Transkript
Gicht – Update zu Diagnose und Therapie
Ziel ist ein Harnsäurewert im unteren Normbereich
Rheuma Top
Die Bedeutung der Gicht hat in den letzten Jahren wieder zugenommen. Die Prophylaxe weiterer Schübe beinhaltet neben nicht medikamentösen Massnahmen den Einsatz von Urikostatika mit dem Ziel, den Serumharnsäurespiegel auf einen Wert von unter 360 bis 300 µmol/l zu senken.
Der Rheumatologe Dr. Andreas Krebs aus Kloten wies als Einstieg ins Thema «Gicht» darauf hin, dass es sich hier wohl um eine schon sehr lange existierende Erkrankung handelt – so hat man in den USA doch Handknochen von einem Tyrannosaurus Rex mit Veränderungen gefunden, die als typische Gichterosionen beurteilt wurden (1).
Pathophysiologie und Prävalenz der Gicht
Gicht ist charakterisiert durch die Einlagerung von Kristallpartikeln (Natrium-Urat) in die artikulären und/oder periartikulären Strukturen. Krebs erinnerte an diesem Punkt kurz an die Pathophysiologie der Gicht: Beim Abbau der Nukleinsäuren entsteht Xanthin, das durch die Xanthinoxidase zu Harnsäure umgebaut wird. Um diese in Allantoin umzuwandeln, das über den Harn ausgeschieden werden kann, ist das Enzym Uricase notwendig. «Dieses Enzym fehlt jedoch allen Primaten und einigen Reptilien», erläuterte Krebs. «Bei uns Menschen wird daher über die Niere Harnsäure ausgeschieden, diese aber zu einem grossen Teil in den Tubuli wieder rückresorbiert.» Weshalb dies so ist, konnte bisher nicht geklärt werden. «Anscheinend war es irgendwann in der Evolution von Vorteil, möglichst wenig Harnsäure auszuscheiden.» Als Hyperurikämie wird meist ein Spiegel von > 420 µmol/l (7 mg/dl) definiert (laborabhängig). «In den meisten Fällen einer Hyperurikämie wird zu wenig ausgeschieden. Es ist selten der Fall, dass allein eine erhöhte Zufuhr über die Nahrung dafür verantwortlich ist.» Untersuchungen aus Grossbritannien zeigen, dass die Prävalenz und Inzidenz der Gicht in den letzten Jahren zugenommen hat (2). «Generell ist zu sagen, dass die Gicht mit steigendem Alter zunehmend häufiger auftritt. Frauen sind seltener betroffen als Männer. Allerdings nimmt diese Differenz ab dem Zeitpunkt der Menopause ab, da dann der günstige Einfluss von Östrogen auf die Harnsäureausscheidung wegfällt», erläuterte Krebs.
Verschiedene klinische Manifestationen
Eine Gicht kann sich klinisch unterschiedlich manifestieren. Neben einer asymptomatischen Hyperurikämie (häufig zusammen mit einer Hypertonie/einem metabolischen Syndrom) kann es zu einem akuten Gichtanfall, einer chronischen Gicht und viszeralen Manifestationen kommen. Der akute Gichtanfall äussert sich meist als akute, mit einer Rötung einhergehenden Monarthritis. «In über 50 Prozent der Fälle ist dabei das Grosszehengrund-
gelenk betroffen, am zweithäufigsten das Knie oder das obere Sprunggelenk», erklärte der Redner. Seltener komme es zu einer akuten Bursitis oder Tendovaginitis. Häufiger als bisher angenommen sei zudem die Wirbelsäule betroffen. «Bei älteren Patienten verläuft die Erkrankung manchmal weniger entzündlich und befällt vor allem Fingergelenke mit Arthrose, was die Abgrenzung gegenüber einem Arthroseschub schwierig machen kann.» Wie Krebs weiter betonte, sei der Serumharnsäurespiegel im akuten Anfall paradoxerweise oft normal. Als auslösende Faktoren für einen akuten Gichtanfall kommen purinreiche Mahlzeiten, Fasten, Medikamente, Stress, akute Erkrankungen oder auch Dehydrierung in Betracht. Bei der chronischen Gicht sind Uratablagerungen (Tophi) in den Weichteilen periartikulär (und Knochen), in Schleimbeuteln, Sehnenscheiden, im Karpalkanal oder an der Ohrmuschel zu finden. Seltener kommt es zu einer chronisch-destruktiven Gichtarthropathie.
