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Morbus Alzheimer: Mit Immunsystem gegen Amyloid-beta
Nach Rückschlägen gibt es nun Licht am Horizont
Mechanismen des Immunsystems zum Abbau von Proteinaggregaten zu nutzen ist eine naheliegende Strategie in der Therapie neurodegenerativer Erkrankungen. Nach einem schweren Rückschlag bei der aktiven Immunisierung werden bei Morbus Alzheimer nun vor allem Antikörper untersucht.
P roteinaggregation ist ein häufiger Mechanismus in zahlreichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Eine Reihe bekannter Genotypen ist mit bestimmten Pathophysiologien korreliert, die dann auf der Ebene der Phänotypen verschiedenste Erkrankungen verursachen. Überlappungen sind möglich. So spielen die Aggregation von Tau-Protein oder Beta-Amyloid nicht nur beim Morbus Alzheimer, sondern auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen zumindest eine gewisse Rolle. Diese Aggregate und die daraus entstehenden Ablagerungen aus dem Gehirn zu entfernen ist ein naheliegendes therapeutisches Ziel. Dazu Prof. Bruno Dubois vom Universitätsspital Salpêtrière in Paris: «Im Gegensatz zum Morbus Parkinson haben sich symptomatische Therapien beim Morbus Alzheimer als kaum wirksam erwiesen. Damit ist ein erhebliches Interesse der Industrie an mehr ursächlichen Eingriffen in den Krankheitsprozess entstanden. Und wir hatten auch sehr grosse Hoffnungen, als sich im Tiermodell zeigte, dass eine Vakzine gegen Amyloid-beta Amyloid-Plaques zum Verschwinden bringt.» Doch diese Hoffnungen wurden zunächst einmal enttäuscht. In der Phase-II-Studie mit der Vakzine trat bei 6 Prozent der Patienten eine Enzephalitis auf (1). Dubois: «Zu viel, um diese Strategie weiter zu verfolgen.» Dennoch ist die Idee einer Alzheimer-Vakzine nicht tot. Aktuelle Forschungen konzentrieren sich auf die Immunisierung gegen ausgewählte Fragmente von Amyloid-beta. Darüber hinaus konnte im Tiermodell jedoch auch die Wirksamkeit einer passiven Immunisierung mittels monoklonaler Antikörper gegen AmyloidPlaques oder deren Bestandteile nachgewiesen werden (2). Sowohl die aktive als auch die passive Immunisierung verfolgen letztlich das gleiche Ziel: Die Bindung von Antikörpern an Amyloid-beta und den anschliessenden Abbau der entstandenen Komplexe durch Zellen des Immunsystems.
Passive Immunisierung mit Antikörpern – die Alternative zur Vakzine? Passive Immuntherapien gegen Amyloid-beta (Aβ) werden von der pharmazeutischen Industrie als lohnender Weg betrachtet und gegenwärtig in zahlreichen Studien untersucht. Am weitesten fortgeschritten sind die klinischen Entwicklungsprogramme von Bapineuzumab, Solanezumab und Gantenerumab, die Phase-III-Studien abgeschlossen haben oder gerade in Phase-III-Studien untersucht werden. Dahinter befindet sich ein gutes Dutzend Kandidaten in den Phasen I oder II. Die verschiedenen untersuchten Antikörper haben unterschiedliche Profile und unterschiedliche Spezifität. Dem-
entsprechend unterscheiden sich auch die Wirkmechanismen. Eine Besonderheit stellt Solanezumab dar, das gegen das lösliche Amyloid-beta gerichtet ist, das nach Bindung an den Antikörper in der Peripherie «entsorgt» werden soll. Alle anderen Antikörper sollen hingegen (zumindest auch) an Aggregate höherer Ordnung binden. Für die Clearance wären dann die Mikroglia zuständig. In der Praxis stellt die Entwicklung einer Alzheimer-Therapie auf Basis von Antikörpern eine erhebliche Herausforderung dar. Diese beginnt einmal damit, dass als Ziel die wichtigsten Spezies von Amyloid-beta ausgewählt werden müssen. Wirksame und sichere Dosen müssen gefunden und geeignete Studienpopulationen gewählt werden. Unter den Sicherheitsendpunkten sind nicht zuletzt direkte Auswirkungen der Antikörperbindung an Aβ von Bedeutung. Diese sogenannten Amyloid-related imaging abnormalities (ARIA) wurden in Studien mit Antikörpern gegen Aβ beobachtet und entsprechen unter anderem Ödemen und Ergüssen (sulcal effusion, kurz ARIA-E).
