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Was kann der Hausarzt bei schizophrenen Psychosen tun?
Früherkennung von psychischen Auffälligkeiten und somatischen Komorbiditäten
Hausärztinnen und Hausärzte können mit der möglichst frühzeitigen Diagnose einer schizophrenen Psychose einen prognostisch wichtigen Beitrag leisten. In der komplexen Therapie ist die Betreuungskontinuität zentral. Auch hinsichtlich der höheren Mortalität schizophrener Patienten können Hausärzte Wichtiges bewirken, wie PD Dr. Stefan Kaiser, Zentrum für Akute Psychische Erkrankungen, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, erklärte.
P atienten mit schizophrenen Psychosen kommen in der Hausarztpraxis regelmässig vor. In einer Schweizer Erhebung hatte ein Hausarzt im Durchschnitt 1,6 Patienten mit Verdacht auf Erstmanifestation und 3,2 Patienten mit etablierter Diagnose (1). Zu den wichtigen Aufgaben des Hausarztes gehört die Früherkennung psychotischer Störungen. In einer prämorbiden Phase zeigen Betroffene unspezifische Symptome, zu eindeutigeren präpsychotischen Auffälligkeiten kommt es in einer durchschnittlich fünf Jahre dauernden Prodromalphase. Erfolgt jetzt keine formelle Diagnose und Behandlung, schliesst sich eine Phase der unbehandelten Psychose an.
Früherkennung verbessert Prognose Die Dauer der unbehandelten Psychose ist einer der wichtigsten Prädiktoren für den weiteren Verlauf (2, 3). «Patienten, die erst spät behandelt wurden, haben mittel- und langfristig mehr Negativ- und Positivsymptome und eine stärkere Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen», betonte Kaiser. Massnahmen zur Verkürzung der Dauer der unbehandelten Psychose sind niederschwellige spezialisierte Behandlungsangebote (Früherkennungszentren), die Vernetzung mit und die Schulung von Hausärzten sowie die Aufklärung über Schulen, Medien und andere Kanäle. An eine Schizophrenie ist zu denken, wenn Patienten über Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug oder -ausbreitung berichten, wenn sie sich fremdbeeinflusst fühlen, wahnhafte Wahrnehmungen haben, kommentierende oder dialogisierende Stimmen hören oder einen anhaltenden bizarren Wahn aufweisen. Die Diagnose kommt aber auch in Betracht, wenn zwei der folgenden Symptome vorliegen: • anhaltende Halluzinationen jeglicher Sinnesqualität • formale Denkstörungen • katatone Symptome • Negativsymptome (Affektverflachung, Sprachverarmung,
Apathie, sozialer Rückzug, Anhedonie). Für die Diagnose müssen organische, substanzinduzierte oder affektive Psychosen ausgeschlossen werden. Als häufige, für die Früherkennung wichtige, aber unspezifische «Alarmzeichen» gelten: • auffälliger Leistungsknick • auffällige Verschlechterung der Beziehungsfähigkeit • durch Bezugspersonen beobachtete starke Verhaltens-
änderung.
