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Riesenzellarteriitis: Rasche Diagnostik und Therapie notwendig
Hemmung von Interleukin-6 als neue Therapieoption
Die Riesenzellarteriitis ist zwar meist gekennzeichnet durch typische kranielle Symptome im Rahmen eines akuten Fiebersyndroms, das Entzündungsgeschehen kann aber auch ohne diese ablaufen und gefährliche Komplikationen hervorrufen. Therapeutisch stehen bis heute Glukokortikoide im Vordergrund. Als neue Alternative diskutierte Prof. Peter Villiger vom Inselspital Bern die Blockade von Interleukin-6 mit Tocilizumab bei dieser Vaskulitis.
Nach der Revision 2012 der internationalen Chapel-HillNomenklatur der Vaskulitiden werden Gefässentzündungen anhand der Grösse der befallenen Gefässe unterschieden (1). Die Riesenzellarteriitis (RZA) gehört zusammen mit der Takayasu-Arteriitis in die Gruppe der Grossgefässentzündungen. Gemäss der Klassifikation des American College of Rheumatology (ACR) müssen für die Diagnose einer RZA 3 dieser 5 Kriterien erfüllt sein: • Alter 50 Jahre oder darüber • neu aufgetretener lokalisierter Kopfschmerz • Berührungsempfindlichkeit der Temporalarterie oder
abgeschwächter Temporalispuls • BSR von mindestens 50 mm pro Stunde • abnorme Arterienbiopsie mit mononukleärer oder gra-
nulomatöser Infiltration. «Machen Sie immer die Biopsie des Ramus posterior! Das gibt keine Komplikationen, geht rasch, und dann wissen Sie, was Sie behandeln», so Villiger. Für die Unterscheidung der RZA gegenüber anderen Vaskulitiden haben die ACR-Kriterien eine Sensitivität von 93,5 Prozent und eine Spezifität von 91,2 Prozent. Die RZA ist im 9. Lebensjahrzehnt 10-mal häufiger als bei 50- bis 60-Jährigen.
Typische Symptome – aber nicht immer
Typisch ist der plötzliche Beginn der klinischen Symptome mit Krankheitsgefühl, Fieber bis 39 °C, gelegentlich mit Schüttelfrost. Damit gehört die RZA zunächst zum SIRS (systemic inflammatory response syndrome) unbekannter Ursache mit vielfältigen Differenzialdiagnosen. Spezifischer sind ein oberflächlicher, oft brennender Kopfschmerz, Kieferclaudicatio, ferner muskuläre Schmerzen und Steifigkeit morgens. Immerhin 5 Prozent der Fälle mit histologisch bestätigter Arteriitis temporalis haben jedoch keine kraniellen Symptome. Eine Überschneidung besteht mit der Polymyalgia rheumatica. Etwa 20 Prozent der Polymyalgia-rheumatica-Patienten haben auch eine RZA, und umgekehrt zeigen bis zu zwei Drittel der RZA-Patienten Polymyalgia-rheumatica-Symptome. «Dies bedeutet, dass man bei rezidivierendem Verlauf einer Polymyalgia rheumatica auch an eine RZA denken und diese suchen sollte», sagte Villiger. Im Labor fallen die deutlich erhöhte BSR und erhöhtes C-reaktives Protein (CRP), eine Anämie sowie eine Thrombozytose auf. Bei Befall der Aorta ist die Bildgebung (Magnetre-
sonanzangiografie oder PET) ausschlaggebend und kann die Entzündung der Gefässwand darstellen.
Therapie mit Glukokortikosteroiden
Zur Behandlung stehen verschiedene Optionen zu Verfügung: • Glukokortikosteroide • Methotrexat • Azathioprin • Tocilizumab. Gemäss Empfehlungen der amerikanischen (ACR) und europäischen Rheumatologen (EULAR) wird bei RZA Prednison (1 mg/kg KG/Tag) empfohlen. Dann wird die Dosierung langsam reduziert, sodass die Tagesdosis nach 3 Monaten immer noch 15 mg/Tag beträgt, um ein Rezidiv zu verhindern. Eine zusätzliche Möglichkeit ist eine initiale intravenöse Impulsbehandlung mit 1 g/Tag für 3 Tage, danach folgt orales Prednison. Diese scheint den gesamten Steroidbedarf im Verlauf etwas zu reduzieren.
