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Vorhofflimmern
Neue ESC-Empfehlungen für Kardioversion und orale Therapie 2012
Die vor zwei Jahren publizierten ESC-Guidelines zum Vorhofflimmern wurden nicht nur bezüglich der Antikoagulation aktualisiert, auch bei den Empfehlungen zur antiarrhythmischen Therapie gibt es Neuigkeiten, die von Prof. John Camm, London, vorgestellt wurden. Einen Überblick zu den therapeutischen Möglichkeiten und Perspektiven gab Prof. Lukas Kappenberger, der in diesem Jahr als Referent der René Laennec Lecture am ESC Kongress geehrt wurde.
Es ist ungewöhnlich, wenn ein Kardiologe «kleine Studien» fordert. Gerade in der Kardiologie sind Megastudien mit zehntausenden von Teilnehmern an der Tagesordnung, und auch in anderen Fachgebieten gilt eine möglichst grosse Studie als erstrebenswert. Doch Prof. Lukas Kappenberger, Lausanne, hatte gute Gründe für seine Forderung, die er als diesjähriger Referent der René Laennec Lecture formulierte: Zu oft habe man in den grossen Antiarrhythmika-Studien alle Patienten in einen Topf geworfen, unabhängig von der Ursache des Vorhofflimmerns – widersprüchliche Studienresultate seien die Folge gewesen. «Für den Erfolg einer antiarrhythmischen Therapie kommt es auf die zugrunde liegende Erkrankung an», sagte Kappenberger. Um die Patienten besser zu klassifizieren und somit eine massgeschneiderte, sinnvolle Therapie zu ermöglichen, müsse man alle Parameter
René-Laennec-Lecture-Referent Lukas Kappenberger mit Viviane Conraads (re), Eva Swahn (li) und Thomas F. Lüscher am ESC Kongress in München 2012. Mit der Ernennung als Referent einer René Laennec Lecture zeichnet die ESC führende Kliniker und Forscher in der Kardiologie aus. René Laennec (1781–1826) gilt als Erfinder der Stethoskops; er entwickelte die Auskulatation als diagnostisches Verfahren bei Herz- und Lungenkrankheiten.
berücksichtigen: Symptome, Krankheitsverlauf über die Zeit, Ätiologie und assoziierte Risikofaktoren. Kappenberger erinnerte in diesem Zusammenhang an die mehr als 10 Jahre zurückliegende CAST-Studie, die vorzeitig abgebrochen wurde, weil Antiarrhythmika nach einem Herzinfarkt zu mehr Todesfällen führten: «Antiarrhythmika können gefährlich sein.»
Medikamente gegen Vorhofflimmern
«Es gibt sehr wirksame Medikamente zur Kardioversion und zum Erhalten des Sinusrhythmus», sagte Kappenberger. Es sei aber bis anhin nicht erwiesen, dass diese Medikamente Morbidität und Mortalität verringerten. Während die akute medikamentöse Kardioversion meistens klappt, ist ein anhaltender Sinusrhythmus bei der medikamentösen Therapie nicht garantiert. Kappenberger zeigte als Beispiel die Daten einer Übersichtsarbeit, in welcher der Anteil an Patienten mit Sinusrhythmus nach mindestens 6 Monaten aufgelistet wurde (nach steigender Erfolgsrate): ohne Medikamente (31%), Propafenon (39%; Rytmonorm®), Chinidin (41%; in der Schweiz nicht im Handel), Sotalol (42%; Sotalex® und Generika), Disopyramid (49%; in der Schweiz nicht im Handel), Amiodaron (47%; Cordarone® und Generika) und Flecainid (62%; Tambocor®). Mit einer Erfolgsrate von 62 Prozent komme man bereits in einen Bereich, wie er sonst nur mit invasiven Methoden zu erreichen sei, sagte Kappenberger. Neu in den ESC-Leitlinien ist die Bewertung von Vernakalant (Brinavess®), einem intravenösen Medikament, das nun neben Flecainid i.v. und Propafenon i.v. bei Akut-Patienten ohne strukturelle Herzschäden und neben Ibutilid i.v. (Corvert®) für Patienten mit mittelschweren Herzschäden zur Kardioversion empfohlen wird. Bei schweren Herzschäden gilt nach wie vor Amiodaron i.v. als Mittel der Wahl. Vernakalant kommt auch für Patienten mit postoperativem Vorhofflimmern nach einem Eingriff am Herzen infrage.
