossec wichtiger, überhaupt Remission zu erreichen, als sich um die Tiefe oder Definition der Remission zu sorgen. Werde die schwer zu erreichende ACR/EULAR-Remission angestrebt, so bestehe die Gefahr der Übertherapie, mit dem Risiko verstärkter Nebenwirkungen. idealerweise sollte es dauerhafte Remission sein, was als Remission über mindestens sechs Monate definiert ist. Gossec zieht es allerdings vor, erst ab einem Jahr von anhaltender Remission zu sprechen. Medikamentenfreie Remission wäre schliesslich das ultimative Therapieziel. Dieses wird allerdings nur von wenigen Patienten erreicht, wobei ein sehr früher Erkrankungsbeginn, das frühe Erreichen von Remission und das Fehlen von ACPA (Antikörper gegen citrullinierte Proteine) die Chancen verbessern.
Kein Vorteil durch Remissionskriterien auf Basis der Bildgebung
Intensiv diskutiert wurde in den vergangenen Jahren die Frage, ob es Sinn hat, chemische Biomarker (über das CRP hinaus) sowie die Bildgebung, konkret Ultraschall oder Magnetresonanztomografie (MRT), in die Definition von Remission einzubeziehen. Auch bei Patienten in klinischer Remission kann mittels Ultraschall oder MRT eine entzündliche Restaktivität in den Gelenken feststellbar sein. Die Frage sei nun, so Dr. Sofia Ramiro aus Leiden (NL), wie dies zu bewerten ist und ob das Erreichen einer «imaging remission» ein sinnvolles Therapieziel darstellt. Angestossen wurde die Diskussion durch eine Metaanalyse, die eine deutliche Assoziation von residualer Synovitis und dem Risiko von Flares und strukturellen Gelenkschäden fand (4). Ramiro wies allerdings darauf hin, dass in die Metaanalyse lediglich drei Studien eingingen und die Zahlen der Patienten und Ereignisse sehr gering waren. Daher müssten die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden – umso mehr, als die Ergebnisse in zwei der drei analysierten Studien nicht signifikant waren. Die Antwort liegt in randomisierten, kontrollierten Studien, die klinische Remission mit klinischer plus «imaging remission» vergleichen. Solche Studien wurden mittlerweile durchgeführt. In der TaSER-Studie wurden 111 Patienten mit neu diagnostizierter RA oder undifferenzierter Arthritis randomisiert entweder auf das Ziel einer DAS-28-Remission oder einer DAS28-Remission mit zusätzlicher Ultraschallremission (definiert als maximal ein positives Gelenk im PowerDoppler-US) hin behandelt. Die Studie zeigte, dass die zusätzliche Ultraschallkontrolle über 18 Monate zu intensiverer Therapie, dabei aber nicht zu besseren Ergebnissen führte. In beiden Studienarmen war die radiografische Progression minimal (5). Einem ähnlichen Studiendesign folgte die ARCTIC-Studie, mit dem Unterschied, dass hier ein kombinierter Endpunkt aus Remission ohne geschwollene Gelenke bei völligem Fehlen von radiografischer Progression nach 16 und 24 Monaten zum Einsatz kam. ARCTIC zeigte ebenfalls keinen Vorteil durch den Einsatz von Ultraschall in der Bewertung von
Remission. Auch hinsichtlich diverser sekundärer Endpunkte
sowie Toxizitäten der Therapie wurden keine signifikanten
Unterschiede zwischen den Gruppen gefunden (6). Bei zu-
sätzlicher Ultraschallkontrolle erhielten die Patienten jedoch
mehr Biologikatherapie, was nicht zuletzt die Therapiekos-
ten beträchtlich erhöhte. Ramiro betonte allerdings, dass der
Ultraschall im klinischen Alltag hilfreich sein kann, wenn es
um die Entscheidung für oder gegen eine lokale Steroidinjek-
tion geht.
Die IMAGINE-RA-Studie zeigte schliesslich, dass auch MRT
in der Bewertung der Remission keine Vorteile über die klini-
sche Bewertung hinaus bringt (7). Hintergrund dieser über-
raschenden Resultate dürfte die mangelnde Aussagekraft der
Bildgebung sein: So zeigen Studien, dass bei Ultraschallunter-
suchungen gesunder Probanden bei mehr als 80 Prozent Auf-
fälligkeiten im Ultraschall gefunden werden. Rund 10 Pro-
zent sind zumindest in einem Gelenk Power-Doppler-positiv
(8, 9). Es gäbe also, so Ramiro, keine klare Korrelation zwi-
schen Bildgebung und Pathologie. Folglich wird bei aktuel-
lem Kenntnisstand die Bildgebung auch weiterhin keine
Rolle in den Remissionskriterien spielen.
L
Reno Barth
Quelle: Clinical Science Session «How low should you go? What is the relevant tar-
get in T2T in rheumatoid arthritis?» beim Jahreskongress der European League
against Rheumatism (EULAR) 2019, am 15. Juni 2019 in Madrid.
Referenzen: 1. Felson DT et al.: American College of Rheumatology/European
League against Rheumatism provisional definition of remission in rheumatoid arthritis for clinical trials. Ann Rheum Dis 2011; 70(3): 404–413. 2. Yu C et al.: Remission rate and predictors of remission in patients with rheumatoid arthritis under treat-to-target strategy in real-world studies: a systematic review and meta-analysis. Clin Rheumatol 2019; 38(3): 727–738. 3. Burgers LE et al.: Does treatment strategy influence the ability to achieve and sustain DMARD-free remission in patients with RA? Results of an observational study comparing an intensified DAS-steered treatment strategy with treat to target in routine care. Arthritis Res Ther 2019; 21(1): 115. 4. Nguyen H et al.: Prevalence of ultrasound-detected residual synovitis and risk of relapse and structural progression in rheumatoid arthritis patients in clinical remission: a systematic review and meta-analysis. Rheumatology (Oxford) 2014; 53(11): 2110– 2118. 5. Dale J et al.: Targeting ultrasound remission in early rheumatoid arthritis: the results of the TaSER study, a randomised clinical trial. Ann Rheum Dis 2016; 75(6): 1043–1050. 6. Haavardsholm EA et al.: Ultrasound in management of rheumatoid arthritis: ARCTIC randomised controlled strategy trial. BMJ 2016; 354: i4205. 7. Møller-Bisgaard S et al.: Effect of Magnetic Resonance Imaging vs Conventional Treat-to-Target Strategies on Disease Activity Remission and Radiographic Progression in Rheumatoid Arthritis: The IMAGINE-RA Randomized Clinical Trial. JAMA 2019; 321(5): 461–472. 8. Padovano I et al.: Prevalence of ultrasound synovial inflammatory findings in healthy subjects. Ann Rheum Dis 2016; 75(10): 1819–1823. 9. Mangnus L et al.: Magnetic Resonance Imaging-Detected Features of Inflammation and Erosions in Symptom-Free Persons From the General Population. Arthritis Rheumatol 2016; 68(11): 2593–2602.
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