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Expertentipps zum Management chronischer Schmerzen in der Rheumatologie
Bildgebung hilft oft nicht weiter
Patienten mit chronischen Schmerzen sind oft schwierig – und auch schwierig zu behandeln. Das kann an ihrer Persönlichkeit liegen, aber auch an der Komplexität der Schmerzverarbeitung. Oder an nicht schlüssigen Befunden. Oder an Therapien, die nicht anschlagen.
«Zunächst sollte man sich vergegenwärtigen, wo Schmerz stattfindet», sagte Prof. Thomas Hügle, Chef du Service de rhumatologie, CHUV, Lausanne, «dabei bleibt die Unterscheidung zwischen nozizeptivem, neuropathischem und zentralem Schmerz wichtig.» Dies hat auch praktische Konsequenzen, da bei nozizeptivem und bei neuropathischem Schmerz verschiedene Medikamente zum Einsatz kommen. Schon durch periphere Regelkreise im Bereich des Rückenmarks kann es zu einer peripheren Schmerzverstärkung kommen. Auch ein Schmerzgeschehen in der Peripherie, zum Beispiel bei Kniegelenkarthrose, hat aber immer eine zentrale Komponente. Diese ist sehr komplex und kann eine zentrale Verstärkung bewirken. In die zentrale Schmerzverarbeitung sind viele verschiedene Gehirnareale involviert, die als Schmerzmatrix zusammengefasst werden. Ein Aspekt ist das Schmerzgedächtnis (Thalamus, Hippocampus) mit engen Verbindungen zum limbischen System, das die Emotionen ins Spiel bringt, oder zu Hirnstammarealen, die schmerzassoziierte somatische Symptome (Schwitzen etc.) bewirken.
Nach Traumata forschen
Im funktionellen MRI erscheinen bei chronischen Schmerzen und psychischen Traumata ganz ähnliche Strukturen (Thalamus, Cingulum, Insula) aktiv. Es lohnt sich bei Patienten mit chronischen Schmerzen also immer, nach Traumata zu forschen, wobei zu bedenken ist, dass Personen aus fremden Kulturkreisen unter Umständen ganz andere Ereignisse als traumatisch erleben. In jedem Fall soll man sich fragen: Um welchen Patienten handelt es sich? Hier spielen Persönlichkeitsstörungen (histrionisch, narzisstisch, borderline, dissozial etc.) eine Rolle und neben dem kulturellen Hintergrund auch die berufliche, soziale und finanzielle Situation. Bei Patienten mit chronischen Schmerzen ist neben Traumata auch nach Stress, Problemen oder einem laufenden IV-Verfahren zu fragen.
Chronische Rückenschmerzen: Stufendiagnostik mittels Infiltration
Eine weitere nützliche Einteilung ist diejenige in lokale, regionale und generalisierte Schmerzsyndrome. Bei lokalen Syndromen hilft die Bildgebung oft weiter, bei generalisierten hat sie einen geringfügigen Stellenwert. In der Abklärung helfen einige einfache Fragen weiter. Sind die Schmerzen belastungsabhängig oder dauerhaft? Sind sie auslösbar? Waren nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wirksam? Liegen psychische Belastungen und vegetative Faktoren vor?
So lassen sich etwa bei Rückenschmerzen lumboradikuläre Syndrome erkennen und von lumbospondylogenen Leiden abgrenzen, bei denen die Facettengelenke betroffen sind, oder von pseudoradikulären Symptomen, die auch vom Iliosakralgelenk ausgehen können. Nicht immer ist die Unterscheidung sofort klar. Dann können lokale Kortikosteroidinjektionen den Anteil einer Struktur (z.B. Facettengelenk) recht einfach anzeigen. So kann eine Stufendiagnostik durch Infiltration erfolgen. Ein vorderer Rückenschmerz im Sitzen ist oft durch eine Osteochondrose bedingt, bei der Infiltrationen weniger gut wirken. Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen liegt in der Regel ein MRI vor, das eine immer zu beachtende Spinalkanalstenose erkennen lässt. Das SPECT-CT hilft dann, wenn sich – vor allem bei voroperierten Patienten – eine betroffene Struktur (z.B. Anschlussarthrose nach Stabilisierung) darstellen lässt, die einen weiteren operativen Therapieschritt erlaubt. Auch bei der Fragestellung nach einer Operation bei schwerem chronisch schmerzhaftem Bandscheibenschaden kann das SPECT-CT helfen. Diese Fragestellung bleibt aber extrem schwierig, räumte Hügle ein, und dies dürfte auch dazu führen, dass Patienten mit chronischen Schmerzen, die von einem chirurgischen Eingriff profitieren könnten, doch nicht operiert werden.
MRI kann täuschen
Bei Knieschmerzen sind gelegentlich erst im MRI kleine Herde von Knochenödem bei geringfügigem Knorpeldefekt in der Patella erkennbar, die sehr scherzhaft sein können. Dann steckt nicht selten eine Fehlstellung mit Lateralisierung der Patella dahinter, die mit einem orthopädischen Eingriff korrigiert werden kann. «Ein Knochenödem tut weh, aber der Umkehrschluss gilt nicht, dass bei fehlendem Schmerz kein Knochenödem vorliegen kann», ergänzte Hügle. Im MRI erkennt man oft Ergüsse, die nicht sicher einzuordnen sind. Auch bei Ergüssen in Facettengelenken ist nicht immer sicher, dass es sich um Flüssigkeit handelt. In einer Studie bei Spinalkanalstenosen wurden in Lausanne nach Operation die Facettengelenke histologisch untersucht, und es wurde nicht selten stark vaskularisiertes Pannusgewebe mit Nerveneinsprossungen gefunden, berichtete Hügle. Im MRI kann Pannusgewebe ebenso weiss erscheinen wie Flüssigkeit: «Wir wissen nicht, was wir sehen.»
Halid Bas
Quelle: Meet the Expert Session IV: «Behandlung des chronischen Schmerzes in der Rheumatologie» beim Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie, 7. September 2017 in Interlaken.
CongressSelection Rheumatologie • November 2017 • 21