10 Kardiologie ESC 2012
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Abbildung: Auswahl des Antiarrhythmikums nach zugrunde liegender Pathologie (nach: 2012 focused update of the ESC Guidelines for the management of atrial fibrillation; European Heart Journal doi:10.1093/ eurheartj/ehs253); *Dronedaron ist kontraindiziert bei Patienten mit permanentem Vorhofflimmern sowie bei instabilen Patienten mit Herzinsuffizienz oder linksventrikulärer Dysfunktion (auch in der Vorgeschichte); s. auch www.compendium.ch.
Die ESC-Empfehlungen zu den oralen Antiarrhythmika wurden aktualisiert und durch eine Neubewertung und Indikationseinschränkung für Dronedaron (Multaq®) ergänzt (Abbildung). Dronedaron gilt nun als «moderat wirksame antiarrhythmische Substanz» zur Aufrechterhaltung des Sinusrhythmus für Patienten mit rekurrierendem Vorhofflimmern. Es soll nicht an Patienten mit permanentem Vorhofflimmern verabreicht werden; auch bei instabilen Patienten mit Herzinsuffizienz oder linksventrikulärer Dysfunktion (aktuell oder in der Vorgeschichte) ist Dronedaron kontraindiziert, und die Kombination mit Digoxin ist zu vermeiden. Neu in den ESC-Empfehlungen ist auch der Hinweis auf eine mögliche Kurzzeittherapie mit oralen Antiarrhythmika nach der Kardioversion. Demnach kann man eine 4-wöchige antiarrhythmische orale Therapie für ausgewählte Patienten erwägen, insbesondere bei erhöhtem Nebenwirkungsrisiko.
Elektrische Kardioversion
Diese älteste Methode, das Herz wieder in den richtigen Rhythmus zu versetzen, sei in der Tat sehr wirksam, sagte Kappenberger. Dem weiteren Vorteil, dass man sie wiederholen kann, stehen jedoch auch Nachteile gegenüber. Mehr als 15 Volt seien nicht tolerabel, und man beeinflusse damit im Grunde nur das akute Vorhofflimmern. Die präventive Wirkung hängt von der zugrunde liegenden Ursache des Vorhofflimmerns ab. Geht die Störung vom Sinusknoten aus, sei der Effekt der elektrischen Kardioversion sehr gut, ist jedoch die Hypertonie auslösender Faktor, hat sie keine vorbeugende Wirkung.
Ablation und perkutaner Vorhofverschluss
Um die unkontrollierte, ungerichtete Erregungsleitung bei Vorhofflimmern wieder in den Griff zu bekommen, kommen eine Reihe interventioneller Verfahren in Betracht. Neu aufgeführt wird in den ESC-Leitlinien der perkutane Vorhofverschluss als Option für Patienten mit hohem Hirnschlagrisiko, bei denen aufgrund von Kontraindikationen keine langfristige orale Antikoagulation möglich ist. Hierbei wird das linke Vorhofohr (die meisten Thromben entstehen im linken Vorhof ) durch einen künstlichen Verschluss abgetrennt; die Platzierung erfolgt über einen via Leistenvene bis ins Herz geschobenen Katheter. Seit Ende der 1980er Jahre etabliert ist die Cox-MazeOperation gegen Vorhofflimmern. Hierbei werden durch Einschnitte und Vernarbung im Vorhofgewebe bestimmte Herzabschnitte voneinander isoliert, sodass keine unkoordinierte elektrische Erregung mehr möglich ist. Heutzutage wird das Gewebe meist nicht mehr geschnitten, sondern mittels Radiofrequenz- oder Kryoablation gezielt zerstört. Die Erfolgsrate ist recht gut. Gemäss einer im letzten Jahr publizierten Studie zeigten nach einem Jahr über 80 Prozent der operierten Patienten Sinusrhythmus bei einer Gesamtmortalität von 2 Prozent. «Es funktioniert, es ist erfolgreich, und die Patienten sind zufrieden», fasste Lukas Kappenberger die Erfahrungen mit der Ablation zusammen. Im Frühjahr 2012 publizierten die kardiologischen Fachgesellschaften HRS (Heart Rhythm Society), EHRA (European Heart Rhythm Association) und ECAS (European Cardiac Arrhythmia Society) einen Konsensus, welche Patienten wie operiert werden sollten (Europace 2012; 14: 528–606).
Renate Bonifer
René Laennec Lecture: New look at atrial fibrillation: lessons from drug, pacemaker and ablation therapies am 28. August 2012 und Symposium 2012 ESC Guidelines overview: Atrial fibrillation focussed update, am 25. August 2012. ESC-Kongress München, 25. bis 29. August 2012.
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