Pharmakotherapie als Teil der Behandlung Als Therapieziele gelten das Erreichen einer Remission und die Rückfallprophylaxe. Darüber hinaus steht heute auch eine nachhaltige Erholung (Recovery) im Zentrum, welche die Bewältigung von Alltagsfunktionen und das subjektive Krankheitserleben betrifft. «Aus diesen Therapiezielen wird klar, dass eine rein pharmakologische Therapie der Schizophrenie heute obsolet ist», erklärte Kaiser. Die Behandlung stützt sich daher auf drei Säulen: • Pharmakotherapie • Psychotherapie im weitesten Sinn • Rehabilitation. Bei der akuten medikamentösen Behandlung ist man von hoch dosierten Antipsychotika abgekommen und sucht die niedrigst wirksame Dosis. Gegebenenfalls kommen zur Anxiolyse und Sedation Benzodiazepine zum Einsatz. Ein Ansprechen auf die Behandlung sollte rasch eintreten: «Wenn ein Antipsychotikum nach zwei bis drei Wochen keine Wirkung gezeigt hat, wird es zumindest in der gewählten Dosis auch nicht mehr wirken.» Es ist nicht möglich, eine genaue Empfehlung zur Wahl des Antipsychotikums abzugeben. Eine wichtige Rolle spielen Erfahrungen und Wünsche des Patienten. Für die Wahl entscheidend sind auch das Wirkungs- und das Nebenwirkungsprofil eines Wirkstoffs. Bei Ersterkrankten wird die Wahl eher auf ein atypisches Antipsychotikum fallen. Eine Metaanalyse mit komplexer Methodik anhand direkter und indirekter Vergleiche fand für die Wirksamkeit einige Unterschiede (4). Als besonders wirksam erwiesen sich Amisulprid (Solian® oder Generika), Olanzapin (Zyprexa® oder Ge-
Informationen über Psychosen
Psychosen – Auf den Punkt gebracht: Ein Wegbegleiter für Betroffene und Angehörige. Broschüre vom VDM – Verlag für Didaktik in der Medizin GmbH (Herausgeber), Josef Bäuml (Autor), Martin Lambert (Autor), Adrianus van de Roemer (Autor). Download auf www.psychose.de/downloadarchiv/P-psychosen-erkennen.pdf
Hausarztmedizin • September 2015 33
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nerika), Risperidon (Risperdal® oder Generika) und Paliperidon (Invega®, Xeplion®). Geringfügig schwächer wirksam, aber eher etwas verträglicher waren Quetiapin (Seroquel® oder Generika), Aripiprazol (Abilify®) sowie Lurasidon (Latuda®).
Psychotherapie und Rehabilitation zur Rückfallprävention Hinsichtlich psychotherapeutischer Interventionen besteht eine grosse Diskrepanz zwischen Leitlinien und der tatsächlichen Versorgung. Für die Akuttherapie sind Psychoedukation und Krankheitsmanagement sowie die Information und die Betreuung der Angehörigen entscheidend. In der Langzeitbehandlung kommt zusätzlich die kognitive Verhaltenstherapie zum Zug. Sehr wichtig ist die Rückfallprävention, um den Betroffenen subjektives Leiden zu ersparen und die negativen Auswirkungen auf Beruf und Freunde zu vermeiden. Zudem wird eine Remission nach Rückfällen weniger wahrscheinlich. Die medikamentöse Prophylaxe sollte bei Ersterkrankung mindestens ein Jahr dauern, bei Mehrfacherkrankung zwei bis drei Jahre, gegebenenfalls auch länger. Bei Rückfällen kommt dasjenige Medikament zum Einsatz, welches in der Akuttherapie wirksam war. Mit Patienten und Angehörigen sollte vorbeugend ein Krisenplan mit Frühwarnzeichen besprochen werden. Die Psychoedukation und die Anleitungen zum Krisenmanagement müssen viele Punkte ansprechen, was in Gruppensitzungen erfolgen kann. Zunächst ist das eine Erklärung der Symptome («Was ist eine Psychose?»). Dann geht es auch um Modelle zur Erklärung der Entstehung (Dopamin, Vulnerabilität und Stress) sowie die Wirkung und Nebenwirkungen von Medikamenten. Erklärt werden müssen auch der Verlauf von Psychosen und die Gefahr von Rückfällen. Schliesslich ist ein wichtiger Punkt das Aufzeigen von Zukunftsperspektiven. Daneben soll in Einzelsitzungen über den Umgang mit der Erkrankung und über einen Krisenplan gesprochen werden. Von grosser Bedeutung ist auch die berufliche Rehabilitation. Nur eine Minderheit von Betroffenen, die schizophrene Psychosen aufweisen, kann in Ausbildung und Beruf auf dem ersten Arbeitsmarkt bestehen. «In der Schweiz gibt es zwar ein breites Spektrum an unterstützenden Angeboten, jedoch ist die Auswahl eine Herausforderung», meinte Kaiser. Auf gute Evidenz kann sich das Konzept von «Job Coaches» stützen, die bei der Suche und am Arbeitsplatz Unterstützung bieten. Ein zentraler Punkt der komplexen Therapie ist die Behand-
Take Home Messages
• Bei schizophrenen Psychosen ist die Dauer der unbehandelten Psychose einer der wichtigsten Prädiktoren für den weiteren Verlauf.
