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Nicht röntgenologische Spondyloarthritis mit Biologika behandeln?
Neue Empfehlungen lassen eine Behandlung unter bestimmten Voraussetzungen zu
Foto: UB
Patienten mit axialer Spondyloarthritis haben oft über Jahre Beschwerden, ohne dass sich im Röntgenbild bereits strukturelle Veränderungen im Sakroiliakalgelenk nachweisen lassen. Allerdings zeigt sich bei vielen dieser Patienten die Sakroiliitis bereits frühzeitig im MRI. Man spricht dann von nicht röntgenologischer Spondyloarthritis. Neue Klassifikationskriterien und jüngste EULAR-Empfehlungen ermöglichen es, auch diese Patienten vermehrt zu behandeln. PD Dr. med. Adrian Ciurea, Klinik für Rheumatologie am Universitätsspital Zürich, informierte über den neuesten Stand der Erkenntnisse.
Adrian Ciurea
Die Spondyloarthritis umfasst eine Gruppe entzündlichrheumatischer Erkrankungen des Achsenskeletts, welche die Iliosakralgelenke, mitunter aber auch die Sehnenansätze und Gelenke einbeziehen kann. Prototyp der Erkrankung ist die Spondylitis ankylosans. Um eine eindeutige Diagnose stellen zu können, braucht man gemäss den New-York-Kriterien von 1984 neben der entsprechenden Klinik auch einen röntgenologischen Krankheitsnachweis. Allerdings vergehen vom Auftreten der ersten Beschwerden bis zu sichtbaren Röntgenveränderungen durchschnittlich etwa 9 Jahre, wie Ciurea unter Hinweis auf eine deutsche Kohortenstudie sagte, die im Wesentlichen auch den Erfahrungen in der SCQMKohorte* entspricht. Aus diesem Grund hat eine Expertenkommission der ASAS (Assessment of SpondyloArthritis International Society) neue Klassifikationskriterien entwickelt – mit dem Ziel, Patienten frühzeitiger zu erfassen. Die wesentliche Neuerung besteht darin, dass auch der MRIBefund in die Diagnostik einbezogen wird. Die ASAS-Kriterien für die Diagnose einer axialen Spondyloarthritis sind erfüllt, wenn • der Rückenschmerz seit mindestens 3 Monaten anhält • der Rückenschmerz vor dem 45. Lebensjahr aufgetre-
ten ist
• eine Sakroiliitis im MRI oder im Röntgenbild zu sehen ist
• mindestens ein weiterer typischer Parameter für eine Spondyloarthritis vorhanden ist oder anamnestisch vorlag.
Die Diagnose kann auch ohne (positiven) MRI-Befund gestellt werden, wenn HLA-B27 nachgewiesen wird und zwei weitere für die Spondyloarthritis typische klinische Parameter vorliegen (Abbildung 1). Die Kriterien berücksichtigen also auch Patienten, bei denen noch nicht von einer ankylosierenden Spondylitis gesprochen werden kann. In jedem Fall, betonte Ciurea, sei die Röntgenaufnahme des Beckens weiterhin nützlich, da nur mit dieser Untersuchung die Unterscheidung zwischen röntgenologischer und nicht röntgenologischer Spondyloarthritis getroffen werden könne und dies für die Prognose wichtig erscheint. Bei der nicht radiologischen Spondyloarthritis handle es sich nicht immer um eine Frühform der Erkrankung,
SPONDYLOARTHRITIS-PARAMETER
MRI der ISG (STIR-Sequenz) bei einer 32-jährigen Patientin mit entzündlichen Rückenschmerzen. Das Bild zeigt ein Knochenmarksödem im Sakrum, angrenzend an das rechte ISG, vereinbar mit einer akuten Sakroiliitis. (Bild: Adrian Ciurea)
• entzündlicher Rückenschmerz • periphere Arthritis • Enthesitis (Ferse) • Uveitis • Psoriasis • M. Crohn/Colitis ulcerosa • Daktylitis • gutes Ansprechen auf NSAR • positive Familienanamnese für SpA • positives HLA-B27 • CRP-Erhöhung
Abbildung 1: ASAS-Kriterien der axialen Spondyloarthritis (SpA; SpAParameter s. Tabelle links)
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Abbildung 2: Behandlungsablauf bei axialer Spondyloarthritis (nach EULAR, 2016); ASDAS: Ankylosing Spondylitis Disease Activity Score; BASDAI: Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index
die nach Jahren zwangsläufig in die radiologische Form übergehe, sagte der Zürcher Rheumatologe. In einer deutschen Kohortenstudie kommt es jährlich bei etwa 12 Prozent der Patienten zu einem Übergang in die radiologische Form, und in der schweizerischen SCQMKohorte fand sich eine Progression von 20 Prozent in 3 Jahren. Tatsächlich gibt es jedoch Patienten, die auch nach Jahrzehnten keine der typischen Röntgenveränderungen aufweisen. Wie viele Patienten das insgesamt sind, ist bis anhin nicht bekannt.
