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ERS
Tuberkulose – ein globales Gesundheitsproblem
Multiresistente Fälle nehmen zu
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Tuberkulosemortalität zwischen 1990 und 2015 um 45 Prozent gefallen. Trotz dieser erfreulichen Tatsache besteht das zunehmende Problem der multiresistenten TBC, das Patienten in die PräChemotherapie-Ära zurückschleudert.
Abbildung: Mycobacterium tuberculosis, kolorierte rasterelektronenmikroskopische Aufnahme (Foto: National Institute of Allergy and Infectious Diseases [NIAID])
Die TBC-Leitlinie online: http://cid.oxfordjournals.org/c ontent/early/2016/07/20/cid.c iw376.full.pdf+html
Weltweit infizieren sich jedes Jahr 8 Millionen Menschen neu mit Mycobacterium tuberculosis. 1,4 Millionen Menschen sterben jährlich an Tuberkulose (TB), von denen ein knappes Drittel HIV-positiv ist. «Damit ist global betrachtet TBC die häufigste Todesursache von HIV-Patienten», erklärte Prof. Andreas Henri Diacon aus Kapstadt/ Südafrika. Die Definition einer multiresistenten TBC (MDR-TB) ist erfüllt, wenn Patienten mindestens auf Isoniazid und Rifampicin nicht mehr ansprechen. Dies trifft insgesamt ungefähr ein Fünftel aller TB-Patienten. Prekär wird die Lage für Betroffene, wenn sie eine extrem arzneimittelresistente TB entwickeln (XDR-TB). Zusätzlich zu einer multiresistenten TB sprechen sie auch nicht mehr auf Fluorochinolone und injizierbare Therapeutika an. Diese Kriterien erfüllen ungefähr 9 Prozent der multiresistenten TB-Patienten. Innerhalb von drei Jahren versterben 60 Prozent von ihnen: Im Vergleich dazu lag die TB-Letalität vor dem Jahr 1900 bei 70 Prozent innerhalb von 10 Jahren. Die meisten Fälle an XDR-TB finden sich in sehr armen Ländern, doch selbst in Europa steigt die Zahl dieser Patienten.
Resistenzentwicklung aufgrund von Nonadhärenz
Dabei ist die Entstehung einer multiresistenten TB oft ein hausgemachtes Problem, das aus einer Mischung von ungeschicktem ärztlichem Vorgehen und einer mangelnden Therapieadhärenz von Patienten während einer TB besteht, die noch auf Arzneimittel anspricht. «Zwei Faktoren sind enorm wichtig, um die Ausbildung von Resistenzen zu vermeiden: Erstens behandeln Sie TB niemals mit einer Monotherapie und zweitens geben sie niemals nur eine einzelne Zusatzmedikation», erklärte Diacon. Denn rein mathematisch sei es quasi unmöglich, dass sich eine Resistenz gegen drei Substanzen zur selben Zeit ausbildet. Laut WHO soll die multiresistente TB mit mehr als vier Zweitlinien-TB-Arzneimitteln für einen Zeitraum von 18 bis 24 Monaten behandelt werden. So können 50 bis 60 Prozent der Fälle geheilt werden. Nach Ausführung von Diacon ist das sogenannte «Bangladesch-Regime» noch effizienter: Es besteht aus Kanamycin, Prothionamid, Isoniazid in hoher Dosis, Clofazimin, Moxifloxacin, Pyrazinamid und Ethambutol. Wird die Therapie 9 Monate durchgehalten, so erzielt sie eine Erfolgsrate von 85 Prozent.
Auch zwei Neuentwicklungen lassen hoffen, dass Patienten mit TBC künftig besser versorgt werden können: Mit Bedaquilin und Delamanid stehen erstmals seit 50 Jahren zwei neue Arzneimittel gegen TB-Infektionen zur Verfügung. Zudem zeigen neue Untersuchungen, dass β-Laktamantibiotika zumindest in vitro aktiv gegen Mycobacterium tuberculosis sind. Da immer mindestens drei Substanzen zeitgleich benötigt werden, könnte sich damit die Möglichkeit eines neuen Regimes auftun, so die Hoffnung von Diacon.
Neue TBC-Behandlungsleitlinie publiziert
Prof. Payam Nahid aus San Francisco/USA, Erstautor der aktualisierten gemeinsamen Therapieleitlinie der American Thoracic Society (ATS) und der European Respiratory Society (ERS), stellte in einer Sitzung wesentliche Neuerungen im Vergleich zur vorherigen Behandlungsleitlinie TB aus dem Jahr 2003 vor, die vor allem den Teil für HIV-Patienten und Kinder betreffen. Unverändert gilt die Dauer der TB-Behandlung, die grundsätzlich 6 Monate betragen soll. Alle Studien, die versuchten, diese Zeit zu verkürzen, waren erfolglos und führten zu einer höheren Anzahl an Rezidiven. Eine Ausnahme sind Erwachsene ohne HIV mit positivem Abstrich auf säurefeste Stäbchen, aber negativen TB-Kulturen. Bei ihnen ist die 4-monatige Behandlung ausreichend. Wesentliche Änderung im Vergleich zu 2003: Bei Koinfektionen mit TB und HIV sollte frühzeitig mit der antiretroviralen Therapie begonnen werden, da sich dies günstig auf den Verlauf beider Erkrankungen auswirkt. Die wirksamste Therapie besteht in der täglichen Einnahme einer Vierfachkombination – zu diesem Vorgehen wird daher in der Leitlinie geraten. Die einmal wöchentliche Therapie ist daher out: Ist die intensive erste Therapiephase mit täglicher Medikation abgeschlossen, kann die Erhaltungstherapie dreimal pro Woche stattfinden. Neu ist auch, dass Steroide bei TB-Perikarditis nicht mehr routinemässig indiziert sind.
Susanne Kammerer
Quellen: Vortrag «The new ATS and ERS TB treatment guidelines» von P. Nahid am 4. September sowie Vortrag «Novel drug regimen against MDR-TB» von A.H. Diacon am 6. September 2016, anlässlich des 26. Jahreskongresses der European Respiratory Society (ERS), 6. September 2016 in London.
42 • CongressSelection Pneumologie • November 2016