• Massnahmen zur Verkürzung der Dauer der unbehandelten Psychose sind niederschwellige spezialisierte Behandlungsangebote (Früherkennungszentren), die Vernetzung mit und die Schulung von Hausärzten sowie die Aufklärung der Allgemeinheit.
• Wenn ein Antipsychotikum nach zwei bis drei Wochen keine Wirkung gezeigt hat, wird es zumindest in der gewählten Dosis auch nicht mehr wirken.
• Patienten mit Schizophrenie sterben 20 bis 30 Jahre früher. • Ursachen sind häufigere Suizide und Unfälle, aber auch eine höhere Mor-
talität aufgrund organischer Ursachen. • Die Behandlung somatischer Erkrankungen muss wie bei allen anderen
Patienten erfolgen.
lungskontinuität: «Wenn diese beim Hausarzt liegt, ist schon viel gewonnen.»
Somatische Aspekte nicht vergessen Hausärztinnen und Hausärzte haben in der Betreuung von Menschen mit schizophrenen Psychosen noch weitere wichtige Aufgaben. Die Sterblichkeit ist bei ihnen um das Zwei- bis Dreifache erhöht (5). Das bedeutet, dass Patienten mit Schizophrenie im Durchschnitt 20 bis 30 Jahre früher sterben. Dieser Unterschied ist in den letzten 30 Jahren sogar noch grösser geworden. Ursachen sind einerseits häufigere Suizide und Unfälle, andererseits aber auch eine höhere Mortalität aufgrund organischer Ursachen (kardiovaskulär, Tumore, COPD, Infektionskrankheiten u.a.), denn häufig zeigen die Betroffenen einen ungesunden Lebensstil (Ernährung, Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel). Daneben spielen auch Nebenwirkungen von Antipsychotika eine Rolle. Oft kommt es zudem zu einer verzögerten Diagnose und einer unzureichenden Behandlung von körperlichen Erkrankungen. Modifikationen des Lebensstils sind auch bei Patienten mit Schizophrenie durch individuelle Beratung in der Praxis und durch strukturierte Interventionen zu erzielen. «Raucherentwöhnungsprogramme sind wirksam und müssen nicht störungsspezifisch sein», betonte Kaiser unter Hinweis auf eine Studie, in der sich Bupropion (Zyban®) auch bei Patienten mit schweren psychischen Störungen als wirksam erwies (6). Zur Optimierung von Diagnose und Behandlung somatischer Erkrankungen bei Patienten mit schizophrenen Psychosen ist ein systematischer Ansatz nicht nur beim Monitoring von Nebenwirkungen der Antipsychotika (Hyperglykämie, Hyperlipidämie, Gewichtszunahme v.a. bei Atypika) nötig. Da die Patienten oft nicht oder erst spät Hilfe für somatische Probleme suchen, ist deren Früherkennung eine spannende Aufgabe für den Hausarzt. «In jedem Fall muss aber sichergestellt werden, dass die Behandlung somatischer Erkrankungen wie bei allen anderen Patienten erfolgt», forderte Kaiser.
Halid Bas
Referenzen: 1. Simon AE et al.: General practitioners and schizophrenia: results from a Swiss survey. Br J Psychiatry 2005; 187: 274–281. 2. Marshall M et al.: Association between duration of untreated psychosis and outcome in cohorts of first-episode patients: a systematic review. Arch Gen Psychiatry 2005; 62 (9): 975–983. 3. Perkins DO et al.: Relationship between duration of untreated psychosis and outcome in first-episode schizophrenia: a critical review and meta-analysis. Am J Psychiatry 2005; 162 (10): 1785–1804. 4. Leucht S et al.: Comparative efficacy and tolerability of 15 antipsychotic drugs in schizophrenia: a multiple-treatments meta-analysis. Lancet 2013; 382 (9896): 951–962. 5. Hoang U et al.: Mortality after hospital discharge for people with schizophrenia or bipolar disorder: retrospective study of linked English hospital episode statistics, 1999–2006. BMJ 2011; 343: d5422. 6. Banham L et al.: Smoking cessation in severe mental illness: what works? Addiction 2010; 105(7): 1176–1189.
Quelle: Hauptreferat «Schizophrene Psychosen – von der Früherkennung zur Langzeittherapie» an der 17. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), 25. Juni 2015 in Luzern.
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