Peter Villiger (Foto: HB)
«Machen Sie immer die Biopsie des Ramus posterior!
Das ibt keine Komplikationen, eht rasch, und dann
wissen Sie, was Sie behandeln.»
Zu Methotrexat liegen bei RZA nur wenige Daten vor. Bei schwierigen Verläufen mit Rezidiven bietet sich die Option, 15 mg Methotrexat (1-mal pro Woche s.c.) zu verabreichen. Dies erlaubt eine Reduktion der Steroiddosis nach etwa 4 Wochen. Vor Beginn der Methotrexatbehandlung sollte Folsäure verabreicht werden, ebenso unter Therapie, jeweils an einem anderen Therapietag.
Tocilizumab auch bei RZA wirksam
Monozyten und Makrophagen produzieren auf Stimuli wie Infekte grosse Mengen von Interleukin-(IL-)6. Beim Menschen ist das in der Leber gebildete CRP unter der Kontrolle von IL-6. «Dies bedeutet, dass die Neutralisierung von IL-6 die Akutphasereaktion eliminiert und das CRP als Infektionssignal nicht mehr verwertet werden kann», daran erinnerte Villiger. Bei Infektionen führen immunologische Stimuli, bakterielle Endo- oder Exotoxine zu einer Aktivierung von T-Zellen und Monozyten,
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welche Tumornekrosefaktor und IL-1 produzieren, die zum klinischen Symptom des Fiebers führen. IL-6 und IL-8 ihrerseits fördern Myelopoese, CRP-Produktion und Chemotaxis. Die unterschiedlichen Abfolgen und Wirkungen proinflammatorischer Substanzen erlauben differenzierte therapeutische Eingriffe, zum Beispiel durch Blockierung der IL-6-Rezeptoren mit Tocilizumab (Actemra®). Einen ersten Hinweis auf die Wirksamkeit von Tocilizumab bei Vaskulitiden hatte eine japanische Studie bei einer Patientin mit Takayasu-Arteriitis geliefert (2). In der Folge wurde am Inselspital in Bern eine randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Phase-II-Studie mit Tocilizumab durchgeführt, über deren kürzlich in «Lancet» publizierte Ergebnisse Villiger berichtete (3). Die Studienautoren rekrutierten Patientinnen und Patienten, bei denen gemäss den ACR-Kriterien eine RZA neu diagnostiziert worden war, die eine BSR über 40 mm und ein CRP über 20 mg/l aufwiesen und bei denen eine
«Tocilizumab war also in der Induktion und Erhaltunen von Remissionen bei RZA wirksam.»