Chronologie der Enttäuschungen
Leider blieben auch hier die Enttäuschungen nicht aus. So wurde das Phase-III-Programm von Bapineuzumab wegen mangelnder Wirksamkeit abgebrochen. Hinsichtlich der klinischen Endpunkte schnitt der Antikörper nicht besser ab als Plazebo (3). Allerdings konnte damit eine Reduktion der Amyloid-Ablagerungen im Gehirn erreicht werden (4). Eine ähnliche Entwicklung nahmen die Studien mit Solanezumab, in denen in einer Population von Patienten mit leichter bis moderater Alzheimer-Erkrankung keine Verlangsamung des kognitiven Abbaus erreicht werden konnte und damit der primäre Endpunkt verfehlt wurde (5). Allerdings zeigen Subgruppenanalysen Wirksamkeit in der Subpopulation der Patienten mit leichter Erkrankung (6). Nun wird Solanezumab in einer weiteren Phase-III-Studie in dieser Population untersucht. Prof. Christoph Hock, Chefarzt an der Klinik für Alterspsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, weist auf einen der Hoffnungsträger unter den Antikörpern hin: Aducanumab, das hochselektiv gegen oligomere und fibrilläre Aβ-Aggregate höherer Ordnung gerichtet ist. Die bislang präsentierten Interimsresultate der mit 188 Patienten grossen Phase-IB-Studie geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus (7). Sie zeigen eine dosisabhängige Reduktion von AmyloidPlaques in zahlreichen Regionen des Gehirns. In die PRIMEStudie waren Patienten mit prodromaler oder leichter Alzhei-
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mer-Erkrankung eingeschlossen. Sie erreichten mit dem Antikörper über ein Jahr im Vergleich zu Plazebo eine Reduktion der Amyloid-Last sowie eine geringere Verschlechterung im Mini Mental State Exam (MMSE). Patienten, die die höhere untersuchte Dosis von 10 mg/kg Aducanumab erhielten, zeigten auch eine geringere Verschlechterung im CDR-SB Score (Clinical Dementia Rating sum of boxes). Allerdings traten unter der höheren Dosierung auch häufiger Gehirnschwellungen (gemessen als ARIA) auf. Klinisch häufige Nebenwirkung waren Kopfschmerzen, die 22 Prozent der Verum- und 5 Prozent der Placebo-Patienten betrafen. Aducanumab wird nun direkt in die Phase III gehen.
Antikörper beim präklinischen Alzheimer Der Erfolg in der PRIME-Studie kann auch damit zu tun haben, dass Aducanumab früh im Krankheitsverlauf untersucht wird. Denn der Einsatz diverser Therapien im präklinischen Stadium der Erkrankung gilt, so Dubois, als vielversprechender neuer Ansatz in der Alzheimer-Therapie. Mehrere Antikörper, darunter auch die zuvor erwähnten Solanezumab und Gantenerumab, werden gegenwärtig in dieser Indikation geprüft. Dubois betont allerdings, dass sich in diesem Setting neue medizinische und ethische Fragen ergeben. Bei den untersuchten Populationen handelt es sich einerseits um Personen mit autosomal dominanter Alzheimer-Erkrankung, also einer genetischen Variante der Krankheit mit 100-prozentiger Penetranz, andererseits aber auch um Patienten mit hohem Risiko. Dubois: «Bei den Patienten mit genetischem Alzheimer ist die Sache einfacher. Wir wissen, dass sie erkranken werden. In Risikopopulationen sind die Dinge komplizierter. Werden diese Patienten alle Alzheimer bekommen? Was sollen wir ihnen über ihren Zustand sagen? Ist es ethisch vertretbar, gegen eine Krankheit zu behandeln, die vielleicht nie ausbre-
MMSE, R-ACE-R oder ADL) ist, sondern auch günstige Auswirkungen auf psychiatrische Symptome der Krankheit, wie zum Beispiel depressive Verstimmung, hat. Die Expertin stützt ihre Einschätzung auf eine aktuelle Studie ihres Teams, an der 40 Personen teilgenommen hatten. Die Probanden litten an leichten bis mittelschweren Formen von Demenz und absolvierten ein begleitendes Bewegungsprogramm (8). Ähnliche Ergebnisse in einer grösseren Population mit mehr als 300 Patienten mit früher Alzheimer-Erkrankung ergab die dänische DAISY-Studie (9). Die Patienten absolvierten über ein Jahr ein relativ anspruchsvolles Trainingsprogramm mit vier Trainingseinheiten pro Woche. Zu Beginn und am Ende der Interventionsphase durchliefen sie eine umfangreiche Testreihe und erreichten dabei in vier von fünf Tests (MMSE, QoL-AD, ADL und NPI-Q) signifikant bessere Werte. Dazu Studienautor Dr. Kristian Steen Frederiksen vom Rigshospitalet in Kopenhagen: «Der Zusammenhang zwischen Bewegung und Lebensqualität zeichnete sich deutlich ab. Die körperlich aktiven Patienten litten ausserdem seltener unter den bei Alzheimer häufigen neuropsychiatrischen Symptomen wie Apathie und Angststörungen. Im Vergleich zur Kontrollgruppe waren sie besser in der Lage, alltägliche Verrichtungen auszuführen.» Allerdings ergab ein längeres Follow-up über drei Jahre, dass sich aus diesen Erfolgen keine verlängerte Selbstständigkeit oder reduzierte Mortalität ergibt (10). Frederiksen: «Obwohl wir hinsichtlich der Notwendigkeit einer Pflegeheimbetreuung kleine Unterschiede fanden, können unsere Daten nicht belegen, dass Bewegung diese Entwicklung signifikant beeinflussen könnte. Körperlich aktive Alzheimerpatienten werden genauso schnell pflegebedürftig wie inaktive, und es gibt auch keinen Hinweis, dass sie eine höhere Lebenserwartung hätten.»
