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Rheuma Top
Update zur Trigeminusneuralgie
Membranstabilisierung steht im Vordergrund der medikamentösen Therapie
Die Trigeminusneuralgie zeichnet sich durch heftige, oft elektrisierende Schmerzattacken aus. Die weiteren Charakteristiken dieser Erkrankung sowie ihre Behandlung waren Thema eines Workshops unter der Leitung von Prof. Hans H. Jung, Zürich. Seine Ausführungen untermalte er mithilfe von persönlichen Erfahrungen im Umgang mit Betroffenen.
Wie Jung erläuterte, gebe es für den Neurologen zwei Klassen neurogener Schmerzen. Auf der einen Seite steht der neuropathische Schmerz, der sich als Dauerschmerz in einem distinkten Nervenausbreitungsgebiet (peripher, radikulär oder zentral) äussert. «Seine Qualität wird von den Betroffenen als brennend, bohrend oder reissend beschrieben. Dieser Schmerz tritt oft nachts auf und verstärkt sich in Ruhe», erläuterte Jung. Klinisch und/oder elektrophysiologisch seien Zeichen einer Nervendysfunktion nachweisbar. «Auf der anderen Seite steht die Neuralgie, quasi eine Sonderform des neuropathischen Schmerzes», führte Jung weiter aus. «Diese äussert sich als heftiger, einschiessender, kurz dauernder, oft elektrisierender Schmerz im Ausbreitungsgebiet eines sensiblen Nervs.»
Idiopathische und symptomatische Trigeminusneuralgie
«Die häufigste Neuralgie stellt sicherlich die Trigeminusneuralgie dar», so Jung weiter. Dabei werde zwischen einer idiopathischen und einer symptomatischen Form unterschieden. Eine symptomatische Trigeminusneuralgie kann sich im Rahmen verschiedener Erkrankungen, so zum Beispiel einer Multiplen Sklerose, eines Herpes zoster oder auch eines Hirntumors entwickeln. «Die idiopathische Trigeminusneuralgie tritt meist im höheren Lebensalter, so ab 60, auf», erklärte der Neurologe. Die typischen Schmerzen können spontan auftreten oder durch einen Trigger ausgelöst werden, so zum Beispiel durchs Kauen, Schlucken oder Reden. «Es kann so weit gehen, dass Patienten mit einer Trigeminusneuralgie hospitalisiert werden müssen, weil sie nicht mehr essen können und nicht mehr genügend Flüssigkeit zu sich nehmen. Manche entwickeln gar Suizidgedanken», gab Jung zu bedenken. Das Auftreten der Schmerzen kann bei der idiopathischen Trigeminusneuralgie schubweise erfolgen. «Es gibt Patienten, deren Schmerzen weisen eine Saisonalität auf, treten also zum Beispiel immer im Herbst auf», berichtete Jung. Bei vielen Betroffenen lässt sich im Kleinhirn-Brückenwinkel ein pathologischer Kontakt zwischen dem Nervus trigeminus und der Arteria cerebelli superior feststellen. Dieser Kontakt führt zu einer Irritation der Nervenwurzel.
Medikamentöse Therapie der Trigeminusneuralgie
«Bei neurogenen Schmerzen zeigen die üblichen Analgetika, wie sie zum Beispiel das WHO-Stufenschema vorsieht, keine oder nur eine vorübergehende Wirkung», erklärte Jung. Vielmehr würden in diesen Fällen membranstabilisierende Medikamente zum Einsatz kommen, so beispielsweise Oxcarbazepin, Pregabalin, Gabapentin oder Lamotrigin. «Gerade bei Patienten mit nächtlichen Attacken wirkt auch Clonazepam, zur Nacht oder bei Bedarf einzunehmen, gut», fügte der Neurologe an. Neben den Membranstabilisatoren kommen bei einer Trigeminusneuralgie auch schmerzdistanzierend wirkende Substanzen zum Einsatz. «Besonders zum trizyklischen Antidepressivum Amitriptylin liegen uns mittlerweile sehr gute Daten vor. Es weist eine sehr niedrige Number needed to treat auf», so Jung. Ein Nachteil sei jedoch, dass trizyklische Antidepressiva unter anderem mit Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Schwindel, Müdigkeit, Mundtrockenheit und Herzrhythmusstörungen einhergehen können. «Gerade bei älteren Patienten sollten wir daran denken, dass es über die anticholinerge Wirkung der trizyklischen Antidepressiva zu einer Verschlechterung der Kognition oder zu psychischen Störungen kommen kann», betonte Jung. Als Alternativen empfahl er Mirtazapin, Venlafaxin und Fluoxetin. «Es stehen uns also verschiedene Antidepressiva für Patienten mit einer Trigeminusneuralgie zur Verfügung», so Jung. Dies sei auch gut so, da eine Schmerzerkrankung nicht nur häufig von Schlafstörungen begleitet werde, sondern oft auch zu einer Depression führen könne. «Die Wahl des individuell am besten geeigneten Therapeutikums sollte dann auf dem klinischen Profil eines Patienten und den theoretisch möglichen Nebenwirkungen einer Substanz basieren», schloss Jung.
Therese Schwender
Quelle: Rheuma Top 2017, 24. August 2017 in Pfäffikon.
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