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Neuere Antipsychotika: Was muss man beachten?
Oft entscheidet somatische Risikokonstellation über die Medikamentenwahl
Richtig neu sind die heute verfügbaren Antipsychotika alle nicht mehr, dennoch wird zwischen neueren und älteren unterschieden. Was es bei der Verwendung der unterschiedlichen Antipsychotika zu beachten gilt, erläuterte Dr. Alexander Zimmer, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Solothurn.
Zur Durchführung einer Psychopharmakotherapie empfahl der Psychiater, immer fünf Grundsätze zu beachten (Kasten 1). Antipsychotika wirken über die Blockade gewisser Rezeptoren (Dopamin, Serotonin) und haben eine agonistische Wirkung an anderen Rezeptoren (Histamin, Beta1, Alpha1, D2). Klinisch ist ihre Wirkung dämpfend und distanzierend, was bei schizophrenen Psychosen hilfreich ist, denen nach heutigem Verständnis eine Informationsverarbeitungsstörung zugrunde liegt. Gleichzeitig führen Antipsychotika zu einer Reduktion von produktiven psychotischen Symptomen wie Verfolgungsangst, psychomotorischer Erregung, Halluzinationen oder Denkstörungen. Bei den älteren Antipsychotika wurden oft beeinträchtigende extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen beobachtet: • Bei Kurzzeiteinnahme waren dies Frühdyskinesien
(akute Muskelverkrampfungen in Gesicht und Kiefer) bei 20 bis 30 Prozent, abhängig von der Geschwindigkeit der Dosissteigerung. • Bei Langzeiteinnahme waren dies Parkinson-Syndrom (steife, verlangsamte Bewegungsabläufe, Zittern), Akathisie (Unfähigkeit, ruhig zu sitzen) und Spätdyskinesien mit stark entstellenden, oft unheilbaren Bewegungsstörungen um den Mund. Mit den neueren Antipsychotika waren die extrapyramidalen motorischen Nebenwirkungen viel seltener oder fehlten ganz, zudem war eine positive Wirkung auf die Minussymptomatik (Antriebsstörung) möglich. Allerdings trat als unerwünschte Arzneimittelwirkung ein metabolisches Syndrom (abdominale Fettleibigkeit, Blutdruckanstieg, veränderte Blutfette, Insulinresistenz) auf, das zu Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Krankheiten führen kann.
Ältere und neuere Antipsychotika
Die gebräuchlichen Vertreter der Zweitgenerationsantipsychotika (Kasten 2) weisen unterschiedliche Eigenschaften auf: Olanzapin (Indikation: Psychosen, Behandlung bipolarer Erkrankungen, Rezidivprophylaxe bei Manie; Dosierung: 2,5–20 mg/Tag) verursacht kaum extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen und ist gut wirksam. Nachteilige Effekte sind Sedation und metabolisches Syndrom. «Ich gebe Olanzapin gern als erstes Antipsychotikum, es be-
ruhigt sehr gut. Allerdings kann die Gewichtszunahme Alexander Zimmer (Foto: HB) bei gewissen Patienten extrem und problematisch sein.»
Quetiapin (Indikation: Psychosen, Depression, wenn allein
mit Antidepressiva nicht besser, Rezidivprophylaxe bei
bipolarer Erkrankung, manisch
und depressiv; Dosierung: 25– 900 [?] mg/Tag) hat kaum anticholinerge Wirkung und ist daher für die Delirbehandlung geeignet.
Kasten 1:
DIE 5 SÄULEN EINER VERNÜNFTIGEN PSYCHOPHARMAKOTHERAPIE
Nachteilige Effekte sind Sedation und metabolisches Syndrom. «Man sagt, die antipsychotische Wirkung beginnt erst ab 300 mg. Jedoch wird Quetiapin in Altersheimen in niedriger Dosierung als
• wenige Medikamente gut kennen • Aufklärung und Dokumentation sicherstellen • neutrale Informationen beiziehen • Medikamenteninteraktionen berücksichtigen • Begleitmonitoring durchführen
Schlafmittel verordnet.»
Risperidon (Indikation: Psychosen, Verhaltensstörungen
bei Demenz und geistig behinderten Menschen; Dosie-
rung: 0,5–6 mg/Tag, bei Verhaltensstörungen 0,1–1 mg/
Tag) bewirkt eine geringere Gewichtszunahme und ver-
ursacht weniger Sedation. Bei Dosen ab 4 mg/Tag sind
extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen möglich,
ungünstige Nebenwirkungen sind auch Hyperprolaktin-
ämie und QT-Verlängerung sowie Diabetes.