Reno Barth
«Ist es ethisch vertretbar, gegen
eine Krankheit zu behandeln, die
vielleicht nie ausbrechen wird?»
chen wird?» Darüber hinaus sei auch nicht klar, wann die Krankheit ausbrechen werde. Womit sich medizinische und technische Fragen, wie etwa jene nach der Dauer der Studie und den relevanten Endpunkten, stellen. Es sei also wichtig, mehr über den natürlichen Verlauf der Krankheit zu lernen und prädiktive Marker für deren weitere Entwicklung zu finden sowie jene Faktoren zu identifizieren, die für den klinischen Ausbruch der Krankheit verantwortlich sind.
Alzheimer und Lebensstil – Bewegung hilft, wirkt allerdings keine Wunder Ethisch unbedenklich sind nicht medikamentöse Interventionen im Frühstadium der Erkrankung. Mehrere im Rahmen des EAN-Kongresses vorgestellte Arbeiten beschäftigten sich mit der Wirksamkeit von Lebensstilmodifikation auf das Risiko, eine Alzheimer-Erkrankung zu entwickeln. «Körperliches Training kann eine wirksame Behandlungsoption bei Menschen sein, die an leichter bis mittelschwerer Demenz leiden und bereits medikamentös behandelt werden», sagt dazu Dr. Ana Capisizu von der Universität Bukarest. Sie betont, dass regelmässige Bewegung über 12 Wochen nicht nur förderlich für die kognitiven und funktionellen Fähigkeiten der Patienten (gemessen anhand mehrerer gebräuchlicher Scores wie
Referenzen: 1. Orgogozo JM et al.: Subacute meningoencephalitis in a subset of patients with AD after Abeta42 immunization. Neurology 2003; 61(1): 46–54. 2. Bard F et al.: Peripherally administered antibodies against amyloid beta-peptide enter the central nervous system and reduce pathology in a mouse model of Alzheimer disease. Nat Med 2000; 6(8): 916–919. 3. Salloway S et al.: Two phase 3 trials of bapineuzumab in mild-to-moderate Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2014; 370(4): 322–333. 4. Rinne JO et al.: 11C-PiB PET assessment of change in fibrillar amyloid-beta load in patients with Alzheimer’s disease treated with bapineuzumab: a phase 2, double-blind, placebo-controlled, ascendingdose study. Lancet Neurol 2010; 9(4): 363–372. 5. Doody RS et al.: Phase 3 trials of solanezumab for mild-to-moderate Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2014; 370(4): 311–321. 6. Siemers ER et al.: Phase 3 solanezumab trials: Secondary outcomes in mild Alzheimer’s disease patients. Alzheimers Dement 2015. pii: S1552–5260(15)02148-2. [Epub ahead of print]. 7. Sevigny JJ et al.: Randomized, double-blind, placebo-controlled, phase Ib study of aducanumab, an anti-AB monoclonal antibody, in patients with prodromal or mild Alzheimer’s disease: interim results by disease stage and ApoE4 status. AAN 2015; Abstract ES.001. 8. Capisizu A: Effectiveness of Physical Exercise Training in Elderly with Mild to Moderate Dementia. EAN 2015, ePoster #P1203. 9. Frederiksen KS et al.: Physical activity as a predictor of clinical course in mild AD: the Danish Alzheimer’s Intervention Study; EAN 2015, Poster P1102 10. Frederiksen KS et al.: Impact of physical activity on nursing home placement and mortality in mild Alzheimer’s Disease: the Danish Alzheimer’s disease Intervention Study (DAISY). EAN 2015, Poster P1103.
Quellen: Presidential Plenary Symposium: «Hot topics in neurological sciences», Symposium 4 «Preclinical Alzheimer’s disease» und Posterpräsentationen beim EAN-Kongress, 20.–23. Juni 2015 in Berlin.
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