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EASD
GLP-1-Rezeptoragonisten
Prüfung auf Herz und Nieren
Fotos: vh
Vor 50 Jahren dachte man, dass sämtliche Komplikationen bei Typ-2-Diabetikern unter Blutzuckersenkung genetisch determiniert seien. Eine Blutzuckersenkung hatte lediglich das Ziel, hyperglykämische Symptome zu mildern. Heute haben sich die Ansprüche an eine antidiabetische Therapie radikal verändert. Eine zuverlässige Blutzuckersenkung wird vorausgesetzt, und neutrale bis protektive Effekte auf Herz und Nieren sind erwünscht.
Dr. Adrian Hernandez
Als in den frühen 1970er-Jahren eine Langzeitstudie (n = 1027) mit vier Antidiabetika (Tol-
butamid, Phenformin, zwei Insulinstrategien)
versus Plazebo (d.h. Diät) wegen ausserordent-
lich vieler kardiovaskuärer Todesfälle unter
dem Sulfonylharnstoff und unter dem Biguanid
nach 7 Jahren vorzeitig abgebrochen werden
musste (1), waren die Verwirrung und die da-
rauf folgende Kontroverse um diese Nebenwir-
kungen gross, wie Prof. Rury Holman, Univer-
sity of Oxford (GB), am EASD-Kongress be-
richtet. Das gab den Anstoss für die 20 Jahre
Prof. Neil Poulter
dauernde UKPDS-Studie bei neu diagnostizier-
ten Typ-2-Diabetikern, die vor 40 Jahren ihren
Anfang nahm. Diese gab mit ihren 21 vordefi-
nierten Endpunkten Aufschluss über vaskuläre
Nebenwirkungen von Diabetestherapien mit
den damals verfügbaren Antidiabetika Sulfo-
nylharnstoff, Metformin und Insulin. Die
Hälfte der Teilnehmer wiesen bereits bei Studi-
enaufnahme mikro- wie auch makrovaskuläre
Komplikationen auf. Eine der wichtigen Er-
kenntnisse der Studie war, dass vor allen die mi-
Prof. Katherine Tuttle
krovaskulären, aber auch die makrovaskulären Komplikationen mit Zunahme des HbA1c-
Werts anstiegen (2).
Heute ist die Typ-2-Diabetes-Therapie um viele Substanz-
klassen reicher. Zu den modernen Erfordernissen gehört es,
nicht nur den Blutzucker zuverlässig zu senken, sondern kar-
diovaskuläre Komplikationen nicht zu erhöhen, im besseren
Fall sogar zu reduzieren. Dies auch bei Patienten mit kardio-
vaskulären Erkrankungen und eingeschränkter Nierenfunk-
tion. Diesen Beweis haben in den letzten Jahren diverse GLP-
1-Hemmer angetreten.
Exenatid neutral
Exenatid, 1 × wöchentlich verabreicht, hat in der gross angelegten Nichtunterlegenheitsstudie EXSCEL (n = 14 752) nach 5 Follow-up-Jahren gezeigt, dass es bei Typ-2-Diabetikern mit und ohne vorbestehende kardiovaskuläre Erkrankung zwar seltener zu schweren kardiovaskulären Ereignissen (3-PMACE bzw. kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Myokardinfarkt, nicht tödlicher Hirnschlag) führt als die Standardtherapie, Exenatid ist dieser aber nicht überlegen (3). In einer
Subgruppenanalyse wurde zudem untersucht, ob sich Unterschiede je nach Nierenfunktion zeigen. Die Analyse ergab, dass bei Patienten mit moderater Nierenfunktion (eGFR [geschätzte glomeruläre Filtrationsrate] < 60 ml/min/1,73 m2) der kardiovaskuläre Einfluss von Exenatid neutral war und bei Patienten mit einer Nierenfunktion > 60 ml/min/1,73 m2 eine bescheidene Risikoreduktion eintrat (4), wie Dr. Adrian Hernandez, Duke University, Durham (USA) berichtete.