Amisulprid (Indikation: akute und chronische schizo-
phrene Störungen; Dosierung: 50–
800 [1000] mg/Tag, 50–300 mg Wirkung auf Minussymptomatik, ab 800 mg auf Positivsymptoma-
Kasten 2:
ÄLTERE UND NEUERE ANTIPSYCHOTIKA
tik) bietet therapeutische Vorteile bei Minussymptomatik und verursacht nur selten extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen. Ungünstige Effekte sind Prolaktinerhöhung (Galaktorrhö, Menstruationsstörungen, sexuelle Dysfunktion), Gewichtszunahme und Senkung der Krampfschwelle.
Ältere Antipsychotika (Typika, Erstgenerationsneuroleptika): • hochpotent: Haloperidol (Haldol®),
Flupentixol (Fluanxol®) • niederpotent: Clorprotixen (Truxal®),
Pipamperon (Dipiperon®) Neuere Antipsychotika (Atypika, Zweitgenerationsneuroleptika): • Olanzapin (Zyprexa® oder Generika)
Aripiprazol (Indikation: Schizo- • Risperidon (Risperdal® oder Generika)
phrenie, Bipolar-I-Störungen; Do- • Quetiapin (Seroquel® oder Generika)
sierung: 15–20 [30?] mg/Tag) ist • Amisulprid (Solian®)
ein partieller Dopaminagonist: • Aripiprazol (Abilify® oder Generika)
Eine übermässige Dopaminaktivi- Antipsychotikum der 2. Wahl:
tät soll reduziert, eine vermin- • Clozapin (Leponex®)
derte Aktivität gesteigert werden.
CongressSelection Hausarztmedizin • September 2016 • 33
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Hilifreiche Seiten im Internet: Aufklärung und Dokumentation: www.psychiatrie.ch
Neutrale Information: www.infomed.ch
Interaktion von Medikamenten: www.mediq.ch
Positive Eigenschaften sind Wirkung bei Minussymptomatik, geringere Gewichtszunahme (ähnlich wie Risperidon), keine Prolaktinerhöhung und keine QT-Verlängerung. Negative Effekte sind vor allem Schlafstörungen (Somnolenz oder Schlaflosigkeit), Unruhe und Angst, in geringerem Mass extrapyramidal-motorische Störungen (Dyskinesien, Akathisie, Parkinsonoid). Clozapin (Indikation: therapieresistente Schizophrenie, Reduktion des wiederholten suizidalen Verhaltens bei Schizophrenie und schizoaffektiven Störungen, Psychosen im Verlauf eines M. Parkinson; Dosierung: 200– 500 mg/Tag, Auftitrierung in kleinen Schritten à 12,5–25 mg/Tag) ist ein neueres Antipsychotikum der zweiten Wahl. Es verursacht keine extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen und gilt als wirksamstes, aber auch gefährlichstes Antipsychotikum. Dies wegen eines Agranulozytoserisikos von 0,5 bis 2 Prozent. Zu den Nebenwirkungen gehören ferner Sedation, Senkung der Krampfschwelle (ab 300 mg/Tag bei 3–4%), Blutdrucksenkung, QT-Verlängerung, Speichelfluss, teilweise exorbitante Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom. «Von den älteren Antipsychotika gebe ich – immer noch oder eher wieder – Haloperidol, aber im Vergleich zu früher viel niedriger dosiert», bemerkte Zimmer. Auch die niederpotenten älteren Antipsychotika (Kasten 2) haben zur Beruhigung noch ihren Platz, ebenfalls in möglichst niedriger Dosierung.
Aufklärung, Dokumentation, Information, Interaktionen
Für die QT-Verlängerung als Antipsychotikanebenwirkung sind die Grenzwerte von Interesse. Als normal gilt bei Männern eine QTc-Zeit von unter 430, als grenzwertig wird eine QTc-Zeit zwischen 430 und 450 betrachtet, und als eindeutig verlängert gilt eine QTc-Zeit über 450 Millisekunden. Die entsprechenden Werte bei Frauen: normal unter 450, grenzwertig 450 bis 470 und verlängert über 470 Millisekunden. Die Mortalität schizophrener Patienten steigt im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung seit Jahrzehnten an. «Metabolische und kardiale Störwirkungen werden als mitverursachende Faktoren angesehen», kommentierte Zimmer, «Antipsychotika verdoppeln das Risiko für einen plötzlichen Herztod direkt und dosisabhängig.» Die neueren Antipsychotika sind in dieser Hinsicht gleich riskant wie die älteren.