RZA bioptisch oder eine Grossgefässvaskulitis in der MR-Angiografie bestätigt waren. Später wurden auch einige rezidivierende Vaskulitiden aufgenommen. Die Studienteilnehmer erhielten entweder orales Prednisolon (1 mg/kg KG) plus Tocilizumab (8 mg/kg KG) als intravenöse Infusion oder orales Prednisolon plus Plazeboinfusionen. Im Tocilizumabarm (n = 20) erreichten nach 12 Wochen 85 Prozent eine Remission, im Plazeboarm (n = 10) waren es 40 Prozent (p < 0,0301). Nach 52 Wochen betrugen die Anteile 85 und 20 Prozent (p < 0,0010). Im Tocilizumabarm konnten die meisten Patienten die Steroide ganz absetzen, im Plazeboarm war dies die Ausnahme. In der Tocilizumabgruppe betrug die kumulative Prednisolondosis nach 52 Wochen 43 mg/kg KG, in der Plazebogruppe 110 mg/kg KG (p < 0,0005). Unter Tocilizumab fiel nur 1 relevante, antibiotikabedürftige Infektion auf. Indes wurden in der Plazebogruppe 5 kardiovaskuläre Erkrankungen beobachtet, in der Tocilizumabgruppe nur 1. «Aus früheren Erfahrungen mit Tocilizumab ist bekannt, dass Patienten mit Diverti-
kulose an einer schweren, auch lebensbedrohlichen Divertikulitis erkranken können. Deshalb haben wir alle Patienten mit bekannter Divertikulose oder Divertikulitis aus der Studie ausgeschlossen», erwähnte Villiger. Ergänzend wurden auch die Verläufe der CRP-Spiegel in den beiden Behandlungsarmen verglichen. Dabei zeigte sich, dass unter Tocilizumab die CRP-Werte sehr rasch auf tiefste Werte sanken und dort auch verharrten, nachdem das Prednisolon abgesetzt worden war, während sie im Prednisolonarm während 52 Wochen bedeutsame Schwankungen aufwiesen, die mit den Rezidiven korrelierten. Da IL-6 auch eine myelopoetische Wirkung hat, führt die Blockade zu einer Leukopenie und Neutropenie. In der Studie wurde dies auch beobachtet (nach 52 Wochen 5% vs. 1% unter Plazebo bzw. 3% vs. 0%). Für Tocilizumab ist auch ein Anstieg von Cholesterin und Triglyzeriden als Signal bekannt. Dies gilt allerdings auch für die Therapie mit Glukokortikoiden. «Tocilizumab war also in der Induktion und Erhaltung von Remissionen bei RZA wirksam», erwähnte Villiger als Fazit, «eine Zulassungsstudie ist am Laufen und sollte am EULAR-Kongress nächstes Jahr vorgestellt werden.» Als persönliche Empfehlung bis dahin nannte Villiger neu aufgetretene RZA-Fälle mit hohen Glukokortikoidrisiken (Diabetes mellitus, Osteoporose, kardiovaskuläre Vorerkrankungen) als mögliche Indikationen für einen Einsatz von Tocilizumab, ebenso Rezidive und therapierefraktäre Verläufe unter Glukokortikoidbehandlung.
Halid Bas
Referenzen: 1. Jennette JC et al.: 2012 revised International Chapel Hill Consensus Conference Nomenclature of Vasculitides. Arthritis Rheum 2013; 65 (1): 1–11. 2. Nishimoto N et al.: Successful treatment of a patient with Takayasu arteritis using a humanized anti-interleukin-6 receptor antibody. Arthritis Rheum 2008; 58 (4): 1197–1200. 3. Villiger PM et al.: Tocilizumab for induction and maintenance of remission in giant cell arteritis: a phase 2, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2016; 387(10031): 1921–1927.
Quelle: Special Lecture: «Riesenzellarteriitis (Arzteriitis temporalis): Haben die Steroide ausgedient?» anlässlich der 1. Frühlingstagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM), am 26. Mai 2016 in Basel.
Take Home Messa es
® Die Riesenzellarteriitis (RZA) gehört in die Gruppe der Grossgefässvaskulitiden.
® Wichtig ist es, auch ohne die «klassischen», kraniellen Symptome an dieses syste-
mische Entzündungssyndrom zu denken.
® Bei RZA drohen Erblindung und Aortenruptur.
® Daher muss rasch abgeklärt werden (mittels Magnetresonanzangiografie oder
PET).
® Eine Biopsie der Temporalarterie ist immer anzustreben (Doppler hat tiefe Sensiti-
vität).
® Für die Therapie hat eine Risikoabschätzung der Glukokortikoidbehandlung hin-
sichtlich Diabetes mellitus, Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erfolgen.
® Mit dem Biologikum Tocilizumab ergibt sich eine neue Behandlungsoption, deren
Zulassung angestrebt wird.
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