Die Gichtdiagnose
Anhand eines Fallbeispiels erläuterte Krebs anschliessend das diagnostische Vorgehen bei Verdacht auf Gicht. «Der Goldstandard hier ist nach wie vor der Kristallnachweis in der Gelenkflüssigkeit oder im Punktat eines Tophus», betonte er. In der Praxis sei jedoch das Punktieren kleiner Gelenke manchmal nicht so einfach. «Die Sensitivität und Spezifität des Kristallnachweises ist zudem in Grosslabors oft ungenügend. Ausserdem zerfallen die
Tabelle 1:
Klinische Diagnose der Gicht
> 1 akute Arthritis mono- oder oligoartikuläre Attacken Schmerz und Schwellung perakut (< 24 h) Podagra Erythem Tarsitis Tophi Hyperurikämie
Sind 4 oder mehr der oben genannten Parameter erfüllt, liegt die Diagnose «Gicht» mit einer Sensitivität von 97 Prozent und einer Spezifität von 95 Prozent vor (3).
CongressSelection Rheumatologie • November 2017 • 27
Rheuma Top
EULAR: Kombinationstherapie mit Urikosurikum als neue Strategie
Bereits auf dem Jahreskongress der European League against Rheumatisms (EULAR) hatte
Prof. Alexander So aus Lausanne den urikosurischen Wirkstoff Lesinurad aus der Gruppe
der URAT1-(Urate Transporter 1)-Inhibitoren vorgestellt, der in Kombination mit einem Xan-
thinoxidase-Hemmer (Allopurinol, Febuxostat) zur Behandlung von Gicht und Hyperurikämie
eingesetzt werden könne. Lesinurad wurde 2015 von der FDA, 2016 von der EMA zugelassen
und wird ab Anfang nächsten Jahres als Zurampic® auch in der Schweiz erhältlich sein.
In der Studie CLEAR 2 konnte gezeigt werden, dass durch die Kombination von Lesinurad
plus Allopurinol 55 Prozent der Patienten nach sechsmonatiger Therapie den SUA-Zielwert
erreichten; unter Allopurinol-Monotherapie waren es etwa 25 Prozent (1). Urikosurika könn-
ten die Harnsäure ebenso effektiv senken wie Xanthinoxidase-Hemmer, sagte So. Die EULAR-
Empfehlungen bewerten Urikosurika als Alternative zu Allopurinol, falls dieses nicht genom-
men werden kann.
AZA
Referenz: 1. Bardin T et al.: Lesinurad in combination with allopurinol: a randomised, double-blind, placebo-controlled study in patients with gout with inadequate response to standard of care (the multinational CLEAR 2 study). Ann Rheum Dis 2017; 76(5): 811–820.
Quelle: Hot session «Gout and microcrystal arthritis» beim Annual European Congress of Rheumatology (EULAR 2017), 14. bis 17. Juni 2017 in Madrid.
Kristalle recht rasch. Die Probe muss also noch am Tag der Entnahme ins Labor. Als Alternative kann ein Ausstrich gemacht und eingeschickt werden.» Besteht keine Möglichkeit einer Punktatuntersuchung, können auch klinische Kriterien zur Diagnose herangezogen werden (Tabelle1) (3). Auch bildgebende Verfahren sind diagnostisch hilfreich. Dabei hat sich insbesondere der Nachweis von Uratablagerungen im hochauflösenden Ultraschall oder im Dual-Energy-CT (DECT) als spezifisch erwiesen. «Die typische Doppelkontur im hochauflösenden Ultraschall ist sehr spezifisch für Gicht. Ebenso das DECT, allerdings kann dieses bei kleinen Tophi falsch negativ sein.» Erst nach rezidivierenden Gichtanfällen im selben Gelenk lassen sich im konventionellen Röntgenbild typische Veränderungen (runde wie ausgestanzte Erosionen beim meist erhaltenem Gelenkspalt) feststellen.