Take Home Messa es
® Klinisch ist die Wirkung von Antipsychotika dämpfend und distanzierend, was bei
schizophrenen Psychosen hilfreich ist, denen nach heutigem Verständnis eine Informationsverarbeitungsstörung zugrunde liegt
® Die älteren Antipsychotika sind vor allem durch extrapyramidal-motorische Ne-
benwirkungen belastet.
® Diese fehlen bei Zweitgenerationsantipsychotika weitgehend, ihre Wirksamkeit ist
in gewissen Bereichen (Minussymptomatik) besser, in anderen wiederum schlechter.
® Zweitgenerationsantipsychotika besitzen eine bessere Verträglichkeit bezüglich
der extrapyramidalen Nebenwirkungen, aber eine schlechtere hinsichtlich Diabetesrisiko und metabolischem Syndrom.
® Frühzeitige Herztode sind unter älteren und neueren Antipsychotika gleich häufig.
Für Aufklärung und Dokumentation, die zweite Säule einer vernünftigen Psychopharmakotherapie, bietet die Internetseite www.psychiatrie.ch Hilfestellung. Für neutrale, industrieunabhängige Information empfahl Zimmer die Publikationen von Etzel Gysling (www.infomed.ch). Zwischen Psychopharmaka und somatischen Medikamenten besteht ein hohes Interaktionsrisiko via Leberenzyminduktion oder -hemmung. Zur Klärung ist der kostenpflichtige Interaktionscheck bei www.mediq.ch sehr hilfreich.
Sorgfältige Therapieüberwachung bei allen Antipsychotika
Eine Basisuntersuchung sollte folgende Aspekte umfassen: • Labor: Hämatokrit, Hämoglobin, Leukozyten, Throm-
bozyten; Leberenzyme (GOT, [GPT], Gamma-GT); Natrium, Kalium, Kreatinin; TSH basal, fT4; Blutzucker nüchtern • Schwangerschaftsabklärung: Befragung und Eintrag in Krankengeschichte, auch zu erfragter Kontrazeption • Messung von Körpergewicht und Bauchumfang. EKG-Kontrollen sind bei Risikopatienten indiziert, also bei folgenden Konstellationen: • vorbestehender Herzerkrankung • pathologischem Vor-EKG • Hypertonie • Nikotinabusus, Adipositas, familiärer Belastung • Alter über 65 Jahre • Hypokaliämie. Für das Monitoring bei älteren Antipsychotika (Typika) empfahl Zimmer folgendes Vorgehen: vor Behandlungsbeginn Basisuntersuchung sowie Körpergewicht und Bauchumfang. Nach einem Monat Labor, EKG, Körpergewicht und Bauchumfang. Im ersten Behandlungsjahr sollen Körpergewicht und Bauchumfang monatlich überwacht werden, danach jährlich, ebenso wie Labor und EKG. Ein EKG soll bei Risikopatienten nach jeder Dosissteigerung geschrieben werden, ebenso nach Aufsättigung. Bei den neueren Antipsychotika (Atypika) muss der Stoffwechsellage besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, also: vor Behandlungsbeginn Basisuntersuchung, Körpergewicht/Bauchumfang sowie Messung von Cholesterin und Triglyzeriden. Nach einem Monat Blutzucker nüchtern, EKG, Cholesterin und Triglyzeride sowie Körpergewicht/Bauchumfang. Im ersten Jahr ebenfalls Messung von Körpergewicht und Bauchumfang monatlich, danach jährlich und zusätzlich im Jahresabstand Labor, EKG, Blutzucker nüchtern, Cholesterin, Triglyzeride sowie Körpergewicht/Bauchumfang. Auch unter einem Atypikum soll bei Risikopatienten nach jeder Dosissteigerung sowie nach Aufsättigung ein EKG aufgezeichnet werden. Bei Behandlung mit Clozapin müssen ausserdem in den ersten 18 Wochen die Leukozyten wöchentlich bestimmt werden, danach monatlich. Bei zerebraler Vorschädigung, bekanntem Anfallsleiden und bei Dosen über 300 mg/Tag muss ausserdem ein EEG veranlasst werden.
Halid Bas
Quelle: Modul Psychiatrie: «Neuere Antipsychotika: Was ist zu beach-
ten? Risiken und Nebenwirkungen» anlässlich der 18. Fortbildungs-
tagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), am 23. Juni 2016
in Luzern.
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