Frauen bleiben häufiger ohne Röntgenveränderungen
Was in den Kohortenstudien jedoch auffällt, ist vor allem ein markanter Unterschied in der Geschlechterverteilung: Unter den Patienten mit röntgenologischer Spondyloarthritis sind 70 Prozent Männer und 30 Prozent Frauen, bei der nicht röntgenologischen Spondyloarthritis sind Frauen und Männer gleich häufig vertreten. Ciurea wertete dies als klaren Hinweis darauf, dass eine Progression in die radiologische Form bei Frauen weniger häufig stattfindet. Aus klinischer Sicht unterscheiden sich nicht radiologische und radiologische Spondyolarthritis hinsichtlich des subjektiv empfundenen Schmerzes nicht, während die Patienten mit (röntgenologischer) Spondyloarthritis in Bezug auf Funktion und Beweglichkeit etwas schlechter abschneiden. Unterschiede sind auch anhand der objektiven Kriterien erkennbar: So treten vor allem häufiger erhöhte CRPWerte bei Patienten mit röntgenologischer Spondyloarthritis auf als bei jenen ohne Röntgenbefund.
Welche Patienten sollen behandelt werden?
Nichsteroidale Antirheumatika (NSAR) bleiben neben Physiotherapie weiterhin Therapie der ersten Wahl bei axialer Spondyloarthritis. Mindestens 2 Präparate sollten in genügender Dosierung über mindestens 1 Monat versucht werden. Bei ungenügendem Ansprechen standen
bisher allein TNF-alpha-Hemmer zur Verfügung. Studien haben gezeigt, dass bis zu 50 Prozent der Spondyloarthritispatienten auf diese Therapie ansprechen, gemessen anhand von vordefinierten ASAS-Kriterien. Diese Untersuchungen beziehen sich allerdings auf Patienten, welche den traditionellen New-York-Kriterien entsprachen. In der SCQM-Kohorte betrug die ASAS-40-Ansprechrate 48 Prozent nach einem Jahr, wobei teilweise zwei TNFHemmer zum Einsatz kamen. Wie aber sind die Erfolgsaussichten bei Patienten mit nicht röntgenologischer Spondyloarthritis? In der Ability-Studie zeigte sich unter dem TNF-Hemmer Adalimumab eine deutlich geringere Ansprechrate von 36 Prozent. Die Studienteilnehmer waren allerdings nicht vorselektioniert worden. Bei der Untergruppe der Patienten mit erhöhtem CRP und positivem MRI-Befund zeigte sich dann, dass die therapeutische Ausbeute durchaus an diejenige bei Spondyloarthritis heranreicht. Patienten, die weder eine CRP-Erhöhung noch ein positives MRI aufwiesen, profitierten dagegen eindeutig nicht von TNFalpha-Hemmern, sagte Ciurea. Diese Befunde wurden auch in der Schweizer SCQM-Kohorte bestätigt.
ASDAS erlaubt mehr Behandlungen
In die gerade aktualisierten ASAS/EULAR-Therapieempfehlungen sind diese Erkenntnisse nun eingeflossen. Demnach ist der Einsatz eines Biologikums gerechtfertigt, wenn ein erhöhter CRP-Wert oder eine aktive entzündliche Veränderung im MRI (Sakroiliakalgelenke oder Wirbelsäule) vorliegt oder eine röntgenologische Sakroilitis nachgewiesen ist. Als weiteres Behandlungskriterium wird eine bestimmte Krankheitsaktivität gefordert: Diese ist nicht mehr nur bei einem BASDAI ≥ 4 gegeben (Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index), alternativ kann auch ein Wert im ASDAS-Index von mindestens 2,1 eine ausreichend hohe Krankheitsaktivität anzeigen. Der neu eingeführte ASDAS enthält einzelne Fragen des BASDAI, ergänzt durch das CRP als objektiven Parameter. Diese Empfehlungen betreffen sowohl Patienten mit radiologischer als auch nicht röntgenologischer axialer Spondyloarthritis. Ciurea präsentierte den neuen Ablaufplan, wie ihn die EULAR empfiehlt (Abbildung 2). Wenn mindestens zwei NSAR ohne Erfolg bleiben, dürfen TNF-alpha-Hemmer eingesetzt werden. Mit diesen Biologika bestehen die meisten Erfahrungen. Als neue Therapiealternative steht nun der Interleukin-17Inhibitor Secukimumab zur Verfügung. Eine Vorbehandlung mit konventionellen DMARD ist übrigens nicht erforderlich, da diese Substanzen bei rein axialem Befall der Spondyloarthritis unwirksam sind.