Akuttherapie und Prophylaxe weiterer Schübe
Die Therapie eines akuten Gichtanfalls umfasst nicht steroidale Antirheumatika und intraartikuläre Steroidinfiltrationen. Vereinzelt werde auch Colchizin – 0,5 mg stündlich bis maximal 3 mg pro Tag – eingesetzt, berichtete Krebs. Zur Prophylaxe weiterer Gichtschübe eignen sich verschiedene Massnahmen. Als nicht medikamentöse Massnahme ist bei adipösen Patienten eine Gewichtsreduktion angezeigt (4). «In der Ernährung sollte bei Gichtpatienten generell eine Umlagerung weg von Fleisch und Fisch hin zum Konsum von mehr Milchprodukten stattfinden», so Krebs. Ausserdem sollte genügend Flüssigkeit zugeführt werden, darunter aber wenig Alkohol (vor allem kein Bier) und keine Getränke mit hohem Fruktosegehalt (Fruchtsäfte, Süssgetränke) (5, 6). Der regelmässige Konsum von Kaffee (< 4 Tassen pro Tag) hat sich dagegen als günstig erwiesen (7). «Im Weiteren gilt es Medikamente zu vermeiden, welche die Harnsäure erhöhen. Dazu gehören zum Beispiel Diuretika, Ciclosporin und niedrig dosiertes Aspirin.» Bei mehr als einem bis drei Anfällen pro Jahr, bei tophöser Gicht, Niereninsuffizienz, Gelenkdestruktion oder Uratsteinen ist eine medikamentöse Basistherapie angezeigt. «Das Ziel ist dabei eine Senkung des Serumharnsäurespiegels in den unteren Normbereich, das heisst
unter 360 µmol/l beziehungsweise bei Tophi unter 300 µmol/l», betonte Krebs. Er habe in letzter Zeit häufig beobachten können, dass sich beispielsweise bei Patienten mit einer leichten Niereninsuffizienz nach Senkung des Harnsäurespiegels die Nierenfunktion verbessert habe. Die Datenlage zu diesem Punkt sei im Moment jedoch noch nicht schlüssig (8, 9). Als medikamentöses Basistherapeutikum der ersten Wahl gilt das Urikostatikum Allopurinol (50–100 mg/Tag bei normalem Kreatinin, schrittweise Steigerung alle 3 bis 4 Wochen bis zum Erreichen des Zielwerts, max. 600–800 mg/Tag). Die Therapie sollte ausserhalb eines akuten Schubs beginnen. «Denn sobald wir den Harnsäurespiegel beeinflussen, sei es nach unten oder oben, kann es zu einem erneuten Schub kommen», begründete Krebs diese Vorgehensweise. Wichtig sei daher, dass die Patienten bei Beginn der Therapie entsprechend informiert würden. Bei bestehender Niereninsuffizienz ist die Dosierung von Allopurinol anzupassen. Krebs erinnerte weiter daran, dass das Urikostatikum die Wirkung von Azathioprin, Ciclosporin und Antikoagulantien erhöht. «In sehr seltenen Fällen, bei unter 0,1% der Patienten, kann es unter Allopurinol zu einem potenziell letalen Hypersensitivitätssyndrom mit Fieber, einer schweren Hautreaktion, Hepatitis, Eosinophilie und einer akuten Niereninsuffizienz kommen.» Das Risiko sei bei höheren Startdosen und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion höher. «Deshalb gilt bei Allopurinol: Start low and go slow», meinte er. Als Alternative zu Allopurinol kann der selektive Xanthinoxidasehemmer Febuxostat eingesetzt werden. Die Startdosis beträgt hier 40 mg/Tag. Bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer Nierenfunktionseinschränkung ist keine Dosisanpassung erforderlich (10). «Febuxostat weist zudem kein Risiko für ein Hypersensitivitätssyndrom auf», erklärte Krebs. Abschliessend wies der Redner noch darauf hin, dass als Urikosurikum in der Schweiz zur Zeit nur Probenecid verfügbar ist. «Auch hier ist an Interaktionen zu denken. So erhöht Probenecid zum Beispiel die Plasmaspiegel von Betalaktam-Antibiotika, Chinolonen, Tuberkulostatika, Sulfonylharnstoffen, NSAR und anderen Medikamenten.» Zudem ist es bei eingeschränkter Niereninsuffizienz kontraindiziert.
Therese Schwender
Referenzen: 1. Rothschild BM et al.: Tyrannosaurs suffered from gout. Nature 1997; 387: 357. 2. Kuo CF et al.: Rising burden of gout in the UK but continuing suboptimal management: a nationwide population study. Ann Rheum Dis 2015; 74: 661–667. 3. Vázquez-Mellado J et al.: The diagnostic value of the proposal for clinical gout diagnosis (CGD). Clin Rheumatol 2012; 31: 429–434. 4. Choi HK et al.: Obesity, weight change, hypertension, diuretic use, and risk of gout in men: the health professionals follow-up study. Arch Intern Med 2005; 165: 742–748. 5. Choi HK et al.: Alcohol intake and risk of incident gout in men: a prospective study. Lancet 2004; 363: 1277–1281. 6. Choi HK et al.: Fructose-rich beverages and risk of gout in women. JAMA 2010; 304: 2270-2278. 7. Choi HK et al.: Coffee consumption and risk of incident gout in men: a prospective study. Arthritis Rheum. 2007; 56: 2049–2055. 8. Eleftheriadis T et al.: Asymptomatic hyperuricemia and chronic kidney disease: Narrative review of a treatment controversial. J Adv Res 2017; 8: 555–560. 9. Tsai CW et al.: Serum Uric Acid and Progression of Kidney Disease: A Longitudinal Analysis and Mini-Review. PLoS One 2017; 12: e0170393. 10. Fachinformation Adenuric® (Febuxostat). www.swissmedicinfo.ch
Quelle: Rheuma Top 2017, 24. August 2017 in Pfäffikon.
28 • CongressSelection Rheumatologie • November 2017