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EULAR
Immer mehr Gicht
Wie kann man sie schneller diagnostizieren und behandeln?
Foto: KD
Trotz ihrer Häufigkeit ist die Gicht immer noch ein unterschätztes Problem. Neben den typischen Manifestationen sind mit der Gicht auch mehr kardiovaskuläre Ereignisse, häufigere erektile Dysfunktionen und erhöhte Mortalitätsraten verbunden, wie am EULAR 2016 in London mehrere Experten deutlich machten.
Alexander So
Die Prävalenz der Gicht steigt gegenwärtig an. Um eine mögliche Epidemie zu verhindern, sollten Rheumatologen und Hausärzte Gichtpatienten nicht nur schneller diagnostizieren und behandeln, sondern ihnen auch den Behandlungsprozess ausführlicher erklären, wie Prof. Lennart Jacobsson aus Göteborg (Schweden) erklärte.
Trotz guter Optionen unterbehandelt
«Obwohl wir die Mechanismen dieser Krankheit verstehen, obwohl wir sie gut diagnostizieren können und seit 50 Jahren gute Therapien besitzen, wird Gicht nicht adäquat behandelt. Es ist eigentlich nicht gut nachvollziehbar, warum dies so ist», gab der schwedische Rheumatologe zu bedenken. Tatsächlich ist Gicht die häufigste nicht degenerative entzündliche Gelenkserkrankung, mit einer Prävalenz von 1,7 bis 2,5 Prozent in Europa und 3,9 Prozent in den USA. Die Inzidenz dieser Erkrankung steigt parallel mit Faktoren wie einer älter werdenden Bevölkerung. So leiden nahezu 10 Prozent der Männer zwischen 70 und 80 Jahren unter Gicht, allerdings sei nicht klar, wie viele unter einer milden, moderaten oder schweren Form leiden, sagte Jacobsson.
Mehr Kilos – mehr Gicht
Auch veränderte Lebensgewohnheiten tragen zur derzeitigen Zunahme von Gicht bei. So gebe es eine Assoziation zwischen steigendem Körpergewicht und der verstärkten Bildung von Harnsäure, sagte in London Prof. Alexander So vom CHUV in Lausanne. Nicht umsonst wurde Gicht in der Vergangenheit als die «Krankheit der Könige» bezeichnet, da wohlhabende Menschen oft übergewichtig waren und zudem Zugang zu grossen Mengen purinreicher Nahrung hatten. Heute ist Gicht hingegen eher mit niedrigerem Einkommen und niedriger sozialer Schicht korreliert. Unabhängig vom Gewicht stellt Gicht zudem einen signifikanten Risikofaktor für ein erstes kardiovaskuläres Ereignis (HR 1,28) und erhöhte Mortalität (HR 1,19) dar, wie in einer australischen Studie am EULAR gezeigt wurde (1). Umgekehrt sei ein Gewichtsverlust mit niedrigen Harnsäurespiegeln verbunden, sagte So (2).
Erektile Dysfunktion bei Gichtpatienten häufiger
Dass auch die erektile Dysfunktion (ED) mit Gicht verbunden sein kann, wird oft vernachlässigt. Tatsächlich wurde in einer Untersuchung in einer rheumatologischen Klinik im vergangenen Jahr festgestellt, dass 76 Prozent der untersuchten männlichen Gichtpatienten, aber nur
51 Prozent der Männer innerhalb einer Kontrollgruppe
unter erektiler Dysfunktion litten (3). ED sei daher bei
den meisten Männern mit Gicht ein Thema, so die Stu-
dienautoren. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine
deutlich grössere taiwanische Studie (4). Dort wurden
die Daten von rund 19 000 Patienten analysiert, bei
denen zwischen 2002 und 2008 die Gicht frisch diagnos-
tiziert worden war und die in einem Follow-up bis 2010
jedes ED-Ereignis zu protokollieren hatten. Gleichzeitig
wurden zur Kontrolle 77 000 Männer aus der Normal-
bevölkerung in die Studie einbezogen. Ergebnis: Das
ED-Risiko unter den Gichtpatienten war im Vergleich zur
Normalbevölkerung signifikant erhöht (HR 1,21). Kam
noch eine weitere Komorbidität hinzu, erhöhte sich
dieses Risiko noch mehr (HR 2,04).
Das Problem bei der Gicht: Sie sei unterdiagnostiziert,
werde zu spät diagnostiziert, und wenn sie dann erkannt
werde, würden die Betroffenen nicht entschieden genug
mit Harnsäure-reduzierenden Medikamenten behandelt,
um die Krankheit einzudämmen, so Jacobsson. Aber auch
Therapieunterbrechungen seien verbreitet, was häufig
auf eine mangelnde Information der Patienten zurückzu-
führen sei. Dazu gehört auch der Verlauf einer Behand-
lung. Denn bis eine Person ihre erste Gichtattacke erlebt,
können sich Harnsäurekristalle über mehr als eine De-
kade im Körper beziehungsweise den Gelenken aufbauen.
Dann müsse manchmal 3 bis 5 Jahre effektiv behandelt
werden, bis diese «Kristallmassen» im Körper wieder ab-
gebaut seien, erklärte Johansson. In dieser Zeit, speziell
am Anfang der Behandlung, erfahren die Betroffenen
immer noch Gichtattacken, die dann oft als Nebenwirkun-
gen oder fehlende Wirksamkeit der Medikamente inter-
pretiert würden, so Jacobsson. «Die Patienten sind
schlicht nicht darüber informiert, dass die Medikamente
eine längere Zeit benötigen.»
Klaus Duffner
Referenzen: 1. Nossent J et al.: Ann Rheum Dis 2016; 75 (Suppl 2): 59. EULAR 2016, OP0018. 2. Dalbeth N et al.: Ann Rheum Dis 2014; 73 (5): 797–802. 3. Schlesinger N et al.: J Rheumatol 2015; 42 (10): 1893–1897 4. Yung-Fu Chen: The Journal of Rheumatology 2015; doi: 10.3899/ jrheum.141105.
Quellen: Scientific Session «Outcome measures in clinical practice in gout and CCPD» und WIN Session: «Gout and crystal diseases» beim Jahreskongress der European League Against Rheumatism (EULAR) 8. und 9. Juni 2016 in London.
16 • CongressSelection Rheumatologie/Schmerztherapie • August 2016