Ansprechen der Therapie nach drei Monaten überprüfen
Eine Beurteilung des Therapieerfolgs sollte nach den neuen Empfehlungen erst nach 3 Monaten erfolgen. Diese Frist sei unbedingt einzuhalten, mahnte Ciurea. Viele Patienten erführen zwar bereits nach einer Injektion eine deutliche Besserung, bei manchen würde es jedoch viel länger dauern. Ein Ansprechen kann beispielsweise festgestellt werden, wenn der ASDAS um mindestens 1,1 Punkte sinkt.
Risiko der Überbehandlung?
In Europa orientieren sich offenbar viele Rheumatologen an den neuen Empfehlungen, es werden immer mehr
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nicht radiologische Spondyloarthritispatienten mit Biologika behandelt. In den USA hingegen hat die FDA den TNF-Hemmern die Zulassung zu dieser Indikation bisher verweigert. Die Gesundheitsbehörde hat Bedenken wegen des Risikos einer Übertherapie. Diese Befürchtung wurde auch auf dem SGR-Kongress geäussert. Müsse man nicht vor dem Einsatz eines Biologikums den objektiven Beweis erbringen, dass tatsächlich eine Entzündung vorliege, fragte einer der Diskutanten: «Meine Sorge ist, dass wir im Moment zu stark Biologika pushen und am Ende zu viele Patienten damit behandelt werden.» Das CRP sei ein schlechter Parameter, es könne bei Spondyloarthritispatienten fluktuieren, der positive prädiktive Wert sei «miserabel». Auch HLA-B27 habe einen ungenügenden prädiktiven Wert bei dieser Erkrankung. Zudem sprächen Patienten mit chronischen Rückenschmerzen oft nicht innert 4 Wochen auf NSAR an, wodurch Biologika zu früh verabreicht werden könnten. Ciurea wies diese Einwände zurück. Zwar müsse man tatsächlich vorsichtig sein, um Überbehandlungen zu vermeiden, doch auf der Basis der jetzt vorgeschlagenen Kriterien sei ein therapeutischer Nutzen bei richtiger Patientenauswahl nachgewiesen. Andere Erkrankungen, wie etwa die Fibromyalgie, sprächen zudem gar nicht auf TNF-Hemmer an. Allerdings, so gab Ciurea zu bedenken, zeige sich, dass Frauen mit nicht röntgenologischer Spondyloarthritis oft schlechter auf eine Biologikatherapie ansprechen. Ein anderer Diskutant forderte, Biologika sollten angesichts der hohen Kosten grundsätzlich nicht ohne ein positives MRI eingesetzt werden. Diesem Vorschlag begegnete Ciurea äusserst reserviert, auch aufgrund der klinischen Erfahrung, dass «manche Patienten ein angeblich positives MRI haben, aber trotzdem keine axiale Spondyloarthritis». Das MRI sei nicht einfach zu interpretieren und sollte nur dort durchgeführt werden, wo eine gute Befundung gewährleistet sei; gegebenenfalls müsse
eine Zweitmeinung eingeholt werden. Es sei demgegenüber viel einfacher und zuverlässiger, das HLA-B27 zu bestimmen. «Jeder von uns hat auch Patienten, die CRPoder MRI-negativ sind und trotzdem auf TNF-Hemmer ansprechen», meinte Ciurea abschliessend. Es komme darauf an, den Patienten als Ganzes anzuschauen: Je mehr klinische Kriterien für eine Spondyloarthritis sprächen, desto sicherer sei die Diagnose zu stellen.
Uwe Beise
Quelle: Session I: «Frühe entzündliche Arthritiden». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR), 25. August 2016 in Interlaken.
*SCQM-Kohorte: Die Swiss Clinical Quality Management Foundation in Rheumatic Disease (SCQM) ist eine Stiftung der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie. Sie unterstützt Rheumatologen im Qualitätsmanagement bei der Behandlung von Patienten mit entzündlichrheumatischen Erkrankungen und betreibt eine Forschungsplattform für Langzeitstudien und pharmaökonomische Fragestellungen.
Take Home Messa es
® Die nicht röntgenologische Spondyloarthritis entwickelt sich oft über viele Jahre
zu einer Spondylitis ankylosans.
® Die nicht radiologische Spondyloarthritis kann dauerhaft bestehen bleiben und
dieselben Beschwerden verursachen wie die röntgenologische Spondyloarthritis.
® Frauen bleiben häufiger ohne Röntgenbefund. ® Unter gewissen Voraussetzungen wird auch bei nicht röntgenologischer Spondylo-
arthritis eine Behandlung mit einem TNF-Hemmer empfohlen.
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