Liraglutid protektiv für Herz und Niere
Für den GLP-1-Rezeptoragonisten Liraglutid liegen ebenfalls kardiovaskuläre und renale Outcomedaten vor. Die kardiovaskuläre Outcomestudie LEADER belegte, dass Liraglutid 1,8 mg 1 × täglich zusätzlich zur Standardtherapie bei Typ-2Diabetikern (n = 9340) mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) dieses Risiko im Vergleich zur Standardtherapie nach 3,8 Jahren um 13 Prozent senkt (5). Es liegen auch Daten vor, wonach Liraglutid das Risiko für die Entwicklung einer Nephropathie oder die Verschlechterung einer solchen im Vergleich zu Plazebo reduziert (6). In einer am EASD-Kongress von Prof. Neil Poulter vorgestellten Post-hoc-Subgruppenanalyse ging es nun darum, die kardiovaskuläre Langzeitwirkung von Liraglutid bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (eGFR < 60 und > 60 ml/min/1,73 m2) oder Albuminurie ≥ 30 mg/g (Mikround Makroalbuimurie) und < 30 mg/g (Normoalbuminurie) zu untersuchen. Die Resultate zeigen, dass Liraglutid im Vergleich zur Standardtherapie die kardiovaskulären MACE-Ereignisse bei allen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz reduziert: Bei eGFR < 60 betrug die Hazard Ratio (HR) 0,69; bei eGFR ≥ 60 war die HR 0,94; bei Patienten mit Mikro- oder Makroalbuminurie lag die HR bei 0,83; mit Normoalbumnurie bei 0,92. Ein ähnliches Bild ergab sich auch für weitere kardiovaskuläre Ereignisse wie Hospitalisierung infolge Verschlechterung der Herzinsuffizienz, Angina pectoris, koronare Revaskularisationen sowie für die Gesamtsterblichkeit. Dabei war das Risiko für schwere Nebenwirkungen und Hypoglykämien unter Liraglutid im Vergleich zu Plazebo ungeachtet des eGFR-Ausgangswerts und des Albuminuriestatus reduziert, so Poulter. Laut Poulter kann demnach Liraglutid bei Typ-2-Diabetikern mit und ohne chronische Niereninsuffizienz das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren, ohne dabei das
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Risiko für schwere Nebenwirkungen zu erhöhen (7). Die Subgruppenanalyse wurde zeitgleich mit der Präsentation am Kongress in «Circulation» publiziert (8).
Dulaglutid schont die Niere unabhängig vom Gewicht
Viele Antidiabetika werden über die Niere aus-
geschieden, was problematisch wird, wenn
Dr. Robert Silver
deren Funktion eingeschränkt ist. Der einmal wöchentlich verabreichte lang wirksame GPL-
1-Rezeptoragonist Dulaglutid wird nicht renal
ausgeschieden. Die multizentrische Open-label-
AWARD-7-Studie untersuchte während 52 Wo-
chen die Wirksamkeit und Sicherheit von Dula-
glutid plus Insulin lispro bei Patienten mit
moderater bis schwerer Niereninsuffizienz im
Vergleich zum Basalinsulin Insulin glargin plus
Insulin lispro. Dabei zeigte sich, dass sich die
eGFR in der Dulaglutidgruppe weniger stark
Dr. Marcel Muskiet
verringerte als im Insulin-glargin-Arm und das Gewicht signifikant stärker gesenkt wurde (9).
Weil unter GLP-1-Rezeptoragonisten eine Ge-
wichtsreduktion zu sehen ist, kam die Frage auf, ob sich eine
solche auf die eGFR auswirken kann. Denn ein Gewichtsver-
lust kann den Serumkreatininspiegel erhöhen, wenn er ver-
mehrt infolge sinkender Muskelmasse als Fettreduktion zu-
stande kommt. Das beeinflusste die Berechnung der eGFR
und es resultierten tiefere Werte, berichtet Prof. Katherine
Tuttle, University of Washington, Spokane (USA). In der von
ihr präsentierten Post-hoc-Analyse wurde untersucht, ob die
in der AWARD-7-Studie beobachteten geringeren eGFR-
Werte in der Dilaglutidgruppe mit der Gewichtsreduktion zu-
sammenhängen. Anhand von Cystatin C, einem relativ neuen
und muskelmassenunabhängigen Marker für eGFR, konnte
festgestellt werden, dass keine signifikante Korrelation zwi-
schen der eGFR und dem Gewichtsverlust besteht, unabhän-
gig davon, wie dieser zustande gekommen ist (10).
Semaglutid kardio- und möglicherweise auch renoprotektiv
Der lang wirksame, einmal wöchentlich zu verabreichende GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutid hat in der kardiovaskuläre Nichtunterlegenheits-Outcome-Studie SUSTAIN-6 bei Typ-2-Diabetikern mit hohem kardiovaskulärem Risiko nicht nur seine kardiovaskuläre Unbedenklichkeit, sondern auch eine kardiovaskulär protektive Wirkung unter Beweis gestellt. Im Vergleich zur Standardtherapie reduzierte sich das Risiko für MACE unter Semaglutid nach 104 Wochen um 26 Prozent (HR: 0,74) (11). Einer der vordefinierten sekundären Endpunkte betraf die Entwicklung einer Nephrophathie oder die Verschlechterung einer solchen. In der von Dr. Robert Silver, Southern New Hampshire Diabetes and Endocrinology, Nashua (USA), am Kongress präsentierten Post-hoc-Analyse ging es um den Effekt von Semaglutid auf die Nierenfunktion je nach eGFR bei Baseline. Die Teilnehmer dieser Subgruppe wurden in eGFRKlassen eingeteilt: normal (> 90 ml/min/1,73 m2), milde Einschränkung (60–90); moderate Einschränkung (≥ 30–60) schwere Einschränkung (≤ 30). Die Auswertung zeigte, dass
die eGFR in den ersten beiden Gruppen (normal und milde Einschränkung) anfänglich etwas stärker abfiel, die Kurve sich jedoch mit der Zeit auf Plazeboniveau annäherte. In den Gruppen mit moderater und starker Einschränkung der Nierenfunktion stieg die eGFR anfänglich etwas an und fiel dann weniger stark ab als unter Plazebo. Unter Semaglutid zeigte sich auch eine Reduktion der Albuminurie, gemessen anhand des Albumin-Kreatinin-Quotienten. Das Auftreten einer Nephropathie oder die Verschlechterung einer schon bestehenden ereignete sich in der Semaglutidgruppe signifikant seltener als unter Plazebo (3,8 vs. 6,1%). Dies hauptsächlich wegen eines verringerten Neuauftretens einer Makroalbuminurie (12), so Silver. Unter Semaglutid traten keine die Niere betreffenden Sicherheitsvorbehalte auf, unabhängig von der Ausgangs-eGFR. Aufgrund dieser Ergebnisse scheint Semaglutid nicht nur kardio-, sondern auch renoprotektive Effekte zu haben, so Silver abschliessend.
Lixisenatid kardioneutral
Mit der ELIXA-Studie (n = 6068) lieferte Lixisenatid als wei-
terer GLP-1-Rezeptoragonist kardiovaskuläre Langzeitdaten
über 108 Wochen. Als primärer Endpunkt war die Kombina-
tion von kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Hirn-
schlag und Hospitalisation infolge instabiler Angina bei
Patienten mit kürzlich erlittenem akutem Koronarsyndrom
(ACS) definiert. Die Zugabe von Lixisenatid zur Standard-
therapie unterschied sich in Bezug auf 4-P-MACE oder an-
dere schwere Nebenwirkungen nicht signifikant von der
Standardtherapie allein. Lixisenatid senkt den Blutzucker bei
Patienten mit kürzlich erlittenem ACS demnach kardio-
neutral (13).
Post-hoc-Analyse-Ergebnisse, wie sich Lixisenatid auf die
Nierenfunktion auswirkt, präsentierte Dr. Marcel Muskiet,
University Medical Center, Amsterdam (NL), am Kongress.
74 Prozent der Patienten hatten anfänglich eine Normoalbu-
minurie, 19 Prozent eine Mikroalbuminurie und 7 Prozent
eine Makroalbuminurie. Die Patienten mit Makroalbumin-
urie wiesen die längste Krankheitsdauer auf und am häufigs-
ten eGFR-Werte zwischen 30 und 60 ml/min/1,73 m2.
Es zeigte sich, dass die eGFR mit zunehmender Studiendauer
erwartungsgemäss abfiel. Dies war in beiden Studienarmen
der Fall. Am wenigsten bei den Patienten mit Normo- und
Mikroalbuminurie und am meisten bei jenen mit Makroal-
buminurie. Die Veränderungen unterschieden sich in der
Lixisenatidgruppe nicht signifikant von der Standardthera-
piegruppe. Die Messwerte des Albumin-Kreatinin-Quotien-
ten belegten jedoch eine Reduktion der Albuminurieprogres-
sion in der Lixisenatidgruppe, signifikant vor allem in der Pa-
tientengruppe mit Makroalbuminurie (14).
Bei Patienten ohne schwere Nierenfunktionsstörung (eGFR >
30) und einem kürzlich erlittenen ACS verbessert eine zusätz-
liche Therapie mit Lixisenatid die Mikro- beziehungsweise
Makroalbuminurie-Last über die glykämische Kontrolle hin-
aus, so das Fazit von Muskiet.
L
Valérie Herzog
Quelle: «GLP1 receptor agonists, SGLT2 inhibitors and the kidney: new lessons from large clinical trials», Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2018, 1. bis 5. Oktober